Fjodor Dostojewski – Der Idiot

Als vor fast zwei Jahren dieser Blog seinen Betrieb aufnahm, stand auf der ursprünglichen Liste derer Bücher, die mich ungelesen klagend aus dem Regal ansahen, auch Dostojewskis Idiot. Wenn ich das Buch nach dem Schreiben dieser Besprechung in das Regal zurückstelle, wird es nicht mehr ganz ungelesen sein, aber ein fader Beigeschmack bleibt, denn ich habe es nicht beendet. Mein Lesezeichen, fieserweise die Seite 25/26 des Buches, die ich herausriss als ich das Buch im Fallen fangen wollte, steckt bei 864/865. Es sind nur noch knapp hundert Seiten, aber ich habe keine Lust mehr.

Denn daß ich Fürst Myschkin bin und ihre Gemahlin aus unserem Geschlecht stammt, ist selbstverständlich kein triftiger Grund. Das sehe ich sehr wohl ein. Aber doch liegt darin der ganze Anlaß meines Besuches. Ich bin ungefähr, vier Jahre nicht in Rußland gewesen, mehr als vier Jahre; und als ich wegfuhr, war ich beinahe nicht bei Sinnen! Damals kannte ich nichts in der Welt, und jetzt noch weniger. Ich bedarf des Verkehrs mit guten Menschen; und dann habe ich da auch noch eine geschäftliche Angelegenheit, und ich weiß nicht, wohin ich mich betreff derselben um Rat wenden soll.

Der Mittzwanziger Fürst Myschkin reist nach Russland, nachdem er vier Jahre in einem Sanatorium in der Schweiz verbracht hat, in dem man versuchte ihn von seiner Epilepsie zu heilen. In dieser Zeit war er fast völlig von der Außenwelt abgeschnitten, seine Entwicklung ist hierdurch stark verzögert. Umgang hatte er meist nur mit Kindern, die ihn dafür umso mehr liebten, in Gesellschaft weiß er sich nur ungelenk zu bewegen, die üblichen Gepflogenheiten, gerade die der Oberschicht, sind ihm fremd. Nach Sankt Petersburg reist er, um eine Erbschaft anzutreten. Leider hat er dort keinerlei Bezugsperson, nur eine entfernt verwandte Tante, die er aber nie traf. Doch im Zug, Anna Karenina lässt grüßen, lernt er bereits zwei Menschen kennen, die ihn über den weiteren Verlauf des Romans begleiten werden.

Unser Fürst gerät direkt nach seiner Vorstellung un in die Verwicklungen der Petersburger Oberschicht und verliebt sich in eine Frau, die einen liderlichen Lebenswandel pflegt, trotzdem aber Zugang zu allen wichtigen Kreisen genießt. Myschkin wird verlacht, geachtet, ausgebeutet, geliebt, verspottet, bewundert. Und so nimmt die Geschichte ihren tragischen Verlauf über die nächsten 900 Seiten.

Ganz zufällig, durch Beihilfe meiner Schwester Warwara Ardalionowna Ptizyna, erhielt ich von ihrer intimen Freundin, der verwitweten Gutsbesitzerin Wjera Alexjewna Subkowa, einen Brief des verstorbenen Nikolai Andrejewitsch Pawlischtschew.

Dies ist nicht der Erste Dostojewski, mit dem ich mich quäle. Verbrechen und Strafe (früher Schuld und Sühne) habe ich beendet, obwohl es Phasen gab, in denen ich meine Aufmerksamkeit derart verlor, dass ich fünfzig Seiten am Stück las, ohne dass mir von diesen Erinnerung oder Eindruck blieben. Bei Der Idiot ist es mir zum Teil nicht anders ergangen. Zur Schwierigkeit sich in russischen Stil und Namen hineinzufinden, kommen immer wieder seiten-, kapitel- und überkapitellange Szenen aus der Gesellschaft, in denen einer der Teilnehmer eine Geschichte erzählt, gemeinsam ein Spiel gespielt wird, das bezweckt, dass einer Geschichten erzählt oder einer einfach nur eine Geschichte erzählt; nur noch getoppt von einem Manifest über Ungerechtig- und Schlechtigkeit der Welt, verlesen auf einer Geburtstagsgesellschaft.

Daher fehlte mir größtenteils, trotz der Muße des Urlaubs, ebenjene mich auf diese knapp 1000 Seiten richtig einzulassen. Ich mag die Rahmenhandlung um den naiven, zu Geld gekommenen Fürsten mit der Fähigkeit der Gesellschaft die Maske vom Gesicht zu reißen, die Fratze darunter bleibt mir aber zu zäh. Die Lichtblicke, wenn z.B. der Beginn und der Zustand eines epileptischen Anfalls beschrieben wird, strahlen hell, sind mir aber zu spärlich, um mich über die großen Strecken der Langeweile (‘tschuldigung) hinüberzutragen. Selbst nach über 90 % Fortschritt schaffe ich es nicht Der Idiot zu beenden. Bleibt das Buch eben bei seinen Freunden auf der Liste.

Kategorien Allgemein Rezensionen

Tilman berät als Rechtsanwalt Verlage, Autoren und andere Kreative im Urheber- und Medienrecht. Als Blogger hat er sich sowohl im Bereich der Literaturkritik als auch -vermittlung in der Branche einen Namen gemacht. Rechtsanwalt Winterling ist zudem als Jurymitglied (u.a. Hamburger Literaturförderpreise) und Moderator von Lesungen tätig, sowie gefragter Interviewpartner (u.a. Deutschlandfunk, Radio Eins), wenn es darum geht verständlich und unterhaltsam über rechtliche Themen und solche des Bloggens zu berichten.

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