22. Juli 2010, Beten lohnt sich, 14.00 Uhr (PP)

Whiskey, Zigarre.
Die Lesung in der Kulturbarracke liegt hinter mir. Ich habe auf Sieg gespielt. Ich habe gewonnen. Die Lesung war ein voller Misserfolg. Luftig drohte mir sogar mit einem Gerichtsverfahren. Überhaupt sei ich als Autor nach diesem Auftritt gestorben, brüllte er. Ich lächelte von meiner whiskeyfahnenumwehten Insel der Seligen, dachte dabei an die 2 Millionen und was ich mit dem Schotter alles anfangen könnte.
Aber der Reihe nach.
Erwachte am Morgen mit dem schalen Geschmack der Liebe im Mund. Tatsächlich. Ich war am Abend zuvor auf einer Party. Ihr Name war … Egal. Namen sind Schall und Rauch. Wir tranken. Erst die Vorräte des Gastgebers, dann machten wir uns auf den Weg zu mir. Zumindest sind da Bilder im Kopf, die so zu deuten wären. Sie ist ein Engel. Ich sah zu ihr rüber. Sie furzte. Rülpste. Ein wahrer Engel eben. Ich stellte mich schlafend. Der Geschmack in meinem Mund machte nun auch Sinn. Bleib ruhig, dachte ich. Irgendwann wälzte sie sich stöhnend aus den Laken, zog sich ihr Zelt über und verschwand. Zeit zum Aufatmen und halbstündigen Zähneputzen.
Dann ein Anruf von Luftig.
„Denk an die Lesung!
„Ja, ja.“
Ich schlurfte also rüber zu Siggi Grabowski auf ein Frühstücksbier. In meinem Rücken schlurfende Schritte. Sind bestimmt die ehemaligen Lektoren von Suhrkamp, dachte ich. Blieb also so unauffällig wie möglich stehen. Spuckte ein bisschen in der Gegend rum. Was Mann halt so macht, wenn er nichts mit sich anzufangen weiß.
Da waren sie. Sahen tatsächlich wie die unehelichen Söhne von Unseld aus. Sie liefen an mir vorüber. Beachteten mich nicht. Gute Schauspieler. Ich konnte ein paar Brocken ihres Gesprächs auffangen.
„Und du?“
„Ich mach nächste Jahr Urlaub in der Niemandsbucht.“
„Wie lange denn?“
„Vielleicht ein Jahr.“
Dann waren sie auch schon vorüber. Ich eilte zu Siggi, bestellte mir drei Bier und auch gleich noch ein paar Schnäpse.
„Was ist mit denn mit dir los?“, fragte Siggi.
„Ich muss mich auf eine Lesung vorbereiten.“
Siggi schüttelte den Kopf. Er hatte schon so einige Schriftsteller vor die Hunde gehen sehen. Große Namen. Rainer Gruben. Emmanuel Trickfick. (Das war natürlich sein Künstlername.) Wer kennt sie nicht? Sie alle hatten verflucht große Werke hinterlassen.
Ich verabschiedete mich mit einem Nicken von Siggi. Zuhause bereitete ich mich mit ein paar Kinski-Filmen mental auf die Lesung vor.
Und dann klingelte es bereits. Luftig holte mich persönlich ab.
„Die Regionalpresse ist auch da“, sagte er und blinzelte mir zu.
„Sehr gut“, sagte ich.
Wir kamen an. Die Kulturbarracke war zum Bersten voll. Nö. Natürlich nicht. Aber immerhin hatten sich dreizehn Leute in meine Lesung verirrt.
Dreizehn Leser zu viel, dachte ich.
Luftig stellte mich kurz vor. Ein paar Daten. Blablabla. Großer Autor. Bei den zwei Worten sah ich ihn grimmig an. Dann las ich. Begann mit den berühmten ersten Sätzen aus „Wasser ist kein Meer“: „Beten lohnt sich. Fragt sich nur, für wen.“
Die saßen. Das waren diese harten Sätze, die ein Publikum ins Koma schlugen. Einer von den Pennern in der hintersten Reihe schlief bereits. Gefiel mir. Der Mann hat Niveau. Aber die anderen lauschten noch angeregt. Ich musste also etwas unternehmen.
Ich unterbrach meine Lesung und stieg auf den Tisch. Mann, wie die mich ansahen.
„Ihr ALLE“, schrie ich, „seid Abschaum, Sünder, die sich endlich zum Herrn, unserem Gott, bekennen müssen. Ich werde fortan nicht mehr schreiben, sondern einzig auf den Spuren des Herrn wandeln.“
Fünf Mann gingen.
Sehr gut, dachte ich.
Leider applaudierte mir auch eine ältere Dame und schrie: „Ich folge dir.“
Die anderen sahen mich gespannt an. Ich musste zu drastischeren Mitteln greifen. Also stieg ich vom Tisch. Lief auf eine etwa vierzigjährige Frau zu. Ich stellte mich vor sie. Der Fotograf von der Zeitung fotografierte sich die Finger wund. Ich stellte mich in Pose. Lächelte in die Kamera. Holte aus … Nein, natürlich schlug ich sie nicht. Dachten aber alle. Ich legte meine Hand auf ihren Kopf, zitterte ein bisschen rum und schrie: „Du bist vom Teufel besessen!“ Sie sah mich erschrocken an und fragte dann: „Können Sie da was tun?“
Es war zum Heulen.
„Ich kann in einem solchen Umfeld des Bösen nicht lesen.“
Das war es. Ich brach die Lesung einfach ab. Und dann kam der finale und rettende Satz: „Wer meine Bücher kauft, der wird im tiefsten Schlund der Hölle landen.“
Klar. Der Satz tat seine Wirkung. Wir verkauften nicht ein Exemplar. Ich bin meinem Ziel näher gekommen. Luftig hat ein Magengeschwür mehr. Was soll ich sagen? Alles prima.
Jetzt habe ich mir einen Whiskey eingeschenkt, eine Zigarre angezündet. Trinke meinen Whiskey. Rauche meine Zigarre.
Schrieb. Und hier ist es.

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