Von Adornos „Ästhetischer Theorie“ zu Kakerlaken, von literarischen Rentnern zu Hundetacos: Juan Pablo Villalobos‘ Mexiko-Roman „Ich verkauf dir einen Hund“ ist voll mit skurrilen Menschen und Momenten.
„Und ich schrieb keinen Roman, so weit kommt’s noch“, betont der Ich-Erzähler gleich zu Beginn von Juan Pablo Villalobos‘ „Ich verkauf dir einen Hund“. Kurz darauf aber gibt er zu: „…weil ich sie Francesca nannte, wie sie in Wahrheit gar nicht hieß. Es war nur der Name, den ich ihr in meinem angeblichen Roman gegeben hatte.“ Meta, meta! Denn natürlich halten wir just diesen Roman des Protagonisten in den Händen. Er, das ist übrigens Teo, ebenfalls ein erfundener Name und nicht zufällig an seinem größten Helden angelehnt: Theodor W. Adorno. Dessen „Ästhetische Theorie“ dient Teo nicht nur zum Kakerlaken erschlagen, er benutzt sie auch gerne, um „unangenehme Situationen zu beenden, indem ich Absätze aus der Ästhetischen Theorie vorlas.“ Bildung bleibt bei Villalobos nicht den höheren Schichten vorbehalten, zugleich verwandeln sich die Theorien und Gedanken der großen Intellektuellen in Volksweisheiten, die die Protagonisten munter ihren eigenen Bedürfnissen anpassen.
Der einstige Tacoverkäufer und gescheiterte Künstler Teo ist inzwischen ein Rentner, der in ein heruntergekommenes Wohnhaus im Zentrum Mexiko-Stadts zieht. Seine Nachbarn, alle in seinem Alter, treffen sich regelmäßig im Hausflur, um wichtige Werke der Literaturgeschichte zu wälzen. Teos Leben spielt sich in diesem Gebäude, in der Kneipe ums Eck und in Juliettes Gemüseladen ab. Juliette hat das schlechteste Gemüse der Stadt; es dient nicht dem Verzehr, sondern dem Aufstand: „Stattdessen war sie der offizielle Lieferant sämtlicher Revolten in der Stadt. Ihre matschigen Tomaten waren berühmt…“ Teo hingegen kümmern diese Revolten herzlich wenig, solange er sein Bier bekommt, denn das ist sein einziger Lebensinhalt: Bier trinken und nachzurechnen, wie viele Jahre er noch von seinen Ersparnissen leben und weiterhin Bier trinken kann.
Villalobos‘ Roman ist vor allem eine Persiflage auf den Kunstbetrieb. Wer sich in mexikanischer Geschichte und Kultur nicht gut auskennt, ist schnell verloren. Deswegen gibt es auch keinen wirklichen Plot. Der Roman lebt von seiner Metaebene und den skurrilen Gestalten, die ihn bevölkern, wie Willem, den Mormonen, der regelmäßig bei Teo einkehrt, oder Mao, einem wankelmütigen Linksaktivisten… und nicht zu vergessen Teos Nachbarn. „Ich verkauf dir einen Hund“ ist im Vergleich zu anderen mexikanischen Gegenwartsromanen wahre Feel-good-Literatur. Die brutale Realität Mexikos findet sich lediglich im Subtext und in kurzen Dialogen wieder. Erst nach knapp einem Drittel wird sie zum ersten Mal thematisiert: „‚Weiß du, was mit deinem Bruder passiert ist?‘, fragte ich. ‚Sieht so aus, als hätten sie ihn kaltgemacht.‘“
Dabei ist nichts, wie es scheint. Nicht nur dass Teo an dem Roman, von dem er behauptet, ihn nicht zu schreiben, arbeitet, auch in seiner Vergangenheit, die rückblickend erzählt wird, gibt es Ungereimtheiten: Mehrfach erreicht ihn die Nachricht vom Tod seines Vaters, mehrfach macht er sich auf den langen Weg zu ihm, nur um den Vater quicklebendig zu finden. Spuren eines verqueren realismo mágico klingen ebenfalls an: Die hartnäckigen Kakerlaken fliehen, sobald sie die ersten Klänge des kubanischen Sängers Silvio Rodríguez hören, und stapeln sich im Aufzug brav bis unter die Decke.
„Ich verkauf dir einen Hund“ ist ein ironischer, im lockeren und zugleich distanzierten Ton erzählter Roman, der profunde Kenntnisse des Lesers voraussetzt. Wer einen Stadtroman oder eine Geschichte über die aktuellen Probleme Mexikos erwartet, wird enttäuscht. Man lernt wenig über den Alltag in Mexiko-Stadt und so könnte die Handlung prinzipiell auch in Mumbai oder Sydney spielen. Genaues Wissen über die mexikanische Kulturszene (und Politik!) ist aber unerlässlich. In der deutschen Übersetzung entschied der Berenberg Verlag, einen Roman, den der Literaturzirkel in Teos Haus liest und der eine gewisse Rolle spielt, nicht dem hiesigen Publikum anzupassen: Der „Palinurus von Mexiko“ von Fernando del Paso bleibt der „Palinurus von Mexiko“. In einem Interview verriet Villalobos, dass in mehreren Ländern wie England, Frankreich oder Brasilien der Titel geändert wurde und in diesen Übersetzungen Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ ist. Eine notwendige Änderung? Zumindest zeigt sie, wie schwierig einige Themen und Anspielungen in andere Kulturkreise übertragbar sind.
Juan Pablo Villalobos – Ich verkauf dir einen Hund
Aus dem Spanischen von Carsten Regling
Berenberg, Berlin
September 2016, 224 Seiten
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Ich les das erst später, wenn ich mir selbst ein Bild gemacht habe. Ich will nach Möglichkeit immer unverstellt in eine Lektüre gehen. Dann aber, bei Wohlgefallen von Art und Weise würde ich, Ihr Einverständnis hiermit angefragt, es verlinken. Kann dauern, ich lese sehr langsam und meine Einfälle sind kein Geröll, sondern eher Gletscherbewegungen.
Freundlichst
Ihr Herr Hund
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Herr Hund,
sehr gerne!
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