Kategorie: Feuilleton

Ein Zimmer für sich allein, seine Fenster / Writer’s Rooms

(Zwei Essays aus der Reihe Literatur von See zu See des LCB)

Ein Zimmer für sich allein, seine Fenster

von Isabel Zapata (übersetzt von Angelica Ammar)

I.

Im Oktober 1928 sprach Virginia Woolf an zwei Colleges der Universität Cambridge, dem Girton College und dem Newnham College, über Frauen und Literatur. Die Vorträge waren so erfolgreich, dass sie im Jahr darauf unter dem Titel Ein Zimmer für sich allein bei Hogarth Press veröffentlich wurden, dem Verlag, den die Schriftstellerin mit ihrem Mann Leonard gegründet hat.

Häufig unerwähnt bleibt, dass diese Vorträge in Colleges gehalten wurden, die weiblichen Studenten vorbehalten waren, Woolf sich also an ein rein weibliches Publikum gerichtet hat. Was ein Großteil der spanischen Übersetzungen jedoch nicht berücksichtigt, das englische Pronomen one (‚man‘) wird in ihnen mit der männlichen Form uno übersetzt, mit der man sich im Spanischen an ein gemischtes Publikum richtet, und nicht mit der weiblichen Form una. Wie anders wäre es wohl auch im Deutschen, statt ein ums andere Mal man denkt (im Spanischen: uno piensa) frau denkt (una piensa) zu lesen – schließlich ist es Virginia, die denkt. Es wäre sehr anders, zumindest für diejenigen unter den Leserinnen, die sich Gedanken über eine ideale Umgebung fürs Schreiben und die Rolle anderer Frauen in unserem künstlerischen Projekt machen.

Isabel Zapata (©El Imparcial)

Auch wenn die Hindernisse, die eine Schriftstellerin zu überwinden hat, von ihren jeweiligen Lebensumständen abhängen, die wiederum häufig auf ihr Geschlecht zurückzuführen sind, haben Frauen doch meistens mit materiellen Grundvoraussetzungen zu kämpfen, die den Schaffensprozess

beeinträchtigen: Finanzielle Sorgen, ständige Unterbrechungen durch häusliche Pflichten und das schwere Gewicht eines hauptsächlich männlichen Literaturkanons behindern den kreativen Impuls. Um diese und andere Schwierigkeiten zu überwinden und eine eigene Stimme zu entwickeln – und ihr Gehör zu verschaffen – muss eine Frau, so Woolf, „über Geld und ein eigenes Zimmer verfügen, in dem sie schreiben kann“. Ein eigenes Zimmer, würde ich hinzufügen, das nicht nur vier Wände, einen Schreibtisch und einen Stuhl beinhaltet, sondern auch die Möglichkeit, einen freien und bereichernden Dialog mit anderen Frauen aufzunehmen. Das berühmte Zimmer könnte dann weibliche literarische Tradition heißen, und seine Fenster gehen auf neue Zimmer hinaus, in denen andere Frauen lesen, schreiben und in einer Gemeinschaft denken.

II.

Alle Vorstellungen, die ich hinsichtlich der Umstände und des Zwecks von literarischem Schaffen hatte, wurden umgeworfen, als meine Tochter Aurelia im Februar dieses Jahres geboren wurde. Mit ihr überrollte mich nicht nur eine ungekannte Lawine aus Geschrei und Exkrementen, es kam auch eine Pandemie, die das Leben eines ganzen Planeten von Grund auf veränderte. Im öffentlichen Raum nicht mehr präsent zu sein, hat unseren Blick auf soziale Kontakte und Privatsphäre verschoben und uns dazu gebracht, neue Brücken der Kommunikation zu errichten.

Während meiner Wochenbett-Quarantäne, auf die die Covid-Quarantäne folgte, wurde ich eingeladen, eine Schreibwerkstatt mit Fokus auf dem Muttersein zu betreuen. Ich war mir erst nicht sicher, ob ich zusagen sollte. Ich hatte noch nie eine Schreibwerkstatt geleitet, erst recht nicht virtuell. Wie sollte ich über einen Bildschirm eine Verbindung zu anderen Frauen herstellen? Was konnte ich, verletzlich und zerbrochen, wie ich mich fühlte, einer Gruppe Fremder beibringen? Diese Ängste zu ignorieren, war eine der besten Entscheidungen, die ich je getroffen habe: Vom ersten Samstagvormittag an hat die Werkstatt ihr ursprüngliches Ziel weit übertroffen, sie wurde zu einem Fenster meines eigenen Zimmers.

Unter welchen Umständen und mit welcher Absicht wird heutzutage Literatur geschrieben? Ich weiß nicht, ob meine Erfahrung mit der Schreibwerkstatt eine so komplexe Frage beantwortet, doch mit anderen Frauen über Themen zu sprechen, die uns betreffen – die bittersüße Mutterschaft, das Aufziehen von Kindern als politisches Manifest, die Kraft unserer Geschichten –, haben mich darin bestärkt, dass die Literatur, die mich interessiert, in der Gemeinschaft entsteht, auf Dialog, Freundschaft und Miteinander basiert. Und dass Verbundenheit ein seltsames Phänomen ist, das ungeachtet der physischen Distanz entstehen kann.

III.

Ursula K. Le Guin schreibt am Ende ihres Prologs zu Words Are My Matter, dass viele Menschen ihre beiden Hauptbeschäftigungen für unvereinbar halten könnten: Mutter von drei Kindern und Schriftstellerin zu sein. Nachdem sie eingestanden hat, dass es nicht einfach war, beiden Aufgaben gleichzeitig gerecht zu werden, versichert sie jedoch, dass sie alles andere als unvereinbar sind. „Im Gegenteil, jeder Bereich nährte und unterstützte den anderen so tiefgreifend, dass sie für mich im Rückblick untrennbar geworden sind.“

Mir, die ich als Frau schreibe oder zu schreiben versuche, mit allen Schwierigkeiten und Vorteilen, die es beinhaltet, machen diese Worte von Le Guin Hoffnung. Es geht mir weniger darum, mich von meinem Muttersein abzulösen, um zu schreiben, als darum, im Häuslichen einen fruchtbaren Raum für meine Kreativität zu finden. Die Gespräche mit anderen Frauen wurden zu einem zentralen Element in diesem Prozess. Mehr denn je haben sie heute einen Raum in meinem Zimmer.

 

Writer’s Rooms

von Mithu Sanyal

Zwei Werke haben meine Haltung zum Schreiben maßgeblich geprägt:

Das eine ist Virginia Woolfs Essay A Room of One’s Own, ihre Unabhängigkeitserklärung von den Ansprüchen der Welt, nein – ganz im Gegenteil – ihr Anspruch an die Welt, Nimm mich und mein Schreiben ernst, auch wenn ich eine Frau, BIPOC, arm, was auch immer bin. Gib mir einen Raum, an dem mein Schreiben die erste Priorität ist.

Das andere ist ein Selbstporträt von Weegee, der auf einem Schemel vor dem aufgeklappten Kofferraum seines Chevy sitzt und in seine Reiseschreibmaschine hineinhackt, als könnte ihn nichts davon abhalten. Es ist Nacht, in der einen Hand hält er eine Taschenlampe, aber was er zu Papier bringen muss, ist roh und dringend genug, dass er trotzdem schreibt.

Ich habe diese Bilder damals nicht zusammen bekommen: Virginia Woolf in ihrem Zimmer für sich allein und Weegee an der Autobahn des Lebens. Inzwischen weiß ich, dass Literatur in den Ritzen der Zeit entsteht, wenn ich von meinem Laptop aufstehe oder Gemüse einkaufe und ganz viel davon im Auto. Geschichten und Charaktere müssen nicht erfunden werden, sie sind da, die Arbeit ist, sie aufzuschreiben und aus etwas Lateralem und Lebendigem, etwas Lineares und immer noch Lebendiges zu machen, und für diese Arbeit brauche ich einen Raum für mich allein, Zeit für mich allein, wenn das Kind im Bett und alles Essen gekocht und mein innerer Zensor durch den Zeitdruck ausgeschaltet ist.

Mithu Sanyal (©Regentaucher-Fotografie)

Aber was ich vor allem brauche, ist eine Deadline. Einen Verlag, eine Zeitschrift, eine Person, die auf meinen Text wartet. Wenn ich vor der Entscheidung stehe, in den Park zu gehen oder zu schreiben, dann hält mich nur die Sehnsucht einer anderen Person am Laptop. Und das Wissen darum, dass es dort draußen Menschen gibt, für die dieser Text relevant sein wird. Die mit ihm in Kommunikation treten werden. Literatur ist nichts für die Schublade, nichts für den leeren Raum. Schreibende brauchen einen Resonanzraum. Texte brauchen einen Resonanzraum.

Zum Glück lesen Menschen Bücher. Menschen lesen Bücher, so wie ich Bücher lese, damit ihre Seele gerettet wird, um zu fühlen und sehen, dass es möglich ist, dieses andere Leben zu leben. Dass andere Menschen sich über ähnliche Dinge Gedanken machen und dass es noch ganz andere Dinge gibt, über die wir uns Gedanken machen können, und noch ganz andere Gedanken.

Der Schmerz der Corona-Krise war, dass ich mich dadurch von meinen Erinnerungen abgeschnitten fühlte, von meinen Phantasien, von der Person, die ich war. Als Autorin schürfe ich in meinem Körpergedächtnis nach den goldenen Nuggets von konzentrierter Intensität, wenn alles zusammen kommt und eine Erfahrung plötzlich beginnt zu leuchten: die blaue Milch der Kindheit, der Geruch von Sonne auf der Haut eines anderen Menschen, die von der freundlichen Feuchtigkeit eines dünnen Schweißfilms bedeckt ist. Doch wann immer ich nun zu meinem happy place, meinem inneren writer’s room, ging, war dort ein rot-weißes Flatterband, das signalisierte: Betreten verboten.

Zu diesem Zeitpunkt begann ich eifersüchtig auf die Charaktere in meinen Geschichten zu werden, weil sie Dinge tun durften, die ich um jeden Preis vermeiden musste, mehr noch, sie durften davon träumen. Während wir als Gesellschaft unser Träumen auf einen Zeitpunkt nach der Krise vertagen sollten. So als würden uns Träume, Visionen, (U)Topien, nicht helfen, an das andere Ende der Nacht zu gelangen.

Und das ist der dritte Raum, den Texte brauchen, den Raum der Utopie, an dem es nicht darum geht, wie wir uns an dem Faktischen abarbeiten, sondern welche Welt wir erschaffen wollen. Zusammen.

Wir brauchen Geschichten. Geschichten haben mich gerettet, als ich keinen sicheren Ort hatte, aber ich kann verdammt noch einmal bessere Geschichten erträumen, wenn ich nicht die ganze Zeit damit beschäftigt bin, zu überleben.

 

In Zusammenarbeit mit dem Kultur- und Literaturzentrum Casa del Lago und dem Goethe-Institut in Mexiko-Stadt und ausgehend von Virginia Woolfs Essay »A room of one’s own« hat das LCB vier deutsche – Juliana Kálnay, Isabelle Lehn, Inger-Maria Mahlke und Mithu Sanyal – sowie vier mexikanische Autorinnen – Verónica Gerber Bicecci, Fernanda Melchor, Guadalupe Nettel und Isabel Zapata – eingeladen, sich in kurzen Essays mit den Bedingungen des Schreibens und dem Zweck von Literatur aus weiblicher Perspektive auseinanderzusetzen. Die Begegnungen, Lesungen und Gespräche fanden in einer virtuellen Hybridvilla mit Avataren statt und wurden am 19. November 2020 in einem öffentlichen Livestream präsentiert. 54books veröffentlicht diese Essays in den kommenden Wochen.

 

Photo by Eryka on Unsplash

Die Zurichtung der Frau – Interview mit der dänischen Schriftstellerin Olga Ravn

(Interview von Bror Axel Dehn für die Zeitschrift Vagant, aus dem Dänischen übersetzt von Matthias Friedrich)

 

In Meine Arbeit (Mit arbejde, 2020) treibt Olga Ravn ihre Kritik an den sozialen Verhältnissen weiter als je zuvor. Auf 420 Seiten, die sich aus Prosastücken, Dramatik, Gedichten und Tagebucheinträgen zusammensetzen, kämpft die Erzählerin des Romans mit ihrer Rolle als Mutter. Szenen aus dem Geburtsvorbereitungskurs finden sich neben Katastrophengedanken aus dem Tagebuch. Anna, die Protagonistin, muss einsehen, dass sie sich – nach der Geburt ihres ersten Kindes – nicht in den gesellschaftlichen Anforderungen und Erwartungen wiedererkennen kann; infolgedessen nähert sie sich einem psychischen Zusammenbruch. Denn wie umgehen mit der Scham, die entsteht, wenn man sich in einem einengenden sozialen Normenverständnis nicht wiederfinden kann? Ein paar Tage lang schickten Olga Ravn und ich Mails hin und her. Wir sprechen darüber, was passiert, wenn eine Frau „auf eine spezielle Denkart, auf einen Wertemaßstab hin abgerichtet und krank wird“. Wenn wir einen besseren Gesellschaftsentwurf wollen, dann muss jemand Zeugnis ablegen.

Olga Ravn, mit Meine Arbeit versuchen Sie, einige der vorherrschenden Denkweisen zu problematisieren, die heutzutage an die Rolle als Mutter geknüpft sind. Handelt Ihr Roman von Befreiung?

Ja, ich stelle mir das Buch tatsächlich als einen Befreiungsschlag vor! Ich wollte gerne untersuchen, was für eine Figur eine Mutter ist, die auf den Arbeitsmarkt kommt und wie sie für die unbezahlte Reproduktionsarbeit steht. Beim Schreiben habe ich eine ganze Menge Bücher über Kindererziehung und Elternschaft gelesen. Jedes einzelne davon entwirft sein eigenes Zeitbild. Die Wahrheit über die „richtige“ Kindererziehung wandelt sich fast jährlich. Mir ging auf, dass die Moralvorstellungen der jeweiligen Periode durch die Mutter am deutlichsten hervortreten. Man erwartet von ihr, dass sie alle persönlichen Charakterzüge und Ansichten zur Seite legt, um blind einer Autorität zu folgen, die abwechselnd die Behörden, der Mutterinstinkt, die Natur oder etwas Viertes sind.

Die schwangere Person wird von der Gesellschaft gegängelt bis zum Geht-nicht-mehr?

Im Laufe meines Lebens habe ich oft sogenannte Gesinnungsschnüffelei erlebt, aber niemals derart übergriffig wie während  meiner Schwangerschaft. Man versteht sehr schnell, dass man nicht mehr sich selbst gehört, sondern der Gemeinschaft. Fremde kommen zu einem hin und berühren den Körper, überall bekommt man Ermahnungen zu hören. Es ist klar, dass Eltern – und, aus historischer Sicht, vor allem Mütter – Arbeitskräfte und wahlberechtigte Bürger*innen produzieren. Es liegt im Interesse der Gemeinschaft, dass diese zukünftigen Bürger*innen nach einem Wertemaßstab erzogen werden, der den Status quo aufrechterhalten soll. Die Verantwortung für ein Kind innezuhaben, gehört für mich zu den politischsten Dingen überhaupt.

Wohl aus ebendiesem Grund ist es wichtig, dass jemand diese Erfahrung literarisch bearbeitet?

Mich empört, dass der Geschichte der Reproduktion in der Literaturhistorie nicht mehr Platz eingeräumt wird. Heute habe ich etwa gelesen, dass im ICE (Anm.: US Immigrations and Customs Enforcement) inhaftierten Migrantinnen ohne ihre Zustimmung die Gebärmutter entfernt wird. Vor ein paar Monaten kam dann die Nachricht, dass Schwarze US-Amerikanerinnen in einem Gefängnis sterilisiert wurden – und das alleine deshalb, weil es billiger ist, als für eine medizinische Behandlung der Schwangeren, für Binden und dergleichen aufzukommen. Aber so lässt sich die Bevölkerung eben genau kontrollieren. Die italienische Philosophin Silvia Federici hat es einmal so formuliert: Fangen die Behörden mit einer solchen Überwachung an, dann wächst die Frauenfeindlichkeit der Medien. Es wird deutlich, dass der Staat die Reproduktion aufmerksam im Blick behält; er will mehr von den richtigen Kindern, also weißen Kindern der Mittelklasse. Wenn es darum geht, wer Mutter werden darf und wie, welche Kinder man sich wünscht und unter welchen Gegebenheiten, dann darf man nicht übersehen, dass große wirtschaftliche und politische Interessen auf dem Spiel stehen.

In Meine Arbeit scheitert Anna an einigen der Erwartungen, die an die Rolle als Mutter geknüpft sind, weil sie sich in ihnen nicht wiedererkennen kann. Handelt dieser Roman auch von innerer Zerrissenheit?

Das literarische Doppelgänger-Motiv, das ich auch in Celestine (2015) verwendet habe, interessiert mich schon seit längerer Zeit. In Meine Arbeit wollte ich zeigen, wie eine Frau auf eine spezielle Denkart, auf einen Wertemaßstab hin abgerichtet und krank wird. Auch das kann zu dem Eindruck beitragen, dass man eine Doppelgängerin ist, auf der Bühne der Gesellschaft eine Rolle als Frau spielt und sich darin vielleicht manchmal völlig abhandenkommt – allerdings finden sich im Leben der Frau noch unbeleuchtete Teilbereiche. Die gespaltene Frau, die versucht, die Erwartungen an sie zu erfüllen und sich gleichzeitig dagegen zur Wehr zu setzen – dieses Motiv kann man in der Literatur sehr häufig beobachten. Emily Dickinson spricht von „Horror’s Twin“. Ebenfalls könnte man auf Charlotte Brontës „madwoman in the attic“ verweisen.

Sie sind nicht nur Schriftstellerin, sondern vermitteln Literatur auch durch Übersetzungen, u. a. von Joan Didion und Sylvia Plath. Früher haben Sie im Verlag Gyldendal die Skalaserie mitherausgegeben, eine Reihe übersehener Klassiker. Was bedeutet Vermittlung für Ihr eigenes Schreiben?

Das Gespräch über gute Literatur hängt für mich untrennbar mit dem Schreiben zusammen – an welche Literatur man sich erinnern, welche man analysieren und welche man lesen sollte. Müsste ich ausschließlich den gültigen Kanon lesen, wäre ich zum Schreiben erst gar nicht in der Lage. Deswegen musste ich daran arbeiten, mein Verständnis von Klassikern zu erweitern, denn sonst hätte mein eigenes Schreiben keinen Platz gefunden. Klar, womöglich ist es ziemlich seltsam, auf den Schultern einer großen Literaturgeschichte zu schreiben, die die meisten Leser*innen nicht kennen. Hier denke ich hauptsächlich an das akademische Milieu, Kritiker*innen etc. Gewöhnliche Leser*innen sind im Allgemeinen recht vertraut mit meinen Referenzen. Sie haben Tove Ditlevsen, Doris Lessing, Kirsten Thorup, Sylvia Plath usw. gelesen.

Einen Kanon anders zu denken, das heißt wohl auch, dass wir die Geschichte, die wir kennen, bloß erschaffen haben – und es viele alternative Geschichten gibt?

Ja. Ich fände es sinnlos, einen gültigen Kanon gegen einen neuen einzutauschen. Eher geht es darum, die Vorstellungen über ein bedeutsames Buch, über das Bild eines Menschen oder einer Wirklichkeit zu erweitern. In Meine Arbeit widersprechen viele der Kapitel einander. Ich wollte deutlich machen, dass ein Leben nicht nur eine einzige biographische Wahrheit hat. Um eine etwas schlappe Metapher zu bemühen, man könnte sagen, ich will keine Bücher aus dem Regal entfernen, sondern welche dazustellen. Außerdem meine ich, wir sollten uns einigen der unbequemen Diskussionen über unsere Klassiker hingeben, eben damit wir sie weiterhin lesen können.

In den letzten Jahren wurde in den Medien oft darüber diskutiert, die Literatur dänischer Autorinnen sei zu privat. Wie stehen Sie zu dieser Debatte?

Als ich in die Kopenhagener Schreibschule ging, stieß ich mit dem, was man als „weibliche Erfahrung“ oder „Bekenntnisliteratur“ definieren könnte, auf recht heftigen Widerstand. Das empörte mich, tut es immer noch. Søren Ulrik Thomsen hat viele wunderbare Gedichte geschrieben, aber auch eines darüber, wie satt er die Frauen hat, die über ihr Leben als Frau schreiben. Bei so etwas – diesem herablassenden, jovial-heimeligen Tonfall – verliere ich komplett die Fassung. Einerseits wird man zwingend zur Frau gemacht, andererseits aber, wenn man versucht, diese Erfahrung zu verstehen, wird man gedemütigt. In Lars Frosts Roman Kongskilde NS5100 (2013) sagt der Protagonist, dass es Amalie Smith, Ida Marie Hede und Josefine Klougart an Temperament fehlt und er nicht versteht, was sie mit ihrer Literatur bezwecken. In einem Interview mit Vagant sagt Frost dann auch, dass die Literatur dieser Schriftstellerinnen in einem sterilen Raum spielt, in dem man gerade geputzt und die frischgewaschenen Barbiepuppen aus der Waschmaschine geholt hat. Das ist so dermaßen bekloppt frauenfeindlich. Just saying, ich würde ja gerne mal ein Buch lesen, das von nichts weiter handelt als von den frischgewaschenen Barbiepuppen eines jungen Mädchens.

Haben Sie eigene Erfahrungen mit Frauenfeindlichkeit gemacht?

Dass andere Frauen Misogynie ausgesetzt werden, entspricht auch meiner eigenen Erfahrung, denn sie werden aufgrund ihres Geschlechts angegriffen. Deshalb ist das ein Angriff auf alle Frauen, auch auf mich. In der Schreibschule verfasste ich einmal einen Text über eine Vergewaltigung, und ich erinnere mich, dass mein Mentor sagte: „Ich verstehe ja, dass viele einen Text über ein junges Mädchen lesen wollen, das mal einen dicken Schwanz abkriegt.“ Ich wurde wütend, auf ihn, aber auch auf das Mädchen im Text. Mühsam auf andere Stimmen der Literaturgeschichte hinzuweisen und sie anzupreisen, ist wohl mein Ausweg aus dieser vertrackten Situation. Oft höre ich das Argument, Frauen hätten nicht gut genug geschrieben, aber das ist eine Lüge. Wer glaubt, dass das längst der Vergangenheit angehört, soll bitte mal aufwachen. Noch im August trug die Buchbeilage der Zeitung Politiken die Schlagzeile „Die Frauen bleiben eben“. Man stelle sich vor, weibliches Schreiben sei eine erwähnenswerte Nachricht. Zwischen den Zeilen steht ja: Wann lassen sie’s bleiben?

Würden Sie meinen, es braucht Widerstand, um schreiben zu können?

Nein. Aber ich glaube auch nicht, dass es so etwas wie ein Leben ohne Widerstand überhaupt gibt. Allerdings gehe ich davon aus, dass einen zu viel Widerstand am Schreiben hindern kann. Ich habe es umgekehrt gemacht und Widerstand in einen Antrieb verwandelt.

Wieso? Würden Sie Ihre eigene Arbeit als einen Kampf beschreiben?

Nein, das will ich nicht. In meiner Arbeit möchte ich in erster Linie an einen Ort vordringen, von dem ich meine, dass es ihn gibt, um dann zu sagen, was es heißt, zu leben. Meine Arbeit stelle ich mir als Wechselwirkung zwischen Veränderung und Bewahrung vor. Mit dem Kampf als treibender Kraft kann ich mich nicht aussöhnen. Ich will ganz nah an der Literatur sein, an ihrer wunderbaren, transformativen Kraft. Im Haus der Literatur erzählen mir viele Werke und Ideen, dass ich dort nicht sein darf. Also muss ich um meinen Platz darin kämpfen.

Wollten Sie schon mal alles hinschmeißen?

Ich stand schon oft kurz davor, das Schreiben aufzugeben. Ich glaube, das ist eine grundlegende Erfahrung für Schriftsteller*innen. Finanziell ist es sehr schwer. Und es ist schwer, auf so viel Widerstand zu stoßen. Es ist schwer, nie Erfolg zu haben. Das Schreiben kann einen an Orte führen, an denen man nicht sein mag. Ich glaube, dass man immer ein Wagnis eingehen muss. Immer wieder klammere ich mich an das angenehme Gefühl, dass da etwas in mir ist, von dem ich selbst nichts weiß, oder dass das Schreiben seine eigene Show abzieht. Das ist wunderbar. Das wird niemals verschwinden.

Olga Ravn, geboren 1986, zählt zu den wichtigsten Autorinnen Dänemarks und ist neben ihrer Arbeit als Schriftstellerin auch als Übersetzerin tätig, u. a. von Ann Jäderlund. Seit ihrem Lyrikdebüt im Jahr 2009 veröffentlichte sie drei weitere Gedichtbände; Den hvide rose (2015) erscheint demnächst unter dem Titel Rose werden in Übersetzung von Alexander Sitzmann im deutsch-dänischen Nord Verlag, der Roman De ansatte (2018) ist seit kurzem in Martin Aitkens englischer Fassung erhältlich (The Employees, Lolli Editions). Mit arbejde ist Ravns insgesamt dritter Roman.

 

Photo von Sharon McCutcheon

Fetisch Kreativarbeit – Künstlerbiographien als Lebensratgeber

von Felix Lindner

 

Und wieder eine falsche Kuh. Also setzen sich die beiden Frauen, Gertrude Stein und Alice Toklas, noch einmal in den Ford und fahren weiter, bis zur nächsten Kuh. Steins Aufgabe ist es, zu schreiben, und sie schreibt am liebsten draußen, auf einem Campingstuhl, und zwischendurch, da braucht sie diese Aussicht. Und auch Alice Toklas hat eine Aufgabe: die Kuh zu finden, die zur Stimmung ihrer Freundin passt und sie in ihr Blickfeld bringen. Es ist oft die falsche. Ist eine gute Kuh gefunden, schreibt Stein manchmal, aber meistens, heißt es, meistens schaut sie einfach nur auf Kühe.

Das ist nur eine der 161 Miniaturen, die der Journalist Mason Currey schon vor ein paar Jahren in einem Büchlein zusammengestellt hat: Daily Rituals. How Artists Work heißt es und versammelt die Kreativroutinen der „Geistesgrößen der letzten 400 Jahre“. Darunter sind bekanntere und mittlerweile kanonisierte Anekdoten wie Kafkas Nachtarbeit mit Turnübung und Thomas Manns gestrenge Stundentaktung, weniger bekannte wie Stephen Kings tägliches 2000-Wort-Pensum und Prousts Schreibhaltung im Liegen – sowie den meisten wohl recht unbekannte wie die des Behavioristen B. F. Skinner, der seine Arbeitssessions mit einer Stoppuhr maß und dann auf einer Produktivitätskurve aus Wort- und Stundenzahl evaluierte. Die Angewohnheiten reichen von sympathisch – der Komponist und Möbelfetischist Morton Feldman meinte, wenn er endlich einen bequemen Stuhl fände, könne er es auch mit Mozart aufnehmen – über erwartungsgemäß sonderbar – John Cheever, der jeden Morgen im Anzug mit dem Fahrstuhl in den Lagerraum seines Hochhauses fuhr, um dort bis Mittag nur in Unterhosen zu schreiben – bis hin zur Tyrannei, wie bei Gustav Mahler, der seine Frau Alma eher aus Dekorationszwecken zu seinen stundenlangen Kreativspaziergängen mitnahm. Während er komponierte, hatte sie still zu sein und durfte ihn nicht ansehen.

Unter dem schrägen Titel Musenküsse erschien die Sammlung 2014 auch auf Deutsch, und das Feuilleton hatte viel Spaß damit. „Witzige“ und „amüsante“ Anekdoten und „Marotten“ „aus der wundersamen Welt“ der Künstler:innen hätte man da vor sich, die zeigten, „dass manche Klischees über Genies tatsächlich der Wahrheit entsprechen“, ja „[a]uch geniale Persönlichkeiten haben ihre Alltagsrituale“. Überhaupt sei das Buch, wie die Welt schrieb, „mehr als nur eine lustige Anekdotensammlung: Es ist die Aufforderung, den eigenen Lebensrhythmus zu analysieren.“ Der „Künstleralltag“, heißt es weiter, „inspiriert den Leser, seine eigenen Gewohnheiten zu ergründen und zu überdenken.“ Hier atmen wir kurz aus.

Dass das Buch als Ratgeber und nicht allein aus Arbeitsvoyeurismus rezipiert werden würde, scheint von Verlagsseite zumindest angenommen worden zu sein. Mason Currey jedenfalls fand sich bald in der Rolle des Kreativcoachs wieder, obwohl er doch nach eigener Aussage nur zeigen wollte, welche Verhaltensweisen zu „großartigen Werken“ geführt hätten.  Das ist alles harmlos, solange Künstler:innen nicht zu erfolgreichen Unternehmer:innen  gemacht werden und ihre Arbeitsweise zum Versprechen einer Produktivitätssteigerung. Dann nämlich werden gegenwärtige Imperative von Effizienz und Selbstunternehmertum von vermeintlich unschuldigen, weil künstlerisch wertvollen Vorlagen gestützt. Wer noch besser arbeitet, seinen Alltag noch nutzbringender kuratiert, scheint uns das Buch zu sagen, der wird auch erfolgreich sein. So wird nicht nur Disziplin zur Seinsaufgabe, sondern auch Prekarität als Lifestyle neutralisiert.

Diese Mischung aus scheinbar vorbildlichem Zeitmanagement und Schrullenhaftigkeit scheint hierzulande immerhin einen Nerv getroffen zu haben. Schon im nächsten Jahr erschien ein Folgebuch: Mehr Musenküsse, das unter Beteiligung des Journalisten Arno Frank speziell auf den deutschsprachigen Markt zugeschnitten wurde. Wir wissen nun, dass Sloterdijk zur Entspannung lange Fahrradtouren unternimmt, Handke bei Blockaden gerne Brombeeren sammelt und Scholl-Latour nie Mittag aß. Obendrein heißen sie alle drei auch Peter. Carl Gustav Jung schrieb zwei Stunden am Vormittag, Juli Zeh schreibt zwei am Tag, Franz Josef Wagner fängt um halb vier an und schickt seine Kakophonie einer Kolumne spätestens um sechs weg. Die Routinen sind sich auch im Folgeband allesamt schrecklich ähnlich und liefern Erkenntnis höchstens in der Summe.

Sieht man genauer hin, scheint man es hier mit einer noch recht jungen Art von Selbsthilfeliteratur zu tun zu haben, die Kreativität zum Maßstab gelungenen Alltagsmanagements erklärt. Der Wunsch nach dauerhafter kreativer “Transformation des Alltags“, heißt es in Andreas Reckwitz’ Die Erfindung der Kreativität, sei seit den 1990er-Jahren zu beobachten: Es gelte, einen „erfolgreichen kreativen Habitus“ anzulegen, sein „natürliche[s] Potenzial durch Arbeit an sich selbst zu realisieren“[1], und Künstler:innen stehen dabei Modell. Der Kurier fühlte sich durch die Musenküsse veranlasst, über den „perfekten Tagesablauf“ zu sinnieren und befand: „Nun, da mit dem 12-Stunden-Tag täglich bis zu vier Überstunden möglich sind, ist die Frage nach der optimalen Zeiteinteilung für maximale Produktivität aktueller denn je. […] Ob wir mit der Mehrarbeit jedoch dieselben Meisterleistungen wie Kafka schaffen, bleibt abzuwarten.“ Abgesehen davon, dass die Klientel dieses „Wir“ nur in einer gesellschaftlichen Schicht zu suchen ist, der Zeit überhaupt variabel zur Verfügung steht, erscheint es schlicht ignorant, den Lebensstil von schreibenden Junggesellen zu Beginn des 20. Jahrhunderts als sinnvolles Modell für heutige Arbeitnehmer:innen zu erklären. So nämlich werden ökonomische Strukturen zu individuellen Kompetenzfragen. Sagen Sie doch mal sorgearbeitenden Menschen, sie könnten ruhig ein wenig produktiver in ihrer Zeiteinteilung sein. Die machen das bereits. Kafka arbeitete übrigens halbtags.

Das führt zu einem weiteren Problem. Eher ungewollt zeigen diese Bände, wie viel Sorgearbeit von Frauen notwendig ist, die Wunschfigur des Kreativgenies überhaupt erst zu ermöglichen. Dass sich Sigmund Freud anscheinend sogar die Zahnpasta von seiner Frau Martha auftragen ließ, dass Mark Twain mit einem Horn von seiner Familie gerufen werden musste, steht in eklatantem Gegensatz zu Frauen wie Frances Trollope oder Sylvia Plath, deren Schreibarbeit oftmals um vier Uhr früh begann, um im Verlauf des Tages putzen, waschen und kochen zu können. Was bei den Männern inspirieren soll, das Künstlertum als role model, wirkt bei den Frauen in Anekdotenform allzu oft wie Hohn.

Wohl auch deshalb reagierte man im letzten Jahr mit einem dritten Band der Musenküsse, diesmal nur mit Künstlerinnen. „[G]leichermaßen Fortsetzung wie Korrektiv“ sollte er sein, und bis auf den Einband, bei dem man auf Birgit Nilssons Ausspruch „Mein kreatives Geheimnis sind bequeme Schuhe“ offenbar nicht verzichten konnte, scheint das auf den ersten Blick gelungen. Er sei nun „freier vorgegangen“, schreibt Currey, und habe auch Künstlerinnen porträtiert, „die keinem geregelten Tagesablauf folgten – entweder, weil sie sich diesen Luxus nicht leisten konnten, oder weil sie keinen Wert darauf legten“. 

Dass das Ganze trotzdem überhaupt nicht aufgeht, liegt an der Prämisse dieser Sammlungen. Sie sollen zur Nachahmung anregen, kreative Archetypen liefern, vielleicht sogar Vertrauen in die eigene Arbeit schaffen. Mit dem Fokus auf die Widerstände weiblichen Künstlertums zeigen die Porträts aber eigentlich nur das, was sie verbergen wollten: schreibende Mütter statt Schriftstellerinnen, malende Hausfrauen statt Malerinnen, ein großes „Trotzdem“, das emanzipativ sein will, aber nur den Status quo der Repressalien abbildet, die nicht nachgeahmt, sondern überwunden werden müssen. Es ist dieses „Trotzdem“, trotzdem schreiben, trotzdem malen, trotzdem singen, das nicht richtig passen mag und an die „Starke Frauen“-Kalender  erinnert. Das ist doppelt schade, weil es in der Sache wichtig, nur in der Form daneben ist.

Es ist die Form der Anekdotensammlung, der Miniaturen, die diese Bücher in ihrer Rezeption so problematisch macht. Das liegt zum einen daran, dass die Logik der Anekdote einen desaströsen Quellenumgang geradezu herausfordert. Currey unterscheidet wenig sorgsam zwischen Selbst- und Fremdaussagen. Gerüchte stehen neben Mutmaßungen und Briefstellen neben Biographien. Das lässt Künstler:innen gerade nicht zu Kreativexempeln werden, sondern zu mythischen Kreaturen, die im Stundentakt aus Kaffeepulver Gedichte pressen. Sammlungen als solche suggerieren obendrein, dass es hier so etwas wie Traditionslinien und Konstanten in den Unterschieden gibt, was bei dieser Bandbreite an Künstler:innen schon sozialgeschichtlich nicht der Fall sein kann.

Wer darstellen möchte, mit welchen Routinen, Störungen, Redundanzen und Kontingenzen Künstler:innen bei ihrer Arbeit konfrontiert werden, der muss den Blick auf die Bedingungen dieser Arbeit, nicht auf die Sache selbst lenken. Anekdoten aber machen diese Geschichte intransparent. Sie verwechseln Historie mit deren Wiedergabe, machen Zufälliges aus Notwendigem und aus einem ganzen Leben einen Satz. Sie machen unsichtbar, wie die Ränder künstlerischer Arbeit in deren Zentrum rücken, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, dass Männer abends turnen und Frauen morgens kochen. Kritik wird so unmöglich.

Wie man klug und sinnvoll darauf eingehen kann, zeigt die im November dieses Jahres erschienene und von Ilka Piepgras herausgegebene Sammlung Schreibtisch mit Aussicht. Schriftstellerinnen über ihr Schreiben. Auch hier soll der „Entstehungsprozess literarischer Arbeit“ gezeigt werden, aber mit dem Unterschied, dass die Künstlerinnen hier ausschließlich selbst zu Wort kommen.  Es scheint fast so, als ob die vielen Mythen um geniale Männer gar nicht nötig wären, als ob der Klatsch nur zementieren würde, was man sich ohnehin schon gedacht hatte. Was die Texte von Terézia Mora, Zadie Smith, Antonia Baum oder Elfriede Jelinek den Anekdotenplaudereien von Curreys Sammlungen voraushaben, ist, dass sie etwas zeigen können, was der „Veröffentlichung eines Kunstwerks lange voraus[geht]“: die Vorurteile, die öffentliche Wahrnehmung, die sozialen Investitionen und institutionellen Widerstände, denen schreibende Frauen noch immer ausgesetzt sind. Diese Selbstaussagen erzählen von der Schwierigkeit und auch vom Glück, zu schreiben. Solch Geschichte hätte Currey auch an Männern zeigen können. Nur Anekdoten reichen dafür nicht.

Neben historischer Arbeit braucht das Kreativitätsparadigma dieser Bücher deshalb vor allem eins: Sensibilität. Das Bewusstsein dafür, dass man es in diesen Miniaturen weder aufseiten der Künstler:innen noch aufseiten der Leser:innen mit Luxusproblemen oder Privatsachen zu tun hat, sondern mit Geschlechter- und mit Wirtschaftspolitik, mit Sozial- und Institutionengeschichte. Wo das am wenigsten auffällt, ist es, wie so oft, am wirkungsvollsten – und man sieht am Ende nur die Kuh, aber nicht, wer sie dort hingeschoben hat.  

 

[1] Andreas Reckwitz: Die Erfindung der Kreativität. Zum Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung. Berlin 2012, S. 230, S. 323 sowie S. 346.

 

Photo by Content Pixie on Unsplash

Ein geheimer Garten / Ein vergrößertes Zimmer

(Zwei Essays aus der Reihe Literatur von See zu See des LCB)

Ein geheimer Garten

von Fernanda Melchor (übersetzt von Angelica Ammar)

 

Ich zog in diese Wohnung wegen des Gartens gegenüber. Die Nähe zum Stadtzentrum von Puebla, die drei großen hellen Zimmer, die günstige Miete, all das vergaß ich, als ich zum ersten Mal aus dem Wohnzimmerfenster sah und vier Stockwerke weiter unten, auf der anderen Seite einer engen Gasse, einen von Mauern umgebenen, einsamen wilden Garten entdeckte, dessen Avocadobäume, Mispelbäume, Pfirsichbäume und rosa Engelstrompeten sich im kupferfarbenen Licht der Dämmerung wiegten. Ich nehme sie, sagte ich zum Vermieter, noch ehe er mir den Rest der Wohnung gezeigt hatte. Die Rohre waren in einem schlechten Zustand, die Schlafzimmerwände hätten dringend etwas Farbe gebrauchen können, doch all das war mir egal. Gebannt schaute ich auf den Garten gegenüber. Ich hatte das Gefühl, es sei das Zeichen, auf das ich gewartet hatte, das Zeichen, dass es richtig war, aus dem Haus auszuziehen, in dem ich fast ein Jahrzehnt lang Mutter, Gattin, Hausfrau, Chauffeur, Sklavin und manchmal, gelegentlich, frühmorgens am Esstisch, wenn alle noch schliefen, Schriftstellerin gewesen war.

Fernanda Melchor (©Literatura Random House)

Es war eine turbulente, beklemmende Zeit. Ich war so am Boden zerstört, dass ich die Tage ohnmächtig an mir vorbeiziehen ließ. Nach dem Umzug weigerte ich mich monatelang, einen Kühlschrank zu kaufen, so überzeugt war ich, dass ich ihn nicht brauchte. Nachmittags füllte ich an einem kleinen Tisch, den meine beste Freundin mir geliehen hatte, die Seiten meines Tagebuchs, schaute auf die nackten Wände meiner neuen Bleibe und die einstaubenden Bücherkartons. Jetzt hatte ich alle Zeit der Welt, um zu schreiben, doch ich war wie gelähmt und dachte nur an das, was ich zurückgelassen hatte: die Familie, die ich mir so sehnlich gewünscht hatte, die Tochter, die ich zu meiner gemacht hatte, weil sie eine Mutter und ich dringend einen Sinn im Leben brauchte. Und abends, wenn Krähenschwärme über den Stadthimmel zogen und die Lichter der Kirchen auf dem Hügel von San Juan angingen, stand ich von meinem Tisch auf, öffnete die Läden und dachte, dass meine kleine Tochter dort drüben, auf der anderen Seite der Stadt, allein duschte und zu Abend aß, und niemand hörte, wie sie sich im Bett laut vorlas, eine einsame Schneeleopardin im Pyjama, und ich blickte zu dem Grundstück gegenüber und stellte mir vor, dieser ummauerte, für die vorbeihastenden Passanten völlig uneinsichtige Garten gehöre mir, nur mir; es sei der Wirklichkeit gewordene geheime Garten, den ich all die Jahre lang versteckt hatte hegen müssen, um weiter schreiben zu können, ungeachtet der Verpflichtungen des Erwachsenenlebens, des fordernden Elterndaseins, der Bitterkeit einer zerrütteten Beziehung, der erdrückenden Schuld, die es mir immer noch bereitete, dieses unverständliche Bedürfnis zu haben, für mich allein zu sein und in diesem Hortus conclusus mit meinen Alter Egos zu spielen, unerreichbar für die Welt, unangreifbar für grausame Worte oder nicht gehaltene Versprechen.

Und so sah ich aus dem Fenster, bis es dunkel war, und nach und nach gelang es mir, mich zu überzeugen, dass der Schmerz ein Ende haben, dass er nachlassen würde, wie ein wild klopfendes Herz sich langsam beruhigt, wenn der Albtraum vorbei ist. Eine eigene Wohnung und ein geheimer Garten und Zeit; das war alles, was ich brauchte, sagte ich mir.

 

Ein vergrößertes Zimmer

von Guadalupe Nettel (übersetzt von Carola Fischer)

 

Virginia Woolf war eine der ersten Feministinnen, die ich gelesen habe, und zweifellos ist sie es, die ich immer wieder lese. Ihr Essay Ein Zimmer für sich allein beschreibt mit  schmerzlicher Deutlichkeit die größten Hindernisse, die einer Frau im Wege stehen, nicht nur, wenn sie eine literarische Karriere und gesellschaftliche Anerkennung anstrebt, sondern auch, was so elementare Dinge wie die Kreativität (die gewöhnlich den entspannten Geist aufsucht) oder die Konzentration anbelangt. Ich glaube, dass die Beobachtungen von Virginia Woolf – obwohl sich die Gesellschaft in punkto Gleichberechtigung der Geschlechter weiterentwickelt hat – auch heute noch gültig sind: Eine Frau, die sich auf künstlerischem oder intellektuellem Gebiet entfalten möchte, muss finanziell unabhängig sein, über einen eigenen Raum verfügen, wo sie sich einschließen kann, um zu lesen und zu schreiben, aber auch über eine – wenn auch begrenzte – Zeit, in der niemand etwas anderes von ihr verlangt. Virginia Woolf sprach vom schrecklichen „Haushaltsengel“, damit meinte sie die gesellschaftliche Forderung, dass Frauen sich um die gesamte Kindererziehung kümmern, Alte und Kranke pflegen und selbstverständlich auch alle Hausarbeiten erledigen, eine Forderung, die uns introjiziert wurde, so sehr, dass wir sie häufig als unsere eigene betrachten, anstatt als das, was sie ist: ein ständiger gesellschaftlicher Zwang. Es ist unbestreitbar, dass wir, was Arbeitsrechte und Chancen angeht, große Fortschritte gemacht haben, aber es ist auch wahr, dass die von uns erlangte finanzielle Unabhängigkeit einen doppelten Arbeitstag bedeutet: Wir arbeiten, um Geld zu verdienen – die Glücklichen unter uns verdienen es mit dem Schreiben oder einer anderen selbst gewählten Tätigkeit –, aber es wird immer noch von uns verlangt, schlimmer noch, wir verlangen von uns selbst, dass wir an der Spitze von Familie und Haushalt stehen. Wenn darüber hinaus unsere Kinder zu klein sind, um zu lernen, wenn sie krank sind oder aus irgendeinem Grund nicht in die Schule gehen können, wird der Tag zur Dreifach-Belastung. Dieser Haushaltsengel ähnelt sehr dem, was die Feministinnen der sechziger Jahre „die mentale Last – mental load“ nannten, nämlich die ständige Sorge um das Wohlergehen der Familie: von der Einkaufsliste über die Impfungen der Kinder bis hin zu den Geburtstagsfesten.

Guadelupe Nettel (©Archivo CNL-INBA)

Jede Frau, die es mal versucht hat, weiß, dass man unmöglich einen Text schreiben kann, ohne sich zu konzentrieren. Manchmal wird man das nur vollbringen, wenn man aus dem Haus flieht. Mal ins Grüne, mal in einen geborgten Raum, wo über mehrere Tage hinweg der Computer oder eine Freundin, die wie wir vor den engelhaften Wesen flüchtet, unsere einzige Gesellschaft sind. Einige Kolleginnen haben mir gestanden, dass sie, um ein Buch zu Ende zu schreiben, ihre Schlafenszeit auf ein Minimum (drei oder vier Stunden pro Nacht) reduziert und dadurch ihre körperliche und seelische Gesundheit gefährdet haben. Somit ist jedes Buch, das eine Frau zu Ende schreibt – unabhängig von seiner literarischen Qualität – eine Heldentat, ein Akt der Auflehnung, ein Sieg über die Ausbeutung durch die anderen und die selbst auferlegte. Und das erklärt auch, warum diese Bücher häufig so überraschend, bedeutend sind, so voller Leben, Kenner des Schmerzes, der der conditio humana innewohnt.

Was, außer einem Zimmer für sich allein, braucht eine Frau noch, um schreiben zu können? Häuser für Schriftstellerinnen, wo wir uns nicht nur einmal in zehn Jahren, sondern täglich aufhalten können, wo man uns mit Kindern aufnimmt und diese mehrere Stunden am Tag betreut, Partner, die sich der geschlechtsspezifischen Ungleichheit bewusst sind, die uns nicht nur „bei unseren Pflichten helfen“, sondern die wie wir die Verantwortung für ihren Teil der Erziehung, der Betreuung, des Haushalts übernehmen, also für jene unbezahlte Arbeit, die gemeinhin übersehen wird. Wir brauchen ein Netz an Freunden und größere Familiengruppen, „Familienkollektive“, wie sie von einigen genannt werden, aber auch Arbeitskollektive, wo eine Solidarität unter Frauen gelebt wird, anstatt dass wir das Konkurrenzmodell unserer männlichen Kollegen wiederholen. Wir brauchen Verleger, die die Artikel von Frauen mit gerechten Honoraren und die Bücher von Autorinnen mit angemessener statt „symbolischer“ Bezahlung vergüten, und zwar im Moment der Veröffentlichung und nicht erst Monate später. Wir brauchen Buchmessen und Literaturfestivals mit Gender-Perspektive, wo unsere Bücher genauso sichtbar sind wie die von Männern verfassten.

Wir brauchen Regierungen, die sich des Werts der Kunst und der Kultur bewusst sind, die Stipendien und andere Fördermittel egalitär vergeben. Ich bin überzeugt, dass diese Notwendigkeiten früher oder später anerkannte Rechte sein werden, aber damit es soweit kommt, ist es unerlässlich, dass wir sie weiterhin mit derselben Hartnäckigkeit einfordern, mit der unsere Vorgängerinnen das Wahlrecht oder den Zugang zu den Universitäten durchsetzten, und ebenso mit derselben wilden Entschlossenheit, mit der Virginia Woolf ihre Arbeit vor allen anderen, auch vor sich selbst, verteidigte.

 

In Zusammenarbeit mit dem Kultur- und Literaturzentrum Casa del Lago und dem Goethe-Institut in Mexiko-Stadt und ausgehend von Virginia Woolfs Essay »A room of one’s own« hat das LCB vier deutsche – Juliana Kálnay, Isabelle Lehn, Inger-Maria Mahlke und Mithu Sanyal – sowie vier mexikanische Autorinnen – Verónica Gerber Bicecci, Fernanda Melchor, Guadalupe Nettel und Isabel Zapata – eingeladen, sich in kurzen Essays mit den Bedingungen des Schreibens und dem Zweck von Literatur aus weiblicher Perspektive auseinanderzusetzen. Die Begegnungen, Lesungen und Gespräche fanden in einer virtuellen Hybridvilla mit Avataren statt und wurden am 19. November 2020 in einem öffentlichen Livestream präsentiert. 54books veröffentlicht diese Essays in den kommenden Wochen.

 

Photo by Shunya Koide on Unsplash

Just a room of one’s own? – Schreiben hinter verschlossenen Türen

von Isabelle Lehn
(Ein Essay aus der Reihe Literatur von See zu See des LCB)

 

Warum siehst du so ernst aus, auf deinen Autorenfotos? Hat der Verlag dich so inszeniert? Die Frage eines Studenten beschäftigt mich. In Wirklichkeit wirkst du viel lässiger! Ich muss lachen, weil er mich für lässig hält. Nein, sage ich. Der Verlag hat damit nichts zu tun. Ich allein bin für meine Bilder verantwortlich.

Warum sehen mir meine Fotos nicht ähnlich? Wäre es nicht schöner, ein lässiger Anblick zu sein? Vielleicht, antworte ich, werde ich einfach nicht gern fotografiert. Ich gebe nicht gern ein Bild ab, das mit mir verwechselt wird. Und ich werde nicht gern mit meiner Arbeit verwechselt. Ich will nicht die Frau mit den Lippen sein, die man mit einem Reh verwechselt. Alles schon vorgekommen. Ein Bambi, das für Bambis schreibt. Ich könnte lässiger aussehen, ja. Aber niemand soll denken, dass ich zu lässig denke.

Übertreibe ich ein bisschen? Ein Bild von sich abgeben. Sich einem fremden Blick überlassen, in dem man sich nicht wiedererkennt. Lieber will ich nicht sichtbar sein. Ein Bild ohne Eigenschaften, undurchlässig und schweigsam, in abweisende Farben gekleidet. Ob mein letzter Roman, der vom Scheitern eines ernstzunehmenden Lebens handelt, von seiner Autorin erzählt? Ich will ein Bild, das keine Antworten liefert.

Als Kind stellte ich mir manchmal vor, dass man mich still beobachten könnte. Heimlich, mit versteckter Kamera. Man würde sehen, wie ich wirklich war, wenn ich mich unbeobachtet fühlte: klug und witzig, lässig und wunderbar. Was für ein tolles Kind!, würde man sagen, wenn man mich endlich erkannte. Ich war ein Kind fürs dunkle Zimmer. Für die Freiheit der Einsamkeit, die Unzudringlichkeit von Schallplatten, Büchern und Hörspielkassetten, die keine Notiz von mir nahmen. Ich beobachtete, was im Fernsehen geschah. Der Fernseher sah nie zurück, er beschwerte sich nicht, dass ich starrte. Ich war glücklich, wenn man mich in meinem Zimmer vergaß.

Das Bild, das ich draußen abgab, war allerdings völlig unbrauchbar. In Gesellschaft verwandelte ich mich in ein seltsames Kind. Ich wurde still und ernst, wütend und sprachlos, weil es mir nicht gelang, den room of my own zu verlassen. Ich war wütend auf die Welt, ihre erwartungsvollen Blicke, die laut nach mir greifenden Stimmen, die dieses Kind aus mir machten.

Dass ich meinen letzten Roman schrieb, ist vielleicht auch dem Wunsch dieses Kindes geschuldet. Ein Bild abgeben, das an Ehrlichkeit grenzt, ganz egal wie fiktiv oder real es ist. Wie lebt es sich im room of one’s own, wenn man sich unbeobachtet fühlt? Was spielt sich hinter verschlossenen Türen ab?

Solange mein Zimmer nur mir gehörte, hatte ich kein Geheimnis vor mir. Ich schrieb vor mich hin und machte mir weiß, den room of my own nicht verlassen zu müssen: Niemand wird lesen, was du hier schreibst! Schreib, was du willst! In deinem Zimmer bist du sicher und frei.

Natürlich ahnte ich, dass ich mein Versprechen nicht halten würde. Ich war dabei, mir Gäste in dieses Zimmer zu laden. Mir gefiel, was ich schrieb. Es war gut und witzig, lässig und wunderbar, und wer war ich, es der Welt vorzuenthalten? Die Autorin in mir würde zu eitel sein, diesen Text nicht zu publizieren. Ich wusste es längst. Was ich hier tat, war eine große Schamlosigkeit.

Virginia Woolf sprach von der Notwendigkeit für schreibende Frauen, einen room of one’s own zum Rückzug in die Stille zu haben. Aber sie sprach auch von der Notwendigkeit, diesen eigenen Raum wieder zu verlassen. In ihrem Vortrag Berufe für Frauen aus dem Jahr 1929 benannte sie die „zwei Proben der Schriftstellerin“: Die schreibende Frau müsse die Wahrheit über ihre Erfahrung als Körper schreiben. Und „den Engel im Hause töten“, der von ihr erwartet wird.

Beide Proben handeln von der Überwindung der Scham: Der Engel im Hause muss abgelegt werden, denn er würde sich niemals schamlos verhalten. Er wäre niemals so schamlos, schreibend das Wort zu ergreifen und zu glauben, dass er etwas zu sagen hat. Er würde niemals über sich selbst und den eigenen Körper schreiben. Er würde das Haus nicht verlassen, um seine Gedanken mit anderen zu teilen. Und er würde niemals Gäste hereinbitten, wenn er nicht aufgeräumt hat. Vor allem aber würde er eins nicht: wahrhaftig schreiben.

Konnte es sein, fragte ich mich, dass auch wir an diesen Proben noch scheiterten, knapp einhundert Jahre, nachdem Virginia Woolf sie aufgezeigt hatte? Konnte es sein, dass auch ich noch immer davor zurückschreckte, ohne Scham zu berichten, dass kein Engel in meinem room of one’s own hauste, sondern eine Frau mit Fehlern und Schwächen, deren Körper ihr manchmal zu schaffen machte? Das bin nicht ich!, wollte ich jedem Satz anheften. Das bin doch ich!, schrieb ich stattdessen, Ausrufezeichen. Was ein Mann kann, das konnte ich schon lange. Oder etwa nicht?

Also gab ich dieser Frau meinen Namen. Unter meinem Namen ließ ich sie durch das Chaos führen, das sie im room of her own kuratierte. Ich ließ sie die Fenster öffnen, den Gestank herauslassen, in dem sie vegetierte, und den Müll ausstellen, den sie über die Jahre gesammelt hatte: Ihre gärende Angst vor Versagen, die Sehnsüchte, die unter ihrem Bett verfault waren, den Schmutz der Gedanken und das klebrige Selbstmitleid, die unaufgeräumte Wut, die Reste der Jugend und das Übermaß an Körperlichkeit, den gekippten Stapel aus zu hoch aufgetürmten Erwartungen. Manches davon erkannte ich wieder.

Als der Roman 2019 unter dem Titel „Frühlingserwachen“ erschien, rief er Erstaunen hervor: Mit welcher „Direktheit, Frechheit, Unverschämtheit im Wortsinne – also ohne Scham“ eine weibliche Stimme hier von sich selbst erzählte. Da waren sie also, die Proben der Schriftstellerin, denn meine Bereitschaft, mich ihnen zu stellen, löste noch immer Verwunderung aus. Es sei die „Ausräumung aller Geheimnisse, die Lüftung auch der staubigsten Ecken einer menschlichen Existenz“, fasste eine Kritikerin ihren Eindruck zusammen. Sie schien noch unentschieden, ob das wirklich notwendig war: seinen Dreck mit aller Welt teilen zu müssen.

Ich weiß nicht, ob es notwendig war. Aber dann erhielt ich Emails wie diese: „Danke für das wunderbar tröstliche, komische und abgrundtief wahre ›Frühlingserwachen‹. Danke, Danke, Danke. Es tut gut zu wissen, dass offenbar auch andere solch eine Art Leben führen. Und sei es auch nur eine fiktive Personage. Mir doch egal. Es hilft.“

Der Engel im Hause ist einsam. Er erstickt an seiner Wut, seiner Scham, dem schlechten Geruch des Versagens. Es tut gut, manchmal die Fenster zu öffnen und den room of one’s own kräftig durchzulüften. Ist das schamlos, eitel oder eine Provokation, von der Vermessung einer Welt zu erzählen, die sich innerhalb meines Lebens befindet und nicht in der Vergangenheit liegt? Ist es schamlos, wenn ich daran glauben will, dass diese Welt, die nicht von bedeutsamen Männern bevölkert wird, sondern von einer banalen Frau, anderen zumutbar und (vielleicht noch vermessener) sogar literaturfähig ist?

Mir doch egal. Es hilft.

Da ist dieser Wunsch, alle Räume eines Lebens bewohnen zu dürfen. Ich will kein Zimmer mehr verschließen müssen und vor der Welt im Geheimen halten, alle Fenster öffnen, die Türen einschlagen. Ich will mit der Axt schreiben, den Engel im Hause entleiben. Die Schriftstellerin ist frei von seiner Einsamkeit und Sprachlosigkeit. Ihre Probe aber ist harte Splatter-Arbeit.

 

 

Isabelle Lehn (©Sascha Kokot)

In Zusammenarbeit mit dem Kultur- und Literaturzentrum Casa del Lago und dem Goethe-Institut in Mexiko-Stadt und ausgehend von Virginia Woolfs Essay »A room of one’s own« hat das LCB vier deutsche – Juliana Kálnay, Isabelle Lehn, Inger-Maria Mahlke und Mithu Sanyal – sowie vier mexikanische Autorinnen – Verónica Gerber Bicecci, Fernanda Melchor, Guadalupe Nettel und Isabel Zapata – eingeladen, sich in kurzen Essays mit den Bedingungen des Schreibens und dem Zweck von Literatur aus weiblicher Perspektive auseinanderzusetzen. Die Begegnungen, Lesungen und Gespräche fanden in einer virtuellen Hybridvilla mit Avataren statt und wurden am 19. November 2020 in einem öffentlichen Livestream präsentiert. 54books veröffentlicht diese Essays in den kommenden Wochen.

 

Photo by Mikey Harris on Unsplash

World Beyond – Yolo oder das Ende der Welt

von Katharina Hartwell

 

2020, das Jahr der Lockdowns und unfreiwilligen Heimurlaube, stellte viele vor Herausforderungen, so auch die Streaming-Dienste. Im März 2020 während des ersten strengen Lockdowns sah der Anbieter Netflix sich gar genötigt, die eigene Streamingqualität zu drosseln, um der erhöhten Nachfrage gerecht zu werden. Allerdings sind exzessives Bingen und nicht ganz unberechtigte Eskapismusgelüste wohl nicht vordergründig die Nebenwirkung eines globalen Virus, sondern ein allgemeineres Symptom der Zeit und Gesellschaft, in der wir leben. Fest steht: Streaming-Dienste wie Netflix, Amazon und Sky müssen liefern, und zwar am besten Serien, die uns gleich mehrere Stunden in ferne Galaxien, Paralleluniversen oder vergangene Epochen katapultieren. Bei der Suche nach überzeugenden – also quotenreichen – Geschichten hat sich das Spin-off als Strategie bewährt, und das, obwohl die wahren Erfolgsgeschichten bisher eher ausbleiben.

Je größer der Erfolg der Originalserie, umso größer scheinen der Druck, die Hoffnungen und Erwartungen für den parasitären Nachkommen. So zeigt es sich gerade eindrucksvoll beim einstigen Quotenwunder Game of Thrones. Über die, freundlich gesprochen, ambivalent rezipierte finale Staffel ließe sich ein eigener Text schreiben, an dieser Stelle soll nur kurz auf das dramatische Ringen um einen würdigen Nachfolger verwiesen werden. Gleich mehrere Spin-Offs hatte HBO bereits in Auftrag gegeben, noch bevor sich das vorläufige Schicksal Westeros’ im pompösen Serienfinale entschied. Ein Prequel mit Naomi Watts preschte immerhin bis zum abgedrehten Piloten voran, wurde dann aber vom Sender gecancelt. Nachdem sich über eine Millionen aufgebrachte Fans digital zusammengerottet hatten, um per Petition nach einem Neudreh der letzten Staffel zu verlangen (dieses Mal unter kompetenter Leitung!), wollte man sich bei HBO wohl keinen weiteren Fehltritt leisten.

Weitaus entscheidungsfreudiger ging es da beim Konkurrenzsender AMC zu, sodass wir im apokalyptisch anmutenden Jahr 2020 treffsicher mit einem weiteren Spin-Off des langlebigen Zombiespektakels The Walking Dead beglückt werden.

Auch hier steht einiges auf dem Spiel. Eine millionenfach unterschriebene Petition dräut zwar nicht am Horizont, doch auch auf Walking Dead – World Beyond lastet ein gewisser Erwartungsdruck, denn die dümpelnde Quoten der Ursprungsserie lassen diese ähnlich lebendig wie ihre untoten Antagonist*innen erscheinen. Die nervenzerreißende Spannung der ersten Staffeln ist bei vielen Zuschauer*innen längst müdem Ekel gewichen. Nun scheint fraglich, ob es nach Fear the Walking Dead aus dem Jahre 2015 ein weiterer Ableger wird richten können.

Ein erster Blick auf den Trailer von World Beyond legt zumindest eine gewisse Strategie nahe: Im Walking Dead-Imperium soll für jeden etwas dabei sein! Zombies in allen Geschmacksrichtungen. World Beyond schlägt also einen grundsätzlich anderen Ton an als die Originalserie, der man vieles vorwerfen kann, aber keinen befremdlichen Feelgood-Charakter. Der Cast in World Beyond ist auffällig jung, der Ton eher dramatisch als rau. High School oder vielleicht College, denkt man, erste Liebe, Pubertät. Die vereinzelt herumtorkelnden Zombies wirken wie Fremdkörper.

Aber World Beyond möchte nicht bloß ein paar launige Coming-of-Age-Geschichten erzählen, und daran lässt schon der Trailer keinen Zweifel. Gesellschaftsrelevant geht es zu in dieser besonderen Zombieapokalypse. Man wendet sich hier an und berichtet gleichzeitig von Generation Z, einer Generation junger Menschen, Erb*innen des Anthropozäns, Bewohner*innen einer real prekären Welt, die sich in diesem Jahr ganz besonders in Endzeitstimmung befindet. In jedem Fall ist die Apokalypse (ob nun durch Zombies, den Klimanotstand oder ein Virus) für die Generation Z ein sehr viel weniger abstrakteres Konzept als noch für die Generation vor ihr. 

Der Anspruch, die Zombie-Apokalypse neu zu erzählen, ist zunächst ein löblicher. Hier ist das Potenzial, jene ernst zu nehmen, die sich der Rebellion gegen die eigene Auslöschung anschließen oder Freitag um Freitag für mehr Zukunft demonstrieren. Man kann davon ausgehen, dass sich diese potentiellen Zuschauer*innen einen reflektierten Umgang mit Fragen nach Zukunft, dem Planeten, Gesellschaft und Überleben, Verantwortung und dem Menschsein wünschen. Man mag gleichzeitig bezweifeln, dass sie in erster Linie nach Action, Torture Porn und überholten Geschlechterbildern lechzen. World Beyond versucht auch gar nicht erst, es ihnen anzudrehen.

Man scheint sich dezidiert an die politisch interessierten Erb*innen der Millennials zu wenden. Kaum eine Szene, in der nicht irgendwer schreit: „We are the future!“ Oder: „We will fight for the future!“ Oder: „I live for the future!“ Auch ein flüchtiger Blick auf die Protagonist*innen zeigt, dass die Serienmacher*innen zumindest oberflächliche Marker gesetzt haben, um uns wissen zu lassen: Diese Serie erzählt im Hier und Jetzt und für eine neue Generation. Im Zentrum stehen die beiden Schwestern Iris und Hope, beide PoC, beide toughe, selbstständige Mädchen, deren Stärke sich auf unterschiedliche Weise ausdrückt. Hope ist die anarchisch Wilde, die heimlich Alkohol brennt, sich im Laderaum eines Busses aus der gesicherten Kolonie schmuggelt und ihren Glauben an die Zukunft aufgegeben hat.

Ihre Schwester Iris wird als „Madam President“ eingeführt, tatsächlich ist sie die Präsidentin der Schülervertretung in der sogenannten Campus Kolonie. Nicht ganz unwichtig vielleicht, dass die Serie ihren Lauf in einem quasi akademischen Milieu beginnt. Von Soldat*innen vor der roughen Realität jenseits der Campus Kolonie behütet, hat Feingeist Iris mit Zombies zunächst noch nicht allzu viel am Hut. Sie zieht es vor, Plakate mit aufbauenden Botschaften zu malen, sich im politischen und gesellschaftlichen Leben der Campus Kolonie einzubringen, voller Idealismus zu ihren MitschülerInnen zu sprechen und Reden über die Zukunft zu halten.

Im Walking Dead-Universum allerdings gilt: Reden ist Silber, Zombies töten Gold. Durch ein längeres Gespräch zwischen Iris und ihrer Therapeutin Dr. K., einer an die Sauerstoffflasche angeschlossenen Boomerin in den letzten qualvollen Atemzügen, erfahren wir, dass Iris sich mit ihren Plakaten und Reden auf dem Holzweg befindet. Hier scheinen Dr. K., der altersklugen Repräsentantin einer welterfahreneren Generation, Weisheiten in den Mund gelegt, die zentral für World Beyond sind. In dem wohl entscheidendsten Satz der Therapiestunde mahnt Dr. K.: „Your head is so far up the future’s ass, you’ve completely abandoned the now!“ Es sei schön und gut, über den Wiederaufbau der Gesellschaft in dieser neuen postapokalyptischen Welt nachzudenken, doch statt sich weiter für die Bewohner der Campus Kolonie aufzuopfern, solle Iris sich lieber auch um sich selbst kümmern. Malen! Auf Dates gehen! Einfach die Seele baumeln lassen.

Nach Dr. K.s Tod kurze Zeit später muss Iris einsehen, dass die Therapeutin ihr zu recht den Kopf gewaschen hat. Schluss mit dem Aktivismus, Schluss mit Plakaten und vertrauensvollen Gesprächen mit den Schüler*innen der Campus Kolonie. Iris zieht es nun hinaus, ins Zombieland, wo sie kurz vor Ende der ersten Folge endlich einem Zombie gegenüber tritt. Die selbst gebastelte Machete in der Hand, einen euphorischer Ausdruck im Gesicht wendet sie sich scheinbar an uns Zuschauer*innen und erklärt: „[…] I’m finally living for me in the now. Searching for my own truth […] It feels good.“

Im Jetzt zu leben und sich gut zu fühlen, ist erstmal das Wichtigste – ob Iris’ Suche nach ihrem Vater, der von der geheimnisvollen Civic Republic gefangen gehalten wird, nun irgendwo hin führt oder nicht, ist sekundär. Es geht vielmehr darum, zu erkennen, dass Zombies töten ein Empowerment- und Feelgood-Moment sein kann. Ein wenig überraschend offenbart sich World Beyonds eigentliche Botschaft: Es geht um Selfcare! Und so lässt sich das vorherrschende Sentiment der gefühlvollen Zombieserie gut mit einem Akronym beschreiben, das ähnlich überholt wie die Serie selbst scheint: Yolo! Oder wie die weise Dr. K sagt: „You don’t want to end up in my position and realise you haven’t used the years for yourself.“ Kein größerer Schrecken als der, am Ende seines Lebens plötzlich festzustellen, dass man nicht primär für sich gelebt hat.

Ist die Zielgruppe der Serie also etwa doch nicht jene aktivistische Generation Z, sondern all die traurigen Millennials, die vielleicht auch lieber einen Malkurs belegen oder Zombies töten würden, statt immer nur über die Klimakatastrophe, amerikanische Politik, Politik überhaupt, strukturellen Rassismus und Sexismus oder den Corona-Virus nachzudenken? Dummerweise sind gerade jene Millennials aber, die sich für mutmachenden Botschaften und einen allgemeinen Feelgood-Vibe erwärmen, tatsächlich eher im Malkurs oder lesen Eckhart Tolle, statt eine Serie, in der es doch vorgeblich um Zombiegemetzel gehen soll, zu bingen.

Wer also einigermaßen erzürnt vor dem Bildschirm sitzt, sind die Stammzuschauer*innen der ursprünglichen Walking Dead-Serie, angelockt allein durch die namentliche Anbindung von World Beyond an das Walking Dead-Universum und das Versprechen von Mooszombies. Groß ihr Unmut, wenn sie schließlich feststellen, dass World Beyond ungefähr so spannend ist wie ein ASMR Video.

Dass es AMC spektakulär misslungen ist, den Erwartungsspagat zu meistern, zeigen die diversen aufgebrachten Amazon-Rezensionen (die Serie läuft aktuell nur dort), die aus gleich mehreren Gründen mindestens so spannend sind wie ihr Referenztext. Die Gesamtwertung bezieht sich zurzeit (Stand Oktober 2020) auf zwei von fünf Sternen. Einen ersten Einblick in die kollektive Unzufriedenheit liefert die am höchsten bewertete schlecht bewertende Rezension (!) von Smackx mit dem unheilkündenden Titel: „Eine recht FEMINISTISCH wirkende Welt …“

 Zum Glück für uns Leser*innen mit eher begrenzter Aufmerksamkeitsspanne verrät uns Smackx gleich in der Überschrift den wahren Schrecken von World Beyond. Nicht Zombies, sondern „recht FEMINISTISCHE“ Protagonist*innen werden uns kalte Schauer den Rücken herunterjagen: „Starke, taffe dargestellte Frauen in Führungsrollen und eine verweichlichte, sich unterordnende Männerwelt, also wenn das nicht feministisch wirkend ist, was dann?“, fragt Smackx hier ganz kontemplativ.

Bemerkenswert ist, dass die Kritik sich auf einen Klischee-Vorwurf stützt (durchaus berechtigt, World Beyonds Figuren sind unterkomplex und überzeichnet), während sie selbst in eben diesem klischeehaften und genderstereotypischen Denken verhaftet bleibt. Die Männer sind „verweiblicht“, weil „verweichlicht“, „feminin“ weil „ängstlich“. Ein weiterer Rezensent mutmaßt gar, ihnen sei „das Testosteron ausgegangen“.

Auch von der gefürchteten „politischen Korrektheit“ ist in den aufgebrachten Rezensionen oft die Rede. Diese wird wohl primär an den beiden Hauptfiguren Iris und Hope (beide PoC), dem vorwiegend weiblichen Cast und dem schwulen Soldaten Felix (dessen frappierende Ähnlichkeit zu Walking Deads Rick Grimes das vielleicht Bemerkenswerteste an der ganzen Serie ist) festgemacht. Hier findet nun eine bedauerliche Überlappung von gesellschaftlicher, politischer Haltung und narrativer Qualität statt: Der Umstand, dass feministisch, „politisch korrekt“ erzählt wird, gilt als Beweis für die mangelnde Qualität der Serie. Tatsächlich bedingt sich diese aber bloß narrativ und strukturell. Die Figuren sind Typen, die Dialoge flach. Das hat aber nichts mit politischer Korrektheit zu tun. Auch ein schwuler Soldat, eine Schwarze Schulsprecherin, ein nerdiger Junge im Cordanzug kann und sollte komplex gezeichnet und erzählt sein. Auch diese Figuren kann man als Serienmacher*in überraschend agieren und sprechen lassen. Die Entscheidung, dies nicht zu tun, sondern in Karikaturen verhaftet zu bleiben, hat nichts mit „politischer Korrektheit“ und viel mit einem Unverständnis für ebenjene Individuen und Gruppen zu tun, die hier vorgeblich porträtiert werden sollen.

Eindrucksvoll dargestellt wird dies etwa durch das von Smackx monierte „Comming Out“ (sic!) von Felix („Ohne Quote läuft wohl nichts mehr!“, klagt Smackx). Statt gekonnt das subversive Potenzial der Figur auszuschöpfen, ist die Umsetzung dieses vorgeblich klassischen Actionheldens wie so vieles in der Serie lieblos, altbacken, ein wenig peinlich. Felix’ Background-Geschichte etwa erfahren wir durch wenig subtil eingeflochtene Rückblenden. In der zweiten Folge von World Beyond sehen wir einen sehr jungen Felix, der nach Hause kommt und von seinem aggressiven Vater, der direkt aus einem Stephen King-Film der 90er-Jahre entsprungen zu sein scheint, zur Rede gestellt wird. Der Vater sitzt an einem Tisch, einen Stapel Papiere neben sich. Noch immer sichtlich unter Schock stehend erklärt er seinem Sohn und uns, dass er an dessen Computer auf eine Reihe schockierender E-Mails gestoßen sei. Wohl zur besseren Beweisführung hat er diese gleich ausgedruckt. Warum? Vermutlich, um verstört auf sie zu deuten und sie nachher vielleicht in einem Ordner abzuheften. Ein etwas aus der Zeit gefallener Konflikt nimmt seinen Lauf und der Vater schreit, wie schon unzählige andere Väter in unzähligen anderen Filmen und Serien in unzähligen Dekaden vor ihm: „Get out!“

Jetzt kann man der Serie vielleicht nicht einmal recht vorhalten, dass sie sich entschieden hat, sich der Diskriminierung Queerer Personen in einem denkbar konservativen Milieu zu nähern. Kann ja gut sein, dass irgendwo noch Väter die E-Mails ihrer Söhne ausdrucken und ihnen zurufen, sie sollten sich aus dem Haus scheren. Aber um die cutting-edge-Problemanalyse struktureller Diskriminierung, die man von einer Serie, die sich vorgeblich an ein junges Publikum richtet, erwarten würde, handelt es sich nicht gerade.

Und dennoch fühlt sich ein nicht unwesentlicher Anteil unzufriedener Amazon-KundInnen offensichtlich durch Felix und die anderen „testosteronlosen“ Männer überfordert. Wer sich mit der Serie und ihrer Rezeption auseinandersetzt, der stößt unweigerlich auf ein komplexes und ernüchterndes Problem, das uns zurzeit wohl in den unterschiedlichsten Kontexten, auf unterschiedlichen Kontinenten, in fiktiven oder sehr realen Zusammenhängen begegnet: Die Kluft wird größer. Was einem nicht unbeträchtlichen Publikum zu progressiv, zu fortschrittlich oder, in ihren Worten, zu „politisch korrekt“ erscheint, gestaltet sich für eine andere Gruppe bereits als überholt, flach, altbacken.

Betrachtet man die Amazon-Rezension fällt zudem ein interessanter Spiegeleffekt ins Auge: So wenig wie die Serie in der Lage ist, jene Phänomene, gedankliche Strömungen und Identitäten abzubilden, mit denen sie sich vorgeblich beschäftigt, und stattdessen geradewegs an dem vorbeierzählt, was eine neue Generation umtreibt, so wenig treffend beschreiben viele der negativen Amazon-Rezensionen die massiven strukturellen und qualitativen Unzulänglichkeiten der Serie und fokussieren sich primär auf das so wahrgenommene Problem des „politisch korrekten“ Erzählens.

Dass „politisch korrektes“ Erzählen natürlich qualitativ hochwertiges Erzählen sein kann, sein muss, und es wie im Falle von HBOs Watchmen oder Euphoria auch ist, gilt es nun scheinbar immer wieder neu zu beweisen. Und es steht mehr auf dem Spiel, als bloß ein paar erzürnte Amazon Rezension

 

 

When The Party’s Over – Warhols Kinder und das Ende von Manhattans Nachtleben

von Isabella Caldart

New York: Stadt der Tristesse? Erst vor einigen Tagen konnte man in der ZEIT lesen, die Corona-Pandemie habe New York in die achtziger Jahre zurückversetzt. Aus der „glitzernden Weltmetropole” sei wieder eine „eine entleerte, unterkühlte, vermüllte, gefährliche Kulisse” geworden. Aber was heißt das? Wie war New York in den Achtzigern? Eine Ahnung von dieser ambivalenten Stadt liefert die Geschichte der Club Kids, die damals das Manhattaner Nachtleben revolutionierten – bis Mitte der neunziger Jahre ein Mord die Szene beendete. Wie konnte es so weit kommen? Eine Geschichte von Drag, Drogen und Drano. In den Nebenrollen: Siri Hustvedt, RuPaul und Rudy Giuliani.

Tale of a Young Man

In den Achtzigern ist Manhattan weltweit als Brutstätte der Kriminalität verschrien. Das bankrotte New York hat sich nicht von dem großen Blackout im Jahr 1977 erholt, bei dem die gesamte Stadt lahmgelegt wurde, was nicht nur zu Plünderungen und Vandalismus führte, sondern auch dazu, dass viele Eigentümer ihre Häuser niederbrannten, um Geld von der Versicherung zu kassieren. Einige Viertel liegen auch Jahre später noch teilweise in Schutt und Asche, die Verbrechensrate ist hoch (1990 sollte mit 2.245 Morden der Höhepunkt erreicht sein), der Drogenkonsum ebenso. In Manhattan gelten vor allem der Time Square und das East Village als No-Go-Areas.

Downtown lebt

Doch gerade das East Village ist Magnet für Artists und Outsider. Mitten in das Chaos und den Dreck dieser Straßen zieht im Spätsommer 1984 ein hochgewachsener, schlanker 18-Jähriger mit straßenköterblondem Haar. Wie so viele andere, die aus Ohio, Iowa oder Wyoming nach New York kommen, so ist auch er als schwuler Junge seiner Heimatstadt South Bend, Indiana, entflohen, um in der Hauptstadt der Misfits endlich dazuzugehören. Michael Alig, so sein Name, hat aber mehr als nur dieses Ziel: Er will König des Nachtlebens von Manhattan werden.

Downtown Manhattan wird zu der Zeit bevölkert von Künstler*innen wie Jean-Michel Basquiat, Keith Haring, Andy Warhol oder Madonna. Die großen Zeiten der Factory und des Studio 54 aber sind vorbei. Als Warhol im Februar 1987 stirbt, beschreit der bekannte Underground-Journalist Michael Musto in der Village Voice den „Death of Downtown“. Michael Alig aber, der sich inzwischen einen Namen gemacht hat, nutzt die entstandene Lücke aus; und mit ihm zusammen andere, oft minderjährige Partygänger*innen (1984 war das Mindestalter für Alkoholkonsum auf 21 Jahre festgelegt worden), die sich unter anderem Jenny Talia, Richie Rich, DJ Keoki, Freeze oder Gitsie nannten, außerdem RuPaul, James St. James, Amanda Lepore und Walt Cassidy – die sogenannten Club Kids.

Bei dem Stoff, den die Club Kids hergeben – queere Subkultur, New Yorker Nachtleben, Hedonismus und Exzess – wundert es wenig, dass nicht nur bis heute zahlreiche Artikel und Dokumentationen über diese Szene veröffentlicht werden, sondern dass sie auch literarisch verarbeitet wurde. Jarett Kobek beispielsweise lässt seinen Protagonisten Baby in dem kaum beachteten Roman Unsere wunderbar kurze Zukunft (2018), das Prequel zu dem sehr erfolgreichen Ich hasse dieses Internet (2016), mehrfach auf Michael Alig treffen; Baby empfindet Abneigung für ihn, kann sich einer gewissen Faszination aber nicht erwehren. Er wird zum teilnehmenden Beobachter des Nachtlebens: „[Andy Warhols] Tod hinterließ ein Vakuum, und dann kam dieses bösartige Geschöpf Michael Alig, das verzweifelt und sabbernd zu Licht und Glamour drängte.“

Queere Szene

Aus dem Jahr 2020 betrachtet, könnte man die Club Kids als Influencer*innen oder It-People bezeichnen, die berühmt sind, weil sie berühmt sind. Sie fallen primär durch ihre extravaganten, genderfluiden, aber auch ironischen Outfits auf – ein Look, der sich irgendwo zwischen Culture Club, Slipknot und Ronald McDonald befindet und der 20 Jahre später von Lady Gaga perfektioniert wird. James St. James, eins der bekanntesten Club Kids und ein Freund von Michael Alig, veröffentlichte 1999 sein Memoir Disco Bloodbath, das einige Jahre später unter dem Titel Party Monster mit Macaulay Culkin als Michael Alig, Seth Green als James St. James und Chloë Sevigny (selbst Club Kid späterer Generation) und Marilyn Manson in den Nebenrollen verfilmt wurde. „Yes, the looks were pretty lame in the beginning – just cheap homemade costumes”, beschreibt James St. James die Evolution des Stils – mit merkwürdiger Distanz, war er doch selbst Teil der Szene.

Their sense of style got better as the years went on, but you could always spot a club kid in the wild if there was something glued to his or her face: sequins? feathers? lug-nuts? a Virginia ham? Yup. That’s a club kid.

Während sich zeitgleich Uptown in Harlem die Ballroom-Szene von queeren Schwarzen als emanzipatorische Bewegung – mit nicht minder flamboyanten, dafür aber glamourösen statt witzigen Styles – entwickelt, fehlt den weißen Club Kids das politische Element. Allerdings: In einer Zeit, in der die Angst vor HIV auf dem Höhepunkt ist und von der cishet Gesellschaft nach wie vor als „Schwulenkrankheit“ angesehen wird, bringen die Club Kids Drag und offen gelebte, oft auch performative Homo- und Bisexualität in die Clubs Manhattans und später über zahlreiche Talkshowauftritte in die Wohnzimmer des ganzen Landes.

Innerhalb weniger Jahre erreicht der charismatische Michael Alig (dessen Mutter Elke übrigens aus Bremerhaven stammt) sein Ziel. Er und seine Club Kids repräsentieren Underground und Subkultur, sind aber trotzdem im Mainstream angekommen. Ob in den legendären Clubs Tunnel, Club USA oder dem Palladium, überall wird nach seiner Anwesenheit verlangt, später soll er dem schlecht laufenden Limelight mit einer Partyreihe neues Leben einhauchen. Nichts ist ihm zu wild, zu abgefahren, um zu schockieren. Aber auch fern der Discotheken beweist Michael Alig, dass er die Massen anzieht. In Zeiten vor Handys und dem Internet gelingt es ihm regelmäßig, flashmobartige Partys zu veranstalten und innerhalb von ein, zwei Stunden Hunderte Feiernde zu mobilisieren, mit denen er Subway-Wägen oder etwa den McDonald‘s am Times Square stürmt. Diese Momente sind oft gut dokumentiert. Jarett Kobek beschreibt sie in seinem Roman mit Sarkasmus:

Michael Alig kam mit Kartons voller Essen die Treppe herauf. Alle kreischten. Michael! Michael! Michael! Er stieg auf den Tisch einer Nische und warf der Menge das Essen zu, wie ein Antichrist, der vergiftete Brotlaibe verteilte. Die Leute schubsten und warfen sich übereinander, um nur ja Cheeseburger und Big Macs und Pommes in die Hände zu bekommen.

Von Ende der Achtziger bis Mitte der Neunziger hält diese Ära an, zeigt aber in den letzten Jahren starke Verfallserscheinungen – bevor sie im März 1996 abrupt endet. Insbesondere Michael Alig, der von vielen seiner Zeitgenoss*innen als hoch narzisstisch sowie als Soziopath beschrieben wird, rutscht immer tiefer in die Drogenabhängigkeit ab.

Michael, der Mörder

Was genau am 17. März 1996 passiert, widerspricht sich in den Details. Grob ist der Verlauf aber bekannt. Der 24-jährige Andre „Angel“ Melendez, einer von Michael Aligs Dealern, besucht ihn in seiner Wohnung in Hell’s Kitchen, weil Michael ihm Geld schuldet. Während eines Streits zwischen den beiden kommt es zum Handgemenge. Robert Riggs, genannt Freeze, eilt seinem Freund Michael zur Hilfe und schlägt Angel dreimal mit einem Hammer auf den Kopf. Mutmaßlich stecken sie Angel dann ein Sweatshirt in den Mund und verfrachten ihn in die Badewanne. Ob Angel Melendez zu diesem Zeitpunkt noch lebt oder nicht, ist ungeklärt. Ebenso die Frage, ob Michael und Riggs dem bewusstlosen Angel Drano, einen Abflussreiniger, in den Mund kippen, oder ob sie die Verwesung der Leiche mit Eiswürfeln und Drano bremsen oder den Geruch überdecken wollten.

Fest steht: Michael Alig und Riggs stehlen Drogen, Geld und Klamotten von Angel, lassen den Körper in der Badewanne zurück und gehen feiern. Rund eine Woche lang liegt die Leiche unentdeckt im Badezimmer, während Riggs und Alig in den anderen Räumen ihres Apartments sogar noch eine Party schmeißen. Als der Gestank zu stark wird, kauft Riggs ein großes Küchenmesser bei Macy’s, mit dem Alig die Arme und Beine von Angel absägt. Die Körperteile versenken sie im Hudson River.

In den nächsten Monaten wird Michael Alig zahlreichen Personen erzählen, er habe Angel ermordet. Die einen glauben ihm nicht, halten das für einen makaberen Scherz oder PR-Gag, die anderen haben Angst, bei Michael in Missgunst zu fallen und aus dem erlesenen Kreis der Club Kids verstoßen zu werden. Es ist ein offenes Geheimnis in Downtown, das Michael Alig Angel umgebracht hat. Den meisten ist klar, was das bedeutet: Michaels unaufhaltsame Abwärtsspirale hat ihr Ende erreicht – und mit ihm die gesamte Szene, sobald dieser Mord ans Licht kommt. James St. James hält in seinem Memoir fest: „Michael had finally gone too far […] he destroyed […] everything he had worked so hard to create.” Dass ein Mensch ermordet wurde, spielt für ihn wie für viele andere, die nach Angels Tod wenig freundliche Worte für ihn finden, kaum eine Rolle. Die Polizei unterdessen interessiert sich ebenfalls nicht für Angel Melendez‘ Verschwinden. Latino, schwul, Dealer? Keine Priorität für Ermittlungen der NYPD. Erst als Michael Musto Gerüchte in der Village Voice veröffentlicht und Angels Torso in Staten Island angespült wird, hat der Mord Konsequenzen für Alig, der im Dezember 1996 schließlich festgenommen wird.

Was bei den Aussagen von Zeug*innen und den Beschreibungen dieser Szenen in fast allen Artikeln, Büchern und Dokus fehlt oder höchstens am Rande erwähnt wird: Am Tatort, an dem Robert „Freeze“ Riggs und Michael Alig Angel Melendez ermorden, ist noch eine weitere Person anwesend – der Sohn von Paul Auster.

Die vierte Person am Tatort

On a Sunday in March of 1996 I was at home in my bedroom with a friend”, zitiert James St. James in Disco Bloodbath das Geständnis von Riggs und fügt in Klammern hinzu: „This is Freeze’s only mention of Daniel.” Daniel ist Paul Austers Sohn aus erster Ehe mit der Schriftstellerin Lydia Davis, mit der er von 1974 bis 1977 verheiratet war. Noch heute äußern sich weder Paul Auster noch seine zweite Ehefrau Siri Hustvedt oder deren Tochter Sophie Auster öffentlich über Daniel. Es gibt auch nur wenige Artikel, die ihn in Verbindung mit dem Mord an Angel bringen. Jarett Kobek fasst dies in Unsere wunderbar kurze Zukunft trocken zusammen:

Paul Austers Sohn wird sich schuldig bekennen, 3000 Dollar von Angels Geld gestohlen zu haben. Morganthau wird Paul Austers Sohn nicht in den Zeugenstand rufen, um gegen Michael Alig oder Freeze auszusagen, weil er Junkies für unzuverlässige Zeugen hält. 2003 wird Siri Hustvedt, die Stiefmutter von Paul Austers Sohn, einen unverblümt autobiographischen Roman mit dem Titel Was ich liebte schreiben, der Angels Mord streift. Hustvedt fiktionales Gegenstück wird spekulieren, dass das fiktionale Gegenstück von Paul Austers Sohn über den Mord nie die Wahrheit gesagt hat. Vier Männer befinden sich am 16. [sic] März in Michael Aligs Wohnung. Dem ärmsten von ihnen wird dreimal mit einem Hammer auf den Schädel geschlagen. Derjenige mit den besten Beziehungen bekommt fünf Jahre auf Bewährung. So funktioniert die Welt.

In Zeitungsartikeln muss man gezielt nach Daniel Auster suchen, um mehr über dessen Anwesenheit am Tatort zu erfahren. Siri Hustvedt unterdessen – bei der kein Geheimnis ist, dass ihre wie auch Paul Austers Bücher stark autobiografisch geprägt sind – beschäftigt sich in dem erwähnten Roman Was ich liebte (2003), ihrem bis heute bekanntesten Werk, mit Michael Alig, in ihrer fiktionalisierten Version Teddy Giles genannt. Der Roman erzählt über mehrere Jahrzehnte hinweg das Leben zweier avantgardistischer Paare, die jeweils einen Sohn haben, von denen sich einer der beiden, Mark, mit dem Performance-Künstler Teddy Giles einlässt, und immer wieder seine Eltern und Zieheltern belügt, bestiehlt und hintergeht. Marks Stiefmutter Violet, Hustvedts Alter Ego (wie die Schriftstellerin selbst stammt Violet aus Minnesota und hat norwegische Vorfahren) sagt an einer Stelle über den unberechenbaren Mark: „Ich habe Angst vor ihm.“ Ihre Gefühle zu Mark sind auch eine Schlüsselszene des Romans, in der der Titel erwähnt wird:

Ich bin selbstsüchtig, Leo, und ich habe etwas Kaltes und Hartes in mir. Ich bin voller Hass. Ich hasse Mark. Dabei habe ich ihn geliebt. Natürlich nicht von Anfang an, aber ich habe langsam gelernt, ihn zu lieben und später dann zu hassen, und ich frage mich, ob ich ihn auch hassen würde, wenn ich ihn geboren hätte, wenn er mein eigener Sohn wäre? Aber die wirklich schreckliche Frage ist: Was war es, was ich liebte?

Während Siri Hustvedts Figuren mit Marks Verhalten zu kämpfen haben, dem sie unterschiedlich begegnen, ist Teddy Giles eindeutig als gefühllos, narzisstisch und undurchschaubar dargestellt. Im Verlaufe des Romans wird deutlich, dass er einen Jungen ermordet, seine Leiche zerstückelt und im Fluss versenkt hat – genau wie Michael Alig. Die Frage, inwieweit die Figur Mark in diesen Mord involviert war, bleibt in der Fiktion des Romans ebenso offen wie die Frage, was genau Daniel Auster in der Realität am Tatort gemacht hat.

Auch wenn Hustvedt zu ihrem Stiefsohn schweigt, so sagte sie mit Blick auf ihr Gesamtwerk in einem Interview mit dem Guardian im Jahr 2010 einen bemerkenswerten Satz: „The only monster I’ve ever really made is Teddy Giles.“

Das Ende der Party

„And now: the party was over.” Kein Satz in James St. James‘ überdrehtem, teils selbstironischen, teils sehr kokettierenden Memoir hat mehr Wahrheitsgehalt. Die Party ist vorbei. Gut zwei Jahre vor dem Mord, im Januar 1994, wird der Republikaner Rudy Giuliani, heute einer von Trumps größten Unterstützern, Bürgermeister von New York City. Der Kriminalität begegnet er mit Law-and-Order-Politik, außerdem forciert er mit seiner „Quality of Life Campaign“ eine künstliche Gentrifizierung, indem er unter anderem die Stadt von Graffiti reinigen und viele Straßenstände sowie windschiefe Kiosks verbieten lässt, die sogenannte Disneyfizierung des Times Square vorantreibt und auch sonst alles tut, um New York das Gesicht zu verpassen, das es heute hat: das einer “glitzernden Weltmetropole”.

Das New Yorker Nachtleben ist dem neoliberalen Saubermann Giuliani schon lange ein Dorn im Auge – und der Mord an Angel Melendez der gefundene Grund, um endlich reinen Tisch zu machen. Giuliani lässt zahlreiche Razzien durchführen, bis ein Club nach dem anderen schließt. Die Zeit des subkulturellen Hedonismus ist vorbei, die der Lounges mit überteuerten Getränken angebrochen. Wie Underground-Journalist und Club-Kids-Chronist Michael Musto dies – an seinen Frenemy Michael Alig adressiert – ausdrückt:

You not only killed Angel, you basically murdered nightlife because, as Mayor Giuliani kept looking for ways to crack down on clubs so they became safe for tourists and community boards, you gave him every reason to put further restraints and make going out an exercise in constantly looking back to see who’s watching your every move. In fact, you made it very uncool to go out at all, especially dressed with any flamboyance, because the association was with a hateful, grisly act of violence that was substance-fueled and totally demented. It was years until people were able to dress up and laugh again, and if you find the nightlife still a little too restrained when you reenter it, you mainly have yourself to blame! (Übersetzung unten)

Die Szene der Club Kids hat einige bekannte Gesichter hervorgebracht, vor allem RuPaul (den James St. James in seinem Buch noch als „Mauerblümchen“ bezeichnet) und Chloë Sevigny haben es geschafft, aber auch Künstler Walt „WaltPaper“ Cassidy, der erst vergangenes Jahr das Buch New York: Club Kids veröffentlichte, Drag-Diva Amanda Lepore und natürlich James St. James selbst, der heute manchmal bei RuPaul’s Drag Race zu sehen ist, haben aus ihrer damaligen Bekanntheit langfristigen Gewinn gezogen. Robert „Freeze“ Riggs kam 2010 aus dem Gefängnis und holte ein Soziologiestudium an der NYU nach.

Und Michael? Michael Alig wurde 2014 nach 17 Jahren Haft ebenfalls entlassen. In den Wochen und Monaten danach gab er viele Interviews (und noch immer hat er eine kleine Fanbase, darunter viele junge Menschen, die zu Club-Kids-Zeiten teils nicht einmal geboren waren), promotete ein paar Partys und nahm mit Ex-Freund und Ex-Club-Kid DJ Keoki ein furchtbares Lied auf. Seitdem ist es recht ruhig geworden um ihn. Hin und wieder, wenn er offensichtlich Geldmangel hat, verkauft er alte Flyer über seinen Twitter-Account. Aber sonst kräht kein Hahn mehr nach ihm.

Übersetzung Zitat:
Du hast nicht nur Angel gekillt, sondern mit im Grunde auch das Nachtleben, denn Bürgermeister Giuliani, der nach Wegen suchte, gegen Clubs vorzugehen, um sie für Touris und Gemeinderäte safe zu machen, hast du alle Gründe geliefert, um mehr Beschränkungen durchzusetzen und aus dem Ausgehen eine Aufgabe zu machen, bei der man sich die ganze Zeit umdrehen muss, um zu checken, wer jeden deiner Schritte beobachtet. Tatsache ist, wegen dir ist Feiern jetzt uncool, vor allem, wenn man sich flamboyant kleidet, weil das jetzt mit deiner drogeninduzierten, völlig bescheuerten, hassvollen und widerwärtigen Gewalttat assoziiert wird. Es hat Jahre gedauert, bis sich die Leute wieder aufbrezelen und lachen konnten. Und wenn dir das Nachtleben, sobald du zurückkommst, zu verklemmt erscheint, trägst du die Hauptschuld daran!

Titelbild von Isabella Caldart

Ökonomie der Ungleichheit – Neue Bücher über Wirtschaft und Gender

von Daniel Stähr

[CN Sexualisierte Gewalt, Misogynie]

Der globalen Wirtschaft gehen jedes Jahr 160 Billionen Dollar verloren, durch die ungleiche Bezahlung und den ungleichen Zugang zu wirtschaftlicher Partizipation der Geschlechter. Frauen besitzen weltweit nur 18,3 % des Landes. Frauen sind von der Erbschaft in vielen Teilen der Welt ausgeschlossen und selbst in den High-Income-Ländern Europas und Nordamerikas sind sie in den seltensten Fällen die Erben von Unternehmen.[1] Sowohl im globalen Finanz- als auch Güterhandel kontrollieren Männer 99% der Geschäfte, während Frauen weltweit jeden Tag in Summe ca. 12 Milliarden Stunden unbezahlte Carearbeit (Kinderbetreuung, Haushaltsarbeit, Pflege) verrichten. Es existiert kein Land auf der Welt, in dem Frauen im Schnitt dasselbe verdienen wie Männer.[2]

Das sind nur einige Beispiele für die XX-Ökonomie (gesprochen: Doppel X Ökonomie), die Linda Scott in Das Weibliche Kapital beschreibt (übersetzt von Stephanie Singh). Die Wirtschaftswissenschaftlerin war Professorin an der Saïd Business School der Oxford University und ist inzwischen emeritiert. Unter der XX-Ökonomie versteht sie eine Schattenwirtschaft, in der die weibliche (Wirtschafts-)Tätigkeit durch ökonomische Hindernisse und kulturelle Zwänge getrieben wird. Auf 350 Seiten zeichnet Scott ein globales Bild dieser XX-Ökonomie und beschreibt die Mechanismen, die dazu führen, dass Frauen strukturell diskriminiert werden. Sie verlässt sich dabei nicht auf die bestehenden Daten, sondern ordnet diese kritisch und misstraut ihnen systematisch: „Wenn wir sinnvolle Veränderungen herbeiführen wollen, ist das Wissen um das, was hinter den Daten liegt, von entscheidender Bedeutung, damit unsere praktischen Maßnahmen nicht scheitern oder gar Schaden anrichten.“

Immer wieder macht sie klar: das System, das Frauen benachteiligt, ist dasselbe, das die Daten bereitstellt. Nicht selten wird die Realität dadurch verzerrt. Damit reiht sich Scotts Text auch in die Arbeiten ein, die die sexistische Datenlücke thematisieren. So hat die Journalistin Caroline Criado-Perez erst Anfang des Jahres mit ihrem Buch “Unsichtbare Frauen” ein Plädoyer zur Schließung des Gender Data Gaps vorgelegt . Ein Beispiel verdeutlicht das Problem. So galten von Frauen geführte Unternehmen, basierend auf vermeintlich objektive Daten wie Umsatz, Gewinn oder Wachstumsraten, lange als weniger rentabel.

Daraus wurde der Schluss gezogen, dass Frauen „von Natur aus“ weniger unternehmerisches Geschick besäßen. Die Wahrheit ist allerdings differenzierter. Frauen haben etwa fast überall deutlich schlechteren Zugang zu Krediten. Sie zahlen bei gleichen Voraussetzungen im Schnitt höhere Zinsen auf Unternehmenskredite als Männer. Das ist jahrzehntelang niemandem aufgefallen, weil Banken lange Daten nicht nach Geschlechtern getrennt erhoben haben (und es in vielen Ländern der Welt immer noch nicht tun, dort wo es getan wird, gleichen sich die Daten aber auf erstaunliche Weise unabhängig vom kulturellen Hintergrund). Wenn Frauen Kredite sowohl im geringeren Umfang als auch zu höheren Zinsen bekommen, dann ist es nur folgerichtig, dass es ihre Unternehmen schwieriger haben.

Anekdotische Evidenz als Appell

Scott geht es um mehr, als nur den Status quo darzustellen. Sie will mit Mythen und Vorurteilen aufräumen, die durch verzerrte Daten scheinbar bekräftigt werden. Streng wissenschaftliche Argumente werden mit Anekdoten aus ihrer beruflichen Erfahrung kombiniert. Dabei kommt der Autorin ihre jahrelange Feldarbeit zugute. So hat sie für Regierungsorganisationen, NGOs aber auch privaten Unternehmen etwa in Ghana, Uganda, Bangladesch, Südafrika, Moldawien oder Brasilien Projekte begleitet oder geleitet, die eine Verbesserung der Lage der Frauen vor Ort erreichen wollten. Wenn Scott also Argumente dafür anführt, dass die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen der beste Weg ist, um sie vor Gewalt zu schützen, dann erzählt sie beispielhaft von ihren Erlebnissen in Afrika, Asien oder Europa, wo sie Frauen kennen gelernt hat, die aufgrund ihrer finanziellen Abhängigkeit (sexualisierte) Gewalt ausgesetzt waren. Die verfügbaren Daten belegen den Punkt, dass die wirtschaftliche Selbstständigkeit Gewalt gegen Frauen reduziert, sehr deutlich, aber die teils drastischen Schilderungen von individuellen Schicksalen geben den Zahlen ein Gesicht und eine Dringlichkeit. Das Weibliche Kapital ist ein Appell, den Worten Taten folgen zu lassen.

Der Umgang mit Frauen ist eines der dunkelsten Kapitel der Menschheitsgeschichte. […] Um der Gerechtigkeit und des Mitgefühls willen, aber auch im Sinne des materiellen Wohlstands der gesamten Spezies rufe ich euch auf, euch auf diese wichtige Reise zu machen und euch der Bewegung zur wirtschaftlichen Stärkung der Frauen anzuschließen.

Um ihre Thesen zu stützen und einigen der bekanntesten Argumente von Gegner*innen der Gleichstellung von Mann und Frau zu widerlegen (beispielsweise: „Männer sind evolutionär die Ernährer der Familie“, „Es ist von der Natur nun mal so vorgesehen, dass Frauen zu Hause bleiben und sich um die Kinder zu kümmern.“) führt Scott eine enorme Fülle an Quellen an. Dabei beschränkt sie sich nicht nur auf wirtschaftswissenschaftliche Belege, sondern nutzt Forschungen aus der Anthropologie, Neurologie, den Kultur- und Geschichtswissenschaften, der Psychologie, der Anatomie und der Soziologie. Genau hierin besteht einer der großen Vorzüge des Buches. Auf 350 Seiten scheint es eigentlich völlig unmöglich mehrere Jahrtausende der Evolutionsgeschichte von Mann und Frau, sowie die Forschung zu der Entwicklung des menschlichen Gehirns und eine Chronologie der ökonomischen Benachteiligung der Frau zu beschreiben. Scott schafft es aber, die für ihre Argumentation relevanten Fakten zu präsentieren, ohne sich in der schieren Masse ihrer Bezugspunkte zu verlieren. Immer wieder führt sie ihre Exkurse zurück zu ihrem eigentlichen Anliegen: die Verbesserung der Situation von Frauen heute.

Etwa zeigt Scott am ersten Gleichstellungsgesetz Großbritanniens exemplarisch welche strukturellen Probleme es in der Gleichstellungspolitik gibt. 1970 hatte die britische Regierung den Equal Pay Act verabschiedet, nicht so sehr aus Überzeugung, sondern weil ein solches Gesetz Bedingung für den Beitritt zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft war (die EWG war Vorläuferin der heutigen EU). Das Gesetz umfasst gerade einmal zehn Seiten, inklusive eines Passus, der sich in der Nachbetrachtung als fatal herausstellte: „[die Maßnahmen] sind auf Frauen und ihre Behandlung im Vergleich zu Männern bezogen, doch sie gelten gleichermaßen umgekehrt für Männer und ihre Behandlung im Vergleich zu Frauen.“ Diese Stelle wurde damals in das Gesetz integriert, um der Wut der Männer über eine mutmaßliche Bevorzugung von Frauen vorzubeugen.

Die Folge war keinesfalls, dass von da an Männer und Frauen gleiche Aufstiegschancen erhielten, oder gleich bezahlt wurden. Vielmehr hatte auf Grundlage des Equal Pay Act jeder Mann die Chance zu klagen, wenn eine Frau mit gleicher Qualifikation an seiner Stelle befördert wurde, mit dem Argument der „positiven Diskriminierung“ von Frauen. Nimmt man hinzu, dass zu diesen Zeiten jedes Unternehmen in Großbritannien seine Angestellten entlassen konnte, wenn sie über ihr Gehalt sprachen, festigte der Equal Pay Act von 1970 auf einer institutionellen Ebene die Unterschiede zwischen Männern und Frauen, mit Folgen die bis heute reichen.

Was Scott hier verdeutlicht ist, dass Maßnahmen, die zu einer Gleichstellung führen sollen, aber Männer und Frauen gleich behandeln, per Design zum Scheitern verurteilt sind. Sie ignorieren nämlich die über Jahrhunderte bestehende Machtasymmetrie zwischen den Geschlechtern und zementieren diese so indirekt. Eine Politik die Gleichstellung ernst meint, muss Frauen zwangsläufig “positiv diskriminieren”, um die bestehenden Strukturen aufzubrechen und die bestehende Lücke zu schließe (gleiches gilt für jede marginalisierte Gruppe, die innerhalb einer Gesellschaft systematisch schlechter gestellt ist). Ein Beispiel für einen Ansatz der tatsächlich in der Lage ist den Gender Pay Gap zu schließen kommt ausgerechnet aus den USA. Dort wuchsen die Löhne von Frauen zwischen 1970 und 1990 in Bezug auf die Gender Pay Gap um 30%.

Treibend für diese Entwicklung waren zwei Gründe. Präsidentielle Exekutivverordnungen, die Unternehmen zu ernsthaften und überprüfbaren Bemühungen, die Geschlechterdiskriminierung aktiv abzubauen, verpflichteten, und der relativ einfache Zugang zu Sammelklagen, wenn gegen diese Verordnung verstoßen wurden. Gerade diese Last der Gleichberechtigung von den Schultern einzelner Personen zu nehmen, ist essentiell. In vielen Ländern besteht zwar die Möglichkeit gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz zu klagen. Diese Prozesse sind aber oft lang und teuer und nur die wenigsten Frauen haben die Ressourcen, so eine gerichtliche Auseinandersetzung zu führen. Hätten die USA diesen Trend beibehalten gäbe es dort heute keine Einkommenslücke mehr. Vor allem die Besetzung des Obersten Gerichtshofs mit konservativen Richter*innen während der 80er und 90er Jahre, hat aber dazu geführt, dass viele der nachweislich wirksamen Maßnahmen in den Folgejahren zurückgenommen wurden.

Frauen werden nicht geringer bezahlt, weil sie weniger gebildet, motiviert, oder ehrgeizig sind, weil sie seltener nach mehr Gehalt fragen, schwächer, feiger oder fauler sind oder an den Herd gehören. Keine dieser oder der unzähligen anderen Ausreden, mit denen wir den Frauen kulturell selbst die Schuld an ihrer Situation geben, ist richtig. Sie werden geringer bezahlt, weil feindselige Männer und die von ihnen geschaffenen Institutionen immer wieder Wege finden, der Gleichstellung der Geschlechter auszuweichen.

Insgesamt steht Das Weibliche Kapital nicht so sehr in der Tradition der Arbeiten über die Ungleichheitsentwicklung von Thomas Piketty, Branko Milanović oder Jeffrey Sachs, mit denen sie auch von ihrem deutschen Verlag (Hanser) beworben wird. Vielmehr geht Das Weibliche Kapital über die Forschung der genannten hinaus, weil hier neben der Ungleichheit eine zweite Dimension, die der Geschlechterdiskriminierung, verhandelt wird. Damit ist sie den Arbeiten der Ökonomin Claudia Goldin wesentlich näher, die in den 1990er und 2000er-Jahren herausragende Forschung zur Einkommensungleichheit und den besonderen Charakteristika der weiblichen Arbeitskraft betrieben hat. So zeigt Goldin in ihrer Pollution Theory of Discrimination, dass, weil Frauen von Männern als weniger kompetent wahrgenommen werden, die Aufnahme einer Frau in einen Berufsstand, der bisher vor allem Männern vorbehalten war, das Prestige dieses Berufs in den Augen der Männer senkt. Das führt dazu, dass Frauen der Zugang zu männerdominierten Berufen erschwert wird. Scotts Arbeit lässt sich zumindest in Teilen als empirische Bestätigung von Goldins Modell interpretieren.

Dennoch gibt es blinde Flecken. So ist ist die binäre Weltsicht im gesamten Buch problematisch. Scott beschränkt sich auf die Unterscheidung von Männern und Frauen und gibt dem Text wenig Platz für die Folgen von Mehrfachdiskriminierung. Die besonderen Bedrohungen und Hindernissen denen trans Frauen und Männer oder nicht-binäre Personen ausgesetzt sind, finden keinen Platz. Auch die Hautfarbe spielt bei Scott lediglich eine untergeordnete Rolle. Zwar führt sie für Südafrika die Unterschiede der schwarzen und weißen Bevölkerung exemplarisch an, aber für die USA oder Europa wird nicht darauf eingegangen, dass weiße Frauen strukturell in einer besseren Situation sind als Women of Color. Das ist bedauerlich, da Scott ansonsten sehr genau auf die unterschiedlichen akuten Bedürfnisse von Frauen in unterschiedlichen Regionen der Erde (wie zum Beispiel: Ländern in sub-Sahara Afrika vs. Europas) eingeht, ohne diese gegeneinander auszuspielen, oder die Kämpfe der jeweiligen Frauen zu hierarchisieren.

Eine andere Kritik, der sich Scott regelmäßig ausgesetzt sieht (zuletzt etwa durch Meredith Haaf in der Süddeutschen Zeitung) ist ihr Wirken innerhalb der bestehenden kapitalistischen Strukturen. Immer wieder muss sie sich für ihre Zusammenarbeit mit multinationalen Konzernen wie Walmart oder dem Kosmetikunternehmen Avon rechtfertigen. Scott ist dort Mitglied in Kommissionen, die eingesetzt werden, um die Bemühungen zur Förderung von Frauen innerhalb der Unternehmen oder deren Vertriebsketten zu evaluieren und zu verbessern. Dieser Kritik, die die Autorin in ihrem Text selbst aufgreift, liegt der Gedanken zugrunde, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt: Entweder man ist für oder gegen das gegenwärtige kapitalistische System. Dass es aber möglich ist, das aktuelle Wirtschaftssystem mindestens in Teilen abzulehnen, sich aber dennoch innerhalb des Systems dafür einzusetzen, die Lebensumstände von Menschen zu verbessern, wird anscheinend negiert. Scott geht es allerdings nicht darum, konkrete Aussage darüber zu machen, wie für sie ein ideales Wirtschaftssystem aussehen würde (abgesehen davon, dass in so einem System alle Menschen den gleichen Zugang zu Ressourcen haben müssen). Vielmehr geht es ihr darum, konkrete Möglichkeiten aufzuzeigen, um die reale Lebensqualität von Millionen von Frauen zu verbessern. Man muss den Kapitalismus nicht lieben, um das als ein wünschenswertes Ziel anzuerkennen.

Der Frauenatlas

Eine perfekte Ergänzung zu Scotts Buch ist in vielerlei Hinsicht Der Frauenatlas von Joni Seager. 1987 erschien der Frauenatlas der US-amerikanischen Geografin erstmals in den USA und wurde seitdem unregelmäßig mit aktualisierten Daten neu aufgelegt. 2020 erscheint, ebenfalls bei Hanser die längst überfällige deutschsprachige Version der aktuellen Auflage (in der Übersetzung von Renate Weitbrecht und Gabriele Würdinger). Seager gelingt es, auf fast 200 Seiten und mithilfe von über 150 Infografiken und Karten ein umfassendes Bild der Situation von Frauen auf der Welt zu zeichnen und dabei so wenig verallgemeinernd zu werden wie möglich.

Doch wenn wir etwas aus den modernen feministischen Bewegungen gelernt haben, dann das tatsächlich bestehende Unterschiede zwischen Frauen nicht durch pauschale Verallgemeinerungen verschleiert werden dürfen. Diese Unterschiede zeigen sich an den Bruchlinien von Race, Alter, Sexualität, Religion, Gesellschaftsschicht und Herkunftsland.

So widmet Seager einem Abschnitt explizit der schwierigen Datenlage, sobald die Weltsicht eines binäres Geschlechterverhältnis aufgegeben wird. Durch die Vermittlung der zahlreichen Fakten mithilfe von Infografiken und Karten ist es Seager möglich, differenziert vorzugehen und immer wieder besondere Situationen hervorzuheben. Ergänzt und eingeordnet werden diese Zahlen durch kurze Texte, die enorm zum Verständnis, gerade einiger komplexerer Zusammenhänge, beitragen. Der Frauenatlas zeigt dabei nicht nur die Defizite, sondern präsentiert auch Fortschritte in den Bemühungen der letzten dreißig Jahre. Ohne dabei einen Zweifel aufkommen zu lassen, wie viel Arbeit noch vor uns liegt, bis eine gerechte Welt für Männer und Frauen erreicht ist.

An zwei Beispielen lässt sich das Vorgehen im Frauenatlas illustrieren. In einer Weltkarte stellt Seager etwa die Gesetzeslage bei Abtreibungen für jedes Land dar. Anschließend setzt sie die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche mit den Gesetzen in Beziehung, um so zu zeigen, dass das Verschärfen von Abtreibungsgesetzen nicht zu weniger Abtreibungen führt. Ganz im Gegenteil, je einfacher und sicherer der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen ist, desto weniger gibt es. In einem anderen Abschnitt setzt sich die Autorin mit dem weltweiten Analphabetismus auseinander. Nach wie vor ist ein großer Teil der Analphabet*innen weiblich (ca. zwei Drittel), leichte Fortschritte gibt es bei der Alphabetisierung von Frauen dennoch. Zwischen 1990 und 2014 hat sich der globale Anteil der Frauen, die lesen und schreiben können von 69% auf 82% erhöht. Getrieben wird diese Entwicklung durch den besseren Bildungszugang für Mädchen in vielen afrikanischen Ländern. So wuchs der Anteil im Senegal von 17% auf 44%, auf den Kapverden von 53% auf 85% und in Burundi von 28% auf 83%.

Ergänzend dazu stellt Seager außerdem Daten über den funktionalen Analphabetismus in den USA bereit, wo die Lesekompetenz von ca. 36. Millionen nicht über das Niveau der 3. Klasse hinausgehen. Hier existiert keine Gender-Lücke mehr, dafür wird auf die Diskriminierung von Minderheiten verwiesen. Schwarze und Hispanics sind in den USA drei bis vier Mal so häufig von funktionalem Analphabetismus betroffen wie Weiße. Wo die zahlreichen Daten in Das weibliche Kapital teilweise erschlagend wirken (was der Form des Textes geschuldet ist), ist Der Frauenatlas eine ideale Datensammlung weil er, in verschiedene Ober-Kategorien unterteilt (über Bildung, Recht auf körperliche Selbstbestimmung bis hin zu Macht und Besitz), übersichtlich den Status Quo aufbereitet.

Eine misogyne Disziplin

Es gibt noch eine weitere Lesart der beiden Bücher, die über den Appell für die Gleichberechtigung der Frauen hinausgeht: Eine Kritik an der Ignoranz der Wirtschaftswissenschaften. Ein Beispiel mit dem Scott in Das weibliche Kapital einführt, ist die Debatte um Sexismus innerhalb der Wirtschaftswissenschaften, die 2017 und 2018 vor allem in den großen amerikanischen Zeitungen geführt wurde (etwa in diesen lesenswerten Texten von Elizabeth Winkler und Diane Coyle). Ausgelöst wurde sie durch die Abschlussarbeit der Berkeley-Absolventin Alice Wu. Wu hatte Millionen von Postings eines anonymen Forums analysiert, auf denen sich Studierende der Wirtschaftswissenschaften über Jobs und Job-Gerüchte austauschen konnten. Sie analysiert, ob sich die Sprache, in der über weibliche oder männliche Wissenschaftler*innen geschrieben wurde, signifikant voneinander unterscheide. Die drei häufigsten Wörter in Bezug auf Frauen waren „Hotter“, „bb“ (als Kurzform für „baby“), „Lesbian“ (gefolgt von Begriffen wie „Feminazi“ oder „anal“), bei den Männern waren es „Mathematician“, „Pricing“, „Adviser“.

Diese Missachtung von Frauen in den Wirtschaftswissenschaften ist kaum verwunderlich. Die Disziplin weigert sich seit über einem Jahrhundert die unterschiedlichen Voraussetzungen für Männer und Frauen an der Wirtschaft teilzuhaben, in ihre Modelle zu integrieren. Es ist umso unverständlicher, da die Kritik, die sich die Volkswirtschaftslehre oft öffentlich gefallen lassen muss, fast banal erscheint. Wenn in der Öffentlichkeit die VWL kritisiert wird, fallen schnell Sätze wie „der Markt regelt alles“ als vermeintliches Mantra der Ökonom*innen, obwohl in jedem Grundstudium „Marktversagen“ als Teil der Wohlfahrtsökonomie gelehrt wird.

Auch der „Homo Oeconomicus“ muss immer wieder herhalten, als vermeintlicher Beweis der disziplinären Realitätsferne, obwohl er, wenn er denn überhaupt noch verwendet wird, einzig eine Erleichterung für Berechnungen ist und als Baseline fungiert (nach dem Motto: „Wenn es für den Homo Oeconomicus schon nicht funktioniert, funktioniert es für nicht rationale Agenten erst recht nicht“). Die Annahme der rationalen Individuen und perfekten Märkte ist eher etwas, das neoliberale Nachwuchspolitiker*innen auf Twitter für bare Münze nehmen, aber nichts, das in der internationalen Ökonomie ernst genommen wird. Wohingegen die Unterschiedslosigkeit im Zugang zu Ressourcen von Mann und Frau ein kaum infrage gestelltes Faktum der VWL ist. Es herrscht weiterhin die Meinung, dass zwei Individuen, die sich gleich verhalten (wenn auch eventuell irrational) am Markt (der durchaus Versagen kann) die gleichen Ergebnisse erzielen. Eine absurde Vorstellung.

Wenn Scott “Das weibliche Kapital” von der Gleichstellung der Frau als dem größten vorhandenen Wachstumsbeschleuniger spricht, dann tut sie das nicht in dem Glauben an das Allheilmittel des ständigen Wirtschaftswachstums (ganz im Gegenteil). Vielmehr hält Scott der Wirtschaftswissenschaft den Spiegel vor. Eine Disziplin, deren Mitglieder das Wachstum von Volkswirtschaften noch allzu oft als wichtigstes Maß zur Messung gesellschaftlichen Fortschritts und Wohlstands nutzen, ignoriert freiwillig den potenziell größten Wachstumsfaktor.

In den letzten 30 Jahren gab es durchaus Forschungen dazu, Gender-Spezifikation in ökonomische Modelle zu integrieren, aber diese Ansätze der “feminist economics” [3] sind weit davon entfernt, reale Auswirkungen darauf zu haben, wie einflussreiche ökonomische Modelle heute gelehrt oder angewendet werden. Das Frauen systematisch schlechteren Zugang zu allen Märkten haben als Männer wird aus allen populären Modellen wegrationalisiert. Meistens, weil dieses Problem von den entsprechenden Wissenschaftler*innen negiert wird. Mit dem Argument, dass Frauen, die sich wie Männer verhalten, auch die gleichen Erträge haben würden wie Männer, wird das Problem von Anfang an in das Reich der Mythen verbannt. Die Schuld wird, wie so oft in der Geschichte, bei den Frauen selbst verortet.

80 aus 85

Die Ursache dieses Problem ist offensichtlich. Die Wirtschaftswissenschaften, angefangen bei Adam Smith über John Maynard Keynes bis zu Paul Krugman sind eine Wissenschaft von weißen Männern für weiße Männer. 80 der 85 Preisträger des Nobel Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften sind weiße Männer. Lediglich die beiden in Indien geborenen Amartya Sen und Abhijit Banerjee, der Schwarze Ökonom William Arthur Lewis und die beiden einzigen weiblichen Gewinnerinnen Elinor Ostrom und Esther Duflo durchbrechen diese Riege. Nun mag man argumentieren, dass dieser Preis sowieso irrelevant ist, aber er bestimmt zum einen immer noch, welche Stimmen in der öffentlichen Debatte um ökonomische Fragen gehört werden und ist zum anderen ein Indikator dafür, wessen Forschungen als relevant betrachtet wird. In dieser einseitigen Perspektive liegt das größte Problem der Wirtschaftswissenschaften im 21. Jahrhundert.

Dass dieses System lange Daten produziert hat, die nicht die tatsächliche Situation von Frauen widerspiegeln, verwundert kaum. Zumal sie von Forscherinnen oder Schwarzen Ökonom*innen wesentlich mehr verlangt als von ihren weißen, männlichen Kollegen. Will eine Schwarze Ökonomin systematische Unterschiede zwischen Schwarzen und Weißen oder Männer und Frauen in Modellen etablieren, so bräuchte sie neben ihrer ökonomischen Expertise unter anderem auch eine anthropologische und/oder politikwissenschaftliche, um die Relevanz ihres Anliegens überhaupt erst einmal zu begründen. Nur wenn sie diese Expertise in anderen Disziplinen nachwiese, würde ihr eventuell zugehört. So geht es auch Linda Scott. Es hätte nicht gereicht, wenn sie in ihrem Buch die Ungleichbehandlung von Frauen als Tatsache vorausgesetzt hätte, um sich anschließend auf Lösungsvorschläge zu konzentrieren. Sie musste zuerst belegen, dass das Problem existiert und nicht durch die freien Entscheidungen von Frauen ausgelöst wird und dann zahlreiche absurde und pseudowissenschaftliche Argumente zu vermeintlich natürlichen Unterschieden zwischen Männern und Frauen widerlegen, um zu ihrem eigentlichen Punkt zu kommen.

Und darin liegt vielleicht die größte Stärke und Leistung der Bücher von Scott und Sears – dass sie diese Arbeit zukünftigen Forscherinnen abgenommen haben. Beide liefern eine so große Menge an wissenschaftlichen Belegen und Daten, dass sie nicht einfach mit einem „Männer und Frauen sind von Natur aus unterschiedlich“ oder „der Gender Pay Gap existiert nur, weil Frauen sich schlechter bezahlte Berufe aussuchen“ [4] abgetan werden können. Das macht sie zu Texten, deren Wert in der öffentlichen Debatte um die wirtschaftliche Situation und Gleichberechtigung von Frauen nicht unterschätzt werden darf.

[1] Ich verwende an dieser Stelle den Begriffe Low Income Länder anstelle von den diskriminierenden Begriffen „Entwicklungsländer“ oder „3. Welt Länder“. Es gibt in der ökonomischen Praxis feste Grenzen die Länder anhand des BIP pro Kops in Low-Income Countries, Middle-Income Countries und High-Income Countries einteilen. Diese Begriffe sind sowohl wissenschaftlich genauer und reproduzieren keine Stereotype von „unterentwickelten“ Ländern. Ich ermutige jede*n in Zukunft ebenfalls auf diese Begriffe zurückzugreifen.

[2] Die Daten stammen aus Linda Scotts „Das Weibliche Kapital“ oder Joni Seagers „Der Frauenatlas“. Davon abweichende Quellen sind weiter unten aufgeführt.

[3] 1988 veröffentlichte die neuseeländische Ökonomin Marilyn Warin “If Women Counted” und begründete damit die “feminist economics”. Seit den 90er-Jahren gibt es verstärkt Arbeiten, die aufzeigen wo die Wirtschaftswissenschaften einen Gender-Bias haben, welche negativen Folgen dieser hat und wie er adressiert werden könnte. Nilüfer Çagatay, Myra Strober, Alisa McKay, Nancy Folbre und Julie A. Nelson gehören zu einigen der relevantesten Ökonominnen der feministischen Wirtschaftswissenschaften. Bezeichnend für den Stand der deutschen Debatte diesbezüglich ist, dass es nicht mal einen deutschsprachigen Wikipedia-Eintrag zu dieser Disziplin der VWL gibt.

[4] Was den Gender Pay Gap angeht, ist das die wohl beliebteste Ausrede, um ihn zu negieren. Tatsächlich ist die Kausalität aber andersrum. Berufe, die vor allem von Frauen ausgeführt werden, werden schlechter bezahlt. Treten in einen Beruf, der vormals von Männern dominiert wurde, mehr Frauen ein, sinkt der Lohn.

Zusätzliche Quellen:

The World Bank, 2018, „Unrealized Potential: The High Cost of Gender Inequality in Earnings“

Institut der deutschen Wirtschaft Köln, Röhl/Schmidt, 2010, „Unternehmensnachfolge durch Frauen“

https://www.oxfam.de/ueber-uns/aktuelles/oxfams-studie-sozialer-ungleichheit-12-milliarden-stunden-arbeit-ohne-bezahlt

Photo by Kyle Glenn on Unsplash

Zwischen Kind und Text – Schreibende Eltern im Literaturbetrieb

von Jennifer  Sprodowsky

 

I.

Es war einmal ein in die Jahre gekommener Großkritiker. Dieser Großkritiker glaubte zu verstehen, was es für junge Autoren bedeutete, den Beruf des Schriftstellers zu wählen und auszuleben. So riet der in die Jahre gekommene Großkritiker eines Tages einem jungen Schriftsteller, er solle keine Kinder bekommen, sollte er weiter Bücher schreiben wollen. Der Rat war gut gemeint, schätzte der Großkritiker den Autor doch sehr, ja, er prognostizierte ihm sogar eine glorreiche Karriere, wenn er denn, ja bitteschön, keine Kinder bekäme. Der Autor war natürlich eine Autorin, nämlich Judith Hermann, und diese internalisierte den Rat so sehr, dass sie 2003 nach dem Erscheinen ihres zweiten Buches in einem Interview auf die Frage, ob es denn stimme, dass ihr Marcel Reich-Ranicki damals empfahl, keine Kinder zu bekommen, antwortete: »Ja. Dieser Satz hat mich sehr begleitet, bis ich wieder angefangen habe zu schreiben. Ich hatte die Sorge, dass sich durch das Kind bestimmte Brüche und Unvollkommenheiten in meinem Leben schließen würden.«[i]

Geht es um die Vereinbarkeit von Autor*innenschaft und Elternschaft, wird das Beispiel von Judith Hermann und Marcel Reich-Ranicki häufig zitiert. Dass ein älterer Mann in unantastbarer beruflicher Position eine solche Meinung gegenüber einer Frau, einer Autorin, kundtut, ist zwar fatal, aber nicht weiter verwunderlich. Auch Autoren sehen sich mit vermeintlich gut gemeinten Ratschlägen konfrontiert. Michael Chabon erzählt in der Einleitung seiner Essaysammlung Pops. Fatherhood in Pieces (2018): »At a literary party the summer before my first novel was published, I found myself alone with a writer I admired […]. ›I’m going to give you some advice,‹ he told me, a warning edge in his voice. […] ›Don’t have children,‹ he said.« 

Die genannten Beispiele zeigen: Autor*innen, die schreiben und Kinder haben, rütteln an der Fiktion des hegemonial männlichen Dichtertypus. Wenngleich viele, auch Autor*innen selbst, an dem Mythos festhalten wollen, ist der Dichter eben nicht nur einer, der sich tagein tagaus flanierend, nach Inspiration suchend, durch die Welt bewegt, frei von Verpflichtungen, gerne bis spät in die Nacht schreibend – oder wann immer ihn die Muse küsst. Die Dichter*in ist eine, die einen profanen Lebensalltag hat, der geplant werden möchte und zu dem auch Windeln und Milchflecken gehören. Das nächtliche Schreiben sei hier nicht ausgeschlossen. Es könnte entgegnet werden, dass Eltern – egal welchem Beruf sie nachgehen – doch immer vor dieselbe Problematik gestellt werden: dass es an Zeit fehlt.

Auch eine Bäcker*in oder eine Postbote*in mit Kindern sehe sich schließlich damit konfrontiert, Beruf und Familienalltag unter einen Hut zu bekommen. Diesen Punkt macht auch die US-amerikanische Autorin Rufi Thorpe in ihrem Aufsatz über Elternschaft und Schreiben, Mother, Writer, Monster, Maid: »Time is the issue, not some metaphysical conflict between art and motherhood.« Allerdings wendet sie auch ein: »But another part of me worries that being a writer isn’t exactly like being a factory worker or a nurse.« 

 

II.

Neben dem Idealtypus eines unabhängigen, durch Leiden getriebenen Autors gibt es eine Analogie zwischen Schreiben und Gebären, die in unserem Denken und Sprechen über Autor*innenschaft weit verbreitet ist. Antje Schmidt macht darauf in ihrem Essay Weibliche Empfindsamkeit vs. Männliches Genie – Die Fiktion zärtlicher Autorinnenschaft aufmerksam:

Man könnte also meinen, so wie die bis heute gesellschaftlich glorifizierte Mutter fürsorglich, mitfühlend und bedingungslos wohlwollend ist, ist die zärtliche Autorin – oder der Autor – sanft zu ihrem oder seinem Text. Genährt wird dieser Mythos auch von Schriftsteller*innen selbst. Der Vergleich zwischen dem Verfassen eines Buches und dem Gebären eines Kindes gehört zum tradierten Inventar des Sprechens über Autor*innenschaft.

Auch ich war dieser Analogie aufgesessen: In meiner Verlagsarbeit war mein erstes Lektoratsprojekt der Debütroman eines Autors. Unsere intensivste Arbeitsphase war davon geprägt, dass der Autor und ich ein (nicht gemeinsames) Kind erwarteten. Wenngleich wir beide nicht die Gebärenden waren, setzte sich in der Kommunikation über unsere Arbeit eine Metaphorik durch und fort: Das erste Buch. Das erste Kind. Ich wurde schnell zur Hebamme, die ihm, dem Buch-Gebärenden, half, sein Baby, zur Welt zu bringen, seinen Text in zwei Buchdeckel und damit in die Öffentlichkeit zu entlassen.

Der Text war die Schöpfung, der Autor der Schöpfer, die Mutter. Es war die zeitliche Kongruenz, die uns diese Metaphorik vor die Füße legte: Sein Kind kam zwei Tage nach Abgabe des überarbeiteten Manuskripts zur Welt, meines zwei Tage nach der Kollationierung der korrigierten Fahnen. Damals half uns der Vergleich, die beiden Welten, und damit auch die Aufregung um sie, miteinander zu verbinden und zu relativieren. Wer ein Buch auf die Welt bringen konnte, sollte doch wohl auch ein Kind auf die Welt bringen können. Oder andersherum?

Heute denke ich, dass dieser Vergleich einer ist, der allzu leichtfertig gezogen wird. Denn schnell wird daraus auch ein Strick für schreibende Eltern gedreht. Mitunter wird er von Autor*innen nämlich derart verinnerlicht, dass sie sich fragen, ob es nicht nur eines im Leben geben könne, Schreiben oder Kinder. Zwei semantische Felder, die sich aufgrund ihrer Analogien derart überdecken, bis nur noch eines sichtbar sein kann.

Denken wir über das Verhältnis von Autor*innenschaft und Elternschaft nach, müssen wir also von einem Spannungsfeld ausgehen, das durch das profane Alltagsproblem der Zeit sowie durch eine Metaphorik, in der das schöpferische Ich mit dem gebärenden Ich in Konflikt gerät, erzeugt wird. In der internationalen Gegenwartsliteratur lässt sich ein vermehrtes Auftreten von Texten feststellen, in denen dieses Spannungsfeld produktiv gemacht wird. Schriftsteller*innen beginnen, die »Schreibkrise als Dauerzustand«, wie die Autorin Sandra Gugić den Konflikt pointiert, in Literatur umzuwandeln. Dabei reicht das thematische Spektrum von der Frage »Kinder: ja oder nein?«, über die erlebte Schwangerschaft bis hin zu einem Alltag mit Kindern.

Dass sich Autor*innen in ihren Texten vermehrt mit diesem Verhältnis auseinandersetzen, ist neu und wirft neue Fragen auf. Wie verändern sich durch Kinder die zum Schreiben nötigen Voraussetzungen? Welchen Einfluss haben die ohnehin schon prekären Lebensbedingungen von Autor*innen auf die Entscheidung, ob sie mit Kindern leben möchten oder nicht? Wie unterscheidet sich der Beruf des Schreibens von anderen Erwerbstätigkeiten? Die Autorin Anke Stelling schreibt über diese Wechselwirkung:

Ich versuche, im Erzählen Erkenntnisse zu gewinnen über meine Gegenwart, und ich hoffe, dass das dann auch Leser*innen für ihre Gegenwart interessiert. [] Wenn zu meiner Selbstverwirklichung Kinderkriegen dazugehört, gehört halt auch die Sorge für sie dazu. Weshalb dann Windelnwechseln Einzug in mein Schreiben hält, und mein Schreiben mich vom Windelnwechseln abhält, und das wiederum auszuhalten, ist dann die nächste Stufe meiner Selbstverwirklichung. [] Die Chance, die darin liegt, zu erkennen und zu beschützen. Ich versuche es, indem ich schreibe.[ii]

Ein Leben mit Kindern wird nicht mehr als etwas verstanden, was dem Schreiben zwangsläufig hinderlich sein muss, sondern als etwas, das unmittelbaren und vor allem auch produktiven Einfluss auf das Schreiben haben kann. Auch Juli Zeh spricht  im Alles gesagt?-Interviewpodcast der ZEIT  (ab 7h 47min) darüber, wie sich ihr Schreiben und ihr Leben als Autorin verändert haben, seit sie Kinder hat. Neben dem Einfluss auf ihre Schreibzeit, die mit Kindern kürzer sei und ohne Stimulantien verlaufe,  gibt es auch einen Einfluss auf ihre ihre Figuren: »Früher hatten alle Hunde und jetzt haben alle Hunde und Kinder.«

 

III.

Es fällt auf, dass Schriftsteller*innen, die über Elternschaft und Autor*innenschaft schreiben, oftmals Erzähler*innen wählen, die ihnen selbst (vermeintlich) nahe sind, oder mit denen sie ihren Leser*innen nahe sein können. Diskussionsgrundlage wie sicherlich auch Wegbereiter, wenn es um die Literarisierung von – zunächst einmal – Mutterschaft geht, ist Rachel Cusks A Life’s Work (2001, dt. Lebenswerk. Über das Mutterwerden, 2019). In seiner radikal subjektiven Beschreibung von Mutterglück und Mutterleid wurde der Text als Provokation empfunden. Dass etwas so Privates wie die Erfahrung von Mutterschaft öffentlich gemacht wird, das war für einige Rezipient*innen nicht zumutbar. Rachel Cusk schreibt offen, mit welchen (Selbst-)Verlusten, aber auch (Selbst-)Gewinnen eine Mutterschaft einhergeht, und auch darüber, wie sie als Autorin wieder mit Schreibaufträgen zu beginnen versucht und welche Freiräume sie sich dafür schaffen muss.

In dem Artikel I was only being honest erzählt Cusk über die Reaktionen auf ihr Buch: »On and on it went, back and forth: I was accused of child-hating, of postnatal depression, of shameless greed, of irresponsibility, of pretentiousness, of selfishness, of doom-mongering and, most often, of being too intellectual.« So persönlich wie Cusks Essay geschrieben ist, so persönlich wurde er auch rezipiert: »Again and again people judged the book not as readers but as mothers, and it was judgment of a sanctimoniousness whose like I had never experienced.« Wenn schreibende Mütter an einem Idealbild von Autorschaft rütteln, so rütteln sie gleichzeitig an einem Idealbild von Mutterschaft an sich – ein Bild, das viele Mütter, wenngleich sie um seine Probleme wissen, aufrechterhalten möchten. Dass die deutsche Übersetzung 2019 nicht eine ebensolche Empörung auslöste, zeigt aber, dass sich das Bild von Mutterschaft in den letzten zwanzig Jahren doch gewandelt hat. Es ist differenzierter geworden, kann Ambivalenzen besser aushalten.

Cusk selbst bezeichnet im Vorwort der 2. Auflage der deutschen Übersetzung die von ihr gewählte literarische Form als »ehrliche Form des Schreibens«. Ihr Text sei in erster Linie ein Brief: »Er richtet sich an alle Frauen, die ihn lesen möchten, und ich habe ihn in der Hoffnung geschrieben, dass sie in meinen Erfahrungen eine Art von Begleitung finden.« Cusk hat ihre Leser*innen also direkt vor Augen: Frauen, (werdende) Mütter. Sie setzt auf eine identifikatorische Rezeption und sieht ihr Buch als »eine bescheidene Annäherung an Mutterschaft, verfasst unter dem unmittelbaren Eindruck seines Themas.

Es beschreibt eine Phase, in der die Zeit keine geordnete Abfolge von Ereignissen mehr war, sondern im Kreis zu vergehen schien.« Von der Chronologie abweichend ordnet Cusk auch ihren Text an. Ihre Kapitel sind nach Themen geordnet, Motive kehren wieder, werden neu-/umgeschrieben. Im Sinne einer Art Écriture féminine gießt sie ihren literarischen Gegenstand nicht zwanghaft in eine tradierte (männliche) Erzählweise, sondern lässt Inhalt und Form in eine Wechselwirkung treten. Damit legt die Autorin einen wichtigen Grundstein für folgende Erzählungen über Elternschaft.

Einen ähnlichen, im Ton vielleicht etwas härteren Weg wählt die Autorin Antonia Baum. Auch  ihr autobiographischer Essay Still leben (2018) handelt von  ihrer Erfahrung als werdende (und schreibende) Mutter. Dabei hatte sie sich so fest vor vorgenommen, niemals, wie es im Text heißt, über das Kinderthema zu schreiben, sei dies doch »der absolute Schriftstellerselbstmord«. In Baums Essay wird deutlich, unter welchem Druck eine schreibende Mutter steht.

Das Ich im Buch kämpft immer wieder an gegen Vorurteile und Vorschriften, internalisiert diese ähnlich wie bei Judith Hermann: »Es waren noch ein paar Wochen bis zur Geburt, und ich versuchte noch schnell einen Roman anzufangen, um meine Angst zu besiegen, dass ich, wenn das Baby da war, nicht mehr würde schreiben können oder gar wollen.« Und dann: »Der Roman, den ich, bevor das Baby kam, schnell anzufangen versuchte, damit ich, wenn es da sein würde, etwas hätte, das ich zu Ende bringen musste, wurde erwartungsgemäß nichts. (…) Die Angst, als Mutter nicht mehr schreiben zu können, erschien mir komplett lächerlich. Aber was sollte ich machen, sie war anwesend, sie war gewissermaßen eine meiner Topängste.«

Ich schreibe in diesen beiden Fällen von autobiographischen Essays, wenngleich die paratextuellen Gattungsbezeichnungen unsicher sind. Hierin liegt eine Chance. Literarische Texte über Elternschaft und Schreiben zeugen von einer Unmittelbarkeit, die, wenngleich sie so stark zu spüren ist, auch diffus (im besten Sinne) bleibt. Die erzählerische Unmittelbarkeit ist von einer gattungstheoretischen Uneindeutigkeit durchsetzt, die das Leben als schreibende Mutter, als schreibenden Vater nur allzu gut in all seinen vermeintlichen Widersprüchen fasst. Auch die Autofiktion – eine beliebte Erzählweise für die Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich – findet sich immer wieder als Form für literarische Texte, in denen das Verhältnis von Elternschaft und Schreiben thematisiert wird. Man denke an Sheila Hetis Motherhood (2018, dt. Mutterschaft, 2019), an Karl Ove Knausgård und sein Lebenswerk Min Kamp oder an Deborah Levys The Cost of Living (2018, dt. Was das Leben kostet, 2020).

 

IV.

Maggie Nelsons Memoir oder Essay oder, ja, was eigentlich (?), The Argonauts (2015, dt. Die Argonauten, 2017) ist einer der wenigen Texte, die sich mit queerer Elternschaft auseinandersetzen. Hier geht es um Transformationen, körperlich wie (identitäts-)theoretisch, um die Möglichkeiten queerer Familienplanung und auch um kulturtheoretische Vorbilder, die in das Schreiben und das Leben fließen. Maggie Nelson erschafft aus diesen Transformationen eine ganz eigene Erzählung, in der sie immer wieder ihr Schreiben befragt: »Einmal schrieb ich, dass ich die Hälfte eines Buches im betrunkenen Zustand geschrieben hätte, die andere im nüchternen. Bei diesem hier schätze ich, dass neun Zehntel der Wörter im ›freien‹ Zustand geschrieben wurden, das verbleibende Zehntel, während ich an eine Brustpumpe von Krankenhausausmaßen angeschlossen war: Wörter strömten in die eine Maschine, Milch strömte in die andere.«

Wenn Identitäten und Rollen fluid werden, lassen sich mitunter auch die Erzählstimmen nicht mehr eindeutig aufdröseln. Es kann und soll an dieser Stelle nicht um eine gattungstheoretische Analyse gehen, aber ich möchte auf etwas aufmerksam machen, das die Autorin Marguerite Andersen in Ich, eine schlechte Mutter literarisch auf den Punkt bringt und was ich für wesentlich in der Betrachtung von Texten, die sich mit dem Spannungsfeld von Autor*innenschaft und Elternschaft auseinandersetzen, erachte:

 

Gar nicht so leicht, dieses Schreiben über sich selbst

Ich, eine schlechte Mutter

setzt in Szene:

drei »Ich«

die Autorin

die Erzählerin

und die Protagonistin.

Manchmal verschmelzen sie miteinander

manchmal verbünden sie sich

manchmal ist fraglich, wer spricht.

Drei »Ich«, die in ein und demselben Buch zusammen auftreten

in unterschiedlichen Zeiten

Vergangenheit

Gegenwart

Zukunft

oje!

schon in der Schule hatte ich Schwierigkeiten mit der Zeitenfolge.

 

Ich, eine schlechte Mutter erschien erst im September dieses Jahres in einer deutschen Übersetzung (das französische Original erschien 2013 unter dem Titel La mauvaise mère). Marguerite Andersen, geboren 1924, ist Schriftstellerin und Professorin für Literatur und fragt sich am Ende ihres Lebens, ob es falsch war, dass sie, die damals jung Mutter geworden war, sich stets ihre Freiheit erkämpft hatte, auch auf Kosten ihrer Kinder. Andersen nimmt eine rückblickende Perspektive ein, die es erlaubt, die getroffenen Entscheidungen infrage zu stellen und mitunter zu bereuen. Das erklärt auch den Untertitel: Bekenntnisse.

Wer Entscheidungen trifft, muss bekennen. Doch wie lassen sich solch lebensbestimmende Entscheidungen wie die Kinderfrage überhaupt treffen? Sheila Heti verschreibt sich mit Motherhood komplett dieser Frage. Die Erzählerin, die einige Ähnlichkeiten mit der Autorin aufweist, versucht mithilfe eines Orakels, das aus dem Werfen von drei Münzen besteht und nur im binären Antwortsystem von ja und nein funktioniert, sich selbst und ihren Wünschen und Bedürfnissen näher zu kommen. Über allem steht dabei die Frage, ob die Erzählerin schwanger werden möchte oder nicht, oder wie sich mit der Entscheidung, nicht schwanger werden zu wollen, leben lässt.

Is art a living thing – while one is making it, that is? As living as anything else we call living?

yes

Is it as living as when it is bound in a book or hung on a wall?

yes

Then can a woman who makes books be let off the hook by the universe for not making the living thing we call babies?

yes

Die vermeintlich simple Frage-Antwort-Technik funktioniert natürlich nur zum Schein. Die Erzählerin erwartet nicht, dass die Münzen ihr eine so große Entscheidung abnehmen, doch helfen sie ihr, in ihrem Denken neue Wege einzuschlagen. Sie begibt sich auf eine Erkundungstour des eigenen Selbst und zieht dabei immer wieder Parallelen zwischen Kunst und Kindern und den dazugehörigen Rollen:

Yet perhaps I am not so different from such people – spreading myself over so many pages, with my dream of my pages spreading over the world. My religious cousin, who is the same age as I am, she has six kids. And I have six books. Maybe there is no great difference between us, just the slightest difference in our faith – in what parts of ourselves we feel called to spread.

Patricia Hecht schreibt in der taz: »Es ist ein Mindfuck, den Heti da aufgeschrieben hat – aber einer vom Feinsten.« Aber es ist nicht nur ein Mindfuck, sondern ebenso ein Bodyfuck. Denn es geht auch  um die Terminationen, die dem weiblichen Körper gesetzt sind, und um den Druck, der dadurch ausgeübt wird. So ist der zweite Teil des Romans nach den verschiedenen Zyklusphasen von »Vor dem Eisprung« bis zur »Blutung« angeordnet.

Eine Autorin, die das Erzählprinzip ihres Romans ebenfalls dem weiblichen Körper unterwirft, ist Isabelle Lehn. Auch in Frühlingserwachen findet sich ein Erzählen in (Menstruations-)Zyklen. Diese werden auf einer nächsten Ebene nur noch von den Jahreszeiten, den Buchmessen und der Medikamenteneinnahme der Erzählerin Isabelle Lehn zusammengehalten. Verzweifelt und mit allen Mitteln der Reproduktionsmedizin versucht die Erzählerin schwanger zu werden und zu bleiben, doch kommt sie dann doch immer wieder die Blutung. Dass sich dieser Prozess so sehr in die Länge zieht, gibt der Erzählerin genügend Zeit, ihren Kinderwunsch immer wieder infrage zu stellen und auch in Bezug zu ihrem eigenen Schreiben zu setzen. Die Isabelle Lehn im Buch ist ebenfalls Autorin und schreibt an einem Roman der Selbstentblößung. Hin- und hergerissen zwischen Leid und Mitfreude blickt sie sich um: »Es macht mir nichts aus. Es ist mir gleichgültig, ob meine Freundinnen schwanger werden oder ihre Bücher zur Welt bringen. Es macht fast keinen Unterschied. Aber eben nur fast, denn immerhin trinkt Tien noch mit ihr.«

 

V.

Anke Stelling ist eine Autorin, die sich in ihrem Werk immer wieder mit der Frage nach dem Verhältnis von Elternschaft und Autor*innenschaft auseinandersetzt. Resi, die Ich-Erzählerin im Roman Schäfchen im Trockenen (2019), ist ebenfalls eine Schriftstellerin und eine Mutter, die versucht, diese beiden Rollen in Einklang zu bringen:

Es tut mir leid, dass hier alles so zerrissen scheint. Ich hätte mehr Stringenz, eine erkennbare Einheit, einen Trost für alle, die auf der Suche sind. Doch ich bin, wer ich bin, und ich werde nicht mehr so tun, als hätte ich dieselben Voraussetzungen wie, sagen wir mal, Martin Walser.

Oder:

Keine Sorge!, ich klage nicht, ich bin selbst schuld. Warum habe ich auch all diese Kinder gekriegt? Erst, wenn sie schlafen, wird es eine Antwort darauf geben; erst, wenn ich schreibe, kann ich wieder behaupten, wer ich bin. Genau deshalb ist das hier das Gegenteil eines gut gebauten, elegant komponierten Romans.

In Stellings Roman begegnen uns immer wieder solch meta-poetologische Kommentare der Ich-Erzählerin, und allesamt zielen sie auf etwas, das bereits in den anderen genannten Titeln deutlich wurde: Wenn Autor*innen über Elternschaft schreiben und darüber, was diese Elternschaft für ihr eigenes Schreiben bedeutet, kann es nicht darum gehen, in festgefahrenen Erzählmustern zu verbleiben, sondern es muss darum gehen, neue Erzählwege einzuschlagen.

Interessant ist auch, dass einige Texte über Elternschaft und Autor*innenschaft an die Kinder, die Nachkommen adressiert sind. So erzählt Resi beispielsweise für ihre Tochter Bea. Sie hat sich vorgenommen, sie mit der gnadenlosen Wahrheit zu konfrontieren, um nicht denselben Fehler wie ihre Eltern zu begehen, das Vorenthalten von Lebenswichtigkeiten. Die norwegische Autorin Kjersti A. Skomsvold richtet ihren Roman (hier findet sich auf dem Cover der deutschen Übersetzung die Gattungsbezeichnung »Roman«, wenngleich Skomsvold auch für ihr autobiographisches Schreiben bekannt ist) Meine Gedanken stehen unter einem Baum und sehen in die Krone (2019) an ihre Tochter – die Zweitgeborene –, sie schreibt an ein »Du« und erzählt diesem »Du« alles über die beiden Schwangerschaften, die Geburten, die jeweils ersten Monate, aber auch über die Beziehung zu ihrem Mann, dem Vater der Kinder, sowie über ihr eigenes Schreiben. Die Ich-Erzählerin konnte erst wieder schreiben, als ihr zweites Kind geboren war (»Als hättest du erst kommen müssen, als hätte ich dich haben müssen, um dir all das zu erzählen, du musstest kommen und für einen Neuanfang sorgen, damit ich die vorausgegangenen Jahre, die eingetretenen Veränderungen, einigermaßen klar betrachten konnte.«).

Die Autorin Simone Hirth wiederum richtet ihren Briefroman Das Loch gleich an mehrere Adressat*innen, was auch in mir den Wunsch auslöst, mit einem Brief zu reagieren:

Göttingen, den 14. Oktober 2020

Liebe Simone Hirth, 

ein Briefroman – welch altertümliche Gattung – über eine Schriftstellerin, die Mutter wird! Ich finde sie großartig, die literarische Form, die Sie für ihren Roman Das Loch gewählt haben. Und wie praktisch, lässt sich doch das Schreiben von Briefen viel besser in einen Alltag mit Kind(ern), wenn sowieso alles fragmentarisch erscheint, integrieren als eine große teleologische Erzählung. Kennen Sie die Stelle in Antonia Baums Still leben (ich habe das Zitat gerade nicht parat), in dem die Autorin darüber schreibt, dass ihr Alltag vor der Geburt des Kindes aus vielen langen Strichen bestand, die die Erledigungen ihres Alltags darstellten, also alles linear verlaufende, an einem Stück abzuarbeitende und vor allem eben auch abgearbeitete Dinge, während ihr Leben mit Kind nur noch aus vielen Punkten besteht, aus vielen begonnenen Tätigkeiten, aber keine davon zu Ende geführt? Ihre Briefe sind wie diese Punkte. Und das meine ich weder negativ noch beleidigend. Im Gegenteil. Also im Grunde genommen sind Sie ja nicht die Briefeschreiberin, sondern Henriette Schöbel, Ihre Protagonistin. Glauben Sie, es geht vielen Autor*innen, die über das Kinderthema schreiben, so? Also, dass sie allzu voreilig mit ihren Protagonist*innen gleich gesetzt werden? Mehr als bei anderen Themen? Jedenfalls schreibt Henriette Schöbel Briefe an Jesus, aber auch an Mohammed und die Frauenministerin, an Ulrike Meinhof, Madonna und Schneewittchen, und immer wieder auch an Personen aus ihrem direkten Umfeld, an ihren Sohn oder ihren Schwiegervater. Manchmal gibt es viel zu schreiben, weil die Zeit dafür auch gerade da ist. Manchmal, wenn das Schreiben unterbrochen wird, ist so ein Brief auch mal nur einen Satz lang, wie der vom 12. März 2018: »Lieber Jesus, oha er kackt schon wieder«. Nicht mal für ein abschließendes Satzzeichen war noch Zeit. Ja, so ist das manchmal.

Ich muss jetzt los, meinen Sohn aus der Kita abholen. Danke Ihnen für diesen gelungenen Roman, liebe Simone Hirth, und schauen Sie sich um, Sie sind in bester Gesellschaft.

Herzliche Grüße,

Jennifer Sprodowsky, eine Leserin Ihres Romans

 

VI.

Mit dem Lockdown und der Verlegung der Kinderbetreuung nach Hause musste Care-Arbeit in vielen Familien noch einmal neu definiert und verhandelt werden. Gerade für Schriftsteller*innen, deren Arbeitszeit ohnehin zumeist im häuslichen oder privaten Umfeld stattfindet, verschärft sich hier der Konflikt. Einige der Autor*innen des Blogs Other Writers Need to Concentrate bringen das auch in ihren Beiträgen zum Ausdruck, wie beispielsweise Barbara Peveling am 12.09.2020: “In der Nacht liege ich wach und überlege, ob ich meine Kinder wohl auch bekommen hätte, wenn mir vorher klar gewesen wäre, dass die Gesellschaft mich bei der ersten großen Krise allein mit ihnen lässt.” 

Es ist wichtig, dass sich mit dem Blog, der als Weiterführung einer von Carolin Callies eigens zu dem Thema konzipierten poetin-Ausgabe[iii] betrachtet werden kann, ein Zusammenschluss von Autor*innen und Künstler*innen findet, der darauf aufmerksam macht, welche Rolle Care-Arbeit in unseren Leben sowie in der öffentlichen Wahrnehmung spielt, denn bislang scheint der Literaturbetrieb wenig Platz zu haben für schreibende Eltern. Wie viele Aufenthaltsstipendien sind beispielweise mit Kindern anzutreten möglich? Und wenn es dann doch erlaubt ist, Kinder oder die Familie mitzubringen, so endet das schnell, wie David Blum in seinem Beitrag »Anekdoten aus Schöppingen« vom 8. September 2020 schreibt: “Die zweite Nacht in Schöppingen endet nach drei Stunden. Der Kleine sitzt im Bett und übergibt sich. Im Schlafanzug eile ich zu den Gemeinschaftsräumen, um frische Bettwäsche zu besorgen. Auf dem Weg lerne ich die anderen Stipendiaten kennen. Sie sitzen vor dem Kamin, rauchen, trinken, unterhalten sich. Ich grüße und wühle in den Schränken nach Bezügen und Laken.”

Der Name des Blogs stammt übrigens aus eben solch einem Gespräch über ein Stipendium, wie die Redaktion auf dem Blog verrät: »›And sorry to tell you that we do not accept little kids as it really troubles other writers who need to concentrate‹, war die Antwort auf eine Anfrage an ein Künstlerhaus, ob die Möglichkeit bestehe, zu dem bereits zugesagten Aufenthaltsstipendium mit Familie anzureisen.«

Bleibt nur zu hoffen, dass sich immer weniger Autor*innen konzentrieren können, damit mehr Geschichten schreibender Eltern erzählt werden können.

 

 

[i] Hermann, Judith (im Gespräch mit Kolja Mensing und Susanne Messmer): »Ich hoffe auf Erlösung«. In: taz. die tageszeitung (31.01.2003). ‹https://taz.de/!818636/›.

[ii] Stelling, Anke (im Gespräch mit Carolin Callies): Den Engel zeitweise aussperren. In: Autorschaft und Elternschaft. poetin nr. 25. Hrsg. von Andreas Heidtmann. Leipzig 2018.

[iii] Heidtmann, Andreas (Hg.): poetin nr. 25. Autorschaft und Elternschaft. Leipzig 2018.

 

 

Photo by Markus Spiske on Unsplash

 

Knause-Pause – Was man statt Knausgård lesen kann

von Matthias Friedrich

Dieser Tage erscheint in Deutschland ein neuer Roman von Karl Ove Knausgård. Nein, es handelt sich nicht um den in diesem Herbst im Original veröffentlichten Morgenstjernen, sondern um Ute av verden (Aus der Welt), Knausgårds Debüt, das in Norwegen bereits 1998 erschien und 2006 einen Platz auf der Dagbladet-Liste der besten Bücher aus den vorigen 25 Jahren belegte. Dieses Buch trägt bereits alle Ingredienzen des autofiktionalen Zyklus in sich, der zwischen 2009 und 2011 auf den Markt kam und den Autor dank Paul Berfs und Ulrich Sonnenbergs Übersetzungen auch in Deutschland zum bekanntesten Exponaten norwegischer Literatur machte.

Der Ich-Erzähler in Aus der Welt, ein 26-jähriger Mann namens Henrik Vankel, zieht in ein nordnorwegisches Dorf, um als Aushilfslehrer zu arbeiten – genauso wie Karl Ove in Band vier seines Monumentalprojekts mit dem deutschen Titel Leben. In seiner Einsamkeit erinnert er sich immer wieder an das gestörte Verhältnis zu seinem gewalttätigen Vater und gleitet wiederholt in surreale Traumsequenzen ab. Schließlich verliebt er sich in seine dreizehnjährige Schülerin Miriam und tut ihr sexualisierte Gewalt an.

Die Konflikte, die Knausgård in seinem Debüt beschreibt, sind auch aus seinen anderen Büchern hinreichend bekannt. Die Vater-Sohn-Geschichte, die in Sterben Thema ist, findet sich in Aus der Welt ebenso wieder wie die exzessive Bezugnahme auf hypermaskuline Erotiker wie Agnar Mykle, der in den fünfziger und sechziger Jahren das protestantische Norwegen mit zügellosen Coming-of-Age-Romanen schockierte, oder auf Dante Alighieri, dessen Höllenreise die Vorlage für Henrik Vankels Privatinferno ist, daneben aber auch Klatschgeschichten, die die Boulevardzeitung VG einmal so zusammenfasste: „In seinem neuen Buch schreibt Knausgård über heißen Sex mit jungen Mädchen.“[1] Grundsätzlich beeinflusst der männliche Blick das Schreiben dieses Autors ganz entscheidend. Das ist auch der Grund, weshalb sein Debüt 22 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung so altbacken wirkt, ja, sich geradezu liest wie eine Pädo-Schmonzette. Henrik nimmt das junge Mädchen, auf das er seine sexuellen Gelüste projiziert, nicht als Subjekt wahr, sondern als Objekt. Diese Vorstellung resultiert aus einem fatalistischen Bild von Männlichkeit und führt zu einer Literatur-Ideologie, die ethische Belange aus der Kunst heraussubtrahiert und trotz ihrer Selbstdarstellung als apolitisches Zeichensystem tief verstrickt ist in patriarchale Zusammenhänge

Einen konkreten Hinweis auf ebenjene Ideologie bietet das Coverbild der norwegischen Originalausgabe. Darauf war lange Zeit ein von hinten abgebildetes, nacktes, etwa zwölfjähriges Mädchen zu sehen, das auf einen See hinausschaut – eine Fotografie des Künstlers Jock Sturges, der schon öfters beschuldigt wurde, mit seinen Fotografien Kinder zu sexualisieren. Als Knausgårds Roman 2015 in schwedischer Übersetzung erschien und dieses Umschlagbild in dem Land, das bei seinen skandinavischen Nachbarn oft für seine angebliche politische Korrektheit ausgelacht wird, in den Fokus geriet, löste die Literaturprofessorin Ebba Witt-Brattström eine Debatte aus. Sie bezeichnete Aus der Welt als „literarische Pädophilie“ und kritisierte bei dieser Gelegenheit auch noch gleich Stig Larsson (nicht den Krimiautor, sondern den Popliteraten), in dessen Roman Höllenfahrt eine ebenso detaillierte Beschreibung eines Übergriffs zu finden ist wie im Debüt des Norwegers. (Es ist sicherlich kein Zufall, dass Larsson ein weiterer von Knausgårds Referenzautoren ist. In Kämpfen bezeichnet er ihn als „wild, begabt und furchtlos“ – eine Reverenz, die in homosozialen Männerbünden als Ritterschlag gelten kann.) Die Kunstautonomie scheint dem Autor von Min kamp über alles zu gehen. In Kein Heimspiel etwa kritisiert er den angeblichen Neopuritanismus seiner Wahlheimat Schweden. Er erzählt eine Anekdote über den norwegischen Dichter Georg Johannessen, der während eines Tanzes zu einer etwa Fünfundzwanzigjährigen sagte, er würde sie gerne auf eine einsame Insel mitnehmen. Knausgård berichtet von seiner Enttäuschung: Wie kann so ein großer Autor „etwas so Dummes“ sagen! Jahre später stellt er lakonisch fest: „Jetzt finde ich es einfach gut.“ Hiermit bringt Knausgård zum Ausdruck, dass man bestimmte Dinge in Schweden nicht mehr sagen darf, „ohne dass man sich verdächtig macht“ – nämlich so etwas wie: „romantisierend, das männliche Genie, bla bla bla“.

Erstaunliche Worte von einem, über den Teile des deutschsprachigen Feuilletons in ihrer schläfrigen Bräsigkeit gerne behaupten, er schildere Maskulinität wie noch niemand zuvor und der sich doch nur um seine Männlichkeit betrogen fühlt, weil er sich Sorgen machen muss, was andere über ihn sagen.[2] Überhaupt steht die Frage noch aus, weshalb ausgerechnet ein Schriftsteller, der seine künstlerischen und familiären Nöte sowie seine narzisstische Selbstüberhöhung als Künstler durch die Referenz auf Mein Kampf mit Hitler in Verbindung bringt, so vehement als moderner Mann gelesen wird. Letztlich tut er nämlich nichts anderes, als seine ständigen Grenzüberschreitungen mit einer fragwürdigen Wahlverwandtschaft und einem Verweis auf die Autonomie der Kunst zu rechtfertigen. Er schreibt sich selbst in eine Tradition ein, die den männlichen Künstler als Genie sieht – kurz, er ist ein zoon apoliticon (oder einfach nur ein con).

Bei all der puerilen Leidenschaft, mit der sich Knausgård in den Fallstricken der Kunstautonomie verheddert, wird also klar, dass er die Themen, die von so vielen als die seinen angesehen werden – der männliche Blick, teenage angst, Elternschaft, Transgression – oft nur unzureichend behandelt. Dass ausgerechnet er, dessen kritisches Urteil oft von Klischees, schlichter Unkenntnis oder fatalistischen Männlichkeitsgefühlen beeinträchtigt ist, so häufig als Repräsentant norwegischer Literatur herangezogen wird, liegt einerseits daran, dass alleine sein Name und ein paar provokant hingeschleuderte Thesen die Kassen klingeln lassen, andererseits aber auch an mangelnden Übersetzungen aus anderen Sprachen, die seine Sujets aus einem interessanteren Blickwinkel behandeln. Natürlich gibt es diese Bücher, und ich möchte vier von ihnen vorstellen, um dadurch Aus der Welt vielleicht an den Ort verweisen, den sein Titel andeutet. Im Idealfall entstehen dadurch einige neue Übersetzungen, die uns eine – wie man im Norwegischen so schön sagt – knause-pause gönnen.

Der männliche Blick

Inger Bråtveits Roman Siss og Unn (2008) verweist bereits im Titel auf die Protagonistinnen eines der berühmtesten Texte der norwegischen Literatur: Tarjei Vesaas‘ Das Eisschloss (1963). In diesem Klassiker geht es um die Freundinnen Siss und Unn. Nachdem Unn in einem gefrorenen Wasserfall, dem sogenannten Eisschloss zu Tode kommt, verfällt Siss in tiefe Trauer, und so handelt Vesaas‘ Roman in großen Teilen davon, wie sie lernt, mit ihrem Verlust umzugehen.

Trauer ist auch bei Bråtveit das zentrale Thema. Sie versetzt die Figuren Siss und Unn in die Gegenwart. Unn wohnt mit ihrer Mutter, nur „Mummy Big“ genannt, auf einem Bauernhof. Der Vater hat sich aus dem Staub gemacht – „was genau ihn von seinem eigenen, über Generationen weitervererbten Bauerngut vertrieb, darauf kann niemand, der seine fünf Sinne beisammenhat, eine stichhaltige Antwort geben“. Unn bekommt mit, dass ihre Mutter ihre „Essenz“ verliert und kann sich kaum noch um ihre Tochter kümmern.

Anders sieht es zunächst für Siss aus, die mit ihrer Familie jüngst aus Schweden hergezogen ist. Ihr Vater ist Betriebsingenieur in einem Kraftwerk und ein Entscheidungsträger, wie er im Buche steht. Präsent ist er aber nicht. Siss muss so mit den Konflikten ihrer Eltern zurechtkommen. Unn hingegen muss lernen, mit dem Tod umzugehen, denn Mummy Big erkrankt nicht nur an Depressionen, sondern auch an Krebs. Auch wenn Siss Unn für eine Zeit helfen kann, vermag auch sie nicht zu verhindern, dass Unn irgendwann ihr privates Eisschloss aufsuchen und sich in der siebten Kammer ihrem Schmerz stellen muss. Wer Vesaas gelesen hat, wird ahnen, wie diese Konfrontation enden wird.

Besonders an Bråtveits Roman ist insbesonere der Stil. Unn spricht Nynorsk, die Sprache Vesaas‘, Siss hingegen Schwedisch. Nynorsk ist aus älteren Dialekten hervorgegangen und ist eine Schriftsprache, der leider oft noch Provinzialität vorgehalten wird. Das Schwedische hingegen hat etwas Bürgerliches, nahezu Mondänes, und so treffen hier eine ländliche und eine weltgewandte Sichtweise aufeinander, um sich gegenseitig zu ergänzen. Zwischen englischen Einsprengseln, frommen Liedern und literarischen Anspielungen entsteht so ganz überraschend ein Raum für die Auseinandersetzung mit der eigenen familiären Herkunft. Bråtveit erweitert das Sujet der Trauer um die Perspektive der Mütter. Beide scheinen nicht allzu viel von der allseits gelobten skandinavischen Geschlechtergleichheit profitiert zu haben. Sie reiben sich in der Sorgearbeit auf, Mummy Big ist sogar noch eine Zeitlang als Pflegerin beschäftigt. „Gesund zu sein heißt, noch überschüssige Kräfte für die alltäglichen Anforderungen zu haben. Den Lohn dafür erhalte ich wohl im Himmel.“ kommentierte sie ihre Tätigkeit. Siss‘ Mutter hingegen versucht längst nicht mehr, das zurückzuhalten, was ihr „unter dem Ventildeckel“ brodelt. Beide Frauen haben den Eindruck, in ihrem Zuhause gefangen zu sein, suchen den Fehler allerdings bei sich selbst und nicht im System.

Insbesondere die Mütter in Siss og Unn scheinen einen männlichen Blick internalisiert zu haben, durch den sie sich beständig abwerten, sich auf ihre Sorgearbeit reduzieren und es ihnen als persönliche Schuld anrechnen, wenn sie daran scheitern oder einmal ausbrechen wollen – wohingegen die Männer für ihre Grenzüberschreitungen nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Ganz anders als beim Eisschloss lassen sich an Siss und Unn damit auch die Schattenseiten des skandinavischen Wohlfahrtsstaats beschreiben. Knausgård ist hier anders: Zwar lassen sich bei ihm Ansätze kritischen Denkens erkennen, die er allerdings oft zugunsten einer homosozialen Kumpanei mit männlichen Autoren verwischt. Bråtveit nutzt hingegen genau jene Mittel, die von Verfechtern eines vulgären Postmodernebegriffs so gerne herangezogen werden. Durch die Aneignung einer literarischen Stimme, subversive Verfremdung, intertextuelle Referenzen und die Differenz zwischen Sprechen und Schreiben ergründet sie, wie sich ihre weiblichen Figuren selbst (v)erkennen. Damit ist Bråtveits Poetologie untrennbar mit jenen Methoden produktiver Lektüre verbunden, die Knausgård noch als Puritanismus von sich weist.

Teenage angst

Oft hört man in Schreibseminaren den Ratschlag, die Figurensprache müsse dem Alter des jeweiligen Charakters entsprechen. Das gelte auch und insbesondere für Texte, deren Hauptfigur sehr jung ist. Diesen Tipp scheint Ingvild Schade glücklicherweise ignoriert zu haben, denn der vierzehnjährige Ich-Erzähler Karsten aus Bergverket (Das Bergwerk, 2019) eignet sich keineswegs als Diskursbeispiel für Jugendslang. Dieser knapp 120 Seiten lange Roman ist ein wilder Gattungsmix aus Young Adult Fiction, Coming of Age, Kriminalroman und Pikareske, dessen manisch plappernder, neunmalkluger Protagonist Opfer und Täter, Professor und Forschungsobjekt sowie Arzt und Patient in einer Person ist. „Norwegian Psycho“, stand in der Presse zu lesen, ganz so, als habe Ingvild Schade eine eigene Gattung erfunden – eine Prosa, die dem Abweichler mehr Raum zuspricht als dem Mitläufer und eher zum Widerspruch als zu logischen Schlussfolgerungen neigt. Das ist erstaunlich, denn eigentlich ist Karsten als Naturwissenschaftler angetreten, um seine Welt mit einem Metalldetektor zu erforschen.

Er hat den Eindruck, in einem unübersichtlichen Bergwerk zu leben. Unterirdische Gänge führen überallhin, nur nicht an irgendein Ziel. Und ebenso unübersichtlich wie dieses Labyrinth sind auch Karstens Leben und seine literarische Darstellung. Weite Teile des Romans beschäftigen sich mit einer großangelegten Spekulation: Karsten bildet sich ein, im Garten die Leiche eines Models zu finden, das einen Gravensteiner Apfel in der Hand hält. Bei seinen Ermittlungen verzettelt er sich und dringt niemals auf den Grund des Rätsels vor, dessen Antwort er alleine ist, in seiner Einsamkeit auf sich selbst und seine Spekulationskünste zurückgeworfen. Nicht äußere Ereignisse sind es, die die ewige Assoziationskette in Gang bringen, sondern oft bestimmen bloß einzelne Worte über den Fortlauf des Gedankenstroms:

Gravensteiner, Gravensteiner, murmelte ich, nur, um zu entdecken, dass das Wort die Speichelproduktion anregt, genau wie Vergrößerungsglas, klecksige Federtinte, Darmzotten, Waschwasserfass und trianguläre Toreinfahrten. Genau das. Hierin fand ich meine Berufung, ja, so stark will ich das formulieren, und die Jungs aus der Nachbarschaft konnten mich ruhig verhohnepiepeln, rief ich aus dem Fenster nach draußen – wohl bekomm’s! Dann zog ich die Gardinen zu, schaltete die Schreibtischlampe an, hielt die Kamera wieder vors Auge und zoomte an ein Passfoto heran, das Mama als Jugendliche zeigte, vollkommen unkenntlich. Ich prüfte das Gesicht auf die Nähte, die Linien der Haut. Verdächtig, meinte ich und seufzte leicht entnervt auf, während ich mir, so ich mich denn selber richtig kenne, mit der freien Hand die Kante meines Schlüppers aus der Kimme zupfte. Hier ist dicke Luft, sagte Papa in der Tür. Raus mit dir, erwiderte ich brüsk, doch bereute schnell, denn jetzt konnte ich ihn nicht danach fragen, Rote-Beete-Saft auf den Kies zu kippen, damit ich Blutspuren nachgehen konnte. Sakra. Ich nahm einen Notizblock aus der Schreibtischschublade, klatschte einen Haufen Vokabeln hin, die Mama mir verboten hat. Unter anderem Zauche. Z-a-u-c-h-e. Hurenbock auch. Tralala, das verbotene Ratzefummellied. Wünsche mir ein Du-weißt-schon-was, das still und leise alles wegwischt, was ich gesagt und gemeint und gedacht und überlegt und getan habe.

„Wohl bekomm’s“, „Kimme“, „Zauche“, „Sakra“ oder „Ratzefummel“ Auch wenn Karsten ein Arztsohn ist, sein Sprachduktus ist für einen Vierzehnjährigen alles andere als „authentisch“. Er ist ein (Pseudo-)Wissenschaftler, aber auch eine Schnodderschnauze und Ingvild Schade lässt ihn mit seinen Tiraden mehr über seinen seelischen Zustand zu vermitteln als Knausgård in seiner Weltschmerzprosa über seine eigenen Gefühlswelten. Zwar gibt es kaum ein Fachgebiet, dem Karsten sich nicht annähern will, nur eins mag er partout nicht ansprechen: seine Einsamkeit, die er alleine nicht überwinden kann und die ihn dazu zwingt, sich mit den wildesten Erfindungen über Wasser zu halten – ganz so, als versuchte er, sich durch sein rasendes Erzählen und Spintisieren vor dem endgültigen Untergang zu retten.

Elternschaft

In ihrer Heimat Dänemark gilt die Lyrikerin Olga Ravn als Shootingstar einer neuen, jungen, dezidiert politischen Literatur, deren bekannteste Gesichter hierzulande Yahya Hassan und Jonas Eika sind. Seit ihrem Lyrikdebüt 2009 hat sie weitere Gedichtbände, Romane und Übersetzungen veröffentlicht. In Mit arbejde (Meine Arbeit, 2020) beschreitet sie nun neue Wege. Nach Celestine, einer Art Gothic-Roman, und De ansatte (Die Angestellten), einer Science-Fiction-Erzählung über die Arbeitswelt des 22. Jahrhunderts, behandelt sie nun mit der Kindsgeburt ein Thema, das in der skandinavischen Literatur seit zwei Jahren große Aufmerksamkeit erfreut, auch wenn der Kritiker Endre Ruset diesen Trend des norwegischen Bücherherbstes 2018 als „Muttermilchtsunami“ verunglimpfte.[3] Olga Ravns Roman hingegen ist ein geglücktes literarisches Experiment über den Blick der Gesellschaft auf die werdende und sorgende Mutter.

Die Ich-Erzählerin behauptet zunächst „selbstverständlich“ sei sie es, die dieses Buch verfasst habe, um kurz darauf anzufügen: „Für den Moment einigen wir uns jetzt einmal darauf, dass es jemand anders geschrieben hat.“ Diese andere Person ist eine gewisse Anna, ebenfalls eine Ich-Erzählerin, die der fiktiven Herausgeberin einen Wust an Notizen, E-Mails und anderen Dateien überlassen haben will. Ihr obliegt es nun, dieses Material zu sortieren. Sie wird zur Herausgeberin eines unmöglichen Buches. Bald schon stellt sich nämlich heraus, dass Anna, eine Schriftstellerin, einen Konflikt mit sich selbst ausficht, den sie folgendermaßen beschreibt:

Mein Problem besteht wohl darin, dass ich der Literatur zu stark zugewandt bin, für mich ist alles Fiktion, alles ist schreibbar. Aber nicht für eine Mutter. Von einer Mutter verlangen wir, dass sie so über ihre Kinder, über ihre Mutterschaft nicht schreiben darf. Für eine Mutter kann nicht alles Fiktion sein. Man könnte sagen: Eine Mutter hat kein Recht auf Fiktion. Oder: Mutter zu werden, heißt, das Recht auf Fiktion zu verlieren.

Was heißt, dass eine Mutter „so“ nicht schreiben darf? Anna zitiert die japanische Lyrikerin Hiromi Itō, die in ihrem Gedicht Killing Kanoko den Monolog einer Kindsmörderin verfasst. Diese hat ihr sechs Monate altes Kind getötet, das genauso heißt wie die Tochter der japanischen Dichterin. Auf die Frage der schwedischen Autorin Tone Schunesson, was Mutterschaft für ihr eigenes Schreiben bedeute, antwortet Itō, sie versorge ihre Kinder mit dem, was sie zum Leben bräuchten, im Gegensatz dazu böten sie ihr das Material für ihre Gedichte. Das sei genauso wie in einer Bauersfamilie, in der der Nachwuchs auf dem Feld mithilft. Radikal zugespitzt liefert Itō eine Antwort auf Annas Problem: Selbstverständlich hat eine Mutter ein Recht auf Fiktion.

Anna indes kommt zu einer Erkenntnis, die Olga Ravn in einem Debattenartikel so zusammengefasst hat: „Die Zeit, in der wir unsere Körper und unsere Psyche opfern, um neue Kinder in die Welt zu setzen, ist vorbei“.[4] Diese Einschätzung teilen womöglich auch die rund 600 Frauen, die Ravn nach der Veröffentlichung des Textes in der Zeitung Politiken kontaktiert haben, um die Öffentlichkeit wissen zu lassen, wie der dänische Wohlfahrtsstaat Schwangere aus Zeitmangel und Unachtsamkeit mit ihren Sorgen alleine lässt.[5] Anna muss ebenfalls einsehen, dass Ideal und Wirklichkeit weit auseinanderklaffen. Am deutlichsten wird dies in der Anordnung der Romankapitel: Der „Vorbereitungs-“Kurs, in dem die werdende Mutter nicht auf den Schmerz vorbereit wird, den sie bei der Geburt empfinden wird. Und so folgt der Arztbericht einer dramatischen Entbindung unvermittelt auf die Schilderung ebenjenes Seminars. Und wenn Anna auf ihren Schmerz hört, wird sie dafür verantwortlich gemacht, nicht so stoisch zu sein, wie man das von ihr erwartet. Ihr Schreiben wird von mehreren Faktoren beeinflusst, die ein kontinuierliches Schreiben unmöglich machen. (Die Kapitel tragen Überschriften wie „Erster Beginn“ oder „Zweite Fortsetzung“.) Anna kritzelt in Notizhefte, tippt Gedanken ins Handy und verfasst Mails. Hierarchien zwischen Medien haben für sie keinerlei Bedeutung. So entsteht ein gattungsüberschreitender Text, der kurze Erzählungen, mehrere kurze Gedichtbände und essayähnliche Interventionen miteinander verbindet. Immer wieder eingeschoben sind Briefe der Herausgeberin, die Anna ihre Gedanken über das Projekt, aber auch über die eigene Schwangerschaft mitteilt. Auch wenn Anna möglicherweise Fiktion ist, zumindest im Geiste knüpfen die beiden schwesterliche Bande.

Stellenweise wirkt Mit arbejde wie eine äußerst zeitgemäße Aktualisierung romantischer Motive. Die anonyme Herausgeberin schafft sich mit Anna eine Doppelgängerin, um das Leid, das ihr während der Geburt ihres Kindes widerfahren ist, auf Distanz zu halten. Anna ist ein Gegenüber, in das sich die Herausgeberin einfühlen kann, um ihre eigenen widersprüchlichen Gefühle zu verstehen. Die Bandbreite der Gattungen wiederum erinnert an die formale Wandelfähigkeit des romantischen Romans, der Briefkonvolute mit längeren erzählerischen Passagen und anderen künstlerischen Mitteln zu kombinieren weiß.

Die literarische Versatilität in Ravns Buch ist vor allem aber auch eine Folge mangelnder Arbeitszeit. Sie hat ein Buch verfasst, das im Sinne Mallarmés unmöglich ist und sterilen Debatten über Kunstautonomie einen zeitgenössischen Anstrich verpasst. Denn an Mit arbejde lässt sich ein weiteres Mal erarbeiten, wieso ästhetische und politische Fragestellungen nicht voneinander zu trennen sind.

Transgression

Nach drei Beispielen aus Nordeuropa kommen wir nun mit Katalonien zu einem ganz anderen Punkt auf der literarischen Landkarte, und mit Bonaventura Claveguera Claveguera zu einem Autor, der Transgression als politisch-subversive Kraft und nicht im Dienste einer reaktionären Genieästhetik à la Knausgård nutzt. Er interessierte sich sowohl für die Kunst als auch für die Naturwissenschaften, arbeitete als Tierarzt, malte und musizierte, schrieb Gedichte und philosophische Traktate, und verfasste einen antifaschistischen, surrealen Roman über den Spanischen Bürgerkrieg aus Sicht eines kleinen Kindes: die Summa kaòtica (1986), oder, wie es der Schriftsteller Rafael Vallbona formulierte: „Dalí, übersetzt in Worte.“[6] Dabei trug er nicht immer diesen langen, komplizierten Namen, sondern verkürzte ihn auf Anraten seines Freundes Salvador Espriu zu Ventura Ametller – ein Pseudonym, das ihm, so behauptete es zumindest Espriu, eine Chance im Literaturbetrieb geben sollte. Nun könnte diese Prognose falscher nicht sein, denn Ametller ist alles andere als bekannt; vermutlich hat er in der falschen Sprache, im falschen Land und zur falschen Zeit geschrieben. So sieht es auch der Schriftsteller Miquel de Palol in einer Kritik der Summa: „Mit seinen Eigenheiten ist dieser Autor im Großpanorama der europäischen Literatur keine Sondererscheinung. Damit ein Romanautor dieses Formats und hohen, in erster Linie stilistischen Ansprüchen eine angemessene Sichtbarkeit erhält, braucht es jedoch eine kulturelle Öffentlichkeit, in der klar abgesteckt ist, wie eng definiert und wie mächtig die offizielle Meinung ist, um daraufhin abweichenden Ansichten medialen und akademischen Raum zu verschaffen.“[7] Katalonien fehlte also schlicht das Publikum für ein solches Buch, und außer der posthum veröffentlichten Resta kaòtica, einer Art Appendix zur Summa, hat es keine von Ametllers anscheinend zahlreichen literarischen Arbeiten auf den Markt geschafft. Senyor Espriu hat die gnadenlosen Mühlen des Literaturbetriebs wohl unterschätzt.

Ironischerweise ist die Mühle ein zentrales Symbol für das Verständnis des vorliegenden Romans. Wie einer der vielen Charaktere es beiläufig formuliert, ist sie „das ganze Universum, das wir zum Fortschritt hin weiterdrehen. Deshalb achten wir mit großer Sorge darauf, dass sie sich nicht in die umgekehrte Richtung bewegt. Wenn wir das tun, dann gewinnen die rückwärtsgerichteten, kapitalistischen Kräfte … Und die Völker und das Proletariat dieser Welt begeben sich erneut auf den Weg der Sklaverei und des Elends.“ Nun handelt der ganze Roman davon, die Mühle wieder in Richtung des Fortschritts zu wenden – und dieser Kampf wird aus der Sicht eines Kindes geschildert, das in den Phasen der Handlung unter verschiedenen Namen auftaucht: Proto-, Ana- und Metamorphus. Den Protragonisten lernen die Leser*innen zunächst als Spermium auf dem Weg in die Eizelle kennen und folgen ihm nach seiner Geburt über den Bürgerkrieg bis zur Diktatur und der darauffolgenden Übergangszeit in die Demokratie. Doch es geht hier nicht um den Helden und dessen persönliche Entwicklung bis er als Metamorphus die Handlung verlässt, sondern um eine dem Publikum aufgezwungene, verzerrte Perspektive.

Bei einer Anamorphose lässt sich ein Bild nur aus einem bestimmten Blickwinkel erkennen. So ist es auch bei Ventura Ametller, der gleich im Vorwort zu seinem Roman schreibt: „Die Namen werden ausgetauscht, die Breiten- und Längengrade verschoben, Landschaften und Entfernungen ausgedehnt oder verkürzt … Alles wird sein, wie es ist, und zur selben Zeit ganz anders.“

Anamorphus‘ Heimatstadt Pals wird zu Poel, Katalonien zur „República Dissident“, das Katalanische zum „Bacanard“ – was nicht nur “begriffsstutzig” bedeutet, sondern auch “Einwohner der Stadt Begur”. Wir müssen wir diese Wortspielereien und die seltsame Welt aus den Augen eines Kindes sehen und es ganz beim Wort nehmen. Poel ist bevölkert von Riesen, in Waldhöhlen verstecken sich Zauberer, und es ziehen merkwürdige Zeiten herauf, denn was Anamorphus von seiner kommunistischen Lehrerin, der „Roten Lia“, erfährt, deckt sich nicht mit dem, was er auf der Straße hört:

So eignete [er] sich sein Wissen über diese seltsame Materie an, neue Worte wie: Massen, Ökonomie, Mehrwert, Revolution, Proletariat (Industrie-, Bauern-), Kapital, sozial, Arbeit, Arbeiterstaat, Klassen, Kampf etc. Die Rote Lia hoffte, wenn [Anamorphus] sie bloß aussprach, würden sie sich schon irgendwo erfüllen. Auf der Straße hingegen lernte er andere: Krieg, Schlacht, Gewehr, Pistole, Panzer, Flugzeug, Liquidation, Tscheka, Mobilisation, Hinterhalt, Gefängnis, Deserteure, etc., etc.

Bald schon ist es mit der Chance auf Utopie allerdings vorbei. Der Krieg kommt, ohne, dass groß gesagt wird, wieso eigentlich. Die fehlende Erklärung intensiviert den Schrecken nur noch: Flugzeuge werfen Bomben ab, Attentate werden begangen, die Gesellschaft versinkt im Schlamm. Eine Hungersnot bricht aus, Anamorphus und seine Familie müssen fliehen und ständig fürchten, dass sie festgenommen und umgebracht werden. Ein gewisser Nemesius, Ametllers Version von Franco, betritt die Bildfläche und dreht die Zeit rückwärts. Er sieht sich als ausgleichende, strafende Gerechtigkeit (daher auch der Name) und will alle revolutionären Bestrebungen zunichtemachen. Nemesius ist die personifizierte faschistische Dreifaltigkeit aus Kirche, Staat und Vaterland. Selbst die kleinsten Abweichungen bestraft er mit Folter und Mord. Aber es ist klar, dass diese Gewaltherrschaft nicht ewig halten wird. Und auch wenn die subversiven Aktionen von Anamorphus & Co. irgendwann zu einem Ende der Diktatur führen, stellt sich die Frage, wie lange der Frieden anhält – und wie man ihn dauerhaft sichern kann.

Ametller erzählt seine Geschichte nicht als realistischen Kriegsroman, sondern als surreale Farce. Oft erinnert der Text an spätmittelalterliche Höllen-und Paradiesdarstellungen. Er ist ein gigantisches Wimmelbild, auf dem Anamorphus selbst nur ein Tüpfelchen ist. Doch selbst die willkürlichsten Entwicklungen haben einen gemeinsamen Nenner: Sie überschreiten die Realität, um sie in etwas Neues zu verwandeln. Anders als bei Knausgård ist die Transgression bei Ametller kein Selbstzweck, mit dem er seinen Status als genialer Künstler bekräftigen will, sondern eine politisch-transformative Kraft, mit der er die bestehenden, reaktionären Verhältnisse wieder in Richtung Fortschritt umkehrt.

Übersetzungen der Romanzitate von Matthias Friedrich. Zu drei der besprochenen Bücher liegen Exposés und Textproben vor.

Matthias Friedrich, geboren 1992, ist Übersetzer. Zuletzt: Thure Erik Lund, Das Grabenereignismysterium (Droschl 2019). In Vorbereitung: Svein Jarvoll, Die Melbourne-Vorlesungen (Urs Engeler, voraussichtlich 2020), Leif Høghaug, Der Kälberich (die brotsuppe, voraussichtlich 2021).

[1] https://www.vg.no/rampelys/bok/i/RkazA/knausgaard-skildrer-sin-dragning-mot-ung-elev

[2] https://www.freitag.de/autoren/mikael-krogerus/brutal-ehrlich

[3] https://www.dagbladet.no/kultur/barselbok-debatten—dette-er-billig-og-nedlatende-retorikk/70084829

[4] https://politiken.dk/debat/debatindlaeg/art7943049/Den-tid-er-forbi-hvor-vores-kroppe-og-psyker-skal-ofres-for-at-bringe-nye-b%C3%B8rn-til-verden

[5] https://www.femina.dk/dit-liv/flere-end-600-kvinder-har-skrevet-til-olga-ravn-om-moderskabet-glansbilledet-er-meget

[6] http://casavbn.blogspot.com.es/2008/06/dal-en-paraules.html

[7] http://proallibrespremia-ed.blogspot.com/2008/06/lescriptor-miquel-de-palol-parla-sobre.html

Photo by Brandi Redd on Unsplash