18. Juli 2010, Literarischer Durchfall, 19.29 Uhr (PP)

Whiskey, Zigarre.
Ich habe noch immer schweißnasse Hände, wenn ich an den letzten Tag denke.
Ich strampelte mich gegen Mittag aus dem Bett. Zog mich an. Jeans. T-Shirt. Turnschuhe. Die Jeans bekam ich nicht mehr zu. Keine Ahnung warum. Immerhin esse ich ja fast nichts. Also die Jogginghose. Jetzt machte ich wirklich was her.
Frühstückte ein Bier bei meinem Stammkiosk. Inhaber ist Siggi Grabowski. Dürrer, baumlanger Kerl mit Geschmack in Modefragen. Er trug an diesem Tag Jogginghose, T-Shirt und Turnschuhe. Wir sahen uns kurz an. Lachten auf. Das Leben kann ein rechter Schelm sein. Ließ das Bier anschreiben. Siggi murrte. Ich grinste. Die Welt war in Ordnung.
Anschließend flanierte ich durch die Innenstadt. Amüsierte mich über das Bürgertum. Ein paar Leuten lachte ich sogar direkt ins Gesicht. Setzte mich schließlich in die Nähe eines Kaufhauses. Nach einer Stunde hatte ich 20 Euro in meiner Hand. Zog weiter.
Das Geld wäre zu investieren, dachte ich und steuerte die hiesige Buchhandlung namens Dalia an. Kennt jeder. Riesige Kette. Die würden meine Bücher nicht mal mit einer Kneifzange anfassen. Kämen auch nie in die Verlegenheit, weil die vom Luftig-Verlag noch nie was gehört hatten. Musste also keine Angst haben, mir selbst in gedruckter Form über den Weg zu laufen. Gut so. Ich musste auf miese Verkäufe hoffen, wenn ich den Graf-Eckhard-Leopold-Rothenburg-Preis gewinnen wollte. Und ich wollte und würde gewinnen.
Also rein ins Dalia. Stiefelte murmelnd die Neuerscheinungen entlang.
Das klang dann so: „Mist … Müll … Kann nichts … Schwätzer … Katastrophe …“
Ich hätte also auch gut und gern Kritiker werden können.
Und dann sah ich sie, mein Herz stockte, ich hielt die Luft an, die Zeit vereiste, das Universum zog sich für einen Moment wieder zusammen.
Ich konnte es nicht glauben.
Mitten auf einem Tisch lagen drei Ausgaben meines Romans „Wasser ist kein Meer“. Und das schlimmste war, dass ein älterer Herr gerade nach einer Ausgabe …
„Tun Sie das nicht!“, sagte ich.
Er sah mich erstaunt an.
„Ich verstehe nicht“, sagte er schließlich.
Ich sah mich verschwörerisch um.
„Dieses Buch ist …“, flüsterte ich.
„Ja?“
„Es ist grauenvoll. Der reinste Horror.“
„Klingt gut.“ Er lächelte mich an. „Ich mag Gruselgeschichten.“
Hier war mein ganzes Geschick gefordert. Ich musste diesen Kauf verhindern. Im Namen der Schön. Im Namen der 2 Millionen Euro.
„Die Kritik hat es völlig verrissen“, sagte ich.
Drauf er: „Kritiker sind mir egal.“
Gott, musste mir denn ausgerechnet heute der ideale Leser begegnen.
„Sie werden Kopfschmerzen davon bekommen.“
„Ich habe eh ständig Kopfschmerzen“, sagte er.
Und dann machte er sich auf den Weg zur Kasse. Ich sah ihm mit schmerzverzerrtem Gesicht nach.
Schnell, dachte ich. Und schon hing ich wieder an ihm dran.
„Ich gebe Ihnen Geld, wenn Sie es nicht kaufen“, sagte ich.
Er blieb stehen. Sah mich erstaunt an. Klar. Ich hätte auch ziemlich dumm aus der Wäsche geguckt.
„Wie viel würden Sie mir denn bieten?“, fragte er vorsichtig.
Ich überlegte fieberhaft. Mein erwirtschaftetes Geld lag mir wie Blei in der rechten Tasche. Konnte aber auch dran liegen, dass es nur Münzen waren und ich eine ziemlich ausgeleierte Jogginghose trug.
„Fünf Euro sagte ich schließlich.“
Er schüttelte den Kopf.
„Das Buch kostet 12 Euro.“
Dieser Bastard. Alte Menschen sind das Messer im Rücken dieser Gesellschaft.
Ich kämpfte mit mir. Dachte wieder an die 2 Millionen.
„Dann gebe ich Ihnen eben 13 Euro.“
„Abgemacht!“, rief er und hielt mir seine grauenvolle altersfleckige Gichthand vor die Brust.
Ich wühlte das Geld raus und zahlte ihn aus. Er legte das Buch weg, kicherte und ging.
Mist!
Jetzt blieb aber immer noch das Problem mit meinen Büchern. Die Dinger mussten verschwinden. Jedes verkaufte Exemplar warf mich einen Millimeter mehr aus dem Rennen.
Ich schlich eine Weile um den Tisch rum. Schließlich griff ich mir die drei Exemplare und trug sie quer durch die Buchhandlung. Stellte sie zunächst neben einer Biografie über den Papst ab. Leser, die sich an Benedikt vergriffen, würden nie meine Bücher anfassen. Hier standen sie sicher. Oder? Nein. Sie mussten verschwinden. Beton drüber und ab ins Hafenbecken. Leider hatte ich weder Beton noch einen Hafen. Ich sah mich wieder um. Hektisch. Kopf hin. Kopf her. Niemand beachtete mich, also stopfte ich mir die Bücher in die Unterhose. Sah natürlich sehr exotisch aus. Ich stampfte auf eine Verkäuferin zu.
„Entschuldigung“, stöhnte ich.
„Ja?“
Sie sah mich angewidert an.
„Mir ist da etwas passiert.“
„So?“
„Ich zeigte in Richtung meines Hinterteils.
„Ich müsste mal Ihre Toilette benutzen.“
„Gott!“, schrie sie auf.
Sie sah sich entsetzt um.
„Dort drüben!“
Sie zeigte auf eine Tür, auf der Privat stand.
„Danke“, murmelte ich und stampfte davon.
Die Toilette rettete mich. Ich hatte Glück im Unglück. Fand ein kleines Fenster. Dahinter dichtes Gebüsch. Hinter dem Gebüsch ein Hinterhof. Ich warf die Bücher raus. Ich würde sie später holen. Mit einem erleichterten Gesichtsausdruck verließ ich die Toilette. Ich bedankte mich übereifrig und rannte aus dem Laden.
Nur raus hier, dachte ich.
Der Rest war ein Kinderspiel. Ich besorgte mir die Bücher. Schleppte sie runter zum Fluss und versenkte sie mit einem dicken Stein. Ein kleiner Junge beobachtete mich aufmerksam. Ich versuchte ihn mit den dunklen Worten zu verscheuchen: „Du hast nichts gesehen, ansonsten …“ Ich fuhr mit dem Zeigefinger über meinen Hals. Beeindruckte die Göre aber gar nicht.
„Sind Sie ein Verbrecher?“, fragte er.
„So ähnlich“, sagte ich. „Ich bin Kritiker und diese Bücher sind so schlecht, dass ich sie unbedingt los werden musste.“
„Aha!“
Und nun bin ich wieder zu Hause, schlief vor Erschöpfung fast den ganzen Tag. Jetzt habe ich mir einen Whiskey eingeschenkt, eine Zigarre angezündet. Trinke meinen Whiskey. Rauche meine Zigarre.
Schrieb. Und hier ist es.

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