Neuerscheinung:Bolaños “Mörderische Huren”

Die Identifikation mit den beiden im Titel erwähnten Berufsgruppen Huren und Mörder dürfte bei diesem martialischen Titel nicht leicht fallen. Die meisten Leser(innen) werden weder das eine noch das andere angestrebt haben, sind doch die Zukunftsaussichten letzten Endes eher bescheiden. Aufmerksamkeit aber ist mit einem solchen Titel und Foto vorprogrammiert, obwohl diejenigen, die in den Erzählungen aufgrund des Covers erotische Sex&Crime-Stories mit Netzstrumpfdamen vermuten, wohl bitter enttäuscht werden. Endlich erscheint also am 29zigsten September bei Hanser mal wieder ein neuer Band von Roberto Bolaño. 2009 im Hype gefeiert, mittlerweile schon wieder fast vergessen, ähnelt das in gewisser Weise unseren Lesegewohnheiten, die sich oft an einem Autor festbeißen, bis der einseitige Appetit erst einmal wieder gesättigt ist. Schließlich ist die Zeit schnelllebig und nach mittlerweile fünf Jahren erinnert sich manch einer nicht einmal mehr so gut an die magische Zahl des posthum veröffentlichten Hauptwerks “2666”, ob sie den Roman nun damals gelesen haben oder nicht.
Ich erinnere mich bei diesem aufreizenden Titel an einige mehr oder weniger explizite Darstellungen von Sexualität in Bolaños Werk. Einige halten sie für ziemlich chauvinistisch, da ist zu beiläufig vom Vögeln die Rede oder Gewalt mischt sich scheinbar mit Lust, aber ich habe die Porträts von Huren oder Pornodarstellerinnen, z. B. “Joanna Silvestri” aus dem Erzählungsband “Telefongespräche”, immer als einen Akt der Solidarität gerade gegen männliche Fremdbestimmung gelesen. Die Titelgeschichte “Mörderische Huren” kenne ich noch nicht, aber ich könnte mir vorstellen, dass nicht reine Mordlust, sondern Rache gegen erlittene männliche Gewalt das psychologisch auslösende Motiv sein wird.
Der neue Erzählungsband “Mörderische Huren” erschien in Spanien unter dem Originaltitel “Putas asesinas” bereits 2001 noch zu Lebzeiten des Autors und wird laut spanischem Inhaltsverzeichnis dreizehn von Christian Hansen neu übersetzte Erzählungen enthalten. Darunter auch, wie ich erfreut feststellte, “Gomez Palacio” und “Begegnung mit Enrique Lihn”, an denen ich mich selbst schon als Amateurübersetzer versucht habe, hier und da. Endlich kann ich im Vergleich dann nachträglich in aller Ruhe über meine dilettantischen Übersetzungsfehler heimlich erröten. Wer also schon vor September in diese zwei Erzählungen “hineinschnuppern” möchte, hatte und hat bei mir die Gelegenheit dazu.
Die dreizehn Erzählungen sind im Englischen auf zwei Bände verteilt, wobei man zwei herausragende Erzählungen jeweils zum Gesamttitel gemacht hat: “Last Evenings on Earth” (2006) und “The Return” (2010). Auf Christian Hansens deutschen, zuverlässigen Bolaño-Ton freue ich mich wie immer, lassen mich die spanischen und englischen Leseversuche doch etwas unbefriedigt zurück. Meine Übersetzungstabelle der Bolaño-Erzählungen muss ich natürlich auch aktualisieren angesichts des nun dritten Bandes mit Erzählungen nach “Telefongespräche” (2004) und “Der unerträgliche Gaucho” (2006).
„Las mujeres son putas asesinas, Max, son monos ateridos de frío que contemplan el horizonte desde un árbol enfermo, son princesas que tebuscan en la oscuridad, llorando, indagando las palabras que nunca podrán decir.”
“Women are murderous whores, Max, they are monkeys, stiff with cold, that contemplate the horizon from the branches of a sick tree, they are princesses that search you out in the darkness, weeping, scrutinizing the words they will never be able to say.”
Der voraussichtlichen Erzählungen:
1. Mauricio („The Eye“) Silva  (El Ojo Silva)
2. Gómez Palacio (Gómez Palacio),  auch als Eigene Übersetzung
3. Last Evenings on Earth (Últimos Atardeceres en la Tierra)
4. Days of 1978 (Días de 1978)
5. Vagabond in France and Belgium (Vagabundo en Francia y Bélgica)
6. Prefiguration of Lalo Cura (Prefiguración de Lalo Cura)
7. Murdering Whores (Putas Asesinas)
8. The Return (El Retorno)
9.  Buba (Buba)
10. Dentist (Dentista)
11. Photos (Fotos)
12. Dance Card (Carnet de Baile)
13. Meeting with Enrique Lihn (Encuentro con Enrique Lihn), auch als Eigene Übersetzung