Maggie Gernatowski: About My Shelf

»Man konsumiert die Romantik und romantisiert den Konsum«

Gernatowski - About My Shelf (c)

Es gibt da diese Plattform, Freunde von Freunden, auf der Kreative aus aller Welt vorgestellt werden: in Form von ausführlichen, stets sehr lesenswerten Interviews und von Fotos, bei denen man nicht weiß, was schöner ist – die Fotos selbst oder das auf ihnen Abgebildete, die Menschen, ihre Wohnungen, ihre Arbeitsplätze. Ich liebe das Magazin, denn alles an diesen Kreativleuten ist inspirierend – was sie tun und was sie sagen, wie sie sich kleiden und wie sie leben. Gleichzeitig ist es ernüchternd, man selbst ist ja weit davon entfernt, so interessant und stylish zu sein, da helfen auch die grün gepolsterten Biedermeiermöbel nichts, die man irgendwo in der Provinz günstig erstanden hat und voller Stolz in der Frankfurter Dachgeschosswohnung zur Schau stellt. Letzteres tue ich trotzdem, hier zum Beispiel.

Nun ist ein Buch erschienen, das ähnlich funktioniert, es gewährt einen Einblick in die Wohnungen kreativer Menschen – zumindest einen Ausschnitt davon, den spannendsten und aussagekräftigsten überhaupt: die Bücher- und Plattenregale. In About My Shelf zeigen zehn Musiker ihre Bücher- und zehn Schriftsteller ihre Plattensammlungen her – wobei die Zuordnungen teilweise willkürlich sind, viele der Musiker schreiben auch und umgekehrt. Frank Spilker ist dabei, Françoise Cactus (Stereo Total), Valeska Steiner (Boy) und Messer-Frontmann Hendrik Otremba; Benedict Wells ist dabei, Vea Kaiser, Ulrike Almut Sandig und Franz Dobler. Durchaus namhafte Künstler, mit denen man sich gerne mal über ihre literarischen und musikalischen Vorlieben unterhalten würde.

Das hat nun Maggie Gernatowski für uns übernommen, die nicht nur dieses Buch herausgegeben, sondern eigens dafür auch einen Verlag gegründet hat, den Verlag von Wegen mit Sitz in Köln. Und das Konzept von About My Shelf leuchtet sofort ein: Das Bücher- und Plattenregal ist der Ort, den ich zuverlässig als Erstes ansteuere, wenn ich eine fremde Wohnung betrete, ich stöbere, vergleiche und ziehe Rückschlüsse auf den Besitzer, manchmal lässt mich eine Sammlung kalt, manchmal bin ich neidisch, manchmal auf der Stelle verliebt – ihr kennt das. So auch hier: Man stößt auf Unbekanntes oder längst Vergessenes und hat nicht selten Lust, eines der Bücher in die Hand zu nehmen und darin zu blättern oder eine der Platten aufzulegen.

»Den Tonträger Schallplatte umgibt natürlich etwas Nostalgisches, er wird verklärt, überhöht, geradezu fetischisiert. Dasselbe bei Tapes, Polaroids, schönen Büchern oder alten Möbeln. Man konsumiert die Romantik und romantisiert den Konsum. Das ist mir zwar suspekt, ich kann mich da aber selbst nicht ausnehmen. Ich bin ziemlich anfällig für Romantik und Nostalgie.« (Nagel)

Freilich reden nicht alle gleich geistreich über Literatur und Musik, und nicht alle Regale sind gleich anregend – Spaß machen vor allem die Interviews mit Markus Acher (The Notwist), Karen Köhler, Melanie Raabe, Roman Ehrlich und Nagel. Köhler etwa muss bei dem Versuch, ihre Lebensabschnitte nach Alben zu ordnen, kapitulieren: »Es waren doch so viele Alben wichtig. Manche über lange Zeit, manche nur kurz, dafür tief und heftig. Das sind ja Liebesbeziehungen.« Musik für bestimmte Lebenslagen? Klar!, sagt Raabe: »Electronica for dancing, HipHop for confidence, Indierock for life.« Und Ehrlich denkt über drei Alben für die berühmte einsame Insel nach: »wahrscheinlich sollte man sich drei ganz verschiedene Sachen aussuchen, Repräsentanten ihrer Art, wie für eine Arche. Aber dann müsste man sich auch für drei Arten entscheiden. Es geht halt einfach nicht.«

Gernatowski stellt naheliegende und weniger naheliegende, in jedem Fall aber gute Fragen: welches das schönste Buch- oder Plattencover ist und welches der größte Schatz in der eigenen Sammlung, wessen Regal man gerne mal sehen und mit wem man gerne mal einen trinken würde. Und auch äußerlich macht About My Shelf mit seinem magazinartigen Look viel her: Hochglanzpapier, ganzseitige Fotos, modernes Layout (von Tobias Bergmann / papiergestalt.de) – all das ist erfrischend. Zwar hätte man sich auch einen großformatigen Bildband mit festem Einband gut vorstellen können, doch die Broschur passt wunderbar ins Konzept. Einziger Wermutstropfen: Das Korrektorat hätte etwas gründlicher sein können. Das allerdings fällt angesichts der schönen Idee und der ebenso schönen Umsetzung kaum ins Gewicht.

Was Maggie Gernatowski dazu bewogen hat, einen Verlag für das Projekt zu gründen, erzählt sie in ein paar Tagen an dieser Stelle.

Maggie Gernatowski (Hg.): About My Shelf. Verlag von Wegen 2015, 164 Seiten, 15,00 €.

Die Rezension ist gleichzeitig auf SchöneSeiten erschienen.

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