Die “Hauptstadt der Bewegung” kann sich bis heute nicht als solche der Aufklärung und Aufarbeitung bezeichnen. Wer ohne Schuld ist möge den ersten Stein werfen und so könnte München immer wieder auf andere zeigen: In Braunau weiß man bis heute nicht wie man mit dem Geburtshaus Hitlers umgehen soll, in Schwerte fiel gerade auf, dass man nur noch einen Ehrenbürger hat – Hermann Göring. Und doch scheint das Erbe Münchens schwerer zu wiegen, und auch wenn inzwischen die wenigsten der heute (noch) lebenden Münchner an Verbrechen der Nazis beteiligt gewesen sein dürften, zeigt man sich immer wieder unfähig im Umgang mit der eigenen Vergangenheit.
Für ein Erbe ist der Erblasser* verantwortlich, nicht der Erbe und trotzdem ist es Letzterer, der an seinem Umgang mit selbigem gemessen wird. Übersteigen die Schulden das Vermögen, schlägt man die Erbschaft klugerweise aus, § 1942 Abs. 1 BGB. Was tut man aber, wenn dies nicht möglich ist?
An München klebt der Makel der Geschichte und durch Ignorieren der Altlasten wird man diese nicht mehr los. Die Taktik des Taubstellens wird manchmal noch durch Akte der politischen, natürlich auch moralischen, Unvernuft durchbrochen, wenn der Stadtrat sich etwa gegen die inzwischen bundesweit etablierten Stolpersteine ausspricht. Erst 1993 (!!) gab es die erste Ausstellung im Stadtmuseum über München im Nationalsozialismus. 2001, 56 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs und dem Erlöschen der als Ehrentitel getragenen Hauptstadtbezeichnung, wurde die Errichtung eines eigenen Museums am Ort der NSDAP-Zentrale, dem “Braunen Haus” beschlossen, dessen Fertigstellung 15 Jahre währte. 70 Jahre nach Hitlers Tod steht endlich das NS-Dokumentationszentrum.
Die verspätete, nun aber umfassende Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit wird parallel zur Ausstellung im hervorragenden Band “München und der Nationalsozialismus” von C. H. Beck dokumentiert**. Der Verlag scheint auch daher besonders passend, da dort zum 250. Jubiläum ein Streit um die eigene Geschichte zur Zeit des dritten Reichs entbrannte. Der üppig ausgestattete Band umfasst über 350 Seiten voll farbiger Bilder zur Ausstellung selbst und weitere 250 Seiten mit Aufsätzen zur Vertiefung warum gerade München im NS-Staat eine solche herausragende Stellung einnahm, zur Frühgeschichte der NSDAP, zu den Profiteuren und den Gründen und Abgründen des eigenen Schweigens. Eine gelungene Zusammenstellung, die nicht regionalbegrenzt das Zeug zum Standardwerk hat.
Spät, aber nicht zu spät, erkennt eine Stadt was sie tun muss(te). Dieses Buch ist nicht nur ein Lehrstück der Vergangenheitsbewältigung für München, sondern für ganz Deutschland. Endlich könnte man sagen, nehmt euch ein Beispiel an dieser Stadt und wie sie mit dem schweren Erbe ihrer Vergangenheit umgeht.
*Hier geht es um den Erb-lasser, der natürlich auch ein Er-blasser im Angesicht des Todes ist, besser war. Der ungeheure Humor von Juristen, die diesen Witz seit Generationen pflegen, soll aber nicht Gegenstand des Beitrages sein.
**Ein Buch dieser Ausstattung (sehr viele Bilder in Farbe, Leinen, Format, Lesebändchen) für 38 € ist übrigens ein echtes Schnäppchen! Trust me.