Geräusche, Musik, Gedankenflüsse

Kamil Vojnar Stuhl

 

Und kostbare Erinnerungen schwer, als ob ich Felsen trüge.” (Baudelaire)

Wie ein Teppich aus weißen Margeriten und das oppositionelle Schattenspiel der Zweige auf dem Rasen zur gleitenden, melancholischen Musik aus Jarretts legendärem Köln Concert, so müssten die Sätze fließen, meine Sätze, ganz allein meine. Ich säße wieder im metallicblauen Ford und würde mich nach diesem Mädchen auf der Rückbank sehnen, die im Fahrtwind der verträumten Klaviermusik lauschte. Immer fiele das Licht direkt durch das Fenster in meine Augen, ob Windschutzscheibe oder  jetzt das einfache Fensterglas. Meint es wirklich mich und meinen kläglichen Kopf voller Gedanken, mein Drauflosschreiben, das sich schwerer als gedacht herausstellt? Texte bestehen doch nur aus nachträglichen Korrekturen der Kontrollinstanz und ihrer vorauseilenden Zensur. Die Gedankenschere aus Konformismus und Angst ist scharf und unsichtbar; doch Tabus gehören gebrochen, Fallobst hält nicht lang, aber kostet wenig.

Ich stelle mir das Haus der Eltern vor, wie ich in Gedanken durch die einzelnen Zimmer ging. Die Einbildung, jedes Haus, in dem Menschen wohnten, hätte eine bestimmte Geräuschkulisse. Die Erinnerung nicht über den Geschmack der Madeleine, sondern über den Klang. Da gab es noch ganz andere Musik aus dem Möbelstück Plattenschrank, auf dem das Röhrenradio stand. Eine dieser kleinen Singles genannten Schallplatten drehte sich jazzig angehaucht mit 45 rpm auf dem Teller, wie hieß noch der Klarinettist: Chris Barber. Ganz anders nochmal das Geräusch der Klospülung damals, das Knarren der Betten, die Stimme des Großvaters. Wo stand der Stuhl auf dem er gestorben ist, direkt gegenüber den beiden Küchenfenstern zum Hinterhof. Sein letzter und meinem jetzt so ähnlicher Blick? Ich sah ihn nur lebendig auf ihm sitzen und sich die Schuhe ausziehen, genau dabei aber kippte er einfach nach vorn, Schlaganfall. Nicht die Betten knarrten in der oberen Etage, sondern die Holztreppe, die hinauf führte und die Korridortür, die man einfach nicht lautlos öffnen konnte oben, am Ende dieser Treppe. Treppen können in den Tod führen, davon las ich erst kürzlich. Man geht hinauf und fällt ganz woanders wieder herunter. Streng getrennt war das damals, unten wohnten die Eltern und oben die Großeltern, insgesamt vom Zusammenleben der Generationen her ein Verhängnis, dazwischen das Knarren der Stufen. Unten die gleichmäßig braun-gemaserten Bahnen der Holzvertäfelung an Wänden und Decken im Wohnzimmer, auf die mein Vater so stolz war. Die blieben dagegen bemerkenswert stumm, wie eigentlich jeder Himmel.

Ach Wohnungen, als ob wir jemals ankommen könnten. Wir sind doch sowieso immer nackte Schnecken ohne Haus auf ständiger Suche nach Geborgenheit, notgedrungene Schwimmer ohne das Wasser der geplatzten Fruchtblase. Wohin in all dieser Bewusstlosigkeit? Immer an die Oberfläche, da wo das Versprechen von Luft zu liegen scheint, du faselnder Fisch. Das Licht bricht sich noch immer, auch an dem Küchenmesser, das der Großvater in der Hand hielt im Streit über das Kind, den einzigen Sohn oder war es über seine Schwiegertochter, die ihm zu viel Toilettenpapier verbrauchte. Dabei ging es wahrscheinlich um ganz anderes Geld, das sie durch eine Erbschaft mit in die Ehe gebracht hatte. Etagen voller Konflikte und mittendrin, zwischen den Stühlen, ein schwieriges, aufmüpfiges Einzelkind. Aber der Stuhl konnte letztlich nichts dafür. Dass man auf ihm dahinschied, hatte sich weder er noch der darauf Sitzende aussuchen dürfen.

(Entwurf für was auch immer)