Das Feuilleton lügt nicht!

Den im Feuilleton hochgelobten Pop-Künstlern sollte man mit Bedacht gegenübertreten. Jedes ihrer Wort wird so interpretiert, dass sie möglichst gut da stehen – sie können gar nichts falschen denken/sagen/tun, denn den intellektuellen Anspruch kann man bereits in minimalen Gesten erahnen. Ein solcher Liebling der Kulturteile ist Sophie Hunger. Die Tochter der Schweizer Großbürgerfamilie Welti (Papa Diplomat, Opa Reporter, Schauspieler, Autor etc. pp. und mit den beiden Albert Weltis verwandt) geistert seit 2008 als Geheimtipp und inzwischen als von höchsten Stellen anerkannter Popstar durch die Spalten. Damals habe ich in ihr künstlerisches Schaffen reingehört und war nur mittelmäßig begeistert: zu ätherisch, verwaschen. Da sie aber nicht wieder verschwunden ist, der Spiegel sie 2010 als “Pop-Hoffnung” feierte und jedes ihrer weiteren Alben gelobt wird, gab es Chance Nummer 2, jetzt eine richtige, mich zu bekehren.

Bereits auf dem neuen Album, in das ich wieder nur kurz reingehört hatte, war eine angenehme Stimmung zwischen der erst bemängelten, jetzt gelobten, Atmosphäre, im Wechselspiel mit leichten Popsongs. Mit diesem Vorwissen ausgestattet habe ich mich am Sonntag auf das Konzert in Oldenburg in der Kulturetage begeben und war auf einen poetisch, seichten Gitarren-/Klavierabend eingestellt.

Zwar gab es (indiefolkmäßig) ein Cello, ein Glockenspiel, diverse Synthies, Klarinette, Trompete und Horn – aber in dieser Form habe ich das nicht erwartet. Sophie spielt Klavier und Gitarre zu Songs die abwechslungsreicher nicht sein könnten. Natürlich ist sie ein Singe/Songwriter-Typ, die auch die klassische One-(Wo)man-Show alleine mit Gitarre/Klavier beherrscht, aber ihre Band ist ein Wunder. Gitarrespielend hält Sophie sich zurück, aber ein sehr kraftvolles Schlagzeug und ein fähiger Bassist bilden das Grundgerüst für ein Cello, das den Part der Rhythmusgitarre übernimmt und man hört: ROCK! Ein unglaublich guter Sound, eine sehr gelungene Illumination und ein extatisches Publikum tragen die fünf Musiker durch das Konzert. Sophie stellt sich als sympathisches Mädchen heraus, die zwar auf deutsch, französisch, englisch und schwyzerdütsch singen, aber am Ende nicht gegen die Rührung ankämpfen kann. Das (im Schnitt recht alte) Publikum liegt dieser jungen Frau zu Füßen, aber zu gut ist auch einfach was hier geboten wird. Die Musiker wechseln sich, teilweise während der Stücke, an den Instrumenten ab, der Synthie- und Orgelmann spielt ein Klaviersolo, das den Saal zum Johlen bringt, während der Bassist sich die Klarinette schnappt. Sophies Stimme kann kraftvoll und sehr sanft, sie phrasiert überraschend und reagiert schlagfertig auf Zwischenrufe. Ihre Musik ist in ihrer Macht und ihrem Pathos wie Muse, nur nicht so aufgepumpt. Wer sich einen abwechslungsreichen, erhebenden, belebenden und gleichzeitig nachdenklichen Abend gönnen will, ist hier genau richtig.

Da die Alben bereits beim weiblichen Teil meines Haushalts liegen, werde ich mich etwas genauer mit dem Oeuvre dieser jungen Frau auseinandersetzen, denn der Feuilleton lügt nicht und manchmal lobt er sogar zurecht.

(Das Konzert wurde von Radio Bremen aufgezeichnet, wenn es dazu einen Link gibt, werde ich diesen separat posten.)

[Zum Reinhören]

Traurig, fröhlich, nachdenklich mit Volksmusikanklängen:

Nachdenklich:

Nicht so kraftvoll wie live, aber ein Anfang:

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Tilman berät als Rechtsanwalt Verlage, Autoren und andere Kreative im Urheber- und Medienrecht. Als Blogger hat er sich sowohl im Bereich der Literaturkritik als auch -vermittlung in der Branche einen Namen gemacht. Rechtsanwalt Winterling ist zudem als Jurymitglied (u.a. Hamburger Literaturförderpreise) und Moderator von Lesungen tätig, sowie gefragter Interviewpartner (u.a. Deutschlandfunk, Radio Eins), wenn es darum geht verständlich und unterhaltsam über rechtliche Themen und solche des Bloggens zu berichten.

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