Literaturgefluester

2012-05-20

Wir fliegen

Filed under: Uncategorized — jancak @ 08:36

Peter Stamms Erzählband „Wir fliegen“, habe ich vorigen Juni bei Morawa um einen Euro gekauft, weil ich den Namen, des 1963 geborenen Schweizer Autors, von verschiedenen Buchpreislisten kannte, auf denen er gestanden ist.
2009 zum Beispiel auf der Longlist für den dBP mit seinem Roman „Sieben Jahre“.
20011 war er mit dem Erzählband „Seerücken“ für den Leipziger Buchpreis nominiert und sein Roman „Agnes“ war unter den Büchern, die der deutsche Börseverein zum Welttag des Buches verschenkte, literaturcafe.de berichtete davon.
Jetzt habe ich den Erzählband gelesen, über den Martin Krumbholz von der bayrischen Rundschau schreibt „Peter Stamm zeigt, daß die alltäglichsten Geschichten, die aufregensten sind, weil wir uns in uns wiedererkennen“
Und das stimmt oder stimmt nicht, weil nicht immer ganz klar ist, ob in den zwölf Erzählungen wirklich nur Alltägliches passiert, in manchen von von ihnen passiert sehr viel Ungewöhnliches, dann bleibt aber wieder viel offen, wird ausgespart und es sind die Banalitäten, mit denen die Geschichten enden. Um Beziehungen geht es aber in allen von ihnen. Der Klappentext schreibt noch etwas „von Momenten, die alles verändern und die Welt in einem anderen Licht erscheinen läßt“.
Ein wenig geheimnisvoll und ungewöhnlich sind sie schon die Erzählungen.
In „Die Erwartung“ hat eine holländische Kindergärtnerin ihre Kolleginnen zum Essen eingeladen, sie hat keinen Freund und fühlt sich ihnen, die in Paarbeziehungen leben, unterlegen, da hört sie plötzlich Schritte aus der Wohnung oben, in der eine alte Frau lebt, die sie nie gesehen hat. Jetzt hat sie schon länger nichts von ihr gehört. Also geht sie nach oben und läutet an. Es öffnet ein sehr viel jüngerer Mann und es bahnt sich eine Beziehung zwischen ihnen an, die sehr geheimnisvoll bleibt und undifferenziert endet. Oder die Geschichte „Fremdkörper“ Da hält ein Höhlenforscher einen Vortrag und wird von einem Paar angesprochen und in ihre Wohnung mitgenommen, er soll er dort auch schlafen und mit ihnen später eine „Nirvana“ genannte Höhle besuchen. Der Mann geht schlafen, der Höhlenforscher bleibt bei seiner viel jüngeren Freundin zurück, um Todesangst geht es dabei auch.
„Drei Schwestern“ heißen die Berge, die Heidi vor ihrem Fenster sieht und die wollte einmal Malerin werden, ihre Eltern waren dagegen, die Zeichenlehrerin animierte sie aber dazu, sich in Wien an der Akademie anzumelden, sie suchte auch mit ihr die Bilder aus, es passierten offenbar homoerotische Momente, so daß die, denen Heidi ihre Zeichnungen zeigt, sie als Mösen bezeichnen. So traut sie sich nicht mehr nach Wien zu fahren, steigt in Innsbruck aus dem Zug, gerät in das Zimmer eines Mannes, von dem sie dann ein Kind bekommt, ihn heiratet und später wieder zu zeichnen beginnt.
Der Wahnsinn wird in der Geschichte „Die Verletzung“ thematisiert, da geht es um einen Dorflehrer, der in der Schule keine Anerkennung findet und von seiner Jugendliebe, deren Mutter wahnsinnig wurde, verschmäht wird. So beginnt er seine ganze Wohnung zu verheitzen und sein Auto im Schnee stehen zu lassen. Ganz schön beklemmend und unheimlich, vor allem in der Art, wie erzählt wird.
„Das Pflaster“ ist auch so eine Geschichte, wo man am Ende nicht weiß, wie aufregend sie wirklich war. Bruno ist Nachtportier und wohl in seiner Ehe sehr gelangweilt, er ließ sich ein Melanom entfernen und wartet nun auf den Befund. Das tut er in seinem Hotel und während er seine Frau beruhigt, daß alles harmlos ist, durchlebt er Stunden der Todesangst.
Die Titelgeschichte ist ähnlich kryptisch, symbolhaft angedeutet. Da wird ein Kind im Kindergarten nicht abgeholt. Die Kindergärtnerin nimmt es mit nach Hause. Dort ist ihr Freund und will Sex von ihr, sie geniert sich aber vor den Kind, so daß er Freund mit ihm Flugzeug spielt. Später ruft die Mutter an und alles ist in Ordnung und das Paar wieder allein.
„Videocity“ schildert auch eine sehr unalltäglich Welt eines Verfolgten und der „Brief“ hat mich sehr berührt. Da wird in schlichten Andeutungen viel erzählt. Eine Frau wird Witwe, entsorgt die Sachen ihres Mannes und findet dreißig Jahre alte Liebesbriefe, die sie verletzen, da die Geliebte, dem Mann Sachen schrieb, die sie ihm, da sie nur „Postkarten schrieb, die auch der Postbote lesen konnte“, nie sagte und während die Enkeltochter fragt, ob der Großvater im Himmel ist und eine Exfreundin ihres Sohnes erzählt, daß sie auch die Geliebte eines verheirateten Mannes ist, will sie ihr erst raten, die Beziehung aufzugeben, dann zerreißt sie den Brief und schreibt einen ihren Manfred „mit Sätzen die sie vorher nie geschrieben hat.“
So geht es weiter in den zwölf Geschichten, eine ist ein bißchen übersinnlich, wo der Pfarrer vom Land, in seiner Gemeinde, die nicht in die Kirche geht und die er für Kommunisten hält, plötzlich eine Jungfrau hat, deren Kind vom lieben Gott gezeugt wurde, wie sie behauptet, sie wird seine Köchin, er hält ihren Bauch, die Gemeinde will von ihr gesegnet werden und die Kirche ist plötzlich voll und da das Kind ein Mädchen wurde, kann es auch nicht „Jesus“ heißen.
Sprachlich sehr anspruchsvoll, die zwölf Beziehungsgeschichten vom Großen und vom Kleinen, der Erotik und dem Alltäglichen und so ist das Leben wohl auch, sowohl banal als auch kompliziert, man wird betrogen und betrügt, vergißt seine Kinder manchmal auch im Kingergarten und dann werden sie doch abgeholt.

2 Kommentare »

  1. Ich bin ein großer Fan von Peter Stamm, seit dem ich vor einigen Jahren den Roman „Agnes“ von ihm gelesen habe. Ich habe mich anschließend durch sein restliches Werk gewühlt und freue mich auch heute immer noch über eine neue Veröffentlichung von ihm. Peter Stamm erzählt häufig sehr ruhig, unaufgeregt und doch vermittelt seine Sprache eine ganz besondere Atmosphäre. Ich hoffe, dass du noch in den Genuss weiterer Bücher von ihm kommen wirst.

    Kommentar von buzzaldrinsblog — 2012-05-20 @ 11:58 | Antworten

  2. Ja, das stimmt mit der unaufgeregten Erzählweise, wo man nicht genau weiß, ist da jetzt ein Ehebruch, etwas ganz Furchtbarres oder doch nur eine sogenannte Banaliltät des Alltagsselebens passiert und das ist ziemich einzigartig, denke ich.
    Das ich noch mehr Stamm zu lesen bekomme hoffe ich auch, vielleicht habe ich Glück und es stellt einer oder eine „Agnes“ in den Bücherkasten, es gibt ja sehr viele Deutsche bei uns in Wien

    Kommentar von jancak — 2012-05-20 @ 15:44 | Antworten


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