Es ist eine fast klischeehafte Geschichte, der schön konstruierte Roman, mit dem die 1970 geborene Julia Franck, 2007 den deutschen Buchpreis bekommen hat, um eine, wie im Klappentext steht, faszinierende Frau, die vielleicht die Großmutter der Autorin ist.
Der kleine Peter wird nach Ende des Krieges von seiner Mutter Alice, die eigentlich Helene heißt, mit einem Koffer, in dem Geld, die Adresse eines Onkels und ein aus Horn geschnitzter komischer Fisch steckt, auf einem Bahnhof zurückgelassen.
Im Epilog trifft man ihn zehn Jahre als ausgenützte Arbeitskraft des Onkels wieder, die Mutter kommt auf Besuch und verschwindet, während der im Westen lebende Vater noch immer Geld schickt.
Dazwischen liegt der Mittelteil und das Leben Helenes, die mit ihrer Schwester Martha in Bautzen aufwächst.
Die jüdische Mutter lebt dort fremd und sonderlich, wird vom Hausmädchen Mariechen versorgt, vom Vater angeschwärmt, trägt aber komische Hüte, sammelt nutzlose Sachen und behandelt ihre Töchter sehr brutal.
Der Vater, der eine Druckerei betreibt, in der er die Gedichte seiner Freunde druckt, zieht in den ersten Weltkrieg, verliert dort Bein und Auge und sehnt sich nach seiner Frau, die seine Briefe nicht beantwortet.
Er kommt zum Sterben heim, die Töchter sind zwischen fast erwachsen, Helene fünfzehn, Martha einige Jahre älter.
Die Mutter liegt im Bett und weigert sich den Vater zu sehen. Helene führt die Druckerei und möchte in Berlin studieren.
Martha, die inzwischen Krankenschwester geworden ist, schmuggelt Morphium vom OP nach Hause und versorgt den Vater und sich selbst damit und nach des Vaters Tod, fahren beide Schwestern mit dem Auto des Professors zuerst nach Dresden, um weiter mit dem Zug, das wilde Berlin der Zwanzigerjahre bei ihrer Tante Fanny zu erobern.
Helene arbeitet dort in einer Apotheke, während Martha mit ihrer Freundin Leontine, die inzwischen Ärztin geworden ist, dem Kokain verfällt und Helene nicht recht weiß, ob sie den Studenten Carl Wertheimer heiraten soll, bis der dann stirbt und das dritte Reich, Helene, die keinen Ariernachweis erbringen kann, in die Arme des Wilhelm Sehmisch treibt, der sie Alice nennt, ihr Papiere besorgt und sie auch heiratet, aber tief erschrickt, als er erkennt, daß sie keine Jungfrau mehr ist, schließlich hat sie ja drei Jahre, während sie für ihr Abitur lernte, in Carls Zimmer mitgewohnt.
So daß ihr Wilhelm schließlich doch erlaubt, als Krankenschwester zu arbeiten, als sie schwanger wird, bzw. sie dazu zwingt und danach verschwindet und nur noch Geld für den kleinen Peter schickt, der von Schwester Alice sieben Jahre lang, allein und ziemlich mühsam groß aufgezogen wird.
Als der Krieg zu Ende ist, packt sie ihm den Koffer, um ihm zu dem unbekannten Onkel zu schicken, während sie sich auf die Suche nach ihrer Schwester in ihr früheres Leben macht.
Es passiert sehr viel in dieser Geschichte einer starken oder auch schwachen Frau, die sowohl sympathisch als auch unsympathisch wirkt und wahrscheinlich mehr die ganze Epoche, als eine einzige Person beschreibt.
Für die, die es nicht erlebt haben, werden von einer Autorin, die auch erst viel später geboren wurde, in einer poetisch schönen Sprache, die von Veilchen und von Bücher handelt, in der es aber auch manchmal nach Urin stinkt, die ersten vierzig Jahre des vorigen Jahrhunderts beschrieben.
Das wilde Berlin der Zwanzigerjahre mit allen seinen Ausschweifungen, aber auch der Wunsch nach Frauenemanzipation und Frauenbildung, das Grauen des ersten Weltkriegs und ein wenig schwächer die Klischees der der NS-Zeit und Helene bzw. Alice wankt und schwankt in allem eifrig aber auch sehr passiv mit und wir, die wir das lesen, haben danach unsere Geschichte und die unserer Eltern vielleicht ein bißchen besser verstanden.
2009-04-12
Die Mittagsfrau
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