Belinda McKeon kombiniert in ihrem Roman „Zärtlich“ zwei große Themen: Unglückliche Liebe und Homosexualität. Leider scheitert sie an ihrer Protagonistin.
Dublin, 1997: Homosexualität gilt seit vier Jahren offiziell nicht mehr als Straftat. Deswegen ist die katholisch geprägte Gesellschaft Irlands aber noch lange nicht von ihren Vorurteilen befreit, wie der zwanzigjährige James erfahren muss. James freundet sich mit Catherine an, aus deren Perspektive Belinda McKeon ihren zweiten, von der englischsprachigen Presse hochgelobten Roman „Zärtlich“ schildert. Catherine und James benötigen nur wenige Tage um festzustellen, dass sie eine Seelenverwandtschaft verbindet – woran genau sie das festmachen, bleibt offen.
Catherine, die aus einem kleinbürgerlichen Haushalt aus der irischen Provinz stammt, merkt noch vor James‘ Outing, wie eindimensional ihre Sicht auf andere Menschen, vor allem Männer, ist: „Dass Jungen so ernst und gefühlvoll redeten, kannte sie höchstens aus dem Fernsehen.“ Als James seiner Freundin schließlich gesteht, dass er schwul ist, wird sie mit ihren eigenen Vorbehalten konfrontiert. Doch Catherine gelingt es leichter als erwartet, mit James‘ Homosexualität umzugehen. Die Generation ihrer Eltern reagiert anders. Während James‘ Mutter darauf hofft, Catherine könne ihren Sohn „bekehren“, wird Catherine von ihrem Vater angefeindet. „So verbringst du deine Zeit in Dublin? Mit solchen Leuten? Haben wir dich deswegen aufs Trinity College geschickt? Damit du dich mit solchen Leuten abgibst?“, muss sie sich von ihm anhören.
Catherine ist allerdings zu sehr auf sich fixiert und zu egoistisch, um wahre Empathie für James‘ schwierige Situation zu empfinden. Sie verliebt sich langsam in ihn und kümmert sich herzlich wenig um seine eigenen Gefühle. James, selbst frustriert, macht einen großen Fehler: Aus Einsamkeit lässt er sich auf Catherine ein. Sie werden eine Art Liebespaar und Catherine verdrängt gekonnt, dass James nicht ganz bei der Sache ist, dass er ihr nie geben wird, was sie will. Catherine steigert sich immer tiefer in ihre Liebe hinein, bis sie zur Besessenheit wird. Sie versucht, James von seinen Freunden fernzuhalten, ist gleichermaßen eifersüchtig auf Frauen wie auf Männer – will aber, obwohl sie sich einredet, ihm in jeder Situation beizustehen, nur den lustigen, sympathischen James um sich haben: „…sie wollte ihn für sich allein. Nicht den verstockten, schlecht gelaunten James, nicht den James, mit dem sie den Tag verbracht hatte und der sie erschöpfte und traurig machte…“ Dessen ungeachtet wird Catherine immer obsessiver. Das letzte Drittel des Romans ist durch kurze, abgehackte Sätze im Telegrammstil geprägt, das Catherines konfuse Gefühlswelt mittels stakkatoartigen Gedanken wiedergibt.
Es ist unmöglich, in einem Roman, der im Irland der 1990er spielt, die IRA nicht zumindest am Rande zu thematisieren. James, späterer Fotokünstler, greift die Terrororganisation in seinen Werken auf. Und auch das Karfreitagsabkommen, das 1998 den Nordirlandkonflikt beendete, spielt eine Rolle. Politik und gesellschaftliche Zustände sind ein wahrlich notwendiger Ausgleich, damit sich „Zärtlich“ nicht allein auf die Freundschaft und Liebesbeziehung von Catherine und James konzentriert. Catherine reflektiert durchaus zynisch über die IRA, abgehärtet von den alltäglichen Erfahrungen in ihrem Heimatland: „…dann wiederum war damals an so vielen Tagen etwas passiert. An zwanzig Tagen in jedem Monat.“ Leider geht McKeon mit diesem Thema zu sparsam um. Wie war das politische Klima? Wie sehr spaltete die IRA die Gesellschaft? Welche Auswirkungen hatte das Abkommen? Die einzige Figur aus Nordirland, die in diesem Roman vorkommt, bleibt am Rande beschrieben. Ein interessanter Dialekt, okay. Aber was bewegt einen Nordiren in Irland? Wie reagieren die Iren auf ihn? Diese höchst spannenden Fragen, nicht konkret auf den zentralen Plot bezogen, werden nicht aufgeworfen. Ein bisschen mehr Politik und Terrorismus und dafür weniger manische Leidenschaft hätte dem Roman gut getan.
Am Ende bleibt „Zärtlich“, obwohl gut geschrieben und gekonnt von Eva Bonné ins Deutsche übertragen, vor allem durch seine Protagonistin Catherine eine anstrengende Lektüre. Die vielen Referenzen auf die Liebesgeschichte von Sylvia Plath und Ted Hughes als Unterbau von Catherines und James‘ verquerer Romanze täuschen nicht darüber hinweg, dass sich Belinda McKeons Roman kaum über die enervierende und oft schlecht nachvollziehbare Obsession ihrer Protagonistin hinaus entwickelt.
Belinda McKeon – Zärtlich
Aus dem Englischen von Eva Bonné
Ullstein, Berlin
September 2016, 447 Seiten
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