Literaturgefluester

2012-09-16

Die letzte Welt

Filed under: Uncategorized — jancak @ 11:01

Christoph Ransmayr beschreibt in seiner 1988 erschienen „Letzten Welt“, könnte man sagen, Ovids „Metamorphosen“ neu oder versetzt sie in die schwarz weiß Szenerie der italienischen Filme der Fünfzigerjahre, denn in dem Tomi, in das der Römer Cotta kommt, um nach dem aus Rom verbannten Dichter Naso zu suchen, er torkelt dabei aus dem Schiff, das ihn hinbringt, bleibt dann in der eisernen Stadt bewegungslos liegen, bevor er sich in das von dem Seiler Lyacon gemietete Zimmer zurückzieht, gibt es Busse, einen Krämer mit Konservendosen, einen Brandtweinladen, Glühbirnen und jedes Jahr im August erscheint auch ein Filmvorführer, der im oder vor dem Schlachthaus, einen anderen Ort für Filmvorführungen gibt es in der verfallenen Stadt nicht, die Tragödien der Weltgeschichte vorführt und in dieser Stadt am schwarzen Meer, in die der Dichter, der „Metamorphosen“, verbannt wurde, tauchen auch die Figuren, auf die dort vorkommen. Der Schlachter, der Totengräber, die Seherin und natürlich auch Pytagoras, der Grieche, bei Ransmayer, Nasos Knecht, den er in Nasos Haus auch findet und ihn zuerst für den Verbannten hält, aber der ist auch aus der eisernen Stadt verschwundenen und nach und nach kommt man in die Geschichte, in den Roman hinein, mit dem Ransmayer berühmt geworden ist und der, glaube ich, nicht nur durch seine sehr genaue bildreiche Sprache, sondern auch durch die Art, wie er die FIction mit der Historie zu verweben weiß, besticht.
Von dem 1954 in Wels Geborenen, habe ich wahrscheinlich in den späten Achtzigerjahren etwas gehört, als ich in dier Gumpendorferstraße gesessen bin und mich an der Martha, „Zwischen Hütteldorf und Heiligenstadt“ und an den „Hierarchien“ versuchte, habe von den Ruhm des fast Gleichaltrigen gehört und das, was ich als Textproben mitbekommen habe, für eher langweilig gehalten, so daß ich das Buch, das ich schon vor längerer Zeit im offenen Bücherschrank gefunden habe, zwar ins Badezimmer zum Lesen legte, als ich meine „Hundert Bücher Liste“ machte, es wieder zurücklegte und dann doch auf die von 2012 setzte. Inzwischen habe ich nicht nur im Radio Textproben aus der „Letzten Welt“ gehört, sondern auch den Dichter mehrmals lesen gehört, habe nun mit der „Letzten Welt“ begonnen und bin, was mir ja nicht sehr oft passiert, von dem Buch und der Art, wie hier Geschichte neu geschrieben wird, fasziniert. Ich kenne mich ja in den römischen und griechischen Mythologien nicht sehr aus, sie interessieren mich auch nicht besonders, da ich eher eine Sozialkritische bin, die die Welt und ihr Elend im Hier und jetzt begreifen will. Trotzdem kommt man, wenn man sich gleichzeitig auch für Literatur interessiert nicht darum herum, hat ja auch einmal Marie Therese Kerschbaumer in der Alten Schmiede von Naso Publius Ovidius sehr geschwärmt. Also vor ein paar Tagen pflichtbewußt zu lesen begonnen und dann in den Sog hineingezogen worden, obwohl es anfänglich ein wenig mühsam war, sich in der Geschichte auszukennen. Ransmayer, der das Buch mit einem Elias Canetti Stipendium geschrieben hat, erleichtert es aber dem Leser durch einen Anhang, in dem er die Gestalten der „Letzten“, denen der „Alten Welt“ gegenüberstellt und so komme ich nicht umhin, seine Neudeutung phaszinierend zufinden, obwohl er in den fünfzehn Kapiteln nicht sehr viel erzählt und dann doch wieder und das vor allem, ich wiederhole es, in einer sehr genauen Sprache und da werden 1988 ganz erstaunlicherweise auch die Schlepper beschrieben, die den armen Gestalten in Rom die Schönheiten Odessas beschreiben, ihnen ihr letztes Geld abnehmen, um sie ins Zwischendeck zu zerren und sie in die Elendsstädte zu schiffen, wo sie dann in die Wälder flüchten und verslumen.
War man 1988 schon so hellsichtig, ich, die Realistin wahrscheinlich nicht, Ransmayer hat beschrieben, was bei Linda Stift beim Bachmannlesen angeprangert wurde und wenn der Sohn der Krämerin versteinerte, nachdem sich der Epileptiker so in ihr Episkop verliebte, daß er sich weigerte, den Vorführraum zu verlassen, so daß ihm die Mutter sogar das Essen in die Stube bringt, habe ich an die Schulverweigerer und an Milena Michikos Flasars Roman gedacht, der jetzt auf mehreren Listen steht.
Aber Ransmayer wollte uns vielleicht nur die „Metamorphosen“ näher bringen und davon erzählen, daß der Dichter Naso von Kaiser Augustus ans schwarze Meer verbannt wurde. Der Römer Cotta geht ihn suchen, trifft dort seine Figuren wieder, so zum Beispiel die schöne Echo, die Magd des Seilers, die sich auch als Dorfhure verdingt, sie hat einen Hautausschlag, sonst ist sie sehr schön und sie erzählt ihre Geschichte, in dem sie die Worte der anderen wiederholt. Naso, der seine Werke, bevor er in die Verbannung ging, in Rom verbrannte, hat sie ihr aus dem Feuer wiedererzählt und auch eine Verwandlung der Menschen in Steine angekündigt. So beginnt Cotta das Buch der Steine zu schreiben, Echo verschwindet aber, wie auch der Seiler, den Cotta schon einmal in einem Wolfskostüm trifft. Cotta, der fürchtet verrückt zu werden folgt Nasos Spuren bis Trachila. Dort erscheinen ihm auch Naso und Pytagoras als Visonen und einen Wolfskadaver findet er auch. Er kehrt in die Stadt zurück und bringt Nasos Worte, die Pytagoras aufgeschrieben hat, mit, um sie im Seilerhaus, das ihm jetzt allein gehört, aufzuhängen. Die Krämerin erzählt ihm manche Geschichte, der Asylanten, die sich in Tomi niedergelassen haben, die des Totengräber und des Schlachters beispielsweise, der hat die Schwester seiner Frau verstümmelt und als die aus Rache den gemeinsamen Sohn tötet, will er das auch bei den beiden Frauen versuchen, aber die verwandeln sich in Vögeln und fliegen aus dem Haus.
Eine perfektere Vermengung der Fiction mit der Geschichte habe ich noch nicht gefunden. Die Buch wirkt sehr lebendig und trotz dem Fünfzigerjahrecharms, in die Ransmyer, die römischen Ruinen versetzt, erstaunlich modern, wie ich schon an den obigen Beispielen zu beschreiben versucht habe.
Bei Wikipedia kann man etwas finden, daß die Rumänen ihren Diktator in Augustus oder Nero wiederfanden, worüber sich Ransmayer gefreut haben soll und, daß Hans Magnus Enzensberger das Buch buschte und ein Hinweis, der für Interessierte vielleicht zu spät kommt, beim gestrigen Augustin Bücherflohmarkt in der Reinprechtsdorferstraße gab es die Hardcover Ausgabe, ich habe ein Fischer TB gelesen.

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