20. September 2010, Über den verfeinerten Umgang mit einem Adler, 6.12 Uhr

Kaffee, Zigarette.
Freddie ist bereits wach, ich schalte das Licht ein, schon piepst er los, der Adler, der sich zu uns verirrt hat, ich höre zu, leider verstehe ich ihn nicht, verflucht, wo ist denn schon wieder die Untertitelungsmaschine für Adlersprech, nicht zu finden, Mist, das war ja zu erwarten.
Ich vertröste ihn auf später, halte meinen Zeigefinger zwischen die Gitterstäbe, er hackt zu, den brauche ich noch, zische ich, schon schimpft er wie ein Hafenarbeiter los, zumindest hört es sich so an. Ich überprüfe seine Weinvorräte. Noch genug Montepulciano da.
Zünde dir doch erst mal eine Pfeife an, Freddie, rate ich ihm und schleiche mich für meine Morgenzigarette auf den Balkon. Die Nacht hüllt mich ein. Ich kneife die Augen zusammen, horche auf die Geräusche, auf all die Autos in der Ferne, die schon unterwegs sind.
Ich drücke der Zigarette das Leben aus dem Leib, lass sie verkrümmt im Aschenbecher liegen, ein Zigarettenmörder, der achtlos weiter schreitet, ich sollte mich schämen, tue es aber nicht.
Hin zum Schreibtisch, ein rascher Blick zu Freddie, der sich mit den Eagle-News zurück gezogen hat. Mails abrufen, ein Kommentar von Olga, ja, die kenne ich, denn die hat jetzt schon öfter den einen oder anderen Satz in der Pathologie hinterlassen. Ich antworte ihr. Lehne mich zurück. Das könnte als Tageswerk doch genügen, denke ich, greife nach meinem Kaffee, trinke einen Schluck, während ich Freddie im Hintergrund blättern höre, ansonsten schweigt er sich aus. Der Junge scheint ziemlich vertieft. Ich drehe mich um und versuche einen Blick auf die Schlagzeilen zu erhaschen. Leider kann ich keinen der kleinen Buchstaben entziffern.
Seraphe und Sternchen schlafen noch, also sind der Adler und ich alleine. Wir könnten uns unterhalten, aber ich muss schreiben, und er muss lesen. Das rede ich mir ein, obwohl mir der Sinn doch nach einem Smalltalk steht. Wo könnte die Untertitelungsmaschine nur sein? Ich werde Seraphe später danach fragen.
Überhaupt, der Umgang mit Adlern, um dieses Thema langsam abzuschließen, verlangt ein gewisses kulturelles Raffinement, ein bewandertes Wissen auf den Gebieten Gifttinkturen, asiatische Kampftechniken, isländisches Spritzgebäck; auch sollte man sich gut bis sehr gut mit der französischen Literatur des späten 19. Jahrhundert auskennen, wenn die Gespräche nicht allzu schnell am Käfigboden versanden sollen.
Ja, krächzt es hinter mir.
Ich nicke zufrieden und murmele: Habe es notiert.

Jetzt, da ich noch ein wenig zu unserem Adler geschrieben habe, kann ich mich wieder meinem Kaffee zuwenden, eine Zigarette dabei rauchen, um dann später …

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3 Antworten zu 20. September 2010, Über den verfeinerten Umgang mit einem Adler, 6.12 Uhr

  1. Melusine Barby schreibt:

    Lassen Sie sich auf keinen Fall von der dünnen Zivilisationsschicht täuschen, die der belesene Adler sich zugelegt hat. Adler sind Raubtiere. Sie stoßen von oben auf ihre Beute herab. Auf die Scheitelgegend, wo Sie keine Augen haben. Adler mögen Innereien. Auch Hirn. Seien Sie daher immer auf der Hut. Am besten tragen Sie einen.

  2. olga schreibt:

    Eine Bitte, Herr Rohm,
    besorgen Sie Ihrem „eagle in disguise“ einen Artgenossen, alleine gehalten wird er ansonsten sehr bald verhaltensauffällig
    einfach mal in internetforen nachlesen, oder in der Bücherei Ihres Vetrauens ein Tierbuch käuflich erwerben
    Gruß an Freddie

  3. guidorohm schreibt:

    Liebe Melusine, wenigstens Sie haben begriffen, dass Freddie ein Adler ist, ein einsames und belesenes Raubtier, liebe Olga, aber kein Wellensittich, der Gesellschaft benötigt.

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