Jeder hymnische Jubelsturm, der in den letzten Wochen über Karen Köhler niederging, begann mit der überraschenden Windpockenerkrankung, die sie ereilte, als sie in Klagenfurt lesen sollte. Nein, oh nein, was war dem Leser, dem ganzen Literaturbetrieb entgangen, dass dieser rising star verhindert war. Großzügig verteilten die Rezensenten den Bachmann-Preis, in dessen Jury sie zu Recht – Beweis ihre fiktive Verleihung des Preises an Köhler – nicht sitzen. Aber Köhler hätte kommen können, sie hat nur simuliert!
Karen Köhlers Debüt Wir haben Raketen geangelt ist ein Sammelsurium aus neun wehleidigen Erzählungen, die die Welt und ihr literarisches Zentrum – Klagenfurt – nicht braucht. Aus schiefen Bildern zimmert uns eine scheinbar spätpubertierende 40-Jährige ein krummes Baumhaus in traurig-resignierter Sprache. Traurige Kinder, traurige Verlassene, traurige Tote und traurige Eulen, die viel Scheiß- sagen. Scheißwüste, Scheißmänner, Scheißbuch – das habe jetzt ich gesagt – „Es stinkt nach Kotze, Kacke, kaltem Rauch, Müll, nach altem Mann und Pisse.“ Ja, hoppla „So’n Scheiß!“ Und so geht das Seite um Seite, auf 117 dann die Auflösung „Mir egal, ob du dich Journalist nennst. Du schaufelst Scheiße.“ Mensch Karen, mir egal, ob Du Dich Schriftstellerin nennst. Du …

infantilen Texte schonmal
“Fotze, Kacke, Scheiße”-rufend
auf einem Sofa herum: Karen Köhler
© Julia Klug
Von wegen großer Wurf, ein Würfchen mit kleinen Texten in Zwergenstil. Tiefpunkt die Erzählung Name. Tier. Beruf. Die, in die Großstadt verschwundene, Jugendliebe Björn steht vor der Tür der Protagonistin. Sie ist im Dorf geblieben, arbeitet im Bioladen und fühlt sich als wolle der Besuch ihr nur vor Augen führen wie sehr er die Provinz der Heimat verabscheut, dass er es geschafft hat, raus aus dem Mief. Sie gerät in Rechtfertigungszwang, warum sie daheim blieb, warum sie nicht macht was alle machen – weggehen. Dass er eigentlich mit ihrer großen Schwester ging, sie aber ihn liebte – klar – und den Tod der Schwester bis heute nicht verkraftet, die Landflucht und der Spott über Hängengebliebene verkommt zu einer ziemlichen Standardgeschichte. Wie bei Jenga stapelt Köhler immer neue Klischeebausteine übereinander bis ihr Geschichtenturm krachend zusammenbricht, ob der Biomarkt, die Babyleiche, das Grab, der Baum, die Scheune, der Jugendsex, die Jugendliebe – irgendetwas war wohl zu schwer, aber das passiert, wenn man einen Turm ohne Fundament in den Sumpf baut. Die Autorin hat keine Autorenschule besucht und diese mangelnde Erfahrung merkt man jeder Passage an. Ich habe schon Texte in der Briefkladde meiner kleinen Schwester aus der 7. Klasse gelesen, die mehr Esprit hatten.
Köhler fuhr also nicht nach Klagenfurt, um nicht nach Klagenfurt zu fahren. Statt mit ihren Texten baden zu gehen, ergriff sie den einzigen Strohhalm, der sich ihr bot: die pockige Werbetrommel rühren, ins Gespräch kommen, hoffen das ein verblendeter Feuilletonist sich vom niedlichen Cover mit Schattenschnitttieren blenden lässt und die anderen es nachplappern. Investigativ reißt 54books dieser Scharade die Maske vom Gesicht. Wie einfach man als 40-Jährige Windpocken bekommen kann, könnt ihr der untenstehenden Anleitung entnehmen, funktioniert auch bei deutlich (!) jüngeren Menschen (mir).
Gestern habe ich Karen auf ihrer Lesung in Hamburg getroffen. Der schlechte Eindruck ihrer Prosa manifestierte sich in einer unsouveränen Lesung, nach der ich die Debütantin zur Seite nahm. Mit ruhiger Stimme, als spräche ich mit einem kranken Tier, habe ich ihr erklärt, dass sie das weitere Schreiben in unser aller Interesse lieber bleiben lassen soll. Die Arme hatte vorher nicht mal bemerkt, dass sich die Moderatorin der Lesung Wasser aus der Vase ins Gesicht gesprenkelt hatte, um deutlich überzogen von ihrer absoluten Lieblingserzählung des Bandes zu sprechen, die sie, von der Autorin gelesen, noch mehr berührt habe. Nicht mal die Ironie konnte Karen erkennen, das arme Ding. Eindringlich von mir beraten, zieht sie sich schon morgen auf eine einsame Berghütte zurück, um sich ihrer zweiten Amateurleidenschaft dem Rhönradfahren zu widmen. Viel Schaden habe ich so von der Literaturlandschaft abgewendet, was für die der Berge nicht gelten dürfte, wenn Karen so fährt wie sie schreibt.
Gut, dass Tex der alte Schmierfink den Bachmann-Preis bekommen hat. Bei ihm steht die Berufsbezeichnung Schriftsteller zwar am Ende der Einleitung bei Wikipedia, bei Karen Köhler gehört sie aber gar nicht rein.
Wir haben Raketen geangelt ein Buch, von dem man Windpocken bekommt.

© Julia Klug
Wie man nicht zum Bachmann-Preis muss:


Karen Köhler hat sich nach der Lesung ausdrücklich einen Verriss aus meiner Klaue gewünscht. Die ernsthafte Besprechung findet ihr hier, Parallelen sind rein zufällig.