„Fick doch deine Mutter, Arschloch, und verpiss dich! Ein passender Beginn sieht anders aus, weiß ich ja, aber in meiner Geschichte und der meiner Familie wird nun mal ständig geflucht und geschimpft. Wenn ich wirklich alles so erzähle, wie es sich zugetragen hat, komme ich um einen Haufen Schimpfwörter einfach nicht herum. Ich schwöre, es geht nicht anders …“
Ich werde als Leser also vorgewarnt. Der sehr direkte Einstieg hält mich aber trotz allem nicht von der Lektüre ab. Und so nähere ich mich diesem Buch mal ganz sachte: Was sind denn eigentlich Quesadillas? Die mexikanische Nationalspeise schlechthin. Zubereitet aus Maistortillas, mexikanischen wohlgemerkt, die mit Käse belegt und zugeklappt werden und einfach nur unglaublich gut schmecken. Vor einigen Jahren konnte ich mich davon selbst überzeugen. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass mich der witzige und etwas verrückte Plot gleich angesprochen hat.
Orest, ein pubertierendes Bürschchen, lebt mit sechs Geschwistern, seinem ständig fluchenden Vater und der Quesadillas backenden Mutter in Lagos de Moreno – in der mexikanischen Pampa und noch dazu in einer Art Bruchbude oder mit seinen Worten: einem Schuhkarton. Die unterschiedlichen Zubereitungsarten der berühmten Quesadillas sind Grundlage für die vielen verschiedenen Namen und zugleich Barometer für die gesellschaftliche und politische Situation im Land.
Inflationsquesadillas waren enorm dick, damit der Käse nicht schlecht wurde, den meine Mutter nach Bekanntgabe der neuesten, nie anders als gestiegenen Lebensmittelpreise und der drohenden Aussicht, die Supermarktrechnung könne sich statt Billionen auf Trillionen belaufen, in einer Art Panikhandlung gehamstert hatte. Normaloquesadillas waren solche, wie wir sie täglich aßen, als lebten wir in einem ganz normalen Land, aber wenn wir ein ganz normales Land wären, würden wir keine Maisfladen essen, weshalb wir sie auch Möchtegernquesaillas nannte.
Abwertungsquesadillas waren Quesadillas der chronischen nationalen Krise und darum die gängigsten. Blieben Armeleutequesadillas, in denen man statt des geschmolzenen Käse das Wort Käse, das die Mutter in den Teig geritzt hatte, fand. Trotz der abendlichen Schlacht um die begehrten Quesadillas, will die Familie aber an einer Illusion festhalten: wir sind Mittelschicht!
Die Story ist mehr als eigensinnig. Zwei der sieben Kinder, die übrigens alle griechische Namen tragen, sind zweieiige Zwillinge und damit keine richtigen Zwillinge, was vielerorts für Verwirrung stiftet. Sie wurden, laut dem ältesten Sohn, von Außerirdischen entführt. Orest nimmt’s zunächst gelassen, sind doch jetzt mehr Quesadillas für ihn übrig. Von seinem großem Bruder Aristoteles angestiftet begibt er sich aber doch mit ihm gemeinsam auf die Suche. Dabei stiften sie Chaos in einem Pilgerzug, zerstreiten und trennen sich und Orest erlebt ein wahres Wunder. Als er reumütig zu den Eltern zurückkehrt, ist er nur für kurze Zeit der Älteste. Aristoteles lässt nicht lange auf sich warten und findet ebenso zurück in das elterliche Heim. Zum Ende hin wird es immer skurriler aber dafür nicht weniger unterhaltsam. Denn auf einmal wollen Bulldozer die Bruchbude niederreißen, der polnische Nachbar entpuppt sich wieder einmal als geldgeiler Kapitalist und die großelterlichen Melonen werden zum Gegenstand eines Familienstreits. Als dann noch Außerirdische ins Geschehen eingreifen, bleibt in Lagos de Moreno kein Stein auf dem anderen. Soweit die Handlung kurz zusammengefasst. Aber es geht um weit mehr. Villalobos räumt auf, schlägt einmal kurz um sich und schon bröckelt das mexikanische Wertesystem. Politiker und Gläubige, Arme wie Reiche, Immigranten wie Polizisten werden durch den Kakao gezogen und auf die Schippe genommen.
Es wird geflucht und argumentiert bis einem schwindlig wird. Seine Sprache ist jederzeit direkt und ehrlich, erfrischend und anders zugleich.
»Bringen sie die Rebellen um, Papa?«
»Nein, sie jagen ihnen nur einen Schrecken ein«, fuhr meine Mutter dazwischen. Schließlich wusste sie genau, was mein Vater antworten würde: Dafür ist die Polizei ja da – uns umzubringen, oder so ähnlich.
»Und was machen sie mit den Rebellen?«
»Stecken sie ins Gefängnis und…«
»…lassen sie wieder laufen, sobald sie ihre bösen Taten bereut haben.«
»Nein, nein, nein! Sie haben nichts verbrochen, man hat sie um ihren Wahlsieg betrogen, sie haben das Recht zu protestieren.«
»Aber das verstehen die Kinder doch noch nicht.«
»Die Kinder sind alt genug, um zwischen Gut und Böse zu unterscheiden.«
»Du machst sie nur verrückt.«
»Besser verrückt als verarscht.«
Schon der spanische Originaltitel (auf Deutsch: Wenn wir an einem normalen Ort leben würden) deutet an, dass der Roman keine gängigen Klischees bedienen wird. Daher isst Orest mit seiner Familie auch keine Normaloquesadillas, sondern Möchtegernquesadillas.
Juan Pablo Villalobos: Quesadillas. Aus dem mexikanischen Spanisch von Carsten Regling. Berenberg Verlag 2014, 142 Seiten, 22 €.
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