„Shanghai Baby“, 2001 bei Ullstein erschienen, ist der erste halb autobiographische Roman, der 1973 in Ningbo bei Shanghai geborenen Wei Hui und ich denke, man kann das Buch mit dem Roman von Helene Hegemann vergleichen.
Hat hier ja auch eine sehr junge Frau über das Leben mit Sex, Drugs und Identitätsverwirrungen in einer modernen Großstadt geschrieben und hier kommt noch dazu, daß es sich um eine junge Chinesin, Tochter eines hochrangigen Militärs handelt, die von einem China schreibt, das nicht in die westlichen Klischees passt.
Das Buch ist wegen seiner sexuellen Freizügigkeit in China auch verboten worden und wurde mit 40.000 verbrannten Exemplaren zum Kultbuch und Bestseller, obwohl ich in den Blogrezensionen lesen kann, daß die Sexualität, die hier beschrieben wird, als banal und klischeehaft empfunden wird, was ich so nicht finde.
Die Ich-Erzählerin ist die fünfundzwanzigjährige Ni Ke, die von ihren Freunden Coco nach Coco Chanel genannt wird. Sie hat an der Fudan-Universität studiert, einen Erzählband mit erotischen Geschichten herausgebracht, war Journalistin und arbeitet am Beginn des Buchs als Kellnerin im Minirock im Cafe Lydi, bevor sie ihren Job kündigt, um sich ganz der Arbeit an ihrem ersten Roman hinzugeben. Dabei wird sie von ihrem Freund, dem Maler Tiantian unterstützt, bei dem sie wohnt und dessen, obwohl impotent, ganze Liebe sie ist. So leben die beiden lustig in den Tag, besuchen in dem modernen Shanghai Partys, treffen Freunde, Künstler und Ausländer, eine Freundin ist Madonna, die einen exzentrischen Lebenswandel hat, bei der lernt Coco den deutschen Mark kennen, in den sie sich rasend verliebt, obwohl der Sex mit ihm mit sadomasochistischen Vorstellungen verknüpft ist, kommen da doch Bilder von brutalen Faschisten in der Nazi Uniform auf, mit langen Stiefeln und Ledermantel, während sie am Klo wollüstig vögeln und der sanfte Tiantian, der ein Problem mit seiner Mutter hat, weil er sie für den Tod des Vaters verantwortlich macht, tut um Cocos Ambivalenz zu steigern, das Falscheste vom Falschen, er läßt sie allein zu der Vernissage gehen und fährt auch noch auf Urlaub, damit sie ihn nur ja mit ihrem flotten Deutschen betrügen kann, nur leider wird er drogensüchtig, so daß ihn Coco holen und in die Entziehungsanstalt bringen muß.
Dazwischen schreibt sie nackt ihren erotischen Roman, der von einer Liebe im Feuer handelt, wo sich zwei im wahrsten Sinn des Wortes zu Tode lieben, weil, um sie herum alles brennt und sie nicht aus dem Haus können.
Coco fährt indessen zu Weihnachten kurz nach Peking, trifft sich mit ihrer Verlegerin und hat die tollsten Vorstellungen von der Vermarktung ihres Romans, während sie in Schreibblockaden gerät. Die jungen urbanen Chinesen werden auch mal von reichen Amerikanerinnen, von ihren Wiesenpartys vertrieben und wissen sich dann nicht zu wehren, Wanderarbeiter und unangemeldete Cafebuden mit schlechten Kaffee tauchen auch immer wieder auf.
Tiantians Mutter kommt aus Spanien, wo sie inzwischen verheiratet ist, zurück und will mit ihrem Liebsten in Shanghai ein Restaurant eröffnen, desse Wände Tiantian bemalen soll, während Mark, bevor er zu seiner Frau und seinem Kind in seine deutsche Firma zurückbefördert wird, Coco wollustig blutig vögelt und sie dann mit einem Koffer voller Geschenke entläßt. Sie hat ihn auch noch seinen Ehering gestohlen und kehrt zu Tiantian zurück, der aus Verzweiflung, daß er ihr all das nicht bieten kann, in ihren Armen stirbt.
Der Roman wird schließlich fertig und Coco weiß keine Antwort auf die Frage der alten Großmutter, wer sie eigentlich ist?
Ein interessanter Roman, weil er ein Chinabild beschreibt, das ich noch nicht gelesen habe, das Bild der urbanen sexwütigen Luxuschinesen, die, wie in Helene Hegemanns „Axelotl Roadkill“ orientierungslos zwischen Sex und Drogen vorwärts taumeln und nicht recht wissen, was sie wollen und das Shanghai das hier gezeichnet wird, ist voll von westlichen Anspielungen und Klischees. Cocos Vorbilder sind Henry Miller und Milan Kundera, obwohl sie manchmal traditionelle Kleidung trägt und ich finde den Roman eigentlich sehr erotisch und kann das, was die Blogrezensenten daran bemängeln, nicht nachvollziehen. Hatte ich ja bisher ein anderes Chinabild im Kopf und die Chinesen für sehr prüd gehalten.
Daß die jungen Chinesen orientierungslos zwschen Sex, Drugs und Konsum vor sich hin taumeln finde ich erschreckend und eindrucksvoll geschildert. Interessant ist auch, welch, wie mir scheint, naive, Vorstellungen, sie von den Deutschen haben.
Im Nachwort wird beschrieben, daß das Buch von Frühjahr bis Herbst, wie in Trance geschrieben wurde und, daß die Autorin hofft, daß es vor dem Jahr 2000 und ihrem sechsundzwanzigsten Geburtstag erscheinen kann. Inzwischen ist es in einunddreißig Sprachen übersetzt und in fünfundvierzig Ländern erschienen. 2007 wurde es verfilmt und 2005 ist Wei Huis zweiter Roman „Marrying Buddha“ erschienen.
2010-06-17
Shanghai Baby
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