We talk Indie: Im Gespräch mit dem Verlag Hermann Schmidt

Am 23. Oktober 2015 öffnete der Verlag Hermann Schmidt in Mainz seine Pforten und lud Freunde des besonderes Buches ein, Sekt zu trinken, die Verlagsräume zu besichtigen und ausgewählte Arbeiten des Type Directors Club of New York zu bestaunen. Wir haben die Gelegenheit genutzt und Karin Schmidt-Friderichs, die gemeinsam mit ihrem Mann Bertram Schmidt-Friderichs den Verlag leitet, ein paar Fragen gestellt. Ein Gespräch über Buchkunst, über die Vorzüge und Tücken des unabhängigen Verlegens und über einen Band mit 300 Bildern vom Meer.

hermannschmidt

Karin Schmidt-Friderichs (*1960) hat nach dem Architekturstudium als angestellte und als freie Architektin gearbeitet, bevor sie 1992 gemeinsam mit ihrem Mann Bertram Schmidt-Friderichs begann, den Verlag Hermann Schmidt aufzubauen. Angetrieben von dem Wunsch, Bücher zu machen, die kreative Köpfe kribbeln und die Herzen von Kreativen höher schlagen lassen. Heute gilt der Verlag als eine der weltweit renommiertesten Adressen, wenn es um Bücher zu Gestaltungsthemen geht. Darüber hinaus engagiert sich Karin Schmidt-Friderichs als Vorstandsvorsitzende der Stiftung Buchkunst fürs schöne Buch. Sie ist Mitglied im Art Directors Club für Deutschland, der International Society of Typographic Designers und im Deutschen Designer Club. 2014 verlieh die Ministerpräsidentin des Landes Rheinland-Pfalz Karin und Bertram Schmidt-Friderichs für ihr kulturelles Engagement den Verdienstorden des Landes.

Wie ist es zur Gründung des Verlages gekommen?

Der Verlag war so eigentlich gar nicht geplant. Mein Mann Bertram stieg am 1.1.1986 in die elterliche Universitätsdruckerei in Mainz ein. Der Schritt war lange geplant. Er hatte eine Schriftsetzerlehre absolviert, ein betriebswirtschaftliches, druckorientiertes Studium abgeschlossen und Lehr- und Wanderjahre in verschiedenen Unternehmen hinter sich. In der Lehre hatte er sich mit dem »Typovirus« infiziert, seither schlug sein Herz für Typografie und Schrift. Das parallel zur Lehre begonnene Kunstgeschichtsstudium hatte ihn für Momente sogar an der Nachfolge in den elterlichen Betrieb zweifeln lassen. Bei Cantz, wo er sich vom Praktikanten zum Assistenten der Geschäftsleitung hochgearbeitet hatte, entdeckte er, dass im Machen schöner Kunstbücher seine Interessen ideal zusammenkommen.

Als er die elterliche Druckerei übernahm, war sein Ziel, möglichst anspruchsvolle Kunstkataloge, Baudokumentationen und Geschäftsberichte als Druckaufträge zu akquirieren. Dazu war es einerseits nötig, die Mitarbeiter auf absolute Topqualität zu schulen, und andererseits brauchte er überzeugende Leistungsbeweise. So entstanden erste anspruchsvolle Bücher, sie gewannen Preise, die Qualität sprach sich rum – und Bertram liebte es, diese Herausforderungen zu meistern. Durch einen unvorsichtigen Satz von mir – »Wenn ich die Bücher verkaufte, könntest Du mehr davon machen« – entstand bei einem abendlichen Glas Wein am Küchentisch der Verlag Hermann Schmidt.

Welchen Herausforderungen mussten Sie sich anfangs stellen? Sind es dieselben wie heute?

Am Anfang galt es, ein Profil zu finden, denn »schön« allein definiert ein Programm nicht. Da hatten wir Glück, denn zu der Zeit hatte sich kein anderer Verlag konsequent Themen zu Typografie auf die Fahnen geschrieben. Mit dem Siegeszug des Mac standen aber mit einem Mal einer großen Zahl von Menschen »Setzereien« zur Verfügung, von denen die gut ausgerüsteten Profis zuvor nicht zu träumen gewagt hätten. Was fehlte, war Typo-Know-How. Also haben wir das zu unserem Markenkern gemacht.

Gleichzeitig kannte keiner den Verlag und ich hatte keinerlei verlegerische Ausbildung. Das war echte Pionierarbeit und ist mit dem heute professionell arbeitenden Team überhaupt nicht vergleichbar. Aber die Erfahrung, dass man mit Mut, einem klaren Ziel, Begeisterungsfähigkeit und Einsatz eigentlich alles erreichen kann, hat uns geprägt. Und wir haben aus dieser Anfangszeit beibehalten, die eine oder andere Tradition infrage zu stellen. Heute stehen Verlage vor der Herausforderung, in Digitalisierung und Globalisierung, gegenüber Self-Publishing und in einem sich veränderndem Buchmarkt die eigene Position zu finden und zu festigen. Mut, ein klares Ziel, Lust und Leidenschaft und kritisches Infragestellen von Althergebrachtem sind auch dafür ein gutes Rüstzeug.

Welche Schwerpunkte setzt der Verlag Hermann Schmidt? Wie lautet seine Philosophie?

Lange Jahre hätte ich geantwortet: »Wir machen ausgezeichnete Bücher zu Typografie, Grafikdesign und Kreativität.« Aber ein Verlag lebt. Er lebt mit seinen Autorinnen und Autoren. Er lebt auch damit, wie die Verleger die Welt ihrer Zielgruppe erleben. Und damit lebt das Programm. Anfangs fast unbemerkt, dann strategisch, haben wir das Programm erweitert. Mal mit »Habenwollen-Produkten«, zu denen wir nicht Nein sagen konnten, mal mit Denkanstößen wie Die Kunst, ein kreatives Leben zu führen, von denen wir einfach dachten, sie passen zum Alltag der Kreativen, der eben über Typografie, Grafikdesign und Kreativität hinausgeht.

Thematisch wurde Schmidt also breiter, herstellerisch und gestalterisch blieb und bleibt die Devise »simply the best«, also die Suche nach der bestmöglichen Inszenierung und Materialisierung des Inhaltes. Das äußere Zeichen dieses Wandels: Neben die Domain typografie.de trat inhaltsgleich verlag-hermann-schmidt.de, übrigens auf Anregung von Andreas Freitag, der sein Buch Von Marken und Menschen nicht bei typografie.de heimisch sah.

Was zeichnet in Ihren Augen schöne Bücher aus?

Ich finde, Schönheit kommt von innen, das heißt beim Buch: Sie kommt vom Inhalt. Der führt. Die Gestaltung dient. Gestaltung und Herstellung sind wie die Inszenierung und das Bühnenbild im Theater. Die Zuschauer sollen nachher nicht den Bühnenbildner loben, sondern das Stück, aber dazu, dass es Applaus gibt, trägt eben der Bühnenbildner ebenso bei wie der Regisseur. In diesem Sinne ist Schönheit eben nicht eitel und vordergründig, sondern dienend (dem Inhalt) und subtil.

Was schätzen Sie an der unabhängigen Kleinverlagswelt?

Ich wehre mich ehrlich gesagt ein wenig gegen den Begriff Kleinverlag, weil das immer so ein bisschen niedlich oder schutzbedürftig oder schlimmstenfalls nicht ernst zu nehmend wirkt. Ob ein Unternehmen klein oder groß ist, hat immensen Einfluss auf Organisation und Führung, das sind aber interne Themen. Nach außen darf es meiner Meinung nach keine Rolle spielen, denn da ist Professionalität das A und O.

Intern sind die Vorteile schnelle Wege, kurze Reaktionszeiten und keinerlei Bürokratie. Die Nachteile liegen auf der Hand: Wenn eine/r von zehn Mitarbeiter/innen krank und zwei im Urlaub sind, kommen wir schon echt an die Grenze. Das erfordert Flexibilität und Planung in ausgewogener Mischung und manchmal eben auch Improvisationstalent. Nach außen sollte es gar keine Rolle spielen.

Unabhängigkeit dagegen halte ich für ein ganz wichtiges Differenzierungsmerkmal. Die gnadenlose Freiheit, tun und lassen zu können, was wir wollen, und die Folgen im Positiven wie im Negativen allein zu verantworten, führt zu einem ganz anderen Alltag, als wenn Sie zwischen Budgetplanung und Rendite-Erwartung Sicherheit suchen (können).

Das muss man sich klar machen, wenn man »Kleinverleger« werden will: Das Boot, das wir übers Meer jagen, ist klein. Die Power kommt alleine von uns, kein Windschatten eines Konzerns, kein Frachter, der schon lange Fahrt aufgenommen hat. Da weht die steife Brise einem direkt ins Gesicht, da wird man auch mal nass, da kann man schnell und agil steuern – und muss das auch!

Welche Entwicklungen auf dem Buchmarkt beschäftigen Sie zurzeit besonders stark? Und wie reagiert Ihr Verlag darauf?

Als Apple das iPad ankündigte, habe ich eine Karte an mich selbst geschrieben: »Whatever is, whatever comes – go with it and grow with it.«

Die hängt weiter an meinem Regal und bezieht sich derzeit natürlich immer noch auf die Digitalisierung, aber auch auf das Sterben von Buchhandlungen (sie sind die Orte, wo Bücher haptisch überzeugen können!!!). Wenn man daneben die Situation der Innenstädte beobachtet, sieht man einen städtebaulichen Strukturwandel, der den Stadtbummel in Innenstadtlagen weniger attraktiv macht. Dafür entstehen in B-Lagen neue Läden, auch Buchhandlungen und Szene-Läden, die neben anderem auch Bücher führen. Das fordert von uns waches Beobachten, die ständige Bereitschaft, neue Kooperationen zu probieren, und Zeit »on the road«.

Was mich positiv beschäftigt, sind coole Independent Designmessen, die an den verschiedensten Orten »aufpoppen« und wo man neben Hoodies, Heidelbeersenf und Porzellanscherben-Ohranhängern eben durchaus auch Bücher findet, und diese neuen Läden mit frischen, lebensbejahenden Konzepten, in denen Bücher zwar manchmal »nur« eine wunderbare Nebenrolle spielen, aber eben ein zielgruppenadäquates Zuhause auf Zeit finden.

Natürlich beschäftigt mich auch das Self-Publishing. Weil ich Freiheit immer gut finde, freut es mich, dass es zum Verlegen heute keinen Verlag mehr braucht. Aber man muss eben in der Lage sein, die Rolle des Verlages zu erklären und Autorinnen und Autoren etwas zu bieten.

Genauso verhält es sich mit dem E-Publishing: Die Wahlfreiheit ist toll, fordert aber auch Entscheidungen. Im Moment steht Schmidt fürs schöne gedruckte Buch, im Moment fahren wir damit gut. Und wir beobachten den Markt und die technische Entwicklung wach.

Ich glaube, insgesamt befindet sich die Branche in einem Transformationsprozess, das macht das Leben manchmal nicht leichter, aber immer spannend.

Wie wirkt sich die Digitalisierung auf Ihre Arbeit, Ihre Art des Verlegens aus?

Jedes E-Book, das runtergeladen wird, macht »Marketing« fürs schöne gedruckte Buch, insofern bleiben wir dem erst mal treu. Und ich habe auch den Eindruck, dass wir analogen Verleger nicht mehr wie die letzten Saurier durch die Branche getrieben werden.

Aber natürlich gibt es Projekte, die wir einfach nicht mehr machen, weil sie heute digital verlegt werden sollten, Jahrbücher zum Beispiel. Gerade haben wir schweren Herzens den letzten Jahrbuchvertrag gekündigt. Von uns aus. Weil wir nur (im Print) verlegen, wovon wir überzeugt sind …

Zum Abschluss würden wir uns über eine Buchempfehlung freuen – aus Ihrem eigenen Programm oder dem eines anderen Indie-Verlages.

Aus dem eigenen Programm, da kann ich alle Bücher empfehlen ;-), aber das überrascht wahrscheinlich nicht sonderlich. Also kommt hier mein verrücktestes Lieblingsbuch. Verrückt, weil es so teuer ist. Lieblingsbuch, weil es für mich Urlaub ist.

Bruno van den Elshout hat ein ganzes Jahr lang das Meer und den Horizont fotografiert. Immer an derselben Stelle, immer dasselbe Meer. Unterschiedliche Witterung. Unterschiedliche Helligkeit. Unterschiedliche Stimmung.

NEWHORIZONS_Boek

Aus 8.785 Bildern suchte er dann 300 aus, brachte sie in ein Buch, das sich durch eine spezielle Bindeart vollkommen flach aufschlagen lässt. Und so liegt es seit fast einem Jahr auf unserem Esstisch, und wenn ich abends heimkomme, immer etwas ausgelaugt (weil ich ja vorher nicht aufhöre zu arbeiten), dann liegt da dieses Buch und strahlt Ruhe und Weite, Geborgenheit und Frieden aus.

Es liegt da und ich meine, den Wind zu spüren, die salzige Luft zu riechen. Ich blättere und für Momente bin ich am Meer. Das ist mein täglicher Kurzurlaub und ich bin dankbar, dass mich dieses Buch gefunden hat: am Stand der Stiftung Buchkunst in Leipzig. New Horizons wurde unter den schönsten Büchern aus aller Welt ausgezeichnet, für mich ist es neben Yoga und Laufen mein kleines Retreat zum Auftanken …

Bruno van den Elshout: New Horizons. Publisher: The Eriskay Connection, Breda. Designer: Rob van Hoesel. Printer: Lenoirschuring, Amstelveen. ISBN: 978 94 92051 042.

***

Wir danken Karin Schmidt-Friderichs für das Gespräch und wünschen ihr und ihrem Team weiterhin viel Erfolg! Der Verlag Hermann Schmidt im Netz: Webseite | Facebook | Twitter | Pinterest | Instagram.

2 Kommentare zu „We talk Indie: Im Gespräch mit dem Verlag Hermann Schmidt

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