Es gibt Leute, die eher geschützt werden müssen als Liam Gallagher. Der Ex-Oasis-Frontman ist nun wirklich kein Bescheidener; immer wieder wurde das beste Album, der beste Song, die beste Band von ihm gekürt und immer wieder war er, oh Wunder, an diesem beteiligt oder deren Gesicht. Nach dem, vorerst letzten, entzweienden Streit der Gallagher Brüder im Oktober 2009, legt der jüngere nun mit seiner neuen Band “Beady Eye” bereits das zweite Album vor und zieht – quantitativ – wieder an Noel vorbei. Sollte “Different gear, still speeding”, aus der Hüfte geschossen, rotzigen Rock ‘n Roll alter Schule zelebrieren und hatte durchaus Höhepunkte (The Roller, Three Ring Circus), hielt Noel mit seinen High Flying Birds dagegen und legte ein nachdenklich, sphärisches Album ohne diese Rockattitüde vor, das beim Publikum deutlich besser ankam als das des kleinen Bruders.
Liam verkündete nun kürzlich wieder einmal das kommende Album sei das beste, an dem er je mitgewirkt hat. “BE”, ein mehr oder weniger intelligentes Wortspiel mit dem Bandnamen (ich finde sogar “mehr”), ist auf dem Markt inklusive Miniskandal, denn man sieht die Brustwarze einer Frau. Als das vorgesehene Cover, das Foto Harry Peccinottis von seiner Frau, erschien, war ich bereits hingerissen. Nicht wegen einer nackten Brustwarze, die heute eigentlich keinen mehr schockierenden dürfte (warum auch schockieren), sondern aufgrund des wirklich ästhetisch-schönen Fotos, das ich mir in seiner Sanftheit und Ruhe sofort ins Zimmer hängen würde. Der Käufer des Album dagegen muss allerdings der Dame vor dem ersten Hören erst mal einen Aufkleber von der Brustwarze kratzen. An Bushaltestellen habe ich wirklich schon “Schlimmeres” gesehen, allerdings dort ohne skandalöse Brustwarze.
Aber es geht ja um Musik. Hansdampf Gallagher hat es mit neuer Band, meiner Meinung nach, deutlich schwieriger als Noel, der, inzwischen doch mehr auf Understatement und Zurückhaltung baut, während Liam immer noch den Rowdytaten der 90er nachzutrauern scheint. Also kündigt Liam an, dass nach diesem Album nichts mehr kommt, sollte es denn floppen. Laut.de spricht vom Anfang vom Ende, Plattentests gibt zwar nur 6/10 ist insgesamt ganz zufrieden, beim Guardian gibt es 3/5 und Liam ist in der Sun gewohnt begeistert von der eigenen Arbeit. Floppt es?
In Flick Of The Finger kommen kraftvolle Bläser zum Einsatz, die man so seit frühen All Around The World Oasis-Zeiten nicht gehört hat, ein wunderbarer Opener für eine Rockplatte. Aber der große John Lennon Fan Gallagher will an die späten Beatles anknüpfen und versucht sich auch in Psychodelischem. Dafür ist Dave Sitek als Producer im Boot, dessen Idee nicht nur die Bläser, sondern auch viele weitere Soundeffekte waren, um eine amtliche Wall of Sound zu erzeugen. Erste Anklänge davon bereits in Soul Love, eher als Spielereien tue ich dagegen das, in alter Bealtesmanier, rückwärtsgelaufene Tape bei Dreaming Of Some Space ab. Bei Songs wie Second Bite Of The Apple zieht die Bläsersektion einen mittelmäßigen Song in neue Hören, dazu tragen aber auch der Beat irgendwo zwischen Dschungelsound und Funk bei.
Auf der Platte ist aber viel weniger Rock ‘n Roll als gedacht. Recht ruhig Soon Come Tomorrow oder Don’t Bother Me, ganz ruhig Ballroom Figured oder Start Anew, die auch durchaus aus der anderen Gallagher Feder hätten kommen können. Wieder späte Hippie-Beatles könnte Shine A Light sein, aufs White Album mit dem angesprochenen Dreaming Of Some Space, The World’s Not Set In Stone ein fröhlicher Paul McCartney Song.
Unterm Strich? Die wenigsten Songs auf diesem Album springen einem nicht direkt ins Gesicht bzw. Ohr. Es sind keine Oasis Hymnen dabei, deren Kraft einen beim ersten Hören umblasen, vielmehr wird das Album nach hinten immer ruhiger und nachdenklicher, braucht deshalb aber auch umso mehr Zeit sich zu entwickeln. Beim ersten Durchgang war ich enttäuscht, zwischen dem fünften und zehnten etwas versöhnt und seitdem hört die CD nicht auf sich zu drehen.
Liams Stimme wird immer “spezieller”. Hat er früher noch richtig gesungen, wird heute viel mehr gepresst und geschnarrt, hin und wieder auch neben dem Ton, doch trotzdem sind, gerade, die ruhigen und leiseren Stücke auf ihre Art besonders und schön. Auch wenn Sitek behauptet hat, dass Liam ein Phänomen daher sei, dass er quasi das Album im ersten Take einsingen könnte, ohne dass man als Producer viel ändern müsste, bleibt abzuwarten wie die Songs und Liams Stimme live wirken.
Kauft euch das Album und lasst euch drauf ein, dann hängt Liam die Musik noch nicht an den Haken und kann immer wieder das beste Album aller Zeiten in einem Take einsingen.
Flick Of The Finger – Live, Later… with Jools Holland
Start Anew – Acoustic Live Session in den Abbey Road Studios
[komplette Show]