Eben las ich, dass ein Museumsdirekter damit begonnen habe, Kunstwerke zu verbrennen, um auf die politische Situation innerhalb der Räumlichkeiten aufmerksam zu machen, denn Politik ist überall, am Ende findet sie ihren Weg in die tiefsten Keller, in die abgelegensten Scheißhäuser.
Wir alle werden unmittelbar von politischen Entscheidungen berührt, geführt, weggesperrt, getötet. Geschichte ist kein Metallblock, der ungerührt durchs Weltall segelt. Geschichte ist der unmittelbarste Ausdruck unserer gemeinsamen Erlebnisse, ein Roman, an dem alle teilhaben, in dem alle mitspielen, so verfahren ihre Rolle darin auch ist. Ein Roman, der in jeder Sekunde geschrieben wird.
Ich könnte jetzt aufstehen, könnte auf den Balkon gehen und in die Tiefe springen. Schon hätte ich einen völlig neuen Erzählstrang geknüpft. Oder aber ich greife nach dem Kaffeebecher, schmeiße ihn gegen die Wand und brülle unaufhörlich das Wort Reingewinn, so lange, bis mich drei Männer vom eilig herbeigerufenen Notarztwagenteam mit einem Beruhigungsmittel auf meine Reise in die psychiatrische Abteilung des hiesigen Universitätskrankenhauses vorbereitet haben.
Jede kleinste Fingerbewegung schreibt im Moment ihrer Ausführung einen neuen möglichen Ausgang meines Lebensromans. Nichts ist sicher, nichts ist gewiss. Die Welt morgen, wird nicht die Welt von heute sein, auch wenn es Kräfte gibt, die natürlich ihren momentanen Status schützen wollen. Wenn ich meinen Reichtum der Ausbeutung anderer verdanke, dann werde ich einen Teufel tun, um diesen Zustand zu gefährden. Im Gegenteil. Schon hetzt man Schutztruppen vor die Tore, die sich darum kümmern sollen, den Zeitfluss zu stoppen, ihn zu stauen. Läuft er dann über, kann man – so wird es sich mancher Diktator denken – immer noch in ein anderes Boot steigen. Rein ins Exil und die in Sicherheit gebrachten Gelder genießen, denn die Jungs und Mädels im Ausland haben über Jahre hinweg derart viele dubiose Geschäfte mit ihm gemacht, dass sie ihn aufnehmen müssen, ob sie wollen oder nicht, denn packt der Diktator aus, dann wird es für alle unangenehm.
Politik ist überall. Sie findet sich in meinem leeren Geldbeutel, im von Stress verzerrten Gesicht meiner Frau, in der fehlenden Kindheit unserer Tochter, in den Reisegewohnheiten unserer Nachbarinnen, die noch aus Zeiten kommen, die es gut mit ihren Witwen meinten.
Politik ist Geschichte, ist nur eine Erzählform, die schnell von einer avantgardistischen Dichtform in Frage gestellt werden kann, die dann, will sie überleben, will sie ihre Macht und ihren Status festigen, zu alten Mustern finden muss. Geschichte wiederholt sich, nicht, weil die Menschen sich nicht mit den bisherigen Kapiteln beschäftigt hätten, sondern weil die stilistischen Möglichkeiten eingeschränkt sind. Am Ende wird auf die einfachen Erzählungen gesetzt, weil diese sich bewährt haben. Sie sind der Verkaufsschlager schlechthin. (Gut-Böse-Auserwählt-Gegner-Kampf-Sieg!)
Politik ist überall, unter einem Auto, in einem Museum, in den Flammen eines abbrennenden Kunstwerks.
Also stehen Sie auf, nehmen Sie ihren Roman in die Hand und schreiben Sie keinen dieser wohlbekannten langweiligen Gesellschaftsromane. Machen Sie einen Krimi daraus, einen Roman des magischen Realismus, entdecken Sie die Welt neu. Dort drüben, das ist kein Bücherregal, sondern das ist die Armee, mit der Sie in den Kampf ziehen. Greifen Sie nach Borges, nehmen Sie Kafka. Drohen Sie damit, das Auenland in Grund und Boden stampfen zu lassen, wenn Ihre Forderungen nach einer eigenen Raumstation nicht erfüllt werden sollten. Ernennen Sie sich zum unbarmherzigen Herrscher in den Ländereien ihres Geistes. Politik ist überall, nur die in ihrem Kopf, die bestimmen Sie selbst. Schauen Sie nicht länger zu, handeln Sie, bevor eine Krankheit die Geschichte ihres Körpers beendet.
Make war and love!
Archivierung!
Die Pathologie wird von der Universität Innsbruck im Rahmen des Forschungsprojektes DILIMAG, sowie dem DEUTSCHEN LITERATURARCHIV MARBACH archiviert.- "In Pissoirs geht man Stufen hinunter, in Bunker, in Krematorien, in die Pathologie, in Weinkeller. Es lassen sich mythologische Beziehungen zum Hinabsteigen herstellen." Hubert Fichte, Die Palette
Über Guido Rohm
Er kam, sah und schrieb. Der Schriftsteller Guido Rohm , geboren 1970, lebt und raucht in Fulda. Romane von ihm tragen sensible Titel wie „Blut ist ein Fluss“ und „Blutschneise“.
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