Es gibt einen neuen Bruno! Reiner Wein ist inzwischen der sechste Fall für den Chef de police aus Saint-Denis. Und obwohl auch Buchblogger ökonomisch denken müssen, und der Krimi bereits bei Mutter auf dem Nachtisch liegt, war ich versucht aus Neugier ein zweites Exemplar zu erwerben, ich wollte nicht warten. Umso größer meine Freude, dass mir der Diogenes Verlag ein Rezensionsexemplar nach Hamburg schickte, Mutter nun in ihrem Tempo zu Ende lesen darf und ich nach Lektüre binnen 24 Stunden berichten kann.
Bruno und die Krimis um ihn sind sich treu geblieben.
Der sympathische, etwas überzeichnete, Bruno Courrèges ist Veteran des Bosnienkrieges, Waisenkind und Gourmet. Als Polizeichef in der kleinen Gemeinde Saint Denis hat er eigentlich viel Zeit für das Tennis- und Rugbytraining, Spaziergänge mit seinem Hund und amouröse Begegnungen mit Damen. Wie es sich für ein Städtchen, das mit nur einem Polizisten auskommt, gehört, kennt Bruno alle seine Pappenheimer und auch ihre Geschichten. Doch, nun bereits zum [jetzt sechsten] Mal, wird sein Alltag aus Über-den-Markt-schlendern-und-fachmännisch-an-Trüffeln-riechen oder selbst foie gras kochen durch Verbrechen durchbrochen.
Aus meiner Rezension zu Femme Fatale
Ein, ohne Fremdverschulden, verstorbener Résistance-Veteran, ein erschlagener Antiquitätenhändler, eine Einbruchserie in Ferienhäuser, Unruhe im Französischen Innenministerium, Homosexualität in Frankreich, der größte Zugüberfall der Geschichte, englische Superspione und Atomwaffenpolitik, die Dorfschullehrerin, deren Schüler in der Computer-AG das Hacken lernen, eine Geiselnahme, Martin Walker lässt seinen Dorfbullen wieder einmal ziemlich rotieren. Den Hauptschauplatz bildet der erschlagene Antiquitätenhändler über den alle (!) Nebenschauplätze verbunden sind. Schnell gerät einer seiner Liebhaber in Verdacht, der sich auf der Flucht befindet. Wie immer fiebert die ganze Stadt mit und berät beim Abendessen. Den richtigen Durchblick hat aber am Ende wieder nur einer, nicht die Spezialeinheiten, die Großstädter, Richter und Inspektoren, sondern Bruno.
Das Problem von Reiner Wein tritt ziemlich schnell zu Tage: Der Krimi hat, neben Walkers schriftstellerischen Schwächen, einfach zuviele Storylines, die auf 400 Seiten gar nicht verarbeitet werden können. Mindestens die Geschichte um den Bahnüberfall der Résistance, die (fiktiven) Auswirkungen der französischen Atompolitik der Nachkriegszeit auf die Regierung in Paris, aber auch viele andere Kleinigkeiten hätten nicht gefehlt und dem Krimi etwas an Bodenhaftung verschafft. Der Umgang mit der “Homo-Ehe” in Frankreich und die Homophobie in der Provinz dagegen ist dort zu aktuellen, um sie als solche Nebensächlichkeit in einem Krimi abzutun, hier wäre viel Raum gewese, zumal Walker lange politischer Journalist war.
“Sagenhaft. Die Geschichte wird immer besser, und Paris Match hat sie an der Angel. Ein toter Résistance-Held, sein schwuler Enkel unter Mordverdacht und mit der Schwester auf der Flucht; ein britischer Meisterspion, der Dokumente fäscht, um der fanzösischen Polezi bei der Fahndung zu helfen – und all das wegen einer Verschwörungtheorie über den großen Eisenbahnraub. So was kann man sich nicht ausdenken.”
Martin Walker kann sich das ausdenken und darüber hinaus noch mehr als die oben genannten abstrusesten Storylines einbringen. Walker würde schreiben: “Manchmal ist weniger eben doch mehr”, dachte Bruno als er mit seiner Bassetwelpe Balzac an der Brust auf seinem Hengst in den Sonnenuntergang ritt, auf dem Weg zu Pamela um dort einen 2009er Chateau Le Fagé Monbazillac Grande Rèserve zu verköstigen.
Ingesamt will Walker zu viel und kann zu wenig. Es drängt sich leider das Gefühl auf, dass er mit Voranschreiten der Reihe schriftstellerisch und stilistisch eher abbaut, denn dazulernt. So war schon Femme Fatale arg konstruiert, Reiner Wein fehlt dazu noch die Spannung. Wenn man aber, so wie ich, mit niedrigen Erwartungen an die literarischen Qualitäten diese Bücher liest und nur auf leichte (diesmal fast seichte) Unterhaltung aus ist, wird man nicht enttäuscht. Wenn man aber, anders als ich, das Buch nicht als Leseexemplar zugeschickt bekommt, sondern fast 23 € investieren muss, sollte man schon Fan sein. Für dieses Geld bekommt man indes, wie bei Diogenes gewohnt, ein handwerklich hervorragend gemachtes Buch, ob die Bruno-Reihe es wert ist in rotes Leinen gebunden zu werden, wage ich dagegen zu bezweifeln.
Bei allen Schwächen lese ich Bruno doch gern. Ich mag die kulinarischen Details, auch wenn diese manchmal zu argem Namedroppig verkommen, ich mag auch Bruno, trotz seiner abstrusen Heldentaten als Ein-Mann-Spezialeinheit und ich will doch auch wissen, ob Isabell wirklich den Job in den Niederlanden bekommt und antritt oder es zum Eifersuchtsdrama zwischen ihr und Pamela in Saint-Denis kommt. Auch den siebten Bruno werde ich lesen, mich ein bisschen über seine Schwächen ärgern, aber doch von seiner getünchten Atmosphäe angezogen. Mit Balzac hat diese Lektüre, bis auf den Namen des Hundes nichts gemein, aber wer erwartet das auch? Nur, dass Diogenes mir den siebten Band zuschickt, das darf ich nun wohl nicht mehr erwarten.