Es ist nicht leicht zu verstehen, das Textprojekt über die Folgen von Mißverständnissen, von Ruth Aspöck, wie am Buchrücken steht.
Eigentlich ist es eine Art Entwicklungsroman, die Geschichte von Jeremy-John, des Mannes aus gutem Haus, in dessen Leben Bücher eine große Rolle spielen. Man gab ihm vor jeder Mahlzeit zwei, die er sich unter die Oberarme zu klemmen hatte, bevor er zum Besteck greifen durfte.
Dann gabs noch eine Heerschar von Erziehern, die um den Heranwachsenden herumschwänzelten und ihm alle seine Wünsche nur ein wenig später erfüllten, weil ein Kind aus gutem Haus das Warten lernen muß, bzw. ihm erklärten, daß er sich von den Kindern, die sich außerhalb des ummauerten Parks befanden, fernzuhalten hat.
„Aha“, denkt man und an das vorvorvorige Jahrhundert. Dann fährt Jeremy-John aber mit dem Auto seines Vaters, später mit dem Fahrrad in die Schule und man erkennt, daß die Geschichte in der Jetztzeit spielt.
Der junge Mann aus gutem Haus studiert zuerst Rechtswissenschaft, reist viel herum, wird Redakteur und Schriftsteller, beginnt sich politisch zu betätigen, hat große Ideen von Rebellion und Weltverbesserung im Kopf, obwohl er, wohl wegen seiner verkorksten Erziehung, distanziert und einsam, nur das Allernotwendigste spricht und mit sich selber Domino spielt.
Trotzdem gibt es Beziehungen in seinem Leben, zuerst die Tanzpartnerin Johanna, dann noch eine junge Frau, die er als Jus-Student kennenlernt, später heiratet er Sonja, bekommt von ihr einen Sohn und eine Tochter, beginnt in der Erziehung der Kinder völlig zu versagen, so daß Sonja mit ihnen in den ersten Stock der großen Villa zieht, während Jeremy unten bleibt, wo er von Gelegenheitsaufträgen als Redakteur, einem nächtlichen Postzusatzjob und der Pflege des großen Gartens lebt.
Die Verständnisschwierigkeiten und Ungereimtheiten, das Kannitverstan, das aus einer Novelle von Peter Hebel stammt, aus der jedem Kapitel ein paar Zeilen vorangestellt werden, ziehen sich durch das ganze, ebenfalls sehr distanziert und bedächtig geschriebene Buch, in dem eine Unzahl von Personen und Ideen vorkommen, bzw. angerissen werden.
Ein Thema ist die Schrulligkeit und Lebensuntüchtigkeit des Helden, der mit seiner Umwelt nicht zurecht kommt, sich von ihr kontrolliert und verfolgt fühlt, aber dennoch große Veränderungs- und Verbesserungspläne schwingt.
So gründet er beispielsweise eine Leihbibliothek in einer ehemaligen Bank, um die Welt zu verbessern oder plant, während seine Seele vollends eingekapselt ist, die Menschen in Modellpartnerschaften zusammenzubringen.
Romanpläne gibt es auch, spielen doch Bücher im Leben des Mannes aus gutem Haus, der sich schon als Kind am liebsten in der Bibliothek der Eltern aufhielt, eine große Rolle und es sind drei bekannte Werke aus der Weltliteratur, die ihn durchs Leben begleiten:
Eichendorffs „Leben eines Taugenichts“, Thomas Morus „Utopia“ und Mark Twains „Huckleberry Finn“ .
So geht es hin in vierzehn Kapiteln und einem Auftakt. Jeremy taumelt durch das Leben, macht Pläne, scheitert und beginnt von vorn, bis er als Mittfünfziger, als die Eltern gestorben, der Kontakt mit Sonja gering und unerfreulich geworden, die Kinder am Weg ins eigene Leben sind, in der Redaktion die ehemalige Tanzpartnerin Johanna wiedertrifft, mit der er, da ja noch ein Stück des Lebens vor ihm liegt, vielleicht ein besseres Leben beginnt …
Sehr fundiert, das 2005 erschienene Buch zum ewigen Thema menschlicher Mißverständnisse, mit dem sich die 1947 geborene Autorin und Verlegerin Ruth Aspöck an ein engagiertes Publikum wendet. Interessant, daß die Feministin für ihren Entwicklungsroman einen männlichen Helden wählte. Es stellte sich mir auch wieder die Frage nach autobiografischen Elementen, bzw. würde ich gerne wissen, ob es ein Vorbild für Jeremy-John gibt?
Ich habe das Buch, da ich die Autorin gut kenne, aufmerksam gelesen, auch wenn ich manchmal dachte, daß es, wie es in den Schreibwerkstätten heißt, beim Beschreiben statt Zeigen geblieben und die Personen und die Handlung nicht wirklich ausgearbeitet sind. Vieles ist widersprüchlich, wird nur angerissen und als Materialsammlung vorgelegt, aus der man den spannenden Roman, der einen in die angedeuteten Fragen und Probleme wirft, vielleicht erst schreiben muß.
Der ach so spannende narrative Roman aus Amerika a la Jonathan Franzen oder Jonathan Littell, von dem wir momentan alle so fasziniert sind, ist aber auch eine Modeerscheinung. Also passt es vielleicht wieder.
2009-12-20
Kannitverstan
1 Kommentar »
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Danke, liebe Eva! Es ist spannend, ein Kommentar zur eigenen Arbeit zu hören und damit einen anderen Blick auf das eigene Schreiben zu bekommen. Beim Begriff „Jeremy taumelt durch das Leben“ und „distanzierte Schreibweise“ fühle ich mich sehr verstanden, denn das wollte ich so sehen.
Vielleicht finden sind noch andere Meinungen, wäre schön!
Viele Grüsse Ruth
Kommentar von Ruth — 2010-01-03 @ 13:05 |