Literaturgefluester

2011-05-01

Augenstern

Filed under: Uncategorized — jancak @ 22:38

„Augenstern“ von Harry Mulisch, ein weiterer Bücherschrankfund, wird als Roman bezeichnet, obwohl er das mit seinen hundertdreizehn Seiten wahrscheinlich nicht ist, eine Erzählung vielleicht oder, wie auf der Buchrückseite steht „Der Traum eines Taugenichts? Wirklichkeit? Eine phantastische autobiographische Erinnerung“?
Ich muß gestehen, ein wenig ratlos hat mich das Lesen schon gemacht, da ich eine bin, die immer gleich wissen will, um was es geht und nervös reagiert, wenn die Handlung ins Surreale kippt und es eigentlich nicht zu verstehen ist, wohin Madame Sasserath so plötzlich verschwand. Mit dem Taugenichts habe ich nicht so viel anfangen können und verstehe auch nicht so viel von der Literaturgeschichte, um an Dorian Gray zu denken, wie ich es in einer Besprechung las.
Inzwischen deute ich es mir als eine Parabel auf das Schreiben, stimme Buchkontakte zu, daß es ein feines süffiges Romänchen ist und beginne mit dem Anfang, schreibt Harry Mulisch doch auf der ersten Seite „Jedes Leben hat seine Geheimnisse und diese müssen gewahrt werden.“ Und dann „Zu den Geheimnissen meines Lebens gehört ein Ereignis, das sich zutrug, als ich mit achtzehn Jahren für einige Monate der Augenstern von Mme Sasserath war.“
Dann geht es los mit der Geschichte und kurz nach den Krieg hinein. Es ist der Mai 1945 und der achtzehnjährige Ich-Erzähler ist ohne Papiere und ohne Geld, „wie es damals üblich war“ in den sonnigen Süden aufgebrochen und hat sich in Rom als Tankstellengehilfe verdungen. Da kommt eines Tages ein Rolls-Royce mit einer achtundachtigjährigen alten Dame, Madame Sasserath, die Witwe des Erfinders der Sicherheitsnadel, der sie damit zu der reichsten Frau der Welt machte, und er spricht sie, weil er als Holländer ihr Flämisch versteht, an, hält ihr einen Vortrag bzw. ein Lob auf das Benzin, das sie mit ihrem Rolls-Royce nach Hause bringt. Daraufhin nimmt sie ihn als Gesellschafter mit in ihre Villa in Capri mit den vielen Hausangestellten, Luxushündchen, Rembrandts, Matisses, Cezannes, van Goghs, etc, die an den Wänden hängen und er muß gar nichts tun, als ihr ein wenig vorzulesen und sie unterhalten.
Da habe ich eigentlich mehr an „Harold und Maude“, als an den „Taugenichts“ gedacht, denn der Jüngling will ja schreiben, kann es nur noch nicht, denn noch pauscht er alles auf und schreibt, wo er heute „Es blieb eine Minute lang still“, schreiben würde, ganze Absätze.
Er hat auch einen Widersacher in dem Sekretär Point, verliebt sich vielleicht ein wenig in Madame, geht aber doch in die Stadt hinunter und unterhält eine Beziehung zu einer, um fünf Jahre älteren Töpferin aus Luxenburg, „da die um fünf Jahre jüngeren Frauen erst dreizehn sind“ und freundet sich mit einem amerikanischen Romanautor, einem französischen Philosophen und einen schwedischen Maler an. Es kommt auch der Tag, wo er Madame Sasserath, die nicht schlafen kann, einen wertvollen Dienst erweist. Er bringt ihr nämlich das Träumen bei, da er davon ausgeht, daß „Wer nicht schlafen kann, nicht träumen will.“
Ab da überstürzt sich die Handlung. Madame Sasserath hat noch unter Mussolini der italienischen Regierung einen Sessellift auf den Vesuv versprochen, der nun eingeweiht werden soll und sie will ihn nur in Begleitung ihres Augensterns eröffnen. Sie will auch mit ihm allein hinauffahren und ließ ihn auch die Eröffnungsrede halten. Dann hat er aber auf der Fahrt hinauf eine Erscheinung, kommen doch plötzlich von oben Menschen hinuntergefahren, die ihm bekannt erscheinen, obwohl er sie nicht kennt und als er sich zu Madame umsieht, ist sie verschwunden.
Da hat es wie erwähnt, bei mir ausgesetzt. Es geht aber in dem Buch weiter. Er fährt hinunter, läßt, als ihm der Sekretär des Mords beschuldigt, nach der Leiche suchen, kehrt nach Holland zurück und wird ein berühmter Schriftsteller, denn das Schreiben hat er nun gelernt und die, die in den Sesseln herunterfuhren, waren die Protagonisten seiner späteren Romane.
Nun gut, ich deute es mir als Parabel auf das Schreibenlernen und was das mit dem Verschwinden von Madame Sasserath zu tun hat, bleibt das Geheimnis des Protagonisten, bzw. Autors, so steht es ja auf der ersten Seite.
Das Buch ist offenbar in Amsterdam zwischen dem 3. und dem 24. Dezember 1986 geschrieben worden, so steht es am Ende. Auf Deutsch ist es 1989 erschienen und Harry Mulisch, der 1927 geboren wurde, ist im Oktober 2010 in Amsterdam gestorben. Er hat viele Romane geschrieben, von denen ich bisher nur „Siegfried – eine schwarze Idylle“, die Geschichte um Hitlers fiktiven Sohn gelesen habe, weil mir Alfred das Buch einmal zu Weihnachten schenkte.

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