Werbung – für ein Buch, was denn sonst!
Ich verabscheue Werbung, diese Droge für das auf Nussgröße geschrumpfte Gehirn des Konsumenten. Der permanente Angriff auf mein Unterbewusstsein, diese ekelhafte Dauerinfiltration der unfreien Marktwirtschaft: Ich kaufe, also bin ich. Der Impuls nach immer mehr, das endlose Wachstum. Das einzige Wachstum, dass ich sehe, privat und nationalstaatlich, sind die Schulden. Je mehr Geld man ausgibt, desto lebendiger ist man. Ohne Konsum kein Leben. Das Credo der Gier. Der Mensch als Luftblasen schluckende Kaulquappe. Friss Kataloge, friss Werbespots. Künstler (David Garrett) rühren die Werbetrommel für die Verbildungszeitung, millionen- und immobilienschwere Moderatoren (Günther Jauch) verkaufen sich für die Apothekenprodukte ihrer geriatrischen Zuschauer. Angehende Schriftsteller sollen dazu überredet werden, ihren Broterwerb doch als Werbetexter zu verdienen. Zielgruppe, Warm- und Kaltakquisition, das fängt bei mir schon am Frühstückstisch an. Die Werbebeilagen der Tageszeitungen sind oft dicker als die Zeitung selbst. Das Privatfernsehen unterbricht im 15-Minutentakt jede Sendung, um sich selbst zu finanzieren und mit Programmhinweisen sich selbst in den ewigen Warenkreislauf einzureihen. Am Ende wird der Mensch wohl selbst zum Produkt, zur Ware, Adressat und Ware zugleich, noch im Tod ein Geschäft, erst danach liegt er unverkäuflich auf dem Friedhof.
Um der Garstigkeit ein Ende zu machen, mache ich jetzt selbst Werbung. Auch wenn manche Literaturbelesene Büchergildemitglieder möglicherweise mit Konsumenten der Apotheken-Umschau vergleichen, jetzt mache ich Werbung: für ein Buch, was denn sonst! Schon bestellt und bisher nur in der Tageszeitung als Fortsetzungsgeschichte angelesen, Wolfgang Herrndorf: Tschick. Bei der Büchergilde neu erschienen: hier.
Herrndorf, Wolfgang
Tschick
Zwei Jungs. Ein geknackter Lada. Eine Reise voller Umwege durch ein unbekanntes Deutschland.
Mutter in der Entzugsklinik, Vater mit Assistentin auf Geschäftsreise: Maik Klingenberg wird die großen Ferien allein am Pool der elterlichen Villa verbringen. Doch dann kreuzt Tschick auf. Tschick, eigentlich Andrej Tschichatschow, kommt aus einem der Assi-Hochhäuser in Hellersdorf, hat es von der Förderschule irgendwie bis aufs Gymnasium geschafft und wirkt doch nicht gerade wie das Musterbeispiel der Integration. Außerdem hat er einen geklauten Wagen zur Hand. Und damit beginnt eine Reise ohne Karte und Kompass durch die Sommerglühende deutsche Provinz, unvergesslich wie die Flussfahrt von Huckleberry Finn und Jim.
Leinen mit Schutzumschlag, Lesebändchen, 256 Seiten
*Heftig mit dem Kopf nickt*. Jawohl. Witziger Weise habe ich zwei Briefkästen. Einen am Haupteingang zum Haus, einen am zweiten Eingang zu meiner Wohnung. Bis heute begreifen Briefträger und Prospektboten…., ja ich nenn die jetzt so, nicht, daß es nicht notwendig ist, die Prospektpakete! in beide Kästen zu stecken. Zu den Prospektpaketen gesellen sich drei pro Woche erscheinende Käseblätter, deren fühlbare Dicke sich tatsächlich nur durch die Anzahl der Buntpapiere verstärkt. Das, was jede Woche in der Mülltonne landet, ist unglaublich. Da wir hier den Müll trennen, muß ich jedes in Folie geschweißte Buntblättchen fein säuberlich aus dieser entfernen, die Folie in die gelbe Tonne, das Papier in die andere. Einen Fernseher hab ich nicht, also erspar ich mir diese Berieselung. In den Straßenbahnen hängen überall Bildschirme. Die Menschen sitzen paralysiert erstarrt auf ihren Plätzen, den Kopf leicht nach oben gerichtet, der Blick weicht für die Dauer der Fahrt nicht. Obwohl ich eine Telefonnummer habe, die nicht eingetragen ist, klingelt in letzter Zeit auch noch das Telefon: „Möchten Sie an einer Umfrage betreffs…. *Produktname wird genannt* teilnehmen?“ „Nein will ich nicht, hab ich noch nie gekauft.“ „Warum denn nicht?“ „Weil ich’s nicht brauche, wir haben sowieso viel zu viel in den Regalen. Wissen Sie noch wie man Brot backt?“ „Nee… ich geh in den Supermarkt und kauf es da……“
Wohl bemerkt…. selbst Brot backen? Nein. Man geht heute auch immer weniger zum Bäcker, sondern in den Supermarkt, um Brot zu kaufen. „D a s da, hätte ich gern.“
Wunderbare Konsumwelt. Gestern bin ich hier allerdings durch diese große Stadt von Pontius zu Pilatus gefahren, weil ich einen Radierstift brauche. Es gibt hier nur ein kleines Geschäft, welches Artikel für Künstlerbedarf führt… und dies aber auch nur nebenher… ansonsten ist’s eher ein Schreibwarengeschäft, welches kurz vor der Pleite steht. Nach drei Stunden fuhr ich nach Hause… ich bestell den jetzt über’s Internet.
Werbung für ein Buch? Ja. Die les ich auch. Meistens gern. :-)
Liebe Syra Stein,
Danke für die Mitteillung Ihrer eigenen persönlichen Erfahrungen mit Werbung. Manchmal fängt der Tag damit schon gallig am Briefkasten an, denn die Modekatalog- und Prospektflut ist einfach nur lästig. Ganze Wälder werden dafür wahrscheinlich abgeholzt. Abbestellen klappt meist auch nicht, wenn doch, kommen andere. Ganz ohne Fernsehen komme ich nicht aus, obwohl ich denke, dass ich mit ca. 10 Sendern über einen DBT-Stick am Computer auch zufrieden wäre. Das Erste mit dem Zweiten, 3Sat und arte und noch einige dritte Regionalprogramme würden meinen Informationsbedarf schon decken. Gar kein Fernsehen ist beim Müll der Privaten (Big Brother und irgendwelche Dschungelsendungen) gar keine schlechte Idee. Machmal verteufele ich die Werbung schon als Inkarnation der Orwellschen Gedankenpolizei aus 1984. Der Konsumverweigerer macht sich als nicht systemkonform verdächtig. Ich staune immer, wie nah und wichtig Ihnen das Material im Schaffensprozess ist. So spezielle Dinge wie den Radierstift würde ich hier im Dorf auch nicht finden. Die kleinen Geschäfte gehen schlicht pleite. Man wohnt auf dem Land, um dann mit der Benzinkutsche in den Großstadtsupermarkt fahren zu müssen.
Herzlichen Gruß
Der Buecherblogger