Hildesheimer: “Paradies der falschen Vögel”
An diesem Romantitel bin ich einfach nicht vorbei gekommen, weil er so schön ironisch klingt. Es gibt sie ja alle, Falschmaler, Falschmünzer, Falschparker, Falschbiographen und doch sollte gerade das Unechte ein Paradies sein? Bereits vierzig Jahre vor dem Startschuss des öffentlichen Internets entstand 1953 dieser parodistische Roman. Das Echte vom Falschen zu unterscheiden ist in dem neuen, uns gar nicht mehr rein virtuell vorkommendem Medium Internet, schwer bis unmöglich geworden. So besteht auch im Roman für die historische Reliquien sammelnde Tante Lydia des schon im zarten Alter von fünf Jahren fälschenden Anton Velhagen, nachträglich keine Chance mehr, den miniaturisierten Misthaufen des zweiten Prager Fenstersturzes, den das Kind versehentlich zerstörte und einfach durch Aschereste aus dem Kamin ersetzte, als Fälschung zu erkennen. In der Ich-Form erzählt uns der ältere Velhagen von seiner Kindheit und aus seinem Leben. Der Bruder dieser ominösen, betuchten und nur echte Kunst sammelnden Tante, sein Onkel Robert Guiscard wird sein großes Vorbild als Fälscher. Dieser Onkel, “der König der Fälscher”, hat einen barocken Maler und einen Kunsthistoriker gleich mit erfunden, der die Biographie dieses nichtexistenten Malers schreibt. Die Gemälde werden zu den begehrtesten Objekten des Kunstmarktes. Wie gelungen und intelligent Hildesheimer hier seinen Fälscher erzählen lässt, zeigt sich bereits an dem Prager Misthaufen, der auch nur eine erfundene Legende der Protestanten gewesen sein soll. Also gab es den echten Misthaufen nie, die Fälschung wird durch eine nochmalige Fälschung ersetzt. Wo bleibt denn da das unverfälschte Echte, möchte man fragen, aber als das einzig Echte wird sich in diesem Roman wohl weiter nur die Parodie selbst erweisen.
Der Maler Ayax Mazyrka, der »Procegovinische Rembrandt« benannt, eine der bedeutendsten Erscheinungen der Kunstgeschichte, hat niemals existiert. Seine Werke sind gefälscht, und die Geschichte seines Lebens ist eine Fiktion.
Nach dem Lesen weniger Anfangsseiten, finde ich diesen ersten Roman Hildesheimers allein schon wegen seiner lakonischen Sprache köstlich. Die Haltung des Erzählers erinnert mich entfernt an Ford Maddox Ford: Die allertraurigste Geschichte. Dabei kommt mir der Gedanke, dass die grundsätzliche Erzählhaltung der eigentliche Reiz im Hintergrund und ein entscheidendes Kriterium dafür ist, ob ein Roman durchgehend das Interesse bei mir wach hält. Bei Romanen, die sich mit erfundenen Biographien beschäftigen, fällt mir natürlich zuerst Bolaños “Die Naziliteratur in Amerika” ein. Im gleichen Jahr als Hildesheimers Roman erschien, wurde Bolaño geboren. Was die Fälschungen in der Malerei nach dem Zweiten Weltkrieg angeht, las ich vor einigen Jahren bereits den ebenfalls gelungenen “Tatsachenroman” von Luigi Guarnieri “Das Doppelleben des Vermeer”, der die Geschichte Han van Meegerens nacherzählt. Alles Fingierte scheint einen doppelt eigenen Reiz auszuüben, vielleicht weil Kunst und Ästhetik selbst einer Phantasie entwachsen, die auf das Leben immer nur als Nachahmende reagieren kann.
Über Fälschungen in fiktionalen Texten zu lesen, ist sowieso allemal unterhaltsamer und schmerzfreier, als persönlich von ihnen betroffen zu sein. Von diesem Kurzroman mit nur 140 Seiten für zwischendurch, erhoffe ich mir nicht zuletzt ein Schmunzeln über eigene Erfahrungen mit fingierten Künstlerbiographien. Was aber wäre, wenn nicht Hildesheimer, sondern Tante Lydia den Roman geschrieben hätte? Auf dem Umschlag des Suhrkamp-Taschenbuches prangt jedenfalls die Mona Lisa, die Onkel Robert im Louvre durch eine Kopie ersetzt, hier ein Ready made von Marcel Duchamp und ein sehr frühes Beispiel von “gender reversal”. Nun wünsche ich mir selbst nach gerade einmal fünfunddreißig von hundertvierzig gelesenen Seiten weiter viel Vergnügen und jedem anderen, der sich angeregt fühlen sollte, es mir lesend gleich zu tun.
Das Tollste an diesem Roman ist, dass er von dem Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi als Lebensvorlage genommen und in die Realität übertragen wurde.
Falls das zutreffen sollte, würde ich Herrn Beltracchi eher bedauern, denn dann wären nicht nur seine Bilder nur Kopien, sondern sein ganzes Leben, aber das will ich mal nicht hoffen. Bei aller künstlerischen Raffinesse, ein Kopist bleibt ein Kopist. Eine Kopie aber ist nun der hervorragende Nachkriegsroman von Hildesheimer, immerhin bereits 1953 erschienen, durchaus nicht. Überhaupt sind mir Originale und Menschen, die mich weder täuschen noch enttäuschen lieber. Wenn mit einer wie auch immer gearteten Fälschung auch noch große pekuniäre Eigeninteressen verbunden sind, schmälert das in gewisser Weise auch die künstlerische Leistung an sich und desavouiert sie. Der Roman dagegen spielt originell mit den Möglichkeiten des Fiktionalen, parodiert den leichtgläubigen Kunstmarkt, ist aber ohne jede Frage ein originärer Text. Keine Kopie, auch wenn er von solchen handelt. An ihn und seine Sprache würde ich mich auch lieber halten. Ich erinnere mich, dass ich damals bei meiner Lektüreauswahl noch unter dem Eindruck einer eigenen gerade durchlebten literarischen Täuschung stand. In der Realität überleben „falsche Vögel“ meist nicht lange, falls sie jedoch, abseits von ihren Täuschungen in der Lage waren, eigene Werke hervorzubringen, haben sie meinen Respekt dafür. Zurück zu Hildesheimer, ich blätterte erneut etwas in dem schmalen Band und fand diesen Absatz, der mir gefiel: