Eigentlich habe ich ja ein Jungendbuch von Magda Szabo nach Bük mitnehmen wollen, dann habe ich das in der Schnelligkeit in meinen Bücherstößen, die im Schlafzimmer an der Wand aufgereiht sind, nicht gefunden und bin stattdessen auf die „Englische Flagge“, Erzählungen des Nobelpreisträgers von 2002, Imre Kertesz gestoßen und damit einen guten Griff getan, denn die drei Geschichten sind sehr politisch und dadurch für mich äußerst interessant. Bei der „Eine Stadt- ein Buch Aktion“ hat es einmal eine Drehbuchfassung des „Roman eines Schicksallosen“ gegeben, die mich nicht so begeistern konnte.
Jetzt bin ich sehr interessiert in der Badewanne gelegen und habe erfahren, wie ein wahrscheinlich Traumatisierter, aus Auschwitz zurückgekommener junger Mann, das Nachkriegs-Budapest erlebt. Der Ich-Erzähler, nun ein älterer Mann, wird von seinen Schülern gedrängt, doch von der „Englischen Flagge“ zu erzählen und tut das auch mit vielen Drehungen und Wendungen. Weiß er doch nicht, wo er damit anfangen soll? Bei Richard Wagner oder seinem eigenen Leben, aber ein ganzes Leben nachzuerzählen ist unmöglich. Nicht nur aus Platzgründen, sondern, weil man es selber wahrscheinlich nicht so gut kennt. So beginnt er, als er zwanzig war. Ein Jungjournalist und sich das Budapest, das er aus seinen Kindertagen kannte, sehr verändert hat. Die Redaktion in der er arbeitet, hat das auch, es gibt Fleischmarken in der Stadt, kein Fleisch dazu. Aber ein Hotel, das den Besatzern gehörte, da gibt es Fleisch zum doppelten Preis. So ißt der Jungjournalist, der schon nicht mehr viel von den Menschen und vom Leben hält, manchmal dort ein Schnitzel auf Vorschuß, bevor er in seine Redaktion geht. Die Jungjournalisten müßen dort zur politischen Schulung. Die wird von einem wichtigen Redakteur gehalten und es ist wahrhaft brillant, wie der Nobelpreisträger das „Show not tell!“, versteht, so als hätte er diese amerikanischen Writingseminare besucht.
Hat er wahrscheinlich nicht, aber der Redakteur schwitzt bei seinem Vortrag, hat einen roten Kopf und tritt immer wieder auf den Balkon hinaus, um auf die Straße hinauszusehen. Nachher läßt er sich viel Zeit mit der Verabschiedung, hört gar nicht zu reden auf und als der Jungjournalist schließlich auch auf den Balkon hinausgeht, sieht er den Wichtigen gerade auf die Straße hinauskommen. Dort steht ein schwarzes Auto und zwei schwarzgekleidete Herren geleiten ihn höflich hinein. Das ist der Anfang vom Schrecken, vielleicht schon das Ende oder sind wir mittendrin? Der Jungjournalist hat wahrscheinlich schon viel erlebt und beschreibt die Typen in seiner Redaktion auch großartig. Da gibt es ein siebzigjähriges Männchen, einen Stenographen, der versucht seine Schwerhörigkeit zu verbergen, damit er nicht in Pension geschickt wird, als ob es nicht andere Probleme geben würde, der fragt den Jungredakteur für welches Theater er Freikarten haben will? Der entscheidet sich für die „Walküre“, obwohl Wagner gerade in Ungnade gefallen war und die Panzer rücken in Budapest auch gerade an.
Vorher fährt aber ein Auto mit der englischen Flagge vorbei und so ist diese Geschichte, zur Mahnung für die Jüngeren, die Nachwelt, am Geburtstag des Älteren, endlich erzählt.
Vorher gibt es aber noch eine Stelle wo dem Jungjournalisten ein Buch von einem Schriftsteller bzw. Journalisten in die Hände kommt, der einen Roman geschrieben hat, wo der Protagonist sowohl eine Beziehung zu einer feinen reichen Dame als auch zu einer armen Parfumverkäuferin hat und ich dachte, das kenne ich, das habe ich schon bei meinem vorvorigen Ungarnaufenthalt gelesen. Dann fällt ein paar Seiten weiter der Name Ernö Szep, der erwähnte Roman scheint zwar „Adamsapfel zu heißen, aber Szerb schreibt Kertesz, hätte sich damals immer nur mit „Ich war Ernö Szep!“, vorgestellt.
In der zweiten, dem „Spurensucher“ wird es dann kafkaesk und surreal, tritt da ja auf fast hundert Seiten, ein Abgesandter auf, der sich in eine Stadt aufmacht und dort die verschiedensten Erfahrungen und Begegnungen hat.
Auch surreal aber trotzdem realistischer ist dann die dritte, das „Protokoll“, denn da scheint imre Kertesz von sich und seinen Erfahrungen von 1991, also nach der Wende zu erzählen, wo er für ein paar Tage nach Wien fahren will, um für eine Übersetzung, bzw. ein Stipendium alles zu ordnen. Er hat einen Termin beim Ministerialrat U(ngar) im Ministerium, eine Platzkarte für den internationalen Zug und Viertausendschillig, weil er die aber nicht richtig deklariert, muß er sie abgeben, an der Grenze aussteigen und darf nur mit einer Sondergenehmigung der grauen Herrn, den internationalen Rückzug nehmen, aufzahlen muß er dafür auch.
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