Tagebücher und Briefe – Michail Bulgakow
Die Aufführung aller meiner Stücke ist in der UdSSR verboten, und von meinen belletristischen Werken wird keine Zeile gedruckt.
Michail Bulgakow ist zuletzt durch die vielgerühmte Neuübersetzung von Der Meister und Margarita wieder in den Sichtbereich des deutschen Lesers gelangt nachdem er erste Bekanntheit bereits Ende der 60er-Jahre durch die Übersetzung von Thomas Reschke erreicht hatte. Dass neben der schriftstellerischen Leistung Bulgakows aber auch dessen Leben für den (geistes-)geschichtlich-interessierten Menschen von Interesse sein muss, zeigt nun eine Ausgabe seiner Tagebücher und Briefe betreut von eben diesem Reschke und seiner, also Reschkes, Frau bei Luchterhand. Das schwere Leben eines regimekritischen Autors im Russland nach dem ersten Weltkrieg und bis zu seinem Tod 1940, die Existenzängste, aber vor allem das Ringen um die geliebte Arbeit belegen nicht nur verzweifelte Tagebuchnotate und Briefe, sondern auch solche die direkt an das Regime und Stalin selbst gerichtet wurden.
Wir sitzen in Moskau fest, hoffnungslos, endgültig, wie Fliegen in der Marmelade.
Ein zutiefst eindrücklicher und bedrückender Weg sich dem Werk dieses armen Menschen, anders kann man es nicht sagen, zu nähern. Hierfür, ruhig auch von hinten nach vorne lesen, eignet sich hervorragend der Anhang, der sehr angenehm die Waage zwischen dem Zuviel an detaillierter Information und dem Zuwenig für das Verständnis des Unvorbereiteten hält.
Himmel und Erde – Jürgen Dollase
Noch nie wurde auf dieser Seite ein Kochbuch besprochen, doch dieses ist außergewöhnlich und voller Text, daher muss diese Ausnahme gemacht werden. Jürgen Dollase ist einer der, wenn nicht der, profilierteste Restaurantkritiker Deutschlands – quasi der Chef von 54restaurants – und reitet auf einem hohen Ross – as I do. Nur fehlt ihm mein Augenzwinkern.
Man muss also mit dem Ton des Jürgen D. umzugehen wissen, wenn er zum einen voraussetzt, dass der Leser jeden Tag kocht, ihm aber gleichzeitig als Hobbykoch fast jegliche Kompetenz abspricht; er betont, dass bitte stets nur die besten Produkte verwendet werden sollen, berichtet aber sogleich, dass die von ihm verwendeten zum Teil für Otto N. nicht zu bekommen sind. Die Frage muss also zwangläufig lauten, darf ein solcher Meister seines Fach überheblich sein oder täte ihm auch etwas Demut gut, zumal eben keine Spur von Ironie zu spüren ist.
Das [von mir gekochte] Essen scheckte gut, was ich auch – ehrlich gesagt – nicht anders erwartet hatte.
Zudem ist nicht immer ganz klar für welchen Leser Dollase schreibt. Ist es denn eine wichtige Information, dass er bei wenig Lust zu Kochen einfach mal ein Kilo Langustinen pro Person in den Topf wirft? Otto N. wird etwas beschämt an seinem Knopfloch nesteln und betreten zu Boden sehen, während ich die Menge verdoppel. Vor lauter Selbstverliebtheit geht ihm da auch mal durch, ob er nun beim 60. oder 65. Geburtstag Witzigmanns im Tantris das halbe Kalb gegessen hat – geschenkt. Die in der Vorrede sehr gelobten Bilder von Thomas Ruhl sind dafür nicht immer ganz gelungen.
Warum ich dieses Buch doch uneingeschränkt empfehlen kann? Nicht weil, das Cover aussieht als würde sich Neil Young ein Mahl kredenzen oder wir sehen können wie der Grinch in seiner Scheune grillt, sondern weil Dollase ausnahmslos weiß wovon er spricht. Die Einleitung zu jedem Kapitel sind neben allem Brimborium mit das Beste was man in der aktuellen Literatur über das Kochen auf höchstem Niveau lesen kann. Seine Überlegungen zu Aufbau und Struktur von einzelnen Gerichten bis hin zu Menüs sind höchstinteressant, die vorgestellten Rezepte voller Raffinesse und neben dem eigenen Anspruch frei von jedem Dogma. Dollase lässt alles, selbst ihm nicht zusagende Richtungen und Auswüchse des Kochens, als Einfluss gelten und vermittelt am Ende doch worauf es ankommt: die Lust am Kochen und die Freude an einem guten Produkt.
(Bei Dollase ist es wie beim in Rückblick 2 genannten Thomas Fischer, ein absoluter Mann vom Fach, der eigentlich der Welt nur etwas Gutes tun möchte und sein Wissen teilen, dass das leider nicht vom Pferd aus funktioniert, müssen aber beide noch lernen. Also absteigen und Hand reichen.)
Brunos Kochbuch – Martin Walker
Ausnahmen und die Regel. Das völlige Gegenteil zum obigen Buch ist das zur Bruno Krimi-Reihe erscheinende Kochbuch Martin Walkers. Einfache und typische Gerichte des Perigord werden mit tollen Landschafts- und Zutatenfotos dazu mit einleitenden Texten und zwei kleinen Zusatz Bruno Fällen garniert. Hier ist gleich klar welcher Leser angesprochen werden soll, der Fan der Krimis, der hinter die Kulissen schauen möchte und dabei etwas lernen. Das Niveau der Gerichte ist niedrig bis sehr simpel, was aber niemanden verwundern dürfte, doch neue Ideen und Rezepte sind doch auch für den geübteren Koch dabei. Nur zu loben ist auch die Ausstattung: in großformatigem Leinen und sehr vielen Fotos und das für unter 30 €!
Céline – Philippe Muray
Wer ist dieser sagenumwobene Schriftsteller? Der Antisemit und nach dem zweiten Weltkrieg wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Beihilfe zum Mord angeklagte, dieser Autor von dessen Reise ans Ende der Nacht Charles Bukowski sagte es sei das beste Buch, das in den letzten zweitausend Jahren geschrieben worden sei. Es ist die Geschichte eines Mannes und eine Schriftstellers, der in dieser Form nur im 20. Jahrhundert möglich gewesen sein dürfte.
Philippe Muray geht in einem grandiosen “Langessay” den Fragen nach, die bis heute Louis-Ferndinand Céline umgeben: Was bedeutet die ungebrochene Begeisterung für seinen revolutionären Stil sowie für das Verbot, mit dem das finstere Hauptkapitel seines Lebens belegt ist? Wie kommt es, dass wir in seinem Antisemitismus nur ein kurzes Intermezzo sehen möchten, das uns freistellt, seine “vorher” und “nachher” entstandenen Werke ebenso unbefleckt wie unschuldig zu lesen? Denn eines steht fest, man kann Céline hassen oder lieben, seine beiden Hauptwerke Reise ans Ende der Nacht und Tod auf Kredit sind bahnbrechende Werke der Literatur, denn Céline hat mit literarischen Mitteln beispielhaft vorgeführt, wozu die Entfesselung der befreiten Negativität führte, deren albtraumartige politische Konsequenz wir zu Genüge kennen.
Muray schreibt auf sehr hohem Niveau, jeder Satz zitierenswert, wie man unschwer erkennen kann. Bereits auf den ersten dreizig Seiten steckt soviel Wissen und Weisheit über Leben und Werk Célines, dass man immer wieder Pausen einlegen muss. Am besten parallel die beiden Romane liest. Ohne Vorwissen dürfte dieser Muray nicht lesbar sein. Hat man aber den Atem und die Geduld ist dies so ungefähr die detaillierteste und tiefste Möglichkeit sich diesem Scheusal und Genie zu nähern. Sollte ich demnächst Céline verschenken, dann nur in einem Paket mit Muray – großartig!