Literaturgefluester

2011-07-22

Zitronenkuchen für die sechsundfünfzigste Frau

Filed under: Uncategorized — jancak @ 10:25

„Seher Cakir schreibt Geschichten, in denen Frauen in der Türkei oder in Mitteleuropa mit und ohne Migrationshintergrund in einer Welt, die ihnen viel abverlangt, Stärke und Entschlossenheit, Spontanität und Sensibität zeigen“, steht auf der Buchrückseite und es sind starke Geschichte von starken und auch schwachen Frauen, von einer manchmal ganz gemeinen Bruatalität, Melancholie und Wehmut und noch vielem mehr. So beginnt es irgendwo in Anatolien oder anderswo, wo die schwarze Oma unterm Zwetschkenbaum vor der Schotterstraße sitzt und ihrer Urenkeltochter, die Geschichte ihres Lebens erzählt und immer wenn es besonders spannend wird, sie um Ayran schickt.
Fünfzehn oder sechzehn war sie, die alte Oma, als sie eines Morgens aufwachte und ihre Eltern und die elf Geschwister an der Pest verstorben in ihren Betten fand, so daß sie sich aufmachen mußte, um für das Begräbnis zu sorgen und als sie auf der Straße einschlief, wurde sie von einem Mann aufgelesen, der fünfundfünfzig oder fünfundvierzig andere Frauen hatte, der die Familie begrub und sie mitnahm in seinem Harem, wo sie dann den Großvater gebar, der nach dem Tod des Efendis von den drei übergebliebenen Frauen aufgezogen wurde.
Es geht gleich weiter mit Güllü, was „die mit Rosen“ heißt, aber gar nicht so idyllisch ist, denn Güllü wurde in das Nachbardorf verheiratet, wo sie jeden Morgen früh aufstehen muß, obwohl sie doch so müde ist, aber der Mann und die Schwiegermutter treiben sie aus dem Haus und der ganze Körper tut ihr weh von dem Mann, der in sie eingedrungen ist und der sie schlägt, obwohl sie sich doch nur nach einem Leben in der Stadt und der Liebe ihrer Freundin, die ebenfalls verheiratet wurde und nun die Arbeit machen muß, sehnt. Dann geht es in den Migrationshintergrund und da ist eine Frau aus Istanbul weggegangen, wo sie ihren Mann verließ und in Wien eine Tochter auf die Welt brachte, die nun von einem Ticket nach Paris träumt, während sie mit dem Taxi in ein Altersheim voller Schuldgefühle fährt, weil sie doch ihrer Mutter einmal versprochen hat, sie nie in ein Altersheim zu geben, nun fährt sie hin, um mit ihr dort spazierenzugehen, aber auch, um ihr zu sagen, daß sie weggehen wird.
In „Frühstück mit einem Unbekannten“, fährt eine Frau in einem Zug nach Prag um dort ihren Freund zu treffen, während „Sevim und Savas“ die Geschichte mit dem Romeo und Julia Motiv wieder besonders tragisch ist. Die Autorin bekommt sie in einem Cafe erzählt, die Geschichte der sunnitischen Sevim und deren alevitischen Freund Savas, die nicht heiraten dürfen, sich das aber trotzdem schwören und auch, wenn es nicht gelingt, sich im Stadtpark gemeinsam aufzuhängen, nur dann muß Sevim mit dem Eltern in das Heimatdorf, wo sie verheiratet werden soll. Sie läßt sich nicht, sondern geht solange in den Hungerstreik, bis der Arzt mit den Eltern im Krankenhaus schimpft. So fahren sie wieder zurück und Sevim wundert sich keine Antwort von Savas auf ihre SMS zu bekommen, ist er vielleicht doch untreu gewordenß, denkt sie wütend, aber er hat sich ohne sie im Stadtpark aufgehängt, als der Anruf ihres Vater kam, daß er sie vergessen soll…
„In Donnerstag bis Freitag“ muß eine Frau ihrer Freundin, einer Ärztin, deren Haushalt sie offenbar versorgt, sagen, daß sie als Köchin in ein Hotel nach Ägypten geht. Das homosexuelle Motiv und die Frauenliebe dringt öfter durch in den Texten, auch, daß die Frauen bevor sie ins Flugzeug steigen, sich betrinken, ob das wohl die Flugangst der Autorin oder etwas anderes ist?
Schöne, starke Geschichten und ein bißchen fremd, die von Helen beispielsweise, die eigentlich Hülya heißt und von der Mutter zum vierzehnten Geburtstag den rötesten Nagellack und Lippenstift geschenkt bekam, obwohl der Vater schimpfte. Helen ist eine moderne Frau mit einem leider schwulen besten Freund, die keinen Mann findet, weil sie Jungfrau bis zur Ehe bleiben will und er Türke sein soll. Das geht solange, bis sie durch eine Zyste erfährt, daß sie ohne Jungfrauhäutchen geboren wurde, worauf sie spontan beschließt ihr Leben zu verändern.
Im „Der Nußbaum“ schaut Selma teilnahmslos zu, wie ihre Mutter ihr neugeborenes Kind vergräbt und darüber einen Nußbaum pflanzt, während die starke Zehra, die eigentlich Forscherin werden wollte, von ihrem Mann in Dorf verschleppt wird, weil er sie für eine Hure hält und sie dort im Kuhstall mit einem Gewehr erschießt. Nach all dem Elend und der Unterdrückung gibt es aber auch in der Türkei geborene und in Wien aufgewachsene Frauen, die „nur“ an der Melancholie leiden, deshalb ihren Freund und ihren Job verlassen und „Ein Mal nach Lissabon und kein Zurück“ fliegen, weil es dort den Fado und das richtige Wort für ihre Traurigkeit gibt.
Seher Cakir wurde 1971 in Istanbul geboren, kam 1983 nach Wien und hat das Schreiben wahrscheinlich auch in der Schreibwerkstatt von Christa Stippinger gelernt. Jedenfalls wurde sie 2005 Preisträgerin des Literaturwettbewerbs „Schreiben zwischen den Kulturen“. Es gibt die „Mittwochgedichte“, ein Portrait in den „Tonspuren“, wo sie über ihre austro-türkische Identität erzählt, ein Wiener-Wortstätten-Stipedium, wo das Theaterstück „Sevim und Savas“ entstand und 2008/2009 ein Staatsstipendium für Literatur.
Der Kurzgeschichtenband ist 2009 in der Edition Exil herausgekommen, wer wissen will, wie es jungen austro-türkischen Frauen gehen kann, sollte ihn unbedingt lesen und es ist wiederum sehr schade, daß ich zwei Jahre zum Besprechen brauchte, aber ich lese ja nicht so gerne Kurzgeschichten und Sehr Cakir hat bei der Präsentation vor zwei Jahren ohnehin die meisten Geschichten zumindestens angelesen.

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