Seit einiger Zeit ruht der Blog aleatorik.eu. Aléa Torik wurde auf eine unangenehme Art geoutet: Ein Mann, der sich aufgrund der Blogbeiträge in diese Kunstfigur verliebt hatte, fühlte sich vom Autor betrogen und setzte ihm im Internet zu.
So unkritisch übernimmt kürzlich die Journalistin Sieglinde Geisel eine vom Schriftsteller Claus Heck (*13.6.1966) und seinem “Semiheterogynonym” Aléa Torik (*01.05.1983) postulierte Version seiner Autorengenese und dem angeblich bedauernswerten Ende seiner fiktiven Autorenidentität und seines nun leider “ruhenden Blogs” in einer Radiosendung des Deutschlandradios Kultur. Eigentlich sollte es mir egal sein, was ein Autor im fernen Berlin weiterhin als seine Version eines zwar literarischen, doch andere Menschen und Blogger auch täuschenden Projektes so von sich gibt. Wie er sich in den Medien einmal mehr als bedauernswertes Opfer und Unschuldslamm präsentiert und andere zu den Bösen stilisiert, die ihn geoutet haben. Der Blog Aleatorik ist mittlerweile ohnehin nichts anderes mehr als eine penetrante Werbeplattform, mit der sich der Autor Claus Heck immer noch selbst beweihräuchert und permanent selbstreferenziert, völlig außer acht lassend, das Eigenlob irgendwann anfängt zu stinken. Es geht eben nicht immer ausschließlich um den eigenen Ruhm, die eigene philosophische und intellektuelle grandiose Selbstdarstellung, die sich dann zwecks künstlerischer Verwirklichung jeder zwischenmenschlichen Verantwortung entheben darf. Keine Kunst kann es rechtfertigen, andere reale Menschen zu willkommenen Werbeträgern zu degradieren und sie wie blinde Schafe zu behandeln. “Geoutet”, wie böse das klingt. Es gibt immer zwei Seiten einer Geschichte, das sollte der “berühmte” Berliner Autor am besten wissen. Aber ein profilierungssüchtiger Egomane setzt seine künstlerische Sensibilität eben als gezieltes Manöver ein. Jeder Andersdenkende wird zum störenden Angreifer der eigenen Geltungssucht und als intellektuell minderwertig abgekanzelt. Da fallen mir noch andere Blogs im Berliner Umfeld ein, die sich ähnlich gebärden. Eingebildete Größe ist das Maß, an dem sie sich alle messen. Genug davon.
Nur als kurzer Gruß an Sie:
Viele Parallelen, Salter alles dieses Jahr wiedergelesen (außer den ‚Jäger’), Banville, Wellershoff, Modiano sowieso. Es fällt mir halt auf.
Hopper wirkt für mich vor allem in dem Gegensatz von dem wie beseelten und dabei doch rein physikalischen, jedenfalls von Menschen nicht einzunehmenden Licht und der Haltung der jeder und ewig in sich eingekapselten Personen.
R. R.
Vielen Dank für Ihren „kurzen Gruß“. Dass Sie vieles von meiner Buchaufzählung kennen, wundert mich nicht, gute und sprachlich herausragende Literatur findet den Phänotyp Leser, der sie unablässig sucht. Für mich wirkt das geradezu kulturell tröstlich.
Bei der Parallele muss ich gerade nicht nur an die übereinstimmende Lektüre denken, sondern erneut an die Gemeinsamkeiten Salters und Hoppers. Der Vergleich scheint mir auch über unterschiedliche Kunstgattungen und Generationen hinweg gar nicht so abwegig. Sie strahlen eine Art stoische, amerikanische Kraft und Ruhe aus, eine Männlichkeit, die sich nicht selbst beweisen muss, und um die vielfältigen Auseinandersetzungen mit dem anderen Geschlecht nur zu gut weiß. Diesen Wandel z. B., den der Protagonist Bowman in „Alles was ist“ vollzieht, vom jungen, gescheiterten Romantiker der ersten Liebe zum betrogenen, älteren Mann, der aus Rache mit der Tochter seiner Geliebten schläft. Salter und Hopper porträtieren in ihrer Wahrnehmung von Frauenfiguren das verstörende Element im Verhältnis der Geschlechter und damit stellvertretend die gesamte Gesellschaft. Aber ich schwafele ein wenig. Sie sprachen auch vom Gegensatz Licht und Mensch bei Hopper. Das Licht Hoppers führt eine Art eigene, stolze und unabhängige Existenz. Es findet zwar immer einen Reflektionsgegenstand, ist mild oder gleißend, wirft flächige Schatten, aber der Mensch profitiert nicht davon, wirkt dennoch verloren, allein gelassen, berührungsunfähig. Wir Betrachter haben den Eindruck, dass die ganze seelische Kraft dem Licht gehört, der aus dem Paradies vertriebene moderne Mensch bleibt ein vernachlässigbarer Fremdkörper. Da meine Aufzählung gelesener Bücher merkwürdigerweise nur männliche Autoren beinhaltet, hole ich hier zwei Bücher von Schriftstellerinnen nach, die ich ebenfalls dieses Jahr gelesen habe und weiter empfehle: Irène Némirovsky: Meistererzählungen und Mercè Rodoreda: Auf der Plaça del Diamant.
So falsch finde ich Ihre Beobachtungen nicht: Ich habe mich selber gefragt (weil mich das Heroische, auch wenn es so sachlich beschrieben ist wie bei Salter, eigentlich fast nie interessiert), was Salters Qualität ist (außer seinem pointillistischen Genie, ein Bild, eine Stimmung mit fast nichts zu zeichnen). Mein Lieblingsbuch von ihm bleibt (auch wenn ich „Lichtjahre“ für seine beste Langstrecke halte) „Ein Spiel und ein Zeitvertreib“. Und das vielleicht sogar, weil er da sowohl seine Grundhaltung (möglicherweise das von Ihnen so genannte Amerikanische) wie sein Talent, sich von Frauen bis auf den Grund erschüttern zu lassen, am besten entfaltet: Er ist er selbst – und zugleich ein anderer, und das teilt sich bei ihm, der sonst nicht gerade reich an Erkenntnissen ist, als produktiv beim Lesen mit.
Auch Ihrer Licht-Charakterisierung bei Hopper stimme ich eher zu. An meinem Geburtstag 2008 war ich ein weiteres Mal, nicht so ganz überzeugt, in die große Retro damals nach Köln gefahren, und war dann auch ein weiteres Mal in die Rentner- und Gruppen-überlaufene Ausstellung geraten – und dann hatte es mich mehrmals stark berührt und fast erhoben und in einen eigenen Raum eintreten lassen, mit nur noch dem einen oder anderen Bild als Gegenüber. Die Stille der Bilder war stärker. Und sie blieb dann irgendwann auch bei mir und – so erkläre ich es mir – gerade die gesonderte Menschenferne des jeweiligen Lichts auf den Bildern war es, die mich richtiggehend kräftigte.
(Das korrespondiert übrigens auffällig mit einem Effekt, mit dem an sich völlig unwichtige Erinnerungsbilder von mir mich manchmal kraft ihrer präzis in mir gespeicherten Lichtverhältnisse „trösten“ – als walte da, mit der Genauigkeit als einer „Gültigkeit“ an sich [vielleicht dem, was Sie „unabhängig“ nennen], eine eigene, überzeitliche Kraft. – Leider führt das Reden über so was rasch zu Geschwafel … deshalb lieber Schluss damit.)
Von Némirovsky habe ich seit Längerem „Leidenschaft“ auf dem Stapel liegen. Ich hatte schon mal reingesehen, doch zündete es nicht sofort … aber das muss ja nichts heißen. Mercè Rodoreda habe ich gerade bestellt.
Ansonsten stecke ich als Leser gerade mal wieder – seit Maurice Blanchots „Todesurteil“ ist das ein anziehendes, wiederkehrendes Interessengebiet von mir – im französischen Kollaborationsdickicht: Violette Leduc, Paul Gadenne, aber auch die Reaktionäre, das Klima der geistigen Zweideutigkeiten bei Marcel Jouhandeau und Robert Brasillach. Sicher nicht alles gleichermaßen hochstehende Literatur, aber als Gesamt-Denkraum spannend – vor allem wenn man lange mit den oft so uninspirierten deutschen Entsprechungen traktiert wurde oder sie zur Genüge kennt.
Vielleicht stimmt es nicht (auch wenn man es von anderer Seite manchmal vernimmt, heute etwa hier), und so manche Gefühlslagen in Hinsicht auf noch gar nicht zu überschauende Umwälzungen der 1930er Jahre scheinen heutigen analog oder doch in so Manchem ähnlich gewesen zu sein. Der Eindruck bleibt aber auch, Literatur könne das klären.
R. R.
Da haben Sie aber ein interessantes Spezialgebiet französischer Literatur. Ich muss leicht errötend gestehen, dass ich die „drei männlichen Kollaborateure“ gar nicht kannte und bei Leduc nur den Titel der „Bastardin“ irgendwo im Hinterkopf zehn Meilen unter der Wasseroberfläche kreiste. Danke für den Hinweis auf Blanchots „Todesurteil„, die Erzählung werde ich lesen, was mich an die Essaysammlung „Der literarische Raum“ von ihm erinnert, die ich schon mehrmals bestellen wollte.
Mit irgendetwas muss Hopper seine Bilder quasi aufgeladen haben, um eine so starke, bleibende Wirkung zu erzielen. Den Vergleich des Lichtes mit Ihren Erinnerungsbildern finde ich sehr spannend. Das deren „genaue“ Beschreibung eine Art universelle „Gültigkeit“ erzeugt, scheint mir geradezu ein Kompositionsgeheimnis Ihrer eigenen Literatur zu sein. Gerade die Genauigkeit in Ihren Erzählungen, aber auch z.B. in dem letzten Italiengedicht auf Ihrer Seite verblüffen mich oft. Manchmal frage ich mich dann, wie nah man an einen Gegenstand erzählerisch herangehen kann, ohne alles wie eine misslungene Makroaufnahme sich verwischen zu lassen. Details jedoch haben ihre Faszination. Bei Hopper kenne ich manche Bilder jahrelang, sie scheinen abgespeichert und dann entdeckt man doch einen Lichtstreifen auf einer letzten Mauerecke, ein dunkles Schattenetwas, ein Gesicht ganz am Rande, das man bisher übersah. Ich muss mich einmal schlau machen, was Sie möglicherweise Neues bei onomato, mirabilis oder anderswo publiziert haben.
Ob die politische Großwetterlage den oft gezogenen Vergleich mit den dreißiger Jahren standhält, (obwohl ich der Analyse in dem verlinkten Artikel meistens zustimme), sei dahingestellt. Wäre ich ein Utopist, könnte ich mir eine friedlichere und gerechtere Welt nur vorstellen, wenn die Währung Menschlichkeit mindestens soviel Kaufkraft besäße, wie alle Geldscheinbündel sämtlicher Milliardäre zusammen.
Na ja, ‚Spezialgebiet’ – ich lese sonst nicht mal gern ‚historisch’, aber gewisse Themen verjähren anscheinend nicht, und ich wundere mich manchmal selber, wieso es mich periodisch immer wieder dahin zurückzieht. Es scheinen mir da aber auch Anklänge von noch unausgesprochenen Erklärungen zu liegen, sowohl für europäische Mentalitäten überhaupt wie auch durchaus heutige Geisteslagen. (Die Amerikaner haben dafür den Begriff ‚mind set’ – das trifft es fast um eine Nuance besser. Sowohl ohne den Faschismus wie auch ohne seine ‚Überwindung’ hätten wir heute eine komplett andere Welt – und da er doch nie ganz überwunden wurde, haben wir heute diese mit mal wieder brennenden Häusern.)
Literarisch von allen der Herausragendste ist sicher Blanchot.
Licht selber scheint, weil immateriell, medialer Mittler für eine in der Erinnerung schwebend-präzis anschreibbare Genauigkeit. Über die entsprechenden Empfindlichkeiten verfügt wahrscheinlich jeder – es bleibt bei allem Unterscheidungssensorium nur immer noch schwer zu verbalisieren, weil da Effekte wirken, die die Sprache selber kurzschließen.
Das mit der Genauigkeit ist tatsächlich ein Hauptmoment für mich – oft denke ich, ich schreibe eigentlich hauptsächlich um zu lernen, um zu verstehen. Aber natürlich ist sie auch manchmal Fetisch, manchmal Problem – und ja, manchmal muss ich mir dann die Unschärfen erst wieder zurückholen. Manchmal möchte ich beides auch gern einfach ignorieren und einfach nur loserzählen, gleich hin zum ‚flow’. Aber bald fehlt es da auch an Herausforderung, denn Plots und ihre Wendungen interessieren mich eigentlich nicht, ausdenken kann ich mir eh alles, es begründen, es auf eine zwischendurch so sondierende wie leuchtende Weise stimmiger und ergiebiger machen ist etwas anders. (Was nicht heißt, dass ich gegen ‚Unterhaltung’ bin.) Ungefähre Rede und Redundanz gibt es ja überall und es gibt sie wahrhaftig genug.
Im Herbst gibt es eine kleine Zwischendurchsache von mir bei onomato, ansonsten sitze ich zwischen Langzeitprojekten, darunter zwei Romanen. Das ‚Publizieren’ ist für so jemanden wie mich, der weder ins Unterhaltungsfach noch sein Gesicht fürs Selfbranding hinhalten will ja eigentlich müßig: Ohne Roman wird man eh kaum wahrgenommen. (Zwar interessiert mich ‚Öffentlichkeit’ eigentlich nicht, aber ich hätte doch gerne ein paar mehr Leser).
Übrigens – ich wollte ihn neulich schon erwähnen (oder hatte ich ihn schmal mal genannt?) – Hinweis auf noch einen Schriftsteller, der auch Ihnen liegen müsste, mindestens in der Klasse von Banville (ich verstehe gar nicht, wie so jemand wie er fast unbeachtet bleibt): Hector Bianciotti, der Argentinier, der zum Franzosen geworden war. Auch einer, der Sprache dauernd auf ihre Möglichkeiten einer eleganten Genauigkeit abhorcht – und damit in der Erzählung oft eine höhere Poesie erreicht, eine luzidere Durchdringung seines Stoffs.
Sprache und Genauigkeit, aber hat das Poetische nicht auch immer eine Unschärfe? Ist der beste Romancier derjenige, der ein ganzes Leben in einem Nebensatz abhandelt oder über das Schälen einer Apfelsine auf sechs Seiten philosophiert? In welche Wortart packt man die Genauigkeit der Beschreibung, schwelgt man in exotischen Verben und Adjektiven oder leidet man an einer überbordenden Substantivierung, weil man die Genauigkeit in große Steinskulpturen hauen möchte. Alles in der Sprache kann zum Fetisch werden, z.B. der Hang zur Alliteration, der Tick, alles im nächsten Satz wieder zu revidieren oder zu relativieren. Das Schönste an der Sprache aber ist ihre Freiheit, die trotz Formkorsett dem Reglement jederzeit in den Arsch treten kann. Was ich jetzt schreibe landet auf dieser leeren Leinwand, die ich spontan vollpinsele, ich kann sogar das Gemalte wieder löschen, ich könnte alles löschen, welche Freiheit. Warum ist der Roman als Literaturgattung selbst zu einem so großen Fetisch dieser Zeit geworden. Fiktion als monolithische Fluchtwelt? Nur die Marathonstrecke zählt?
Ihre „Zwischendurchsache“ würde mich interessieren, ein Erzählungsband? Bis dahin könnte ich aber auch erst einmal „Die gerettete Nacht“ nachholen. Dank auch für Ihre anderen Tipps (Bianciotti etc.). Jetzt werde ich erst einmal in der kühlen Septembermorgenluft des Gartens durchatmen. Der ständige Blick auf eckige Bildschirme (Handy, Computer, Fernsehen) bereitet leider auch Kopfschmerzen.