Literaturgefluester

2009-12-08

Paradiso

Filed under: Uncategorized — jancak @ 06:30

Da soll einer mit seiner Freundin nach Portugal fliegen und wartet, weil die Freundin das Auto zu Schrott gefahren hat, bei der Tankstelle in Potsdam auf die Mitfahrgelegenheit.
So beginnt der Kultroman „Paradiso“ des 1977 geborenen Thomas Klupp, der auch ein jüngerer Autor ist, jedenfalls hat das Buch einen sehr trendigen Ton, aber vielleicht ist das auch die Sprache, der Schreibschulen von Hildesheim und Klagenfurt, die in dem flott dahingeschriebenen Roadmovie zu spüren ist.
Der Held ist der fünfundzwanzigjährige Alex und der ist älter als er wirkt, denn eigentlich ist es eine Pubertäts- und Ich-Findungsgeschichte, die da leicht und locker vor sich hin entwickelt wird.
Alex steht jedenfalls bei der Autobahnraststätte und schwitzt, das T-Shirt klebt an seinem Körper und das ist schlimm, denn Alex hat eine empfindliche Haut und neigt zu Psoriasis, der rosaroten Schuppenflechte, die er sich nur durch Dermatop aus der Welt schmieren kann.
Alex studiert das Drehbuchschreiben an der Potsdamer Filmhochschule, deshalb flunkert er sich auch durchs Leben und denkt sich en passant die tollsten Drehbücher aus. Er ist das Kind reicher Eltern, der Vater hat ein Dentallabor mit ungefähr fünfzig Mitarbeitern und wirft deshalb flott mit Hunderteuroscheinen um sich und philosophiert sich flott durchs Leben, das für ihn aus Gewinnen und Verlieren besteht.
Weil Johanna also sein Auto kaputt gefahren hat, soll ihn ein Starnberger Förster in einem gelben Passat nach München mitnehmen, der aber nicht kommt, stattdessen erscheint der Loser Konrad mit seinem silbernen Audi und nimmt ihn bis zum nächsten Autobahnkreuz mit, dann kommt der Lastwagenfahrer Roland mit dem Messer, erzählt Alex von seiner Svetlana, die er an einer Bed und Breakfast Adresse in der Tschechei kennengelernt und die ihn in den Schoß der katholischen Kirche geführt hat und lädt Alex an der nächsten Autobahnraststätte ab, wo er im Erotikshop landet, dort kommen die Erinnerungen an das Heimatstädtchen Weiden, wo es Simon und Leni, den Freund und die Freundin gibt, die Alex wegen Johanna verlassen hat und die Alex veranlassen Johanna anzurufen, um ihr von einem Auffahrunfall zu erzählen und sich von der filmenden Medizinstudentin Patricia nach Weiden chauffieren zu lassen. Dort lädt sie ihn auf ein Bier ein, Alex klettert aber aus dem Toilettenfenster, um das jährliche Filterfest zu besuchen, das diesmal am Paradiso, einer langgestreckten Kaolingrube mit feinen weißen Sand, gefeiert wird. Dort kommt es zur Katastrophe, dem Konflikt und dem Höhepunkt, wie er in jedem Filmdrehbuch steht. Denn Simon und Leni sind ebenfalls da. Simon, der Freund, dem Alex schon zwei SMS geschickt hat, daß er ihn unbedingt wiedersehen will und Leni, die er verlassen hat, nachdem ihn die Schauspielerin Johanna auf den Mund küßte, aber eigentlich auch nicht wirklich. Jedenfalls möchte Alex am See zu Leni zurück und fickt sie auch auf der Wiese, um ihr kurz darauf zu erklären, daß er leider doch nicht bei ihr bleiben kann, weil er mit Ludek Stephanek, aus der Filmhochschule noch mal für zwei Wochen nach Krakau muß.
Leni fährt beleidigt ab und als Simon den Freund zur Rede stellt, schlägt er ihn zusammen, küßt ihn noch auf die Stirn bevor er ihn liegenläßt, um mit dem Auto des Vaters nach München zu fahren. Nur leider hat er vorher zuviel Speed erwischt, so verwechselt er die Gänge und rutscht über schlammige Wiesen in den Sonntagsgottesdienst, weil er vorher im Radio einen Pfarrer hörte, dessen Sendungsbewußtsein den besoffenen reuig Unzufriedenen begeistert hat, so zieht er in der Kirche einen Hunderteuroschein aus der Tasche, um sich zum Flughafen bringen zu lassen, weil er dort, wie er erzählt, mit seiner Freundin nach Jerusalem will. Es bleibt aber schon bei Johanna und Lissabon, auch wenn sich Alex kurz bevor er auf sie zugeht, um mit ihr durch das Gate zu schreiten, noch in einem Buchladen versteckt.
Wirklich flott dahererzählt, das todkomische Roadmovie eines Lebenskünstlers, wie auf der Buchrückseite steht. Der Einfluß von Hildesheim ist zu spüren, die Jugendlichkeit und die Zeitenwende. So ist Alex einmal über die Grenze nach Tschechien gefahren, um sich für hundert Mark von Rozana in ihrem Mädchenzimmer entjungfern zu lassen und die Typen, die er auf seiner Autobahntour von Potsdam nach München trifft, studieren alle an den Kunsthochschulen und Alex plaudert flott daher, von seinen Filmen, die er drehen, den Mädchen, die er flachlegen will und flüchtet aus dem Autobahnerotikshop, weil er dort einen seiner Filmhochschullehrer zu erkennen glaubte.
Alex flüchtet überhaupt sehr viel und hat auch schon viel Mist gebaut in seinem jungen Leben, von dem er sich in seinen Endlosmonologen ständig befreien will und reflektiert hochgestochen, um in Panik zu geraten, wenn er an seinem Körper wieder einen roten Punkt entdeckt. Herrlich leicht dahingeschwafelt, die Pubertätsnöte eines junges Mittelschichtsohnes zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts, würde ich fast denken, wenn mir dieser Alex nicht doch zu unsympathisch wäre.
Ist das ja wieder einer, der in einigen hundert Seiten vor sich hinschwafelt, wie man leben soll und das Buch dabei zum Bestseller macht, weil wir das ja lesen wollen.
Wenn die Psychotherapeutin in mir natürlich auch die Nöte des jungen Mannes mit den roten Flecken und der Angst vor den Frauen und dem Leben versteht, da aber nicht alle jungen Männer, die Autos ihrer Väter zu Schrott fahren können und von ihnen zu Teileigenttümern von Containerschiffen gemacht werden und die wahren Probleme wahrscheinlich woanders liegen, hält sich mein Mitleid doch in Grenzen, wenn das Buch auch flott und leicht zu lesen war und ich Einblicke in mir bisher Unbekanntes bekommen habe.

1 Kommentar »

  1. apropos paradiso: hast du habt ihr schon meinen text STILLE IM PORT MONET auf standard.at/reisen gelesen?
    herzlichst grüßt
    rl

    Kommentar von rudolf lasselsberger — 2009-12-08 @ 22:25 | Antworten


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