27. April 2012, Unzüchtiges Benehmen, 5.50 Uhr

Kaffee, Zigarette – und ja!, ich bekenne mich schuldig, schlage die Arme über Kreuz und lasse mich festnageln auf den Begriff, den man mir vorhält wie einen Spiegel, damit ich mich und mein entstelltes Äußeres darin erkennen möge.
Spuckt mich an, jagt mich, schreit, da ist er!, denn ich habe mich der Polygraphie verschrieben, derer ich auch in dieser Sekunde huldige, hier und jetzt, auch wenn Sie ihn nicht sehen können, diesen Augenblick, da ich mich mehreren Texten gleichzeitig hingebe.
Ich liege im Bett unzähliger Themen, denen ich die Brüste reibe, so der Toxikologie, der Romankunst, der Tagebuchschreibrei, nicht meine Entwürfe zu einem Kochbuch, einem Handbuch der Astrologie zu vergessen, meine Notizen zu Francis Bacon und Arthur Kleiber, denen ich wollüstig beischlafe, und die unter meinen tintenbeklecksten Händen aufstöhnen, sich zur Seite drehend, sich anstrahlend, die Rücken zu Brücken formend, unter denen ich, habe ich nur genug Zeit an einem Vormittag, noch ein Picknick zu veranstalten pflege.
Die Vielschreibrei, ich kann und will nicht von ihr lassen. Stehe ich am Morgen auf, mich aus dem Bett nächtlicher Traumnässe in die Wohnung schleppend, dann bleibt stets ein gutes Dutzend Themen zurück, die mir Kopfkissen und Laken wärmen, während andere Themen schon mit entblößtem Oberkörper nach meiner Schreibhand gieren, die sich in ihnen verlieren wird, wie die Kinderhand in einem Teigstück.
Habe ich erst geschrieben, dann geht es mir besser. Ich bin ein Opfer meiner Lust, die mich einst aus den Gefängnissen der Vollmündigkeit auf die Terrassen der offen zelebrierten Sexualität führte, die ich nun täglich mit mehreren Themen überquere, flanierend von Tisch zu Tisch, an denen meine Schatten sitzen.
Prösterchen!
Es gibt Länder, wir wissen dies alle, da kümmert man sich nicht um moralische Erwägungen, nicht um literarische Monogamie, weil die Polygraphie dort tagtäglich gelebt und geliebt wird.
Drum lasst uns pilgern, lasst uns den staubigen Weg der Fantasie beschreiten, die uns über den Ozean führen wird, der nichts weiter als eine Träne, ein Tropfen aus der Wasserflasche Gottes, ein Schweißtropfen des Universums ist. Denn im gelobten Land werde ich mich endlich mit Pornographie, Zensur, Geographie und Ballistik vermählen, um mich unbekümmert von den Erwägungen der Moralapostel jederzeit auf ein Thema meiner Wahl stürzen zu können.
Kaffee, Zigarette und ja!, Sie haben recht, ich werde mich und meine Lebensvorstellungen in diesem Land nicht durchsetzen können, herrschen doch hier noch immer die altvorderen Stammväter der Hochkultur, die sich dem Postulat verpflichtet fühlen, das vorschreibt, man dürfe nur alle paar Jahre mit einem tausendseitigen Roman „Liebe machen“, dem man zuvor in zahllosen Hochzeitsnächten Treue geschworen hat.
Kaffe, Zigarette und nein!, ich werde kein Anhänger von Monographien. (Aber das ist bereits schon wieder ein anderes Thema.)
Lang lebe die Unzucht mit all den Themen, nach denen es mich gelüstet!

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