Meine Bücher im Herbst
Das Herbstlicht empfinde ich heute morgen als etwas Besonderes. Weiße Postkartenwölkchen sind auf den blauen Untergrund getupft und die größeren Flächen daneben durchzieht ein Altrosa. Den ersten Tag nach einem kurzen, aber stationären Krankenhausaufenthalt, währenddessen mir die ohnehin schon zusätzlich geschenkte Zeit ein weiteres Mal verlängert werden konnte, sitze ich wieder am Schreibtisch und wundere mich, was für ein gewohntes Gefühl in mir aufsteigt nach einer Woche ganz ohne Internet. Ich will kurz erwähnen, was ich in letzter Zeit gelesen habe. Jemand, der sich “Buecherblogger” nennt, sollte dies doch tun. Ich hatte mir einen englischen, kurzen Roman, der 2005 den Booker-Prize gewann, mitgenommen, nämlich John Banville “Die See” in der Büchergilde-Ausgabe. Wie sich herausstellte eine ausgezeichnete Entscheidung, die auch darauf beruhte, dass mich Julian Barnes “Vom Ende einer Geschichte” (Booker Prize 2011), ebenfalls schon überzeugt hatte. Die Intensität der Beschreibung kleinster Nuancen, ob sie sich nun auf menschliche Beziehungen oder die Natur bezogen, hat mich schwer beeindruckt. Die sprachliche Umsetzung der Übersetzung ist ebenfalls gelungen. Ich stellte mir immer vor, dass die Idee zum ganzen Roman, der Protagonist ist Kunsthistoriker, einem einzigen Gemälde entsprungen sein könnte, einem impressionistischen mit einer Gruppe Badender am Strand oder einem der “Baignoires” von Pierre Bonnard. Der Sprachstil zeichnet sich durch präzise, detailgetreue Beschreibungen und ungewöhnliche Metaphern und Vergleiche aus, die auf eine hochsensible Wahrnehmung des erinnerten Erlebens beruht. Die Chronologie der Handlung wird durch ständige Zeitsprünge aufgebrochen. Eine Passage, die den Erzähler selbst beschreibt, hat mir besonders gut gefallen:
“Das Leben, das authentische Leben sei nichts als Kampf, unermüdliches Agieren und Nachhaken, der Wille wummere mit seinem dummen Schädel gegen die Wand der Welt, und was dergleichen mehr ist, aber wenn ich zurückblicke, erkenne ich, dass der größte Teil meiner Energie immer durch die Suche nach Geborgenheit aufgezehrt wurde, die Suche nach Behaglichkeit, nach, ja, ich gebe es zu, nach Gemütlichkeit. Das ist eine überraschende, um nicht zu sagen, erschreckende Erkenntnis. Früher habe ich mich stets als eine Art Freibeuter gesehen, einen der jedermann mit dem Entermesser zwischen den Zähnen begegnet, aber heute muss ich eingestehen, dass das eine Selbsttäuschung war. Versteckt, beschützt, behütet sein, mehr habe ich im Grunde nie gewollt, mich irgendwo verkriechen, in einem warmen Schoß, dort hocken bleiben, dem gleichgültigen Glotzen des Himmels verborgen und sicher vor den Beschädigungen, die uns die raue Luft zufügt. Darum ist die Vergangenheit für mich einfach ein Refugium, in das ich mich mit Fleiß begebe und wo ich händereibend die kalte Gegenwart und die noch kältere Zukunft von mir werfe. Und doch, was hat sie denn, real betrachtet, schon für eine Existenz, die Vergangenheit? Schließlich ist sie bloß das, was die Gegenwart gewesen ist, früher, die Gegenwart, die vergangen ist, nichts weiter. Und doch.”
Es gibt Rezensionen bei Perlentaucher und andernorts genug, soviel also nur kurz zu Banville. Eine völlig andere Art der Literatur, eine Art filmische schwarze Horrornovelle habe ich auch begonnen zu lesen, nämlich die ersten Kapitel von Guido Rohms “Fleischwölfe”. Der Roman zum Film. Eine Besprechung folgt bald nach dem kompletten Lesen.
Nachdem ich auf WDR3 die doch ansprechende Rezension von Alban Nikolai Herbst über A.L. Kennedy “Das blaue Buch” gehört hatte, fiel mir neben dem “Wolpertinger” ein anderes älteres Buch dieser britischen Autorin ein, ebenfalls hellblau und bereits im Jahr 2000 bei Wagenbach erschienen: Gleissendes Glück. Ich erinnere mich nur noch dunkel, aber nicht unangenehm und habe durch die genannte Besprechung Lust bekommen, den schmalen Band wieder zu lesen.
Es gibt also genug abwechslungsreichen Lesestoff und es gäbe noch mehr darüber zu schreiben. Manchmal aber drängt es mich mehr, auch meine eigenen Schreibversuche wieder aufzunehmen. Abschließend sei noch die Biographie “Hölderlin und Diotima” von Beatrix Langner genannt, die die Beziehung Hölderlins zu Susette Gontard kenntnisreich schildert. Zwei Drittel sind gelesen, auch da folgt noch der Rest.
o wenn wir auch nur darum da wären,
um eine Weile zu träumen
und dann zum Traum eines andern zu werden.
Friedrich Hölderlin