[10.41 Uhr, Arbeitswohnung.
Maderna, Julliard Serenade (1971).]
Das bin ich momentan einmal nicht.
Wobei es heute auch wirklich eine lange, sozusagen frühe Nacht mit den beiden Damen war, rein platonisch selbstverständlich. Normalerweise finde ich Reinheitsbegriffe ja verdächtig, aber diesmal… – Jedenfalls aßen, tranken und tranken wir nochmals, da allerdings nach einem kleinen Rundgang durch den Prenzlauer Berg, bis etwa halb drei Uhr weiter. So daß ich, als ich wieder hier war, unbedingt noch ein bißchen was von dem neugekauften „Rauscher“ in mich aufnehmen mußte, Federweißen mithin, der vorhin zu einer ungeheuren Stoffwechselbeschleunigung geführt hat. Denn was Sie brennend, leugnen Sie es nicht! interessiert, ist eingetreten: Sowas gegen Viertel nach drei ließ ich mich ins Bett plumpsen, und zwar noch mit der Vornahme am Hals als Gewicht, einfach keinen Wecker zu stellen. Sowas führt bei mir unweigerlich zu verstärkter Orientierungslosigkeit, wenn ich dann erst um halb neun Uhr aufwache und wegen der einerseits geistigen Verlangsamung, andererseits besagter Stoffwechselbeschleunigung nicht vor halb zehn verstehe, was ich am Schreibtisch eigentlich (nicht) tue.
Maderna ist sowas von klärend! Wie ein musikalisches Haschisch, momentan. Klarheit kann einen, Freundin, dermaßen träge machen!
Erschwerend kommt hinzu, daß ich, wahrscheinlich bereits gegen Morgen, noch einmal die gesamte Sterbeszene des Taumschiffs nachgeträumt habe, leider aber auch – und absolut einsichtig – derart ergänzt, daß ich mich jetzt an nix mehr erinner. Dabei habe ich ganze Sätze eingefügt. Ich wußte nämlich im Traum den genauen Wortlaut, schob neue Sätze dazu, stellte Absätze um – das Ganze wurde dadurch natürlich furchtbar lang. Irgendwie scheine ich Herrn Lanmeister nicht loslassen gewollt zu haben. Trotzdem war das schlüssig. Jetzt habe ich das Gefühl, nicht rechtzeitig gesicherten Text verloren zu haben, durch den Computerabsturz nämlich meines Erwachens. Geht das auch den Lebensformlern so, daß sie zum Beispiel Verse verlieren, weil sie aufwachen?
Hübsche zwei Sätze bei Pynchon:
(S. 155)
Ich muß mir das merken, falls ich nun doch eine Romanrezension beauftragt erhalten sollte.
So plappert des Katerherbstchens Maul vor sich hin.
Fällt mir nicht eine nette Anzüglichkeit, Freundin, für Sie ein? Ich könnte von der wunder-, wirklich wunderwunderwunderschönen neuen Serviererin, zum Beispiel, >>>> im Beakers sprechen; für uns hier in der Duncker ist das in der Tat ein zweites Wohnzimmer, für mich sogar das erste, weil ich nur das Arbeitszimmer habe:
Bleeding Edge findet übrigens seine computertechnologiche Erklärung: „Kein erwiesener Nutzen, hohes Risiko – etwas, mit dem sich nur Freaks, die immer das Neueste haben müssen, wohlfühlen“ (105). Pynchon muß wahnsinnig recherchiert haben; der Nerd-Slang perlt ihm nur so aus den Fingernspitzen. Und dann fängt er auch noch an, von Oper etwas zu verstehen. Was bedeutet, daß zum Beispiel folgender Witz nur von Operngängern verstanden werden kann: „Keine Frau sollte sich mit einem Regierungsangestellten einlassen, bevor sie nicht mindestens einmal Tosca gesehen hat“ (132). Des unterstreichend Witzige in dieser absolut zutreffenden Aussage ist selbstverständlich das „mindestens“.
Den Mittagsschlaf lasse ich heute ausfallen. Ich kann einfach nicht dauernd im Bett liegen.
Bleiben Sie mir, Freundin, gewogen:
Ihr
ANH
(Bruno Maderna, Notturno)
P.S.: Wegen der Musik noch einmal mein Link >>>> auf die von mir besuchten Konzerte des Herbstfestes – schon deshalb, weil ich da noch richtig seriös geschrieben habe.
[17.03 Uhr.]