Von Michail Schischkin und seinem Roman „Venushaar“ habe ich das erste Mal etwas gehört als er 2011 in Frankfurt auf dem „Blauen Sofa“ saß, dann las er daraus bei der „Literatur im Herbst“ etwas vor.
2012 wurde sein Roman „Briefsteller“ auf dem „Blauen Sofa“ vorgestellt und diesen Sommer lag „Venushaar“, der Roman der zuerst in Russland sehr erfolgreich war und dessen in der Schweiz lebender Autor mit Bulgakow, Tolstoi, Puschkin, Nabokov,etc, verglichen wird, was ich damals noch nicht so wußte, in der „Morawa-Abverkauf-Kiste“ und jetzt habe ich das fünfhundertfünzig Seiten Buch auf drei Tranchen in der Badewanne gelesen, um es noch in diesem Jahr zu schaffen, das ganz harmlos und realistisch beginnt.
Denn da gibt es ja einen Dolmetscher, der, wie der 1961 in Moskau geborene Schischkin selbst, bei Asylwerbern dolmetscht und die Fragen und die Antworten „Warum sind Sie in die Schweiz gekommen, warum wollen Sie Asyl beantragenß“, etc, werden angeführt, bevor das Ganze auszuufern beginnt und, wie im Klapppentext steht, „Ein Jahrhundert russischer Geschichte eingebettet in das Leben des Dolmetschers mit Verweisen, Allegorien, Metaphern im Kosmus der gesamten Weltliteratur erzählt.“
Auf den letzten Seiten gibt es einen Anhang, wo man ein bißchen nachlesen und sich zu orientieren versuchen kann, denn Schischkins Ideereichtum ist wirklich ausufernd und macht es der Lesenden nicht leicht, gibt es doch keine Kapitel, keine Teile, keine Überschriften, die verschiedenen Erzählstränge gehen ineineinander über und der Dolmetscher hat nicht einmal einen Namen, obwohl er auch aus seinem Leben erzählt.
Am Anfang steht etwas, daß der Verwaltungsbeamte, der sich die Fragen übersetzen läßt, Peter heißt und Petrus ist ja auch der mit dem Himmelschlüßel an der Himmelsstür, der den dort Eintretenden die Tore öffnet, der Verwaltungsbeamte verschließt sie den Asylsuchenden oft genug, indem er etwas in ihren Akt stempelt und die gehörten Geschichten nicht glaubt, etc.
Die Ebenen werden auch sehr rasant gewechselt, da liest der Dometscher dem Asylwerber zuerst die Regeln vor und dann wird in dem Frage-Antwortspiel, das Leben russischer Polizisten, Soldaten bei den Einsätzen in Tschetschenien, etc, erzählt, bevor man erfährt, daß der Dolmetsch früher Lehrer war und die Biografie einner russischen Romancesängerin namens Isabella Jurewa, 1899 in Rostow am Don geboren wurde, schreiben sollte, als er sie aber besuchen will, ist sie im Krankenhaus und schließlich stirbt sie auch im Jahre 2000, was der Realität entspricht und man nachgooglen kann.
In weiteren wird viel aus dem Leben an Hand von Briefen und Tagebuchauszügen dieser Sängerin erzählt, die den ersten Weltkrieg als Gymnasiastin erlebte, sich verliebte, die Untreue ihres Vaters miterlebte, etc.
Der Dolmetscher wohnt in einem Haus nahe dem Friedhof, wo die Mieten billig sind, so daß außer ihm nur alte Leute dort wohnen und so fliegen auch öfter Gegenstände aus den Fenstern und als er nachschauen will, wer das tut, öffnet ihm eine alte Frau.
Von solchen Einfällen und Momentaufnahmen lebt das Buch. Es geht auch um die gescheiterte Liebe des Dolmetschers zu seiner Isolde, sie hat ihn mit seinem Kind verlassen, vorher hatte sie einen Liebsten namens Tristan und als sie in Rom waren, spionierte er in ihrem Computer und fand heraus, daß immer, wenn Isolde mit ihm unglücklich war, sie sich über ihn bei Tristan beschwerte, so daß er auf ihn eifersüchtig wurde und den Aufenhalt mit ihr in Rom nicht mehr genießen konnte.
Schließlich ist er allein in Rom, wohnt im „Instituto Schwizzero“ und triff seine alte Lehrerin, die die Kinder liebte, sie jede Woche in ein Museum führte und ihnen von Janusz Korczak erzählte, die das alte Fräulein aber haßten, wieder und das Ganze löst sich in einen vielstimmigen Gesang auf das Leben, auf das verlorene Paradies, auf die Liebe, etc, auf.
„Und ihr Bräutigam ist das Venushaar. Der Tag bricht an. Auf der spanischen Treppe türmt sich der Müll von gestern. – Wo seid ihr? Mir nach! Ein Kräutlein will ich euch zeigen, ein grünes, grünes Gras!“
„Zürich-Rom 2002-2004“, steht dann noch darunter.
Ein schwer oder auch leicht zu lesender Roman, leicht durch die Musikalität der Sprache, schwer durch die verschienensten Anspielungen, Metaphern, Hin- und Hersprünge, Querverweise, etc, die man auch trotz der Hilfen im Anhang, wahrscheinlich nicht ganz nachvollziehen kann.
„Ein komplexes, monomental angelegtes, philosophisch wie ästehtisch nach den Sternen greifendes Buch von einem der originellsten Autoren der russischen Literarurszene“, schreibt so auch die „Neue Zürcher Zeitung“ auch auf dem Buchrücken.
„Venushaar“ hat auch einige Literaturpreise bekommen und ist inzwischen in allen wichtigen europäischen Sprachen übersetzt und ich habe das Lesen, trotz der oben angeführten Schwierigkeiten genossen, habe ich von 2007 bis 2008 doch auch Asylwerberdiagnostik gemacht, so daß ich zumindest den realistischen Fragenteil nachvollziehen kann.
2013-12-30
Venushaar
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