Roberto Bolaños “Amuleto”. Arturito Belano (Capítulo 4)
Was passiert: Auxilio wird eine „Freundin der Familie“ Arturito Belanos. Sie lebt das verrückte Leben einer mittellosen Künstlerin und wohnt sogar kurze Zeit bei den Belanos. Die Perspektive, aus der Bolaño hier die eigene Familiengeschichte beschreibt, ist durchaus humorvoll und ironisch, aber auch durchzogen von der Wehmut des sich Erinnernden und dem damit verbundenen Leiden unter den politischen Entwicklungen in den lateinamerikanischen Staaten der 70ziger Jahre. Bolaño sieht sich selbst als Jugendlichen, der mit 17 bereits einen schlechten Roman geschrieben hat, durch die Augen der älteren Auxilio und damit quasi gleichzeitig aus der Sicht des erwachsenen Bolaño. Vielleicht bedeutet das ungefähr gleiche Alter der Frauen, dass er zwei Mütter hatte, eine leibliche und eine poetische. Die Künstlerinnen, mit denen Auxilio ihr „Leben einer Bohemienne“ auf S. 40 vergleicht haben alle einen avantgardistischen oder feministischen Hintergrund. Die surrealistischen Malerinnen Remedios Varo und Leonora Carrington, die beide, wie die aus Uruguay stammende Auxilio selbst, in Mexiko ihre zweite Heimat fanden und die beiden Dichterinnen Eunice Odio und Lilian Serpas (vgl. S. 24). Zu ihnen gesellen sich bereits zwei Seiten vorher die amerikanischen Lyriker Ezra Pound, T. S. Eliot und William Carlos Williams (S. 38) Vielleicht resultiert vom Letzteren die Affinität Bolaños zur Zahl 5, die mir an einigen Stellen in „2666“ auffiel, aufgrund seines Gedichtes „The Great Figure“:
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Among the rain |
Aber auch eine christliche Bedeutung mag dahinter verborgen sein, die 5 Bücher Moses. Das dünne Eis der Spekulation. Ein Wort noch zu den Kapitelenden. Sie scheinen dem Szenario einer Filmserie ähnlich. Am Schluss steigert sich die erzählerische Stimme zu einem letzten, teilweise absurd klingenden Satz, der nur durch das davor Erzählte einen Sinn ergibt:
Kapitel 1: „Die Staubwolke hat alles zu Staub werden lassen.“
Kapitel 2: Der Soldat öffnet die Toilettentür (Abblende, Spannung, wie geht es weiter?).
Kapitel 3: „Meine Zähne verlor ich auf dem Altar, auf dem Menschen geopfert werden.“
Kapitel 4: „Aber ich hätte auch ohne weiteres verrückt werden können.“
Der mit siebzehn geschriebene frühe Roman ist bisher nie erschienen, aber ich erinnere mich irgendwo gelesen zu haben, dass 20 frühe Gedichte Bolaños ca. 1976 in einer Art Selbstverlag mit der immensen Auflage von 200 Exemplaren gedruckt worden sein sollen. Das wird eine teure und kostbare bibliophile Rarität werden, falls es überhaupt noch ein Exemplar gibt. Heute hat der Tanz der Verlage um das goldene Kalb des Nachlasses längst begonnen. Mit welcher Bemerkung Bolaño die wachsende Herausgabe seiner unveröffentlichten Manuskripte wohl begleitet hätte?