Dass das Königliche Spiel in China nicht nur eine wachsende Popularität geniesst, sondern in den letzten Jahren auch eine enorm wachsende Qualität aufweist, hat das Glarean Magazin bereits im Artikel über das Super-GM-Turnier in Danhou dokumentiert. Im Bereich des Frauenschachs ist die chinesische Dominanz inzwischen definitiv Realität geworden. Die Chinesin Ju Wenjun ist die neue Schach-Weltmeisterin, ihr kürzlich beendeter WM-Zweikampf weist die 27-jährige Grossmeisterin aus dem Reich der Mitte als knappe, aber durchaus verdiente Siegerin gegen die amtierende, doch schliesslich mit 4,5:5,5 Punkten unterlegene Landsmännin Tan Zhongyi aus.
Steile Form-Kurve nach oben
Ju Wenjun heisst die neue Frauen-Schach-Weltmeisterin (geb. 1991)
Ein schachlich unbeschriebenes Blatt ist die junge Chinesin selbstverständlich nicht. Ihr Palmarès kann sich sehen lassen: 2009 Grossmeister-Titel (WGM) der Frauen, fünf Jahre später der noch wertvollere GM-Grossmeister-Titel; dazwischen Erste und Medaillen-Plätze an diversen internationalen Einzel-Turnieren und im chinesischen National-Kader. Besonders spektakulär ihr Sieg an der Women’s World Rapid Chess Championship 2017 – notabene ohne eine einzige Partie verloren zu haben. (Bei den Männern gewann diese letztjährige Schnellschach-WM übrigens der indische EX-Weltmeister Viswanathan Anand).
Amüsante PR-Schach-Events
Jeden Zug des Greifarmes mit einem Lächeln quittiert und dann doch verloren: Ju Wenjun an einer Rahmenveranstaltung der WM 2015 in Sochi während einer Blitzpartie gegen den Roboter
Die taktisch versiert und sehr solide spielende, vor allem aber mit enorm tiefem Schachverständnis gesegnete Schnelldenkerin ist auch abseits des Brettes gegenüber telegenen bzw. TV-PR-wirksamen Schach-Events ziemlich aufgeschlossen. Hübsch und meist smart lächelnd macht sie vor Kameras und bei Interviews stets eine gute Figur, ist in Past-Game-Kommentarrunden eine gefragte Gesprächspartnerin. Und wer die Karriere der umtriebigen Grossmeisterin aus Shanghai zum Beispiel auf dem Video-Kanal Youtube etwas recherchiert, stösst auf amüsante Episoden. Etwa wenn Ju Wenjun auf Schach-Messen in Show-Blitzpartien gegen surrend-quitschende Roboterarme antritt, dabei jeden scheinbar „bizarren“ Zug des Blechdings mit Lachen quittiert – allerdings am Ende doch sang- und klanglos die Waffen strecken muss. Natürlich wiederum mit einem charmanten asiatischen Lächeln im Gesicht…
Positioneller Erfindungsreichtum
Nichts zu lachen hatten und haben allerdings die jeweiligen Gegnerinnen der frisch inthronisierten Weltmeisterin. On the board führt Ju Wenjun eine nicht so sehr scharfe, als vielmehr eine positionell nachhaltige Klinge, die unscheinbarste Vorteile in starke Initiative umzumünzen vermag. Das Spiel der neuen Weltmeisterin ist also weniger spektakulär denn effizient, nicht der taktische Holzhammer, sondern das strategische Florett ist ihr Ding.
Ihre WM-Gegnerin Tan Zhongyi erwies sich als überraschend hartnäckige, grössten Widerstand leistende Zweikämpferin. Das Schlussergebnis aus den zehn Begegnungen scheint denn auch eine bloss hauchdünne Überlegenheit der neuen Weltmeisterin zu deklarieren…
Die Überlegenheit der Siegerin Ju Wenjun war deutlicher, als das knappe Endresultat von 5,5 : 4,5 vermuten lässt (Tabelle: Wikipedia)
…doch der erste Blick trügt. Trotz der fünf Remisen waren fast alle Partien dieses WM-Matches umkämpft, wobei Ju Wenjun nicht nur schachlich überlegen, sondern auch mit dem etwas besseren Match-Nervenkostüm ausgestattet schien. Jedenfalls kam die sympathische Chinesin – glaubt man umfangreichen Analysen der Computer – in keinem der Games wirklich in ernsthafte Bedrängnis (die beiden Verlustpartien natürlich ausgenommen), sondern hatte jeweils mindestens ausgeglichene oder eben vorteilhafte Stellungen auf dem Brett. Die letzte Partie hätte sogar nochmals zugunsten der WM-Siegerin ausgehen können, weil Gegnerin Tan Zhongyi unbedingt gewinnen musste und darum mit der Brechstange agierte, doch Ju Wenjun liess gut sein und fuhr ihren knappen Vorsprung nach Hause. (Informative Runden-Bulletins zu diesem Match finden sich übrigens auf der Nachrichten-Seite des Chessbase-Portals).
Ein paar strategische Top-Shots
Nachstehend seien ein paar interessante – nicht taktische, sondern strategische – Top Shots der frischgebackenen Frauen-Weltmeisterin vorgestellt. (Die zehn WM-Games im PGN-Format lassen sich hier downloaden). Um das Bild abzurunden, enthält die Auswahl auch Stellungen aus früheren Partien Ju Wenjun’s.♦
Ein Mausklick in die Notation bzw. Kommentare generiert ein Analyse-Diagramm; Mit anschliessendem Klick in den Button ganz rechts lässt sich die Partie als PGN-Datei runterladen.
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6 Gedanken zu “Ju Wenjun ist die neue Schach-Weltmeisterin”
Danke für den interessanten Artikel. Spannend ist immer wieder auch die aufkommende Diskussion: Frauenschach kontra Männerschach. Weiß nicht, warum manche schachspielende Frau sich gleich diskriminiert, abgewertet oder minderwertig fühlt, sobald auch nur entfernt der Begriff Frauenschach fällt.
Für Frauen scheint mir deshalb ein selbstbewussterer Umgang mit dem Begriff Frauenschach angebracht zu sein. Lesben oder Schwule sind da schon viel weiter: Sie bestehen inzwischen sogar darauf als solche bezeichnet zu werden, ohne sich diskriminiert, herabgesetzt oder oder minderwertig zu fühlen. Das war vor 20 Jahren noch ganz anders.
Also, liebe schachspielende Frauen, die Zeiten, in denen der Begriff Frauenschach gleich den Reflex Stigmatisierung auslöst, sollten doch inzwischen vorbei sein.
PS: Es könnte sogar sein, sollten die stärksten schachspielenden Frauen in 50 Jahren besser spielen als die stärksten schachspielenden Männer, daß dann Frauen unbedingt darauf bestehen, wie auf ein Güte- bzw. Qualitätssiegel, ihr Schach als Frauenschach zu bezeichnen.
guter beitrag, vor allem für das vernachlässigten frauenschach. die ladys spielen ja inzwischen auf einem riesenlevel, und nicht nur die J.Polgar. schöne werbung für das weibliche schachspielen, es gibt keinen grund mehr, auf das frauenschach mitleidig runterzublicken, eigentlich sollte man gar nicht mehr zwischen männer- und frauen schach unterscheiden!!, weiter so, glarean!! :-)) lg Michaela N.
Nanana, Frau N., die Gleichberechtigung in allen Ehren, aber lassen wir die Kirche mal im Dorf… Zwischen dem momentan besten Mann M. Carlsen mit 2843 Elo und der besten Frau Yfan Hou mit 2658 Elo klafft immerhin eine Lücke von fast 200 Elo…
Siehe hier die Juni-FIDE-Listen:
Männer: https://ratings.fide.com/top.phtml?list=men
Frauen: https://ratings.fide.com/top.phtml?list=women
Natürlich behaupte ich nicht, dass Frauen dümmer sind – aber welche Gründe sind es denn, dass Frauen „schlechter“ Schach spielen als Männer? Weniger aggressive Spiel-Einstellung? Emotional eher abgelenkt? Weniger ehrgeizig? In den Klubs hat’s doch schon lange immer mehr auch Mädchen, die an Kinder-/Jugend-Turnieren teilnehmen?! Keine Ahnung…
Danke für den interessanten Artikel. F. Mayer
In einem Spiegel-Online-Artikel „Warum Männer im Schach erfolgreicher sind“ finden sich ein paar interessante und ggf. weiterführende Antworten auf diese Frage, die in der Schachwelt ja schon lange und heftig diskutiert wurde/wird…
Gruss: Walter Eigenmann
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Ich habe dazu einmal einen, wie ich finde, netten Erklärungsversuch gelesen der da wäre „Die starken Spieler unter den Männern leben Schach, die besten Frauen haben neben dem Schach auch ein Leben“ Ich glaube da liegt ein Körnchen Wahrheit drinnen wenn ich mir die Schachszene so ansehe. Für Carlsen scheint das möglicherweise nicht zu gelten – zumindest gibt er sich so als müsste für sein Schach keine besonderen Anstrengungen in Kauf nehmen und hätte jede Menge Zeit um zu leben…..
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Und hierzu auch noch einen informativen Artikel im schweizerischen „Tages-Anzeiger“ zur Frage: „Warum dominieren Männer das Spitzen-Schach?“ Darin ist aber noch nicht auf die Frage eingegangen, warum auch im Breitenschach immens weniger Mädchen/Frauen als Knaben/Männer anzutreffen sind – trotz grundsätzlich gleicher „Startbedingungen“.
Zum Thema Schachpädagogik findet sich hier eine umfassende Meta-Studie: Marion Bönsch-Kauke: Klüger durch Schach
Gruss: W.E.
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Danke für den interessanten Artikel. Spannend ist immer wieder auch die aufkommende Diskussion: Frauenschach kontra Männerschach. Weiß nicht, warum manche schachspielende Frau sich gleich diskriminiert, abgewertet oder minderwertig fühlt, sobald auch nur entfernt der Begriff Frauenschach fällt.
Für Frauen scheint mir deshalb ein selbstbewussterer Umgang mit dem Begriff Frauenschach angebracht zu sein. Lesben oder Schwule sind da schon viel weiter: Sie bestehen inzwischen sogar darauf als solche bezeichnet zu werden, ohne sich diskriminiert, herabgesetzt oder oder minderwertig zu fühlen. Das war vor 20 Jahren noch ganz anders.
Also, liebe schachspielende Frauen, die Zeiten, in denen der Begriff Frauenschach gleich den Reflex Stigmatisierung auslöst, sollten doch inzwischen vorbei sein.
PS: Es könnte sogar sein, sollten die stärksten schachspielenden Frauen in 50 Jahren besser spielen als die stärksten schachspielenden Männer, daß dann Frauen unbedingt darauf bestehen, wie auf ein Güte- bzw. Qualitätssiegel, ihr Schach als Frauenschach zu bezeichnen.
S. Zschako
guter beitrag, vor allem für das vernachlässigten frauenschach. die ladys spielen ja inzwischen auf einem riesenlevel, und nicht nur die J.Polgar. schöne werbung für das weibliche schachspielen, es gibt keinen grund mehr, auf das frauenschach mitleidig runterzublicken, eigentlich sollte man gar nicht mehr zwischen männer- und frauen schach unterscheiden!!, weiter so, glarean!! :-)) lg Michaela N.
Nanana, Frau N., die Gleichberechtigung in allen Ehren, aber lassen wir die Kirche mal im Dorf… Zwischen dem momentan besten Mann M. Carlsen mit 2843 Elo und der besten Frau Yfan Hou mit 2658 Elo klafft immerhin eine Lücke von fast 200 Elo…
Siehe hier die Juni-FIDE-Listen:
Männer: https://ratings.fide.com/top.phtml?list=men
Frauen: https://ratings.fide.com/top.phtml?list=women
Natürlich behaupte ich nicht, dass Frauen dümmer sind – aber welche Gründe sind es denn, dass Frauen „schlechter“ Schach spielen als Männer? Weniger aggressive Spiel-Einstellung? Emotional eher abgelenkt? Weniger ehrgeizig? In den Klubs hat’s doch schon lange immer mehr auch Mädchen, die an Kinder-/Jugend-Turnieren teilnehmen?! Keine Ahnung…
Danke für den interessanten Artikel. F. Mayer
In einem Spiegel-Online-Artikel „Warum Männer im Schach erfolgreicher sind“ finden sich ein paar interessante und ggf. weiterführende Antworten auf diese Frage, die in der Schachwelt ja schon lange und heftig diskutiert wurde/wird…
Gruss: Walter Eigenmann
Ich habe dazu einmal einen, wie ich finde, netten Erklärungsversuch gelesen der da wäre „Die starken Spieler unter den Männern leben Schach, die besten Frauen haben neben dem Schach auch ein Leben“ Ich glaube da liegt ein Körnchen Wahrheit drinnen wenn ich mir die Schachszene so ansehe. Für Carlsen scheint das möglicherweise nicht zu gelten – zumindest gibt er sich so als müsste für sein Schach keine besonderen Anstrengungen in Kauf nehmen und hätte jede Menge Zeit um zu leben…..
Und hierzu auch noch einen informativen Artikel im schweizerischen „Tages-Anzeiger“ zur Frage: „Warum dominieren Männer das Spitzen-Schach?“ Darin ist aber noch nicht auf die Frage eingegangen, warum auch im Breitenschach immens weniger Mädchen/Frauen als Knaben/Männer anzutreffen sind – trotz grundsätzlich gleicher „Startbedingungen“.
Zum Thema Schachpädagogik findet sich hier eine umfassende Meta-Studie: Marion Bönsch-Kauke: Klüger durch Schach
Gruss: W.E.