Erleuchtung durch Pop

Es gibt Bücher, die ich eigentlich doof finden will – Kassette auf dem Cover, Nilz Bokelberg (Ex-VIVA-Mann, Blogger, Moderator), das sieht nach einem Zeigefingerbuch aus: hört mal Kinder, was ihr alles für schlechte Musik hört, das muss aufhören. (So bin ich ja eigentlich auch, sowohl mit Büchern als auch Musik.) Ich will mir nicht sagen lassen was gute Musik ist, weiß ich doch. Und jetzt würde ich gerne sagen, der will nur belehren, der hat keine Ahnung. Aber nein, der will begeistern, der weiß Bescheid. (Hoffentlich bin ich so auch.)

nilz bokelberg endlich gute musikÜber lose zusammenhängende Episoden nähert sich Bokelberg der Geschichte seiner musikalischen Sozialisation, der Entwicklung seines Geschmacks. Pantera und die Smashing Pumpkins neben Italopop, NDW und The Housemartins und N.W.A. Bokelberg ist kein Rocker, kein Metaller, kein Hip Hopper – er ist bekennender “Popper” in dem Sinne, dass er all das hört, was ihm gefällt. Also kann er in dem einen Kapitel über Techno Tracks schreiben und im nächsten zugeben, dass er Halt mich von Grönemeyer großartig findet (so do I). Und so langsam zieht er mich in seinen Bann, trotz manchmal etwas holpriger Prosa und allzu häufigem Gebrauch des Worts cheesy, denn solche Schwächen werden durch Bokelbergs Leidenschaft ausgeglichen.

Diese Leidenschaft ist deswegen so ansteckend, weil nicht nur für jeden etwas dabei ist, was zwangsläufig bei einer solchen Bandbreite der Fall wäre, sondern, weil er Lust auf jedes der besprochenen Genres macht. Man fühlt mit dem jungen Nils/z als Kurt Cobain stirbt, man kennt das Problem des pubertierenden Nilz, der verzweifelt versucht seine neue Freundin von seiner Lieblingsmusik zu überzeugen und enttäuscht feststellen muss, dass man leider nicht passt. Bokelberg schafft es diese “Kenn-ich-doch-Geschichten” nicht nur so zu erzählen, dass sie Spaß machen, sondern dass sie berühren, dass man sich wieder erinnert was einem selbst Musik damals bedeutet hat und heute noch bedeutet.

Klar Saxophonsoli in Popmusik sind immer kitschig, warum also nicht eine Liste mit den 5 besten Saxophonsoli aufstellen? Die Liste ist in diesem Buch sowieso ein probates Mittel zur Vermittlung von Inhalten. Die besten Balladen, die besten Technotracks (obwohl er [und ich] eigentlich kein Techno hören), die besten Ärzte-Songs; im Kopf erstelle ich während der Lektüre bereits eigene Listen. Die Liebe zum Stöbern, das Bedürfnis einen Song unbedingt besitzen zu müssen, das Hören von Bootlegs in erbärmlicher Tonqualität, das Suchen nach der 10x Coverversion des Lieblingssongs – das alles könnte meine Geschichte sein. Spätestens bei seiner Predigt über die Größe von Weezer bin ich völlig überzeugt, ich will mit Bokelberg Bier trinken gehen und mit ihm über Musik reden, vom Hölzchen aufs Stöckchen kommen und entlegene Perlen finden und natürlich am Rivers Cuomo Alter niederknien. Solange ich nicht in Berlin und nicht eingeladen bin, reicht mir erstmal sein Buch.

Zu jedem Kapitel gibt es am Ende eine Liste Weiterführendes auf die Ohren, die ich, war mal so frei, zusammen mit den meisten in den Kapiteln besprochenen Songs auf eine Spotify Playlist gepackt habe, ausgenommen sind, selbstredend, die Künstler, die es nicht bei Spotify gibt (z.B. Beatles, Ärzte):

Und weil man sich für keinen Song, den man liebt, wirklich schämen muss, egal wer ihn singt – soviel auch zum Thema Cover (danke für den Hinweis @BigTicket):

Ich ziehe mich jetzt zurück, vervollständige meine eigenen Listen und schreibe ein Buch über Musik, im Vorwort werde ich Nilz Bokelberg danken.

Last but not least: wer das Buch von Bokelberg schon gelesen hat und ähnliches sucht, dem sei Komm wir werfen ein Schlafgzeug in den Schnee: Die Poptagebücher von Eric Pfeil ans Herz gelegt.

P.S.: Alter! Miley Cyrus covert Jeff Buckley und zwar nicht das ausgenudelte Halleluja. MEGA! Ihr Jolene Cover bei derselben Session ist ein ähnlicher Kracher!

P.S. #2:

Kategorien Allgemein Rezensionen

Tilman berät als Rechtsanwalt Verlage, Autoren und andere Kreative im Urheber- und Medienrecht. Als Blogger hat er sich sowohl im Bereich der Literaturkritik als auch -vermittlung in der Branche einen Namen gemacht. Rechtsanwalt Winterling ist zudem als Jurymitglied (u.a. Hamburger Literaturförderpreise) und Moderator von Lesungen tätig, sowie gefragter Interviewpartner (u.a. Deutschlandfunk, Radio Eins), wenn es darum geht verständlich und unterhaltsam über rechtliche Themen und solche des Bloggens zu berichten.

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