Woche für Woche ist er sechzig und mehr Stunden unter Leuten, für die er wenig übrighat, die ihn allein dadruch anstrengen, dass er ihre Existenz zur Kenntnis nehmen muss.
Der Anwalt Paul Stern arbeitet in einer Großkanzlei in Berlin. Er hat eine lange Ausbildung und viel Arbeit hinter sich um dorthin zu kommen, nur die Guten, wenn nicht gar die Besten arbeiten bei Tennenbaum & Koch, dem fiktiven Pendant zu den Großkanzleien, die mir sofort eine Abmahnung bei Ziehung der Parallele schicken würden. Paul arbeitet sehr viel, denn er will irgendwann Partner werden, um dann genug Geld zu verdienen bzw. verdient zu haben, einen luxeriösen Lebenswandel mit viel Freizeit führen zu können. Als er aber mal wieder für ein Mandat ein Wochenende durcharbeiten muss und sich in der Dosis der aufputschenden Substanzen, Koffein spielt hier nur eine untergeordnete Rolle, verschätzt, bricht er zusammen und schmeißt die Brocken hin.
Die Freiheit am Morgen (danach) eröffnet Paul unendlich viele Möglichkeiten der Selbstverwirklichung und doch streift er zunächst ziellos durch Berlin und trinkt übermäßig, bis er Mara kennenlernt. Auf einer Party trifft er außerdem den Medienmogul Tasso Vonderweide, dem Pauls Ausstieg und Leidenschaft imponieren und den er daher für ein neues Magazin gewinnen will. Paul schreibt und plant, doch kommt das von Tasso geplante Über-Printprodukt MoMa nicht aus den Startlöchern. Während Paul (noch) gut von seinem Ersparten leben kann, zieht Mara bei ihm ein. Doch um Mara machen unschöne Gerüchte in seinem Freundeskreis die Runde, die durch ihre Verschlossenheit und ihr ständiges plötzliches Verschwinden Zweifel in Paul wecken: Escort-Service, Drogen und/oder ein eifersüchtiger, weiterhin geliebter Freund aus der Vergangenheit. Der vorher so erfolgreiche Anwalt mit dem Traum nach künstlerischer und persönlicher Erfüllung muss sich in seinem neuen Leben und dessen Möglichkeiten erstmal zurecht finden.
Martin Simons schreibt in seinem ersten Roman unaufgesetzt und klar. Er schafft es die Kultur- und Partyszene Berlins ohne überzogene Klischees darzustellen und trotzdem deren Absurdität einzufangen. Dazu zeichnet er mit Paul einen Charakter, der in seiner sinnsuchenden Zerrissenheit sympathisch bleibt ohne aufgesetzt zu wirken.
Während der Lektüre habe ich mich mehrfach gefragt, ob nur ich diesen Sog spüre, fühle ich mich als Jurist auf Sinnsuche direkt angesprochen. Inzwischen glaube ich aber, dass dieses Buch Stoff für die meisten Leser bereit hält. Die Frage, ob man wirklich weiter der aktuellen Beschäftigung nachgehen oder doch nach einem Ideal der eigenen Jugend streben soll, dürfte sich jeder bisweilen stellen, das ist kein Juristenproblem, sondern inzwischen das einer ganzen Generation.
Man müsste sein Leben ändern, gänzlich ändern, zu etwas Weit- und Tiefgreifendem machen, abenteuerlich lebendig, nur wie?
Die Generation Y, wie man die Nachfolger der Babyboomer, Generation Golf und X nennt, also junge, gutausgebildete Menschen Jahrgang um die ’85, strebt nicht so sehr nach Geld und Status, sondern legt vielmehr Wert auf Realisierung ihrer Träume, ihr persönliches Wohlbefinden und nachhaltige Zufriedenheit. Das Y steht dabei auch für why, das Hinterfragen der aktuellen persönlichen und gesellschaftlichen Situation. In diese Generation Y passt Paul vom Alter her eigentlich nicht mehr und doch sind seine Gedanken und Probleme sehr ähnlich. Denn bereits auf den ersten Seiten steht bei ihm das “Warum und wofür mache ich das hier eigentlich?”. Und trotzdem, und das ist Simons hoch anzurechnen, gleitet das Buch nie in Lebensweisheiten und Weinerlichkeit ab. Auch wird nicht kopflos der Selbstfindungstrip propagiert, sondern Paul erlebt die Schattenseiten, wenn er sich in der Antriebslosigkeit des unstrukturierten Tages verliert oder an den eigenen Ansprüchen scheitert oder feststellen muss, dass Leidenschaft manchmal allein nicht ausreicht.
Liebe Juristen, liebe BWLer, liebe Generation X und Y, liebe Aus- und Einsteiger bitte lesen Sie dieses Buch!
Kuriosum am Rande: In den von Tasso für sein Magazin angeheuerten Nikolaus Berg ist eindeutig der, von mir hochgeschätzte, Benjamin von Stuckrad-Barre zu entdecken. Ebenso angeheuert und ebenso eindeutig ist Chip Lambert, nicht nur aufgrund des den Korrekturen entnommen Namens, Jonathan Franzen. Der Autor möge mich berichtigen, sollte ich falsch liegen.
“Du bist also noch immer in der Kanzlei. Warum?”
“Ich höre auf, sobald ich jemanden finde, der mich fürs Bücherlesen, Weintrinken und Herumstriefen bezahlt.”