Literaturgefluester

2013-10-26

Der Kopf meines Vaters

Filed under: Uncategorized — jancak @ 00:22

Von der Hietzinger Selbst- und Verlagspublischer Messe am Sonntag, habe ich mir „Der Kopf meines Vaters – Wien von der NS- Zeit bis zur Gegenwart – Eine Zeitzeugin erzählt“ mitgenommen, das mir Luis Stabauer, der die Interviews mit Maxi Plotnarek, führte, freundlicherweise für das „Literaturgeflüster“ zur Verfügung stellte, denn die Zwischenkriegszeit, der zweite Weltkrieg, etc, interessieren mich ja sehr, umso mehr da ich vor kurzem einen Wien-Roman über das Jahr 1937 gelesen habe, wo die Protagonistin in der Reiss-Bar Sekt trink und sich bei Sigmund Freud auf die Coutch legt, etwas, was es natürlich auch gegeben hat und interessant ist, aber es gibt ja auch das proletarische Wien, die Widerstandskämpfer, die Arbeiterbezirke Ottakring und Favoriten und von der Arbeiterliteratur der Zwischenkriegszeit hat uns ja Irene Wondratsch beim „Kulturpolitischen Arbeitskreis“ am Freitag einiges erzählt.
So interessiert mich natürlich das Schicksal der „Zeitzeugin“ von Maxi Plotnarek, die 1932 in Ottakring geboren wurde und 1955 einen Peter Machalek heiratete und heute im Gustav Klimt-Pensionistenhaus wohnt, wie in dem Buch steht.
Der 1950 in Seewalchen geborene Unternehmensberater, Couch und Autor Luis Stabauer, der seine Bücher auf der Verlagsmesse ausstellte, die Leondinger Akademie besuchte und Lesungen im Rahmen des Literaturkreises „Textmotor“ hält, hat mit der alten Damen, deren Eltern Widerstandskämpfer waren und deren Vater, Franz Plotnarek, 1943 von den Nazis im Landesgericht Wien geköpft wurde, Interviews über die NS-Zeit bis zur Gegenwart geführt und das 2009 bei „Acabus“ erschienene Buch in die Abschnitte „Kindheit, Jugend, Jahre bis 1968“ und „Gegenwart und Rückschau“ gegliedert.
Anhänge mit Berichten von berühmten Zeitzeugen wie Bruno Kreisky, Christian Broda und Ruth Mayenburg, das ist die Frau von Ernst Fischer, gibt es auch und am Buchrücken eine Würdigung der Parlamentspräsidentin Barbara Prammer.
Eine, die Ottakring ganz gut kennt, weil die Großmutter in den sogenannten Jubeläumshäusern wohnte und 1912, der sich ebenfalls sozialistisch betätigende Vater, dort geboren wurde, ist es ein sehr interessantes Buch, noch dazu, wo ich vorher weder von einem Franz noch von einer Maxi Plotnarek etwas hörte und auch bei Google, außer Luis Stabauers Buch, nicht viel fand.
Die Maxi, eigentlich Grete, damals ein Modename, meine beiden Tanten, die Schwester meines Vaters, als auch die, meiner Mutter, hießen ebenfalls so, ist also in Ottakring, einem Arbeiterbezirk, ziemlich behütet aufgewachsen. Die Eltern Franz und Anna hatten eine Putzerei. Eine Bedienerin gab es auch. Maxi hat sie in der Wäscherei nicht mithelfen müßen, ist aber viel im Keller herumgelaufen und auf der Straße mit einem Roller gefahren, wofür sie von den anderen Kindern sehr bewundert wurde und Maxi wurde sie gerufen, weil an ihr ein „Max“, ein schlimmer Bub, verloren gegangen ist.
Es gibt auch ein paar Fotos, die die Eltern vor der Putzerei, etc zeigen. Maxi war mit der Erziehung ihrer Eltern sehr zufrieden und wußte, als dann die Nazis kamen und sie schon zur Schule ging, sehr genau, was sie erzählen durfte und was nicht, ohne daß ihr das die Eltern sagen mußten. Der Vater war in einer Widerstandsgruppe und wurde von einem eingeschleusten Mitglied denunziert, die Mutter, die gerade einen Buchhaltungskurs an einer VHs besuchte, entging der Verhaftung, obwohl sie gerade an diesem Tag illegale Flugzettel in der Tasche trug.
Sehr beeindruckend finde ich die Stelle, wo die kleine Maxi immer wieder den „Mittersteig“, heute eine Strafanstalt für abnorme Rechtstäter, damals wahrscheinlich ein „ganz normales“ Gefängnis, besucht, wo der Vater inhaftiert ist, weil sie weiß, daß sie ihn sehen kann, wenn er dort Lastwagen ausladen muß und die Wächter rufen „Geh, führts den Plotnarek wieder hinaus, damit die Kleine heimgeht, die erkältet sich noch da draußen!“
Maxi hat dann, obwohl sie die Tochter eines Hingerichteten war, ein Gymnasium besucht und ist später Kindergärtnerin geworden. Sie ist nach dem Krieg der KPÖ bei und 1968 wieder ausgetreten, hat 1955 geheiratet, zwei Kinder bekommen und ist nach Hietzing gezogen.
1968 endet der erste Teil, in dem Luis Stabauer, Maxi Plotnarek sehr anschaulich erzählen läßt und auch immer wieder behutsam nachfragt.
Im zweiten Teil wird dann von dem Pensionistenwohnhaus erzählt, in das Maxi Plotnarek mit ihren Mann Peter, der inzwischen verstorben ist, zog. Sie ist sehr begeistert von der Möglichkeit rundum betreut zu sein und trotzdem genügend Taschengeld zu haben und eine freie Frau zu sein, die machen kann, was sie will. Sie erzählt von den Freunden, die sie in dem Haus getroffen hat und, daß man zum Frühstück erscheinen muß, sich sonst aber das Essen aufs Zimmer bringen lassen kann und, daß sie Angst hat, mit manchen alten Leuten über die Zeit des Widerstands zu reden, denn vielleicht waren das Nazis, die ja auch noch leben werden.
Ein sehr interessantes Buch, das sehr gekonnt das Alte mit dem Neuen verbindet und man viel von einer Jugend in der Zwischenkriegs- und Nazizeit und auch von dem sozialistischen Aufstieg und späteren Wohlstand erfährt.
Mit der heutigen Zeit ist die Maxi nicht mehr so zufrieden und ich finde es köstlich, wie sie beschreibt, daß man zwar seine Kinder nicht mehr schlagen darf, „was natürlich völlig in Ordnung ist“, aber wenn die dann jemanden erschlagen und sagen, „Ich war halt so aggressiv und mußte das abbauen!“, kann das doch auch nicht sein.
Luis Stabauer liest übrigens am 13. November um 19 Uhr in der „Sargfabrik“ in der Goldschlagstraße 169, 1140 Wien, wo man ihn kennenlernen und sich wahrscheinlich auch über sein Buch informieren kann.

1 Kommentar »

  1. Danke!
    Eine sehr empathische Beschreibung.
    Bin auch von Ihrer Vielfalt und dem riesigen Umfang in Ihrem Blog beeindruckt.
    Mit herzlichen Grüßen, Luis Stabauer

    Kommentar von Luis Stabauer — 2013-11-04 @ 19:11 | Antworten


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