Lebensstufen – Julian Barnes
Michael Maar hat eine hohe Meinung von Julian Barnes und ich eine hohe Meinung von Michael Maar, daher habe ich nach Als sie mich noch nicht kannte (naja, ok) nun auch das neuste Werk Lebensstufen gelesen. Die hymnischen (F.v. Lovenberg in der FAZ) oder völlig aussagefreien Besprechung kann ich nicht nachvollziehen. Die vorgeschaltete Geschichte der Ballonfahrt und der Liebe zwischen Fred Burnaby und Sarah Bernhardt taugt nicht mal als schön erzählte Parabel (für was? die Liebe?) und das anschließende Klagelied Barnes’ auf seine verstorbene Frau verkommt zu einer wehleidigen Selbstbetrachtung. Mir soll keiner vorwerfen ich sei ein gefühlloser Trampel, aber die Litanei auf die Verstorbene erscheint mir zum Teil derart intim, dass ich sie nicht lesen möchte und dann wieder derart alltäglich, dass sie für mich keinen Mehrwert hat. Ich will den Schmerz des Einzelnen nicht klein reden, und speziell nicht den von Julian Barnes, aber die Trauer hätte er mit sich und den ihm Nahestehenden ausmachen sollen, Geld sollte man nicht dafür bezahlen.
Die jungen Leute – J.D. Salinger
Was hat J.D. noch in seinem Nachlass versteckt? Bis dieser gelüftet wird, müssen sich die Bewunderer mit dem Wenigen bisher Veröffentlichten begnügen. Hierzu gehören auch diese drei frühen Geschichten. Bereits aus diesen des damals noch sehr jungen Mannes lässt sich der spätere Star erahnen: in den Dialogen liest man seine Lakonie, dazu seine kurzen, aber detaillierten Beobachtungen. Ob man von einem anderen Autor diese drei sehr kurzen Stories veröffentlichen würde, wage ich zu bezweifeln, dieses 80 Seiten Büchlein – in schönem roten Leinen – ist für die Fans des scheuen Titanen aber ein Muss, das Nachwort von Thomas Glavinic eine informative Beigabe. Zum Einstieg dann aber doch lieber und immerwieder Der Fänger im Roggen.
Jahre mit Ledig – Fritz J. Raddatz
Der Mann hatte einen Plan. Einen Tag vor dem Erscheinen dieses kleinen Büchleins, seines 40., stirbt Effjott in der Schweiz. Bedenkt man Zeitpunkt und Sterbeort wird es sich wohl, wie immer angekündigt, um begleiteten Suizid handeln. Somit handelt es sich bereits, vom Erscheinungstermin her, um die erste pousthume Veröffentlichung des Verlegers, Autors, Journalisten, Essayisten, Krawallbruders, Dandys und Unruhestifters – zwei fertige Bücher liegen noch bei seinem Nachlassverwalter.
Raddatz würdigt in Jahre mit Ledig einen seiner großen Förderer Heinrich Maria Ledig-Rowohlt. Viele Anekdoten kennt der geneigte Tagebuch- und Autobiographieleser bereits, aber nicht minder unterhaltsam als in den Vorwerken werden sie hier in einem wunderschönen, grünen Leinenbuch präsentiert. Blumig rauschend, elegisch schildert Raddatz wie eh und je, lobt sich und andere und nimmt mit in eine ferne Zeit im Nachkriegsdeutschland als das Büchermachen noch ein Abenteuer und Verleger noch Halunken und Schlitzohre waren.
FJR wird mir fehlen!
Madame Bovary – Gustave Flaubert
Endlich habe ich die Neuübersetzung von Elisabeth Edl gelesen, diese verdient noch eine ausführliche Besprechung.
“Wenn ich schon etwas Neues anfange, dann richtig. Flaubert ist sozusagen der Nachkomme Stendhals, aber der Apfel ist weit vom Stamm gefallen, sprachlich und stilistisch. Außerdem hat sich bei mir auch so eine Art kleiner Größenwahn ausgebildet: Jetzt machst du die größten Romane Frankreichs neu – nach den zwei Hauptwerken Stendhals die zwei Hauptwerke Flauberts, „Madame Bovary“ und die „Éducation sentimentale“. Danach sehen wir weiter, ich habe keine Angst, dass mir der Stoff ausgeht.” Elisabeth Edl 2012 in der FAZ.
Vor den Vätern streben die Söhne – Thomas Brasch
Siebzig Jahre wäre Brasch im Februar geworden. Als Hommage an den fast vergessenen Autor beider Deutschlands habe ich mir daher diesen kleinen Roman vorgenommen, der nach seinem Erscheinen 1977 sofort zum Bestseller wurde. Brasch, der Filmemacher, Lyriker und – wie sein Freund und Grabredner Raddatz – Unruhestifter, schildert in kleinen teils verwobenen Miniaturen das Leben in der DDR. Eine völlig andere Sicht, gerade für mich als fast Nachwendekind. Brasch ist kraftvoll, zornig, zärtlich, anklagend und nachsichtig zugleich. Mit Sicherheit nichts für jeden, aber ein besonderes Zeitzeugnis eines Autors, der hoffentlich nicht vergessen wird.
Astronauten – Sandra Gugic
Einen modernen unaufgesetzten Ton hat die Openmike-Preisträgerin Sandra Gugic. Wenige schaffen es jugendlich zu klingen ohne es mehr zu sein ohne sich anzubiedern. Eine ausführliche Rezension wird Saskia in der nächsten Zeit liefern: “Sechs sehr unterschiedliche Menschen erzählen im Debütroman von Sandra Gugic von sich selbst, und allmählich enthüllt sich, wie ihre Wege sich überschneiden, wie sie Vertrauen fassen, es enttäuschen und doch aneinander hängen – wie sie ihre Maßnahmen gegen die Kälte der Welt treffen.” Guter Erstling bei C.H.Beck (s.u.).
Arbeit und Struktur – Wolfgang Herrndorf
Nicht gelesen, aber gehört und immer noch wunderschön und furchtbar traurig, kraftvoll, erschüttern, lebensbejahend und verzweifelt.
“Wie ehrlich und detailliert Herrndorf seine depressiven und wahnhaften Phasen beschreibt, als hätte ein anderer als er selbst diese erlebt, gnadenlose Analysen, die immer eindringlicher werden, wenn man die gespielte Distanz aufbricht indem man sich erneut vor Augen führt, das Herrndorf über sich schreibt. Der Schmerz, den er durch literarischen Abstand zu verbergen sucht und doch offen zugibt.”
KL, Gespräch über die Unsterblichkeit – John von Düffel
Was soll ich denn hiermit anfangen? In fiktiven Interviews und Begegnungen trifft der namenlose Journalist und Philosoph, unter anderem und vor allem den Modeschöpfer KL, aber auch das moderierende Vollweib BS oder ein Heide Simonis Double. Was als schöne Idee, nämlich das gänzlich andere Interview und Porträt von Prominenten, die sonst nur die üblichen Fragen beantworten, beginnt, verläuft ohne jeglichen Unterhaltungswert im Nichts, auch lernen tue ich nichts. Das Stärkste an diesem Buch ist die Idee für das Cover, zu Ende gelesen habe ich es nur, weil es so wenige Seiten hatte und ich immer noch auf einen Knackpunkt gewartet habe, der aber am Ende leider ausblieb.
Das Monster von Neuhausen – Ernst Augustin
Zusammen mit von Düffel und Julian Barnes streitet sich Ernst Augustin um den Titel Die größte Zeitverschwendung des Monats. Ein Patient unterzieht sich einer Operation, die missglückt. Der zur Rechenschaft gezogene Chirurg streitet alles ab und belastet seinerseits die Gegenseite, bloß zu simulieren. Im Buch selbst wird auf knapp 110 Seiten aus Sicht des Verteidigers der Prozess gegen den sich rächenden Patienten ausgebreitet. Doch was Ernst Augustin hier lamentiert ist bei keinem Gericht in Deutschland üblich, hat keinen Witz, keine Sprache, keine Story und nicht mal eine literarische Form. Warum C.H.Beck so etwas verlegt, wenn sie eine Gugic (s.o.) verlegen können, ist mir ein Rätsel. Die Höchststrafe dieses Buch zu lesen.
Alles ist jetzt – Julia Wolf
Ich bin befangen, mach du, sagt mir Saskia, die sich gar nicht mehr einkriegt über das Romandebüt ihrer Freundin und unserer 54stories-Autorin Julia. Ganz sicher die Überraschung des Monats, ausführlichere Rezension folgt auch hier.