Literaturgefluester

2012-05-16

Montauk

Filed under: Uncategorized — jancak @ 00:11

Den offenen Bücherschränken habe ich viel zu verdanken, so beispielsweise meine Beschäftigung mit Max Frisch, der demnächst seinen hundertersten Geburtstag hatte und ziemlich zeitleich mit meiner Mutter verstorben ist, so daß mir sein Tod 1991 wahrscheinlich entgangen ist, aber sehr wichtig war mir der Schweizer Autor damals auch nicht, von dem wir bei Frau Prof Friedl in der Schule, das Theaterstück „Biedermann und Brandtstifter“, lasen, von dem ich mich erinnern kann, daß es mich sehr beeindruckte und ich eine Zeitlang darüber reflektierte.
Voriges Jahr habe ich die Erzählung „Montauk“ im offenen Bücherschrank gefunden, da waren auch die Hundertjahrfeiern, die in der Schweiz wahrscheinlich intensiver als bei uns in Österreich begangen wurde, so bin ich auch eher durch Thomas Wollingers Blog, der mehrmals über Max Frisch berichtete, bzw. diesbezügliche Videos einstellte, aufmerksam geworden und habe mich auf das Lesen von „Montauk“ schon sehr gefreut, um so mehr, da ich mir zu Weihnachten ja den „Mythos Bachmann“ schenken ließ und da stand ja etwas, daß die Familie Bachmann verboten hat, das Max Frisch Fotos in Bachmannbiografien erscheinen durften, das dürfte vielleicht mit dem Erinnerungs-Tage-autobiografischen Notizbuch zusammenhängen.
Irgendwo bei Wikipedia habe ich gefunden, daß es auch als Roman bezeichnet wurde, es läßt sich offenbar alles so nennen, um die Verkaufszahl zu steigern und Marcel Reich-Ranicki soll begeistert gewesen sein und die Erzählung in seinen „Hundert beste Bücher-Kanon“ aufgenommen haben. Es hat also die unterschiedlichsten Reaktionen ausgelöst und nimmt, wie ich Wikipedia weiter entnehme, eine Sonderstellung zwischen seinen Werken ein, obwohl Tagebücher und autobiografisch hat Max Frisch schon früher geschrieben. Desmal ist die Fiktion aber offenbar ganz verschwunden und die Erzählweise ist eine sehr interessante, sprunghafte, nämlich von dem realen Örtchen in Amerika im Jahre 1974, zurück ins Max Frisch Leben und das wird abwechselnd mit einem „Ich“ und mit einem „Er“ erzählt und das manchmals sogar innerhalb eines Satzes, so daß man sehr aufmerksam lesen muß, um sich auszukennen, vor allem, wenn man, wie ich, kein besonderer Max Frisch Spezialist ist.
„Das ist ein aufrichtiges Buch, Leser, es warnt dich schon beim Eintritt, daß ich mir darin kein anderes Ende vorgesetzt habe als ein häusliches und dein privates“, steht so schon am Anfang. Der Text ist dann unterteilt mit Überschriften, teilweise in Englisch, teilweise mit Titeln wie „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“, „Der gute Gott von Manhatten“, aber auch „Warum gerade dieses Wochenende?“ oder wieder „Dies ist ein aufrichtiges Buch, Leser und was verschweigt es und warum?“, das ist schon das ganze Kapitel. Es gibt aber auch viel längere.
„Max are you jealous“ verweist auf die Erzählgegenwart und dann kommen Fragen wie „Wie alt möchten Sie werden, lieben Sie jemanden und woraus schließen Sie das?“
Man muß also wieder sehr aufmerksam lesen und in Max Frischs Leben hin und herspringen und kann das auch in einem Wochenende oder, wie ich es getan habe, viel kürzer tun, aber ich habe auf Thomas Wollingers Blog, der ein großer Frisch Liebhaber sein muß, schon die Videos gesehen, so daß ich zumindestens eine biografische Ahnung hatte.
Max Frisch ist also im Mai 1974 auf Lesereise in den USA gewesen und dabei mit einer jungen Verlagsangestellten herumgefahren und beschreibt in dieser Erzählung, das Wochenende, das er mit ihr, in der Erzählung Lynn genannt, in Wirklich hat sie anders geheißen und Max Frisch soll mit ihr auch ein paar Jahre zusammengelebt haben, wie ich Google entnahm, verbringt.
Er reist mit ihr in das Städtchen Montaux, das durch Max Frischs Erzählung bekannt geworden ist und reist gleichzeitig durch sein Leben, beschließt an diesem Ort es, wie schon erwähnt, aufrichtig aufzuschreiben und tut das, wie ebenfalls erwähnt, sprunghaft, das heißt, er beschreibt das Wochenende ganz genau, schreibt auch englische Sätze, dann geht er in seine Vergangenheit zurück.
Erzählt in einem sehr langen Kapitel von seinem Jugendfreund W., einem jungen Mann aus reichem Haus, mit dem er zur Schule gegangen ist und der ihm, dem ärmeren, finanziell unterstützte. Mit dem er Reisen unternahm, der ihm Kleider und Platten schenkte und der ihm auch das Paar Schi ersetzte, das während einer Schitour kaputt geworden ist.
Wie aufrichtig das alles wirklich ist, kann eine Nicht-Frisch-Kennerin natürlich nicht beurteilen, sehr beeindruckend und ungewöhlich im Stil empfand ich es allemal und beeindruckend vor allem das Kapitel, in dem er von der gelähmten Frau erzählt, die im selben Haus, wie er wohnt und ihr Bett nicht verlasen kann. Er ist frisch verheiratet und weil man im Haushalt manchmal Dinge braucht, läutet man bei der oben Wohnenden, das heißt Frisch schickt seine Frau hinauf, denn er will nicht mit der Gelähmten konfrontiert werden, auch dann nicht, als er erfährt, daß er sie kennt, mit ihr in die Schule gegangen ist, sogar in sie verliebt war und immer an ihren Zöpfen zog, um ihr nahe zu kommen. Diese Ehrlichkeit, es ist mir unangenehm, eine gelähmte Frau aufzusuchen, habe ich sehr stark empfunden.
Es wird dann sehr durcheinander von seinem Leben erzählt. Er war zuerst Journalist, dann Architekt, dann ist er als Schriftsteller berühmt geworden. Da beschreibt er wieder, wie es ist auf der Straße von Leute erkannt, begrüßt oder ignoriert zu werden.
„Manchmal ist es vorteilhaft: ein deutscher Zöllner, nachdem er meinen Paß gesehen hat, möchte gar nicht in meine Koffer schauen, sondern behilflich sein, er kennt nicht bloß den Namen, sondern erinner sich wohl an ein Stück, das ihn gefallen habe, DER BESUCH DER ALTEN DAME“ und kommt zu den zwei Ehen, der halbjüdischen Frau und der, die ihn betrogen hat und natürlich wird auch Ingeborg Bachmann erwähnt, aber wieder sehr angedeutet, daß man schon gut aufpassen und ein bißchen was wissen muß, um die Ingeborg zu erkennen, zum Beispiel, daß sie einmal iden Haus wohnte, wo Gottfried Keller Stadtschreiber war. Also doch kein Buch für einen schnellen Leser, der von Max Frisch nicht viel Ahnung hat, obwohl Joachim Kaiser meint „an diesem Buch, darf kein Frisch-Freund, kein Zeitgenosse vorbei“.
Bei Wikipedia wird es aber sehr genau beschrieben, so daß man auch alle Interpretionen und literaturwissenschaftlichen Deutungen nachlesen kann und sieht, daß sich sehr viele Literaturwissenschaftler damit beschäftigt haben.
Für mich hat das Drüberlesen trotzdem gereicht, ein bißchen kenne ich mich ja aus in der Literaturgeschichte und, daß mich die menschlich-psychlogische Seite besonders interessiert, brauche ich nicht extra betonen. So habe ich es als ein sehr starkes, sehr beeindruckendes und ich kann mich ja auch tauschen, als ein sehr aufrichtiges Buch empfunden und danke dem offenen Bücherschrank sehr, daß er mich damit in Verbindung brachte, weil man an den Klassikern ja leicht vorüber geht, wenn die Schulpflicht schon vorüber hat und man sich für das Zeitgenössische interessiert. Der Bücherschrank ist für mich eine Gelegenheit immer wieder zu den Gustostückerln zu greifen, die nicht bei mir zu Hause stehen.

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