Literaturgefluester

2015-12-19

Vierter Adventsamstag

Filed under: Textbeispiel — jancak @ 00:00
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Jetzt  wie versprochen eine Nika-Geschichte aus dem Adventkalender.

Die Probelesung im „Read!!ingroom“ ist absolviert und trotz der geringen Zuhörerzahl ein Erfolg geworden und am vierten Adventsamstag werde ich mich doch nicht in den Marihailferstraßeneinkaufstrubel begeben, sondern meine Recherchen als abgeschlossen betrachten.

Weiß ich doch jetzt, daß der Gerngroß am Donnerstag und Freitatag bis einunzwanzig Uhr offen hat und am Freitag und es am Samstag beziehungsweise am Feiertag ein Weihnachtsengerl gibt.

Also keine Weihnachtsfrau, die gibt es nur in meiner Phantasie und die hat  schon Tradition, beziehungsweise eine Vorgeschichte.

Also lasse ich es bei dem Gehabten, beziehungweise  beim Korrigieren das Wort „Gerngroß“ weg und die Nika nur vor einem Kaufhaus auf der Mariahilferstraße stehen, damit niemand sagen kann „In der Realität ist das aber anders!“, denn ich will  eine Weihnachtsfrau und kein Engerl.  Das ist der Clou meiner Geschichte und so brauche ich in den Text auch nicht die Schaufester hineinkatapultieren, hinter denen als Dekoration ein kleines lachendes Mädchen auf einer Schaukel sitzt.

Einen entsprechenden Katalog, den die Nika vielleicht doch verteilen könnte, hat mir ein Klient in die Praxis gebracht, denn auch Klienten kaufen Weihnachtsgeschenke  und ich bleibe am Samstag zu Hause und nütze meine Zeit zum Korrigieren, während die Nika am vierten Adventsamstag durchaus ihre Erlebnisse hat:

„Samstag, 19. Dezember

„Das wird ja immer besser!“, dachte Nika am nächsten Morgen, als sie das goldglänzende Weihnachtsengerl mit aufgebauschten Wattehaaren von einem Konkurrenzunternehmen vorüberhuschen sah.

„Guten Morgen, Weihnachtsfrau!“, hatte es ihr zugerufen und sie, wenn sie sich nicht irrte, mitleidig angesehen.

„Fünf Tage noch, dann ist es vorbei! Hast du schon den Truthahn für den Weihnachtsschmaus bestellt?“

Mitnichten, Weihnachtsengel hatte keine Ahnung und war sicher eine ebenfalls prekär beschäftigte Studentin, aber die Telecomfirma, die sie engagiert und ihr seine Broschüren in das goldglänzende Körbchen gesteckt hatte, schien sie nur an den Einkaufssamstagen zu brauchen oder überhaupt nur am letzten, denn Nika hatte es noch nicht gesehen oder hatte sie nicht genau genug hingeschaut?

„Weihnachten feiere ich mit der Familie, mit Schwesterchen, deren Freunden und dem noch nicht geborenen Weihnachtskind bei Papa und Mama und da gibt es, wenn ich richtig verstanden habe, heuer eine schicke Lachsforelle, statt des fetten Weihnachtskarpfen, damit der Papa keinen Cholesterinhochstand bekommt!“, rief sie Engelchen fröhlich zu und steckte ihm, Widerlich Seidlers Anweisungen forsch ignorierend, ein Stollwerkzuckerl entgehen.

„Oder möchte Engelchen lieber ein Naps? Nougat- und Erdbeergeschmack habe ich zur Auswahl!“, rief sie und das junge Mädchen in dem Engelskostüm griff zu.

„Endlich etwas Süßes!“, rief es erfreut.

„Ich habe nur Handyverträge in meinem Körbchen! Lachsforelle klingt aber gut! Meine Mama schwört dagegen noch  traditionell auf die Gans! Sie wohnt im tiefsten Mühlviertel und der Papa hält es mehr  mit Bier und Anisschnaps, so daß zu befürchten ist, daß er auch heuer am Weihnachtsabend besoffen ist und auf die Geschenkpapekte kotzt, weil er die sentimentale Stimmung nicht verträgt! Das von wegen Weihnachtsfrieden! Aber ich höre schon auf, dich anzulabern, damit wir keinen Ärgern mit unseren Chefs bekommen! Willst du einen Handyvertrag? Ich bin übrigens die Claudia!“, rief es , streckte ihr das das Napspapier entgegen und rauschte ab. Alles bestens am vierten Weihnachtssamstag! Widerlich Seidler war nicht zu sehen und schien am Samstag frei zu haben! Dafür stapften zwei Weihnachtsmänner in ihren rotweißen Kutten und wallenden Rauschebärten an ihr vorbei zur nächsten Punschhütte, schrieen stilecht „Ho, ho, Weihnachtsfrau!“, rasselten mit einem Glöckchen und einer von ihnen war sich auch nicht zu blöd, ihr auf das Hinterteil zu klopfen.

„Paß auf, Santa, das ist sexuelle Diskriminierung, das kann ich bei der Gewerkschaft anzeigen!“, rief Nika ihm nach. Aber er hörte nicht zu und eine mittelalte Frau, die schon einige Einkaufssäcke schleppte, schaute sie neugierig an und sagte vermittelnd „Seien Sie großzügig, Weihnachtsfrau, in  fünfTagen feiern wir das schönste Fest des Jahres und da sollen wir uns alle freuen!“

Ach wirklich! Die Weihnachtsmänner waren schon verschwunden und schräg gegenüber war ein Geschenkbus zu entdecken, in denen die Omas und die Mamis ihre Geschenkpäckchen verstauen, damit sie ungestört einkaufen, konnten und sie mußte das auch noch tun! Für Ruth, Vera und die noch nicht geborene Zoe-Philipa etwas aussuchen! Für die Mama eine Bonbonierre, für den Papa eine Flasche Whisky, für Harald Schwabeneder eine CD! Aber wann sollte sie das alles besorgen, wenn sie von neun bis sieben auf der Straße stand? Sie brauchte auch ein Weihnachtswichtelchen und da stand ein solches schon vor ihr, strahlte sie mit ihren Pippi Langstrumzöpfen über die es wieder eine graue Strickmütze gestülpt hatte an und sagte fröhlich „Guten Morgen, Weihnachtsmannfrau, hast du etwas Süßes für mich? Ich gehe wieder Weihnachtsshoppen, denn jetzt kann ich die CD für Onkel Max besorgen, damit er mit „Stille Nacht“ und “ O Tannenbaum“ in Stimmung kommt! Er hat mir, nachdem ihm meine Zeichnung sehr gefallen hat, nochmals fürnf Euro gegeben und um 9.80 bekomme ich eine! Die geh ich jetzt besorgen und dann noch in den „Merkur“! Er hat mir eine Liste gegeben, was ich für die Weihnachtsfeiertage kaufen soll, falls wir uns  nicht mehr sehen! Aber ich komme natürlich noch  her, um die Mama ein bißchen zu ärgern!“, sagte Jessica Nikolic grinsend, dann brach sie ab und zuckte verlegen mit den Achseln.

„Uje, uje, du mußt gar nicht so böse schauen und mich beim richtigen Weihnachtsmann verklagen, Nika, Weihnachtsfrau! Ich weiß, das soll man nicht und ich will sie auch nicht ärgern, denn sie ist im Streß, alles zu besorgen, damit der Truthahn am Donnerstag rechtzeitig fertig ist, wenn sie bis zwölf im Geshäft stehen muß, damit die Männer, die auf die Weihnachtsgeschenke vergessen haben, ihren Frauen noch schnell Handschuhe kaufen können! So erzählt es mir die Mama immer! Ich habe dagegen schon alles beisammen, für die Mam, die Oma und den kleinen Dominik! Das ist der Vorteil, wenn man öfter herkommt und für Onkel Max habe ich extra viel zu besorgen! Denn stell dir vor, Weihnachtmannfrau, er hat auf der Mariahilferstraße, als es ihm besser ging und er hinunter konnte, einen alten Freund getroffen! Aber das weißt du  schon, denn du warst  dabei! Einen Kollgen vor der Schule, wo er unterricht hat! Einen Deutschlehrer! Onkel Max hat Mathematik und Physik unterricht und der ist so allein, wie er, weil er seine Frau am Krebs verloren hat, während die von Onkel Max einen Herzinfarkt hatte! So haben die Beiden beschlossen, gemeinsam zu feiern und dazu braucht Onkel Max eine Gans, Rotkraut und Semmelknödel und ich helfe beim Kochen! Denn das kann ich auch! Schaue ich der Mama immer in die Töpfe, beziehiungsweise muß ich mir zu Mittag mein Essen wärmen, wenn sie in der Handschuhabteilung steht und einen Kuchen werde ich auch besorgen, denn am zweiten Weihnachtsfeiertag gibt es Gäste! Aber das darf ich nicht verraten, Weihnachtsmannfrau! Das will Onkel Max, der Mama und dir selber mitteilen! Ich habe einen Brief für euch!“, sagte sie in ihre Tasche greifend. Dann streckte sie Nika ein blaues Kuvert entgehen und schaute noch einmal begierig in ihren Jutesack.

„Ich bin die Briefbotin, beziehungsweise ein fliegendes Weihnachtsenger! Dafür ich ich mir sicher etwas Süßes verdient, nicht wahr Weihnachtsmannfrau und jetzt schaue ich zur Mama, denn der habe ich auch ein Brieflein zu übergegeben, bevor ich in die Musikabteilung flitze! Bis später, Weihnachtsmannfrau und streß dich nicht, damit du nicht auch einen Herzinfarkt bekommst und Weihnachten heuer ausfällt!“, rief sie mit pfiffigen Gesichtsausdruck und winkte ihr, die Handvoll Süßigkeiten, die sie sich aus Nikas Extrasäckchen stibitzt hatte, in die Tasche steckend, fröhlich zu.

„Und das wäre eine Katastrophe für die Kinder dieser Welt! Das wollen wir verhindern, Weihnachtsfrau! Bis später also und noch einen schönen Tag!“

So weit der neunzehnte Dezember, den fünften gibt es hier zu lesen,  den ersten und den siebzehnten habe ich im „Read!!ingroom“ vorgestellt und eine frühere Fassung vom dreizehnten und dreiundzwanzigsten Dezember aus dem Jahr 2013 gibt es auch und noch einen Schreibbericht.

2 Kommentare »

  1. […] wenig schade war für mich, dass diese Probelesung  (wie es Eva Jancak selbst nannte ) den Schwerpunkt auf die Exposition und die Beschreibung von […]

    Pingback von Weihnachtsfrauen haben es schwer – read!!ing room — 2015-12-19 @ 16:39 | Antworten

  2. Vielen Dank für den ausführlichen Bericht und die Möglichkeit, den „Adventkalender“ bei der Adventlesereihe vorzustellen!
    Ja, es gibt eine Art Krimihandlung, aber eigentlich spielt sich das Meiste in den Begegnungen ab, die Nika mit dem alten Max, der kleinen Jessica und auch dem Flüchtling Hassan Alawari, der sich mit Fatma Challaki anfreundet, die wir ja schon von der „Sommergeschichte“ kennen, hat.
    Das Buch wird erst im nächsten Jahr erscheinen, aber die Schreibberichte und einige Proben lassen sich im Blog finden.
    Vielleicht gibts am fünfundzwanzigsten Dezember wieder was zu lesen, mal sehen, die Handlung zieht sich ja bis in den ersten Jänner hinein!

    Kommentar von jancak — 2015-12-19 @ 17:34 | Antworten


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