Der Leichenbestatter

Der Leichenbestatter war nicht immer Leichenbestatter, er war auch mal Kind, ein wilder Kerl, wie er anfügt, wenn er von dieser Zeit erzählt, sie hatten eine Bande, strichen mit ihren Fahrrädern durch die Wälder, taten so, als wären die Fahrräder Pferde, sie überfielen Postkutschen, denn es war eine andere Gegend, die sie in ihren Köpfen trugen, der Wilde Westen, erzählt er mit einem verklärten Lächeln, ja, er wäre ein Fan gewesen, heute nennt man das doch so, aber damals noch nicht, damals war er einfach ein Cowboy weit draußen in der wilden Prärie, da war einiges los, erzählt er, da gab es Kojoten, und die Indianer waren nicht besonders friedlich, die waren auf Kriegsfuß mit den Weißen, kein Wunder, erzählt er, denn die hatten es nicht leicht mit uns, da kommen wir zu ihnen rüber, nehmen ihnen ihr Land, ihre Lebensgrundlage, aber, so erzählt er, das lernte ich erst später, das hatte nichts mit unserem Spiel zu tun, er wolle das aber auch mal loswerden, weil die Leute in ihm ja immer nur den Leichenbestatter sehen würden, aber er sei nicht nur Leichenbestatter, er sei auch mal ein Kind gewesen, ein wilder Kerl, ein Cowboy, und dann erzählt er von seinem Sohn, der möge ganz andere Dinge, der liebe die Piraten, vor allem seit diesem Film, Sie wissen schon, sagt der Leichenbestatter, aber nun sei der Sohn erkrankt, schwer erkrankt, da falle ihm sein Beruf natürlich schwer, er müsse sich vor die Hinterbliebenen setzen, Worte des Trostes finden, dabei bräuchte er jetzt auch mal jemanden, der ihn tröstet, denn es sehe schlecht aus mit dem Sohn, die Therapie habe die Haare ausfallen lassen, die ganzen Haare, sie hätten ihm ein Tuch gekauft, und nun trage er das Tuch, säße in seinem Bett, sie erzählten ihm, er sehe wie ein echter Pirat aus, er frage immer wieder nach, Papi, ich bin doch ein echter Pirat, natürlich sei er ein echter Pirat, erzählt der Leichenbestatter und bestellt sich noch einen Kaffee, er müsse nun wieder nach oben zu seinem Sohn, er wisse nicht weiter, es sei nett, dass wir ihm zugehört hätten, auch wenn wir ihn gar nicht kennen würden, aber auch er müsse ja mal sprechen, er sei nicht nur Leichenbestatter, er wolle den Beruf auch gar nicht mehr ausüben, er könne das nicht mehr, die Leute ansehen, in ihre verheulten Augen blicken und so tun, als wäre nichts passiert, nichts mit ihm und nichts mit seinem Sohn, der droben in seinem Zimmer liege und sterbe, er wolle seinen Sohn nicht unter die Erde bringen, bisher habe er nur die Toten anderer Leute unter die Erde gebracht, das war seine Arbeit gewesen, denn von etwas muss der Mensch ja leben, er sei da nicht rein gerutscht, sondern rein gewachsen, weil schon sein Vater Leichenbestatter gewesen sei, erzählt der Leichenbestatter und wischt seine verschwitzten Hände an der Hose ab, einer dunklen Hose, so wie Leichenbestatter und Politiker sie tragen, er müsse jetzt nach oben, erklärt er und bedankt sich bei uns, hin zu seinem Sohn, er sei nicht nur Leichenbestatter, erzählt er, das sollen wir nicht vergessen, er sei auch mal ein Kind gewesen, ein wilder Kerl, ganz wie sein Sohn droben im Zimmer, der sich wie ein Pirat fühle, der so tue, als sei das Bett sein Segelschiff und der nun aufbreche, die Sieben Weltmeere zu besegeln, der sei schwer krank, es stehe gar nicht gut mit ihm, erzählt der Leichenbestatter und schüttelt den Kopf und geht nach oben zu seinem Sohn, während wir auf die Tür starren, an seinen Sohn denken und an unseren Sohn, der auch dort oben liegt, nur ein Zimmer weiter und der, auch wenn wir es nicht aussprechen wollen, auch bald von einem Leichenbestatter unter die Erde gebracht werden wird, unser Sohn, der kein Pirat ist, aber ein Rennfahrer, der in seinem Bett sitzt und Runde für Runde fährt, der uns anlächelt und fragt, wann kann ich wieder nach Hause kommen, bald, bald, sagen wir und schweigen dann und feuern ihn an, weil er das Rennen gewinnen kann, bestimmt sogar.

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