Der alternde Autor trifft eine Jugendliebe, die er äußerst erfolgreich zu Literatur hat werden lassen. Goethe trifft hochbetagt seine Lotte wieder, die Lotte des Werther. Niemand anders als Thomas Mann hat diese Begegnung erdacht, inszeniert und zu Papier gebracht, dass niemand vor einer solchen Transformation sicher ist, auch Thomas Mann nicht, beweist jetzt Hans Pleschinski mit seinem Roman Königsallee.
Anfang der 50er-Jahre ist Thomas Mann mit Frau Katia und Tochter Erika in Düsseldorf auf Lesereise. Der Exilliterat in seiner alten Heimat, dem zerstörten Deutschland, und im selben Hotel hat sich Klaus Heuser mit seinem Lebensgefährten eingemietet. Erika entdeckt die beiden, rauscht herein und gibt zu verstehen, dass ein Wiedersehen mit dem geschwächten Nobelpreisträger nicht möglich, gar ausgeschlossen ist, viel zu groß die mögliche Gefahr für die Gesundheit, denn Klaus ist so etwas wie eine verflossene Liebe. Als dieser 17 war, hat der Schriftsteller den Sohn des Düsseldorfer Künstlers und Leiter der Kunstakademie Werner Heuser auf Sylt kennengelernt, fand ihn anziehend und lud ihn nach München ein. Der Zauberer schreibt seinen beiden ältesten Kindern, Klaus und Erika, dass er Klaus dutzte und an sein Herz drückte; vertraut seinem Tagebuch an, dass er “die geliebten Lippen […] küsste – es war da, auch ich hatte es, ich werde es mir sagen können, wenn ich sterbe”. Heuser bildete vielfach eine Art Vorlage für Manns Schaffen: Felix Krull, der Joseph aus den gleichnamigen Romanen und natürliche der Tod in Venedig, überall schimmert Heuser durch die Seiten.
Pleschinski baut, wie vor ihm Mann, einen Roman um eine fiktive Begegnung, das spannungsreiche Wiedersehen mit einer alten Liebe. Erika Mann wird eindrücklich, leicht überzogen (wie sie wohl auch war) und daher besonders glaubhaft charakterisiert. Ernst Bertram wendet sich an Klaus, damit dieser ein gutes Wort für ihn beim Freund von einst einlegt und Golo Mann lauert ihm in der Kneipe auf, damit dieser dem berühmten Vater ein Manuskript aushändigt.
Ein kleiner Herr Friedemann steht im Hotel an der Rezeption,Russinnen und knallende Türen und andere kleine Blüten aus dem Mann-Kosmos sind zwar zum Schmunzeln, teilweise aber doch zu sehr mit dem Holzhammer in den Roman eingefügt. Die Betrachtungen des kleinen Mannes über Thomas Mann und die Worte die Pleschinski den Stadt-Oberen in den Mund legt, sind dagegen amüsant. Die Erkenntnis Heusers im Werk Manns für die Ewigkeit festgehalten zu sein, bleibt ein einfühlsames “Ich bin unsterblich. Die Welt liest mich.” Trotzdem verfällt der Autor immer wieder in ein zähes Palaver, aus dem man sich einzelne Perlen picken muss, die durchaus vorhanden sind. Der Liebhaber der großen Familie Mann, ihrer Schrullen und Geschichte, zu denen ich mich eigentlich auch zähle, ist dies eine interessante Veröffentlichung, die doch die eigenen Möglichkeiten nicht nutzt. Es bleibt daher leider bei einer seichten Nachkriegsgeschichte, die glaubhaft die Stimmen des Landes und seines Volkes wiedergibt, aber mit den Stimmen der eigentlich Protagonisten mehrfach danebenliegt.