Kategorie: Rezensionen

Himmel und Erde – Jürgen Dollase

8Noch nie wurde auf dieser Seite ein Kochbuch besprochen, doch dieses ist außergewöhnlich und voller Text, daher muss diese Ausnahme gemacht werden. Jürgen Dollase ist einer der, wenn nicht der,  profilierteste Restaurantkritiker Deutschlands – quasi der Chef von 54restaurants – und reitet auf einem hohen Ross – as I do. Nur fehlt ihm mein Augenzwinkern.

Man muss also mit dem Ton des Jürgen D. umzugehen wissen, wenn er zum einen voraussetzt, dass der Leser jeden Tag kocht, ihm aber gleichzeitig als Hobbykoch fast jegliche Kompetenz abspricht; er betont, dass bitte stets nur die besten Produkte verwendet werden sollen, berichtet aber sogleich, dass die von ihm verwendeten zum Teil für Otto N. nicht zu bekommen sind. Die Frage muss also zwangläufig lauten, darf ein solcher Meister seines Fach überheblich sein oder täte ihm auch etwas Demut gut, zumal eben keine Spur von Ironie zu spüren ist.

Das [von mir gekochte] Essen scheckte gut, was ich auch – ehrlich gesagt – nicht anders erwartet hatte.

Zudem ist nicht immer ganz klar für welchen Leser Dollase schreibt. Ist es denn eine wichtige Information, dass er bei wenig Lust zu Kochen einfach mal ein Kilo Langustinen pro Person in den Topf wirft? Otto N. wird etwas beschämt an seinem Knopfloch nesteln und betreten zu Boden sehen, während ich die Menge verdoppel. Vor lauter Selbstverliebtheit geht ihm da auch mal durch, ob er nun beim 60. oder 65. Geburtstag Witzigmanns im Tantris das halbe Kalb gegessen hat – geschenkt. Die in der Vorrede sehr gelobten Bilder von Thomas Ruhl sind dafür nicht immer ganz gelungen.

Warum ich dieses Buch doch uneingeschränkt empfehlen kann? Nicht weil, das Cover aussieht als würde sich Neil Young ein Mahl kredenzen oder wir sehen können wie der Grinch in seiner Scheune grillt, sondern weil Dollase ausnahmslos weiß wovon er spricht. Die Einleitung zu jedem Kapitel sind neben allem Brimborium mit das Beste was man in der aktuellen Literatur über das Kochen auf höchstem Niveau lesen kann. Seine Überlegungen zu Aufbau und Struktur von einzelnen Gerichten bis hin zu Menüs sind höchstinteressant, die vorgestellten Rezepte voller Raffinesse und neben dem eigenen Anspruch frei von jedem Dogma. Dollase lässt alles, selbst ihm nicht zusagende Richtungen und Auswüchse des Kochens, als Einfluss gelten und vermittelt am Ende doch worauf es ankommt: die Lust am Kochen und die Freude an einem guten Produkt.

(Bei Dollase ist es wie bei Thomas Fischer, ein absoluter Mann vom Fach, der eigentlich der Welt nur etwas Gutes tun möchte und sein Wissen teilen, dass das leider nicht vom Pferd herunter funktioniert, müssen beide noch lernen. Also absteigen und Hand reichen.)

Christoph Ribbat – Im Restaurant – Eine Geschichte aus dem Bauch der Moderne

christoph ribbat im restaurant eine geschichte aus dem bauch der moderne cover 54books

Ich habe ein Buch gelesen, dessen Titel, Autor, Verlag und Erscheinungsjahr ich hier noch nicht verrate. Darin geht es darum wie wir essen und was Essen in Restaurants für uns und unsere Kultur bedeutet hat. Es ist aber nicht nur eine Geschichte der Gastronomie, sondern auch der Gesellschaft. Es mischen sich Anekdoten mit naturwissenschaftlichen Fakten, Kuriositäten und Schweinereien, fast and slow and leisure food. Ein heiteres, kurzweiliges Buch habe ich da gelesen, das aber auch manche Schwäche hat.

Der Autor, dessen Namen ich an dieser Stelle immer noch nicht verrate, ist Professor für Amerikanistik an der Universität Paderborn, was überhaupt ganz kurios ist und mancher mag sich fragen, was diesen Herrn dazu befähigt über Esskultur zu schreiben, aber essen tun wir ja alle und klug scheint er auch zu sein. Er schreibt auch ganz gefällig, das erfreut. Und als Wissenschaftler kann man auch gut forschen, als hat er zu philosophierenden Köchen und soziologisierenden Kellnern recherchiert (und umgekehrt), Fastfood verspeist und sicher auch mal zugeschaut wie jemand den Boden wischt oder eine Auster öffnet. Das Buch ist echt nicht verkehrt, aber seinen Titel erfährt man erst am Ende dieser Rezension…

Christoph Ribbat bedient sich in Im Restaurant – Eine Geschichte aus dem Bauch der Moderne einer ähnlichen Verschnitttechnik wie Florian Illies in 1913. Er verschachtelt und arrangiert unterhaltsame Episoden, manche über mehrere Abschnitte hinweg, die meisten nur Intermezzi im großen Ganzen. Doch was Illies unter dem Dach eines Jahres gelingt, funktioniert als roter Faden in Im Restaurant nur bedingt. Die Sprünge zwischen den Enden der Episoden werden zu groß, die Zusammenhänge gehen verloren. Im Restaurant zerfasert.

Dazu kommt leider, dass die häufig arg konstruierten Cliffhanger in einem Buch über das beaufsichtigte Speisen keine Spannung aufbauen, sondern zwangsläufig aufgesetzt wirken. Der seichte Scherz den Namen des Protagonisten erst am Ende des diesen einführenden Abschnitts zu lüften, ist beim ersten Mal sicher ein probates Stilmittel, nur spätestens nach dem dritten Jux führt diese „Spannungsmethode“ dazu, dass der Leser die Wände hochgeht. (Welche Wände erfahren Sie am Ende dieser Rezension.)

Für Einsteiger in die Welt der Bücher übers Kochen (nicht zu Hause am Herd, sondern in der rauen Welt der Gastronomie) bietet Im Restaurant sicher eine unterhaltsame Introduktion. Besser aber sind diese Bücher, mit denen ich damals startete.

Geständnisse eines Küchenchefs: Was Sie über Restaurants nie wissen wollten von Anthony Bourdain

Der Klassiker unter den Restaurantenthüllungsbüchern und über die Leidenschaft, die Köche antreibt. Sex, Koks, vergammeltes Fleisch und Meeresfrüchte, Blut, Geschrei, Alkohol und viel Liebe zum Kochen. Anthony Bourdain wurde mit diesem Buch zu einem Star der literarischen Szene der Köche. Geständnisse eines Küchenchefs war lange vergriffen, nun scheint es wieder zu haben. Wenn man ein Buch über Restaurants und das Kochen liest, dann dieses.

 

Hitze: Abenteuer eines Amateurs als Küchensklave, Sous-Chef, Pastamacher und Metzgerlehrling von Bill Buford

Bill Buford, Literaturchef beim »New Yorker«, kündigt von heute auf morgen seinen Job, um ein Jahr lang im Sterne-Restaurant Babbo Töpfe und Pfannen zu schrubben und das Kochen von der Pike auf zu lernen. Sein Großmeister ist der (TV-)Starkoch der USA Mario Batali. Er lernt im Restaurant und begibt sich im Anschluss nach Italien auf die Spuren der Küche des Landes, lernt bei Nonnas die klassische Herstellung von Pasta und wie man schlachtet. Eine grandiose Kurzzeit-Aussteiger-Geschichte aus Liebe zum Kochen.

Himmel und Erde: In der Küche eines Restaurantkritikers von Jürgen Dollase

Buford ist sicher ein bisschen verrückt und Bourdain nicht nur ein bisschen, aber Jürgen Dollase ist komplett von Sinnen. Dieses „Kochbuch“ ist was für Freaks wie Dollase selbst, zum Nachkochen ist da das wenigste, aber seine Ausführungen über spezielle Zutaten und Techniken, Produkte und Zubereitung, Speisen, Schmausen und Genießen – für Dollase stets nur auf allerhöchstem Niveau; so lesen sich auch seine Schilderungen.

Sitting Küchenbull: Gepfefferte Erinnerungen eines Kochs von Vincent Klink

Der Vincent ist schon ein putziger Mensch, so drollig, dicklich, unterhaltsam wie im Fernsehn ist er auch auf dem Papier. Allein die Anekdote seines Besuchs bei Bocuse ist dieses Buch, den Coming-of-Age-Roman eines Kochs zu lesen wert.

[Das Buch, welches ich las war übrigens Im Restaurant von Christoph Ribbat. Bin außerdem gar keine Wände hochgegangen, das sagt man nur so.]

Blauschmuck von Katharina Winkler

Filiz ist eine junge Kurdin, die mit ihrer Familie in der Türkei aufwächst. Das Dorf ist weitab des europäischen Entwicklungsstandes. Archaisch ist sicher das passende Wort. Dies gilt sowohl für das bäuerliche Leben, das sich primär um Schafe hüten und Essensherstellung dreht, als auch die Kultur in den Köpfen. Im strengen Patriarchat aufgewachsen werden die noch ebenbürtigen Kinder-Brüder, bisher der Mutter gehorchend, bald über dieser und Filiz stehen. Die Frauen knien nicht nur um Böden zu reinigen, sondern stets auch um Straßen- gegen Hausschuhe der Männer zu tauschen.

Die Wölfe fressen die Schafe. Sie weiden sie aus. Sie wühlen in den Gedärmen. Lunge, Darm, Leber, Milz, Herz.

Als Filiz zwölf ist, verliebt sie sich in Yunus. Mit fünfzehn heiratet sie ihn gegen den Willen ihres Vaters und wird von ihrer Familie verstoßen. Fortan lebt sie im Haus ihrer Schwiegermutter und wird fortlaufend gedemütigt. Die Hochzeit ist für alle, nur für sie nicht, ein rauschendes Fest. Gezerrt, getrieben und im Strom von Menschen, hilflos inmitten Fremder werden für und über sie hinweg Zeremonien begangen, die in der Entjungferung gipfeln.

Ab diesem Tag ist sie das Eigentum des Mannes, der sich ihrer nur zum Stoßen bedient. Stoßen, das sind die Vergewaltigungen, in denen Filiz verzweifelt versucht Liebe zu finden. Zudem wird Filiz von ihrer Schwiegermutter erniedrigt. Noch hochschwanger muss sie auf dem Feld arbeiten, sie wird gezwungen den Ramadan einzuhalten, in traditioneller Kleidung zu arbeiten, sich alleine dem Mann zu zeigen, der sie geheiratet hat. Von Gott hat sie sich längst abgewandt.

Yunus hat Filiz versprochen mit ihr nach Westeuropa zu gehen. Der Traum nicht mehr unter dem Diktat Yunus’ Mutter zu stehen, neuer Freiheiten und Jeans, auch die Hoffnung, dass Yunus sich dort ändern würde, lässt sie sich in ihr Schicksal fügen. Doch auch in Österreich bessert sich nicht viel für Filiz. Sie lässt sich weiter vergewaltigen und schlagen, damit Yunus seine Frustration nicht an den Kindern auslässt. Die Situation wird immer aussichtsloser als die Kinder beginnen sich an den Westen und seine Sitten, Feiertage und Freiheiten zu gewöhnen.

Blauschmuck ist die (wahre) Geschichte eines Kindes, dem das Kindsein verboten und genommen wird. Die Geschichte einer Frau, die fortlaufend gedemütigt wird, und Rechtfertigungen hierfür sucht; zerrissen zwischen Religion, anerzogener Hörigkeit, kindlichen Wünschen und dem Bestreben das Beste für die eigenen Kinder durch Duldsamkeit zu erkaufen. Der Ton, den Katharina Winkler in ihrem Debüt findet, ist Bildung und Alter der Erzählerin angemessen ohne albern oder dumpf zu sein. Die Sprache Filiz’ ist einfach, aber nicht tumb, sie findet Bilder für ihre Situation, die realistisch in einem Kind entstehen könnten, aber trotzdem literarische Kraft entfalten.

Seda trägt mein Armband, es schimmert dunkel, zu dunkel für sie. Selin hat sich mein Diadem ins Haar gesteckt.

Zwei dieser Bilder prägen dieses Buch tief: der das Schaf reißende Wolf und Blauschmuck. Ersteres ist schnell erfasst, Feliz wird in der Ehe zum Schaf, der sie ständig stoßende Yunus zum Wolf der in ihren Eingeweiden wühlt, beim ersten Mal zusätzlich zu den Organen noch die Jungfrau damit zu Tage fördert und verschlingt. Der Blauschmuck dagegen sind die Wunden, welche die Männer ihren Frauen beim Prügeln zufügen, die, ob der Privatheit des Verprügelt – und Vergewaltigtwerdens, verschämt und selten mit einem Anflug von Stolz bei anderen beobachtet werden. Blauschmuck ist ein perfide passendes Wortspiel der Erniedrigung.

Blauschmuck von Katharina Winkler macht einen fertig und man braucht starke Nerven, um die physische und psychische Gewalt, die in rasendem Stakkato immer wieder über Filiz und ihre Kinder hereinbricht zu ertragen. Blauschmuck ist brutal und schmerzhaft. Blauschmuck ist ein starkes Debüt, das Finger in Wunden legt und tagelang nicht loslässt. Blauschmuck solltest Du lesen!

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Dann schaue ich in meinen Kalender: Genau an dem Tag bin ich tot.

Vielleicht hilft mir, meiner steigenden Unruhe (Angst) das Schreiben in einer Kladde. Die Unruhe betrifft etwas sehr Wichtiges und etwas Läppisches.

Finis stand am Schluss des zweiten Bandes der Tagebücher und auch in Interviews hatte Fritz Joachim Raddatz immer wieder betont, dass dieser Abschnitt seines Lebens, der als Tagebuchschreiber, nun ende. Die Sammlung erschien Anfang 2014 knapp ein Jahr vor seinem Tod. Im Herbst desselben Jahres verabschiedete er sich in der Welt vom Journalismus und nimmt im Geheimen das Tagebuchschreiben wieder auf. Denn Fritz J. Raddatz hatte einen Plan. Die Tagebuchnotate, nicht nur die, die nach seinem Tod in der ZEIT erschienen, sondern bereits denen, die bis Ende 2012 reichen, sind ein bekümmertes Abschiednehmen und zugleich ein Hoch auf die Schönheiten des Lebens.

Ich bin leergelebt. Nur noch eine Hülse.

Der zweite Band der Tagebücher (2002-2012) wurde ebenso kontrovers aufgenommen wie der erste (1982-2001). Ein wehmütiger alter Mann kreise um sich selbst – als täten das nicht alle Tagebuchschreiber, als ginge es um etwas anderes als das Insichhineinhorchen – liefe und weine dem eigenen, vergangenen Ruhm hinterher. Aber es ist doch vielmehr die Chronik eines Abschieds. Immer wieder hatte Raddatz nicht nur in den persönlichen Aufzeichnungen, sondern auch öffentlich von und über Sterbehilfe gesprochen. Wer sollte es einem Menschen, einem so eitlem wie FJR noch dazu, verdenken, dass er erhobenen Hauptes aus dem Leben treten will. In den Tagebüchern hat er sein Sterben dokumentiert, das soviel mehr ist und länger dauert als nur final eine bemessene Dosis Gift zu sich zu nehmen.

Tief bewegt liest man dann – und kennt bereits das Ende – welche Qualen es dem eigentlich so Entschlossenen trotz allem bereitet. Eine gräßliche Vorstellung sich bei klarem Bewusstsein von Partner und Freunden zu verabschieden, die meist, unwissend weiter Pläne schmieden, Urlaube buchen, Einkäufe erledigen. Selbst der Lebensgefährte wurde so lange wie möglich im Unklaren gelassen. Absurd: Dinge, seien sie noch so profan, ein letztes Mal zu tun. Obwohl es doch immer ein Zurück gäbe, zumindest seinen braunen Saft nicht auszutrinken, stattdessen auf die natürliche Frist zu warten.

Am 26. Februar 2015 stirbt Fritz J. Raddatz in der Schweiz, einem lange vorher gefassten Plan folgend. Am nächsten Tag, posthum, perfekte Regie, erscheint sein neues Buch: Jahre mit Ledig, eine Liebeserklärung an einen seiner großen Förderer Heinrich Maria Ledig-Rowohlt. Viele Anekdoten kennt der Tagebuch- und Unruhestifter-Leser bereits, aber nicht minder unterhaltsam als in den Vorwerken werden sie hier in einem wunderschönen, grünen Leinenbuch präsentiert. Blumig rauschend, elegisch schildert Raddatz wie eh und je, lobt sich und andere und nimmt mit in eine ferne Zeit im Nachkriegsdeutschland als das Büchermachen noch ein Abenteuer und Verleger noch Halunken und Schlitzohre waren.

Einer der Nachfolger Heinrich Maria Ledig-Rowohlts, ein später enger Freund, des Autors erhielt die oben zitierten Tagebucheintragungen und einen Abschiedsbrief und veröffentlichte sie kurz nach dem Tod. Immer wieder hatte Alexander Fest Raddatz gebeten erhalten zu bleiben, er könne kein Nachlassen der Kraft erkennen, körperlich nicht, geistig nicht. Schon richtig, sagte Raddatz, aber für den Schritt, den er tun müsse, brauche man ja auch Kraft. Große sogar.

fritz j raddatz jahre mit ledigFritz J. Raddatz
Jahre mit Ledig: Eine Erinnerung
Rowohlt
Leinen, 160 Seiten
978-3498057985

fritz j raddatz tagebücher 2002 2012

Fritz J. Raddatz
Tagebücher 2002-2012
Rowohlt
gebunden, 720 Seiten
978-3498057978

Kurz vor seinem Tod habe ich Fritz J. Raddatz einen Brief geschrieben, dieser ist hier abrufbar.

Irmgard Keun – Kind aller Länder

Hier ist ein Talent. Wenn die noch arbeitet, reist, eine große Liebe hinter sich und eine mittlere bei sich hat: aus dieser Frau kann einmal etwas werden.
Kurt Tucholsky in seiner Rezension zu Keuns Debüt “Gilgi – Eine von uns”

irmgard keun kind aller länderIrmgard Keun schickte sich tatsächlich an eine der bedeutensten Schriftstellerin Deutschlands zu werden. Nicht nur Tucho war Fan, sondern auch Alfred Döblin und, nicht unerheblich für ein junges Talent, die deutschen Käufer des Jahres 1931. Noch besser als ihr Debüt Gilgi – Eine von uns ging im folgenden Jahr Das kunstseidene Mädchen über den Ladentisch. Der Aufstieg wurde jäh gestoppt als die Nationalsozialisten Keuns Bücher als solche der schmeichelhaften Kategorie Asphaltliteratur mit antideutscher Tendenz verboten und beschlagnahmten.

Irmgard Keun versuchte wohl sich irgendwie zu arrangieren, doch als 1936 endgültig ihr Antrag auf Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer abgelehnt wurde, ging sie, wie viele andere vor ihr, ins Exil nach Ostende in Belgien und in die Niederlande. Ihre Freunde wurden unter anderem die Mitexilanten Egon Erwin Kisch, Hermann Kesten, Ernst Toller und Stefan Zweig. Eine wilde Affäre verband sie mit Joseph Roth. Ihre Bücher erschienen jetzt bei dem Exilverlag Querido. Doch die Beziehung zu Roth zerbrach 1938 und 1940 ging sie, nachdem die Nazis die Niederlande besetzt hatten, zurück nach Deutschland und lebte dort im Untergrund.

Die Schriftstellerin Keun gab es nun fast nicht mehr. Zehn Jahre dauerte es nach ihrer Rückkehr bis wieder ein Roman von ihr erschien, der kaum beachtet wurde. Keun verlor sich im Alkohol und lebte in erbärmlichen Verhältnissen, wurde entmündigt und eingewiesen. (Fast) vergessen starb sie 1982 in Köln.

Asphaltliteratur mit antideutscher Tendenz

Das Potential, das Tucholsky sah und zweifelsohne vorhanden war, wurde nie völlig entfaltet. Damit diese Autorin aber ein bisschen der Vergessenheit entrissen wird, erscheinen inzwischen immer mal wieder neue Ausgaben der alten Werke. So auch vor kurzem Kind aller Länder. Dieser stark autobiographisch gefärbte Roman erzählt aus der Sicht des nie gezeugten Kindes von Keun und Roth das Leben im Exil, primär die Jagd des Vaters nach Geld und die Reisen in immer neue heilversprechende Orte oder solche erhofften Friedens.

Doch trotz der nicht uninteressanten Möglichkeit über die autobiographischen Bezüge in Leben und Werk der Autorin einzusteigen, eignet sich Kind aller Länder denkbar schlecht dafür sich dieser zu nähern, denn dieses ist schlicht kein besonders gutes Buch. Die Erzählstimme des Kindes Kully ist auf Dauer ermüdend (was ich nur schreibe, um nicht langweilig sagen zu müssen). Joseph Roth als fiktiver Vater wird nur “von hinten”, nämlich auf der ständigen Jagd nach Geld, gesehen und geistert über die ersten hundert Seiten mehr als stets abwesendes Phantom durch den Roman. Kully wiederum ist ständig auf der Suche nach Zuneigung, Aufmerksamkeit und Zerstreuung. Die kindlichen Reflexionen über die Mühsal des Exils mögen in ihrer Darstellung einer Zehnjährigen entsprechend und somit realistisch sein, dies führt allerdings damit auch zu einer Gedankenhöhe die über dieses Niveau nicht hinausgeht.

Kind aller Länder ist ein Zeitzeugnis und ein Puzzelstück im traurigen Leben der Autorin Irmgard Keun, aber losgelöst von diesem Faktum handelt es sich dabei nicht um lohnenswerte Lektüre. Eine denkbar schlechte Wahl für den Start einer Neuauflage wider das Vergessen dieser wichtigen Autorin und gerade deswegen ist zu hoffen, dass Kiepenheuer und Witsch die Reihe fortsetzt, um die wahren Schätze dieses Werkes zu heben.

Irmgard Keun
Kind aller Länder
ISBN: 978-3-462-04897-1
Erschienen am: 18.02.2016
224 Seiten, gebunden

Julian Barnes – Am Fenster

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Das Cover eines doofen Buchs

Julian Barnes und ich haben es nicht einfach miteinander. Der geiernasige Engländer hat mir in Before she met me gezeigt, wie man die bereits auf dem Klappentext enthaltene Story ohne Entfaltung neuer Motive oder irgendwie gearteter Facetten auf 200 Seiten auswalzt oder wie man Trauer mit Heißluftballonfahrten verbinden kann (kann man nicht oder nur schlecht). Trotzdem haben Julian und ich es noch einmal miteinander versucht, nach Roman und Kurzgeschichte nun mit Essays. Die besten Freunde werden wir aber nicht mehr werden.

Die Sammlung “Am Fenster”, von hinten gelesen, beginnt ziemlich schnarch (so sagen junge Menschen, wenn sie etwas langweilt). “Ein Leben mit Büchern” ist die Entwicklungsgeschichte des kleinen Julian zu einem lesenden Menschen, eine persönliche Geschichte über die Bibliomanie und die Suche nach neuen Schätzen. Mein Missfallen gründet sich hier darin, dass von autobiographischen Informationen einmal abgesehen, der Erkenntnisgewissen für den Konsumenten recht gering ist. Diese Leserbiographien hat doch jeder schon tausendfach gelesen. (Häufig enthalten: Wir hatten nicht viele Bücher, deswegen habe ich alles gelesen, was ich ergattern konnte etc. pp.)

Kurze Zusammenfassung: Früher ist Julian mit dem Auto rumgebrummt, heute bestellt er sich Bücher im Internet, weil alle Läden geschlossen haben, das findet er aber gar nicht so schlecht, weil er so leichter nach vergriffenen Titeln und seltenen Ausgaben suchen kann. Er glaubt nicht, dass das eBook das gedruckte Buch ersetzt. Lesen ist toll.

Barnes in nuce

Genug gespottet, hinein ins Konkrete. Barnes lenkt den Fokus in den meisten seiner Essays auf Schriftsteller abseits des Mainstream, Penelope Fitzgerald (nicht verwandt/verschwägert mit Francis Scott), Ford Madox Ford oder die hier kaum bekannte Lorrie Moore. Dies ist ein zu lobendes Unterfangen und wird vom Betreiber dieses Blogs ausdrücklich gebilligt. Beginnt JB dann allerdings seinen Essay über Edith Wharton mit

Romane bestehen aus Wörtern, gleichmäßig und demokratisch über die Seiten verteilt…

oder den über Lorrie Moore mit

Lorrie Moore ist gut darin, schlechte Witze zu machen.

hat man alles was ich an Barnes nicht mag in a nutshell, da versöhnt mich auch kein hehres Ziel. Ein Festtagsredner beginnt so, hat er kein schmissiges Gedicht gefunden. Der Einstieg soll heiter sein und dann wird das ganze Leben des Jubilars perpetuiert. [“Hah!”, sagt der aufmerksame Leser, “so fängst Du doch immer Deine Rezensionen an 54books-Mensch.” – Quatsch, das ist ironisch!] Die Essays mäandern nach diesen eleganten Einstiegen irgendwo zwischen hübsch erzählter Geschichte und seichter Geschwätzigkeit. Fraglos hat Barnes eine hervorragende Kenntnisse von Literatur und einen stellenweise erlesenen Geschmack, aber dieses Aphorismenhafte seiner Sprache hat in dem Genre, das alle als gerne als “kluge Essays” loben, nichts zu suchen, es stört mich bis zum Überdruss.

Wer ein großartiges Buch liest, flüchtet nicht vor dem Leben, sondern taucht tiefer ins Leben ein.

Soll ich mir das auf ein Kissen sticken? [Quatsch, habe ein tolles Sonnenuntergangsbild daraus gemacht!!]

Hier, das kann man aus Am Fenster gut zitieren:

Meine Begeisterung für Mösen ist einer meiner letzten wirklich menschlichen Züge.

das ist allerdings von Michel Houellebecq, nicht von Barnes. Das lässt tief blicken.

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Memento mori – Der verlachte Tod

Es gibt so viele lustige und weniger lustiger Sprüche in Bezug auf den Tod. Erstere, sowie die Inschriften ironischer Grabsteine und heiterer Nachrufe, von diesen liest man in Der verlachte Tod. Quer durch alle Epochen hat der Herausgeber Roger Shatulin gesammelt und man staunt wie schnell man sich in einer Zitatsammlung festlesen kann. In dieser Anthologie gibt es keine hilflosen Mutmachersprüche und sie ist kein Tröster nach tragischem Verlust, das Buch ist vielmehr eine Zeitreise durch zwei Jahrtausende und den ewigen Versuch der Menschheit mit dem Tod umzugehen. Nicht selten ist daraus große Literatur entstanden.

Sonnet 71 von William Shakespeare

Wenn ich gestorben, traure länger nicht
Als dumpfer Grabeglocken Trauerton
Der Welt von meinem Scheiden gibt Bericht,
Und daß zu armen Würmern ich entflohn.

Ja, liesest du dies Wort, vergiß die Hand,
Die’s niederschrieb; denn so sehr lieb’ ich dich,
Daß ich mich gern aus deinem Sinn verbannt’,
Empfändest du im Denken Leid um mich.

O kommt dir, ruf’ ich, dieser Vers ins Haus,
Lange vielleicht nach meines Leibs Vermodern,
Sprich meinen armen Namen selbst nicht aus,
Laß mit dem Leben Liebe gleich verlodern:

Sonst prüft die kluge Welt der Tränen Sinn,
Und höhnt dich um mich, wenn ich nicht mehr bin.

Roger Shatulin (Hrsg.)
Der verlachte Tod Heitere Grabinschriften, Nekrologe und Mementos
in schwarzen Samt gebundenes Buch
€ 19,95
ISBN: 978-3-7175-2392-5

Dr. Tod – Nicholas Kulish/Souad Mekhennet

642Der Titel klingt etwas übertrieben, doch so wurde Aribert Heim, einer der letzten verfolgten NS-Kriegsverbrecher genannt. Im KZ Mauthausen hat dieser Arzt auf brutalste Art und Weise Menschen umgebracht und ist nach Ende des Krieges einfach verschwunden. Dies war nicht nur den Wirren im zerstörten Deutschland, sondern auch der Durchsetzung der neuinstallierten Verwaltung mit Altnazis und dem Schutz von Geheimdiensten geschuldet. “Wir sind hier der Ansicht, dass sein Wert als Informant unendlich viel größer ist als jeder denkbare Nutzen, den er im Gefängnis haben könnte”, ließ etwa der CIC (der ehemalige militärische Abwehrdienst der USA) über Klaus Barbie intern verlautbaren. Heim war zwar nicht so nützlich wie Barbie, aber auch (lange) kein so bedeutender Name, dass viel Aufhebens um sein Verschwinden gemacht wurde. Doch im Laufe der Jahre wurde durch Tod der Gesuchten und bereits abgeschlossene Strafverfahren der Kreis um Heim enger, doch gedeckt durch seine Familie und geschickte Taktik seines Anwalts hatte sich dieser inzwischen nach Ägypten abgesetzt, finanziert durch Grundbesitz in Deutschland, der ihn lange Zeit finanzierte. Heim wurde, anders als Barbie, nie geschnappt. Nie musste er sich daher vor einem Gericht für seine Taten verantworten und trotzdem kommen die Autoren fast zu einem versöhnlichen Resümee:

Die strafrechtliche Verfolgung von NS-Kriegsverbrechern ist nicht einfach etwas, das bald der Vergangenheit angehören wird. Sie schuf einen Präzedenzfall für die Ahndung von Völkermord überall auf der Welt.

So ist Dr. Tod zwar eine Geschichte des Versagens deutscher und internationaler Strafverfolgung, eine Ansammlung von Missgeschicken, Vertuschungen und Fehlurteilen, aber auch eine Mahnung und die Entwicklungsgeschichte eines Rechtsstaats.

In diesem Zusammenhang sei auch an Furchtbare Juristen erinnert, das erfreulicherweise neu aufgelegt wurde.

Harry Graf Kessler, Tagebuch eines Weltmannes – Ulrich Ott (Hrsg.)

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Knapp zehn Jahre ist es her, dass man sich Leben und Werk Harry Graf Kesslers kaum fundiert nähern konnte. Die schwer zu transkribierenden Tagebücher, weil wohl in winziger Krakelschrift, nur in einer Auswahl erhältlich, keine seriöse Biographie auf dem Markt, überall waren nur Schnipsel dieses großen, übervollen curriculum vitaes* zu erhaschen. Die beste Einführung gab bis vor einer Dekade der von Ulrich Ott herausgegebene Katalog zur Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs im Schiller-Nationalmuseum in Marbach von 1988. Am heutigen Tag gibt es zwei ernstzunehmende Biographien, eine bei Klett-Cotta erschienen (inzwischen aber auch wieder vergriffen und nur antiquarisch zu bekommen), eine im Siedler Verlag (im Ergebnis umstritten, aber von FJR gelobt) und die grandiose auf neun Bände angelegte Edition seiner Tagebücher, in denen, wie man sagt, circa 40.000** Zeitgenossen auftauchen. Scheut man aber deren 7000-seitige Lektüre oder die einer umfassenden Biographie, so bleibt der Marbach-Katalog ein wunderbar bebilderter Einstieg.

Die damalige Ausstellung, so der Herausgeber, gehört nur scheinbar zu jenen, deren Thema durch das Leben und Werk einer einzelnen Person umschrieben ist. Wohl bildet dieser Mann den Mittelpunkt, den Schnittpunkt aller Linien, doch in Wirklichkeit wird durch ihn eine europäische Epoche sichtbar, fast Tag für Tag dokumentiert in den Aufzeichnungen seines Lebens, das in einem eigenen Sinne an den Knotenpunkten stand, von denen die Stränge zum Neuen ausgehen. Kessler war weder eigentlich Politiker noch Künstler, aber in seinen unendlichen Beziehungen ein ganz politischer, ganz in der Wirksamkeit für Kunst und Literatur stehender Mensch, homme de lettres in einem in Deutschland sonst kaum vertretenen Typus.

Tagebuch eines Weltmannes ist ebenfalls nur noch antiquarisch zu erhalten, aber mit einem Preis von 10-25 Euro zu einem erschwinglichen Preis, den es auszugeben lohnt.

*Extra nachgesehen: müsste der richtige Genitiv sein.
**Eine kleine, interessante Darstellung Kesslers Netzwerk gibt es dazu  hier.

Gelebte Literatur – Hans Mayers Frankfurter Poetikvorlesungen

Die Frankfurter Poetikvorlesungen sind eine der schönsten Traditionen der deutschsprachigen Literatur der Nachkriegszeit. Seit dem Lehrjahr 1959/60 hält das Who is Who der Autoren der DACH-Länder jährlich, nur unterbrochen von 1968 bis 1979, eine Vorlesung zu einem frei gewählten Thema mit den Fragen zur poetischen Produktionen und ihren Voraussetzungen. Hans Mayer wählte das Thema: Gelebte Literatur (vulgo: ich, Ich, ICH).

Hans Mayer ist sicher einer der großen deutschen Literaturwissenschaftler* Deutschlands nach 1945. Allein seine Arbeit über Georg Büchner hat neue Maßstäbe in der Germanistik gesetzt. Seine Arbeiten zu Proust, Thomas Mann und der Literaturgeschichte sind bis heute alle ebenfalls so stilprägend wie vergriffen.

Als junger jüdischer Jurist bereits 1933 ins Ausland geflohen, arbeitete er mit Max Horkheimer und Walter Benjamin als Sozialforscher, war nach ’45 in Frankfurt Kulturredakteur der Vorgängerin der dpa und arbeitete für das Radio. Erhielt einen Ruf nach Leipzig und pendelte zwischen Ost- und West-Deutschland, inzwischen einer der bekanntesten Literaturkritiker in beiden Ländern, ebensolcher bei den Tagungen der Gruppe 47. 1963 kehrte er nach einem Besuch in Tübingen nicht in die DDR zurück. Dort war er immer wieder mit Kritik an der Kulturpolitik angeeckt. So schrieb er bereits 1956: “Will man das literarische Klima bei uns ändern, so muß die Auseinandersetzung mit der modernen Kunst und Literatur in weitestem Umfang endlich einmal beginnen. Es muß aufhören, daß Kafka bei uns ein Geheimtip bleibt und daß das Interesse für Faulkner und Thornton Wilder mit illegalem Treiben gleichgestellt wird”. Die offiziellen Stellen waren nicht erfreut. Zum endgültigen Bruch kam es 1963 aufgrund des neuen Mayer Buchs Ansichten, in dem er erneut die Literaturinterpretation und -politik des Regimes kritisierte.

Im Westen schuf die TU Hannover Mayer eine Stelle als Professor für Literatur. Der sensible Mann emeritierte 1973, nachdem man seinen Habilitanten Fritz J. Raddatz nicht wie gewünscht inthronisierte.

Dieses Leben, die Ver- und Getriebenheit, das Zerriebenwerden zwischen und in Unrechtsregimen, ist ein Paradebeispiel für den unbeirrten Intellektuellen, der für seine Arbeit und Leidenschaft einsteht. Dieses Leben war so übervoll, dass Mayer sich genötigt sah eine zweibändige Autobiographie zu schreiben. Doch trägt dieses Leben eine Poetikvorlesung?

Besuch – letzter? – bei Hans Mayer; nach langjähriger “Pause”. Er ist seine eigene Anekdote, die so geht: Hans Mayer hat Besuch. Er redet 2 Stunden ohne Unterlaß, wo er alles Vorträge gehalten und welche bedeutenden Leute er dabei getroffen hat. Nach langem betäubtem Schweigen wird der Besucher gefragt: “Und nun zu Ihnen – haben Sie mein neustes Buch gelesen?”

Fritz J. Raddatz – Tagebücher – 11. November 1997

“Max Frisch setzte mir in Breslau auseinander..”

Die fünf Vorlesungen tragen die Titel

Eine Jugend im Expressionismus
Leben und Literatur im Exil
Als der Krieg zu Ende war
Außenseiter
Über die Einheit der deutschen Literatur

und beinhalten zwei Themen: das Leben Mayers und die Rechtfertigung desselben eine Poetikvorlesung zu halten.

Der Essayist [also ich, Hans Mayer] aber ist innerhalb der internationalen Literatur durchaus als Schriftsteller anerkannt [weshalb ich, Hans Mayer, auch eine Poetikvorlesung halten darf].

S. 78

Bei aller Polemik möchte ich aber nicht an dem Denkmal eines Verstorbenen kratzen, sondern nur warnen: wer erwartet von Mayer etwas über Poetik zu erfahren, vielleicht sogar Schriftsteller (oder Essayist?!) ist, der für seine Arbeit profitieren möchten, wird enttäuscht werden. Möchte man dagegen von einem höchst spannenden Leben mit und für Literatur lesen, so wird man nicht enttäuscht, dass viele Argumente aber erst dadurch gewichtig werden, dass Brecht am Telefon eine ähnliche Meinung äußerte oder das Politbüro einen Artikel verbot**, daran darf man sich bei Mayer nicht stoßen. Das Büchlein ist eine besondere Leseerfahrung, nur eine Poetikvorlesung war es nicht.

Und ein sofortiges “MEIN Grab wird sehr schön”, er hat es sich auf dem Dorotheestädischen Friedhof gesichert: “Da gehöre ich schließlich hin, ich werde neben Brecht und Eisler und Arnold Zweig und Hermlin liegen, das wird sehr schön.” Er merkt nicht wie absurd dieser Satz klingt, immer, immer wieder und noch immer, bis über den Tod hinaus, dieses “Ich gehöre zu den Berühmten, ich bin bei feinen Leuten eingeladen”.

Fritz J. Raddatz – Tagebücher – 11. November 1997

Die nächste Poetikvorlesung hält im Übrigen Marcel Beyer unter dem Titel Das blinde (blindgeweinte) Jahrhundert, ab dem 12. Januar an fünf aufeinanderfolgenden Dienstagen über Grundlagen und Bedingungen seines literarischen Schaffens.

*Mayer hat Jura studiert und wechselte als Quereinsteiger in die Germanistik. (Das muss sich der Jurist mal vorstellen: Ein bei Hans Kelsen promovierter Rechtswissenschaftler verlässt sein Fachgebiet und widmet sich der Literatur. [Nichtjuristen können es sich so vorstellen: Du warst bei Dumbledore der beste Schüler und belegst dann nur noch bei Trelawney Wahrsagen.])

**Sehr unsaubere Arbeit für einen Wissenschaftler.

Nota bene: Andreas Maier (augenscheinlich kein Abkömmling von Hans) war so konsequent seine Vorlesung gleich Ich zu nennen.

Zum Appetit anregen oder abschrecken: Hans Mayer spricht eine Stunde über sich.