Der Kontrabaß

Ein literarischer Snack von nicht mal einer Stunde, der aber doch Nachbeben erzeugt.

Der erzählende Kontrabassist sitzt kurz vor der Premiere in seiner akustisch völlig isolierten Wohnung, trinkt Bier und hält einen Monolog. Einleitend versucht er fast die Ehre des Kontrabasses als Orchesterinstrument zu retten, steigert sich aber im Verlauf seiner Rede und in Folge des Bierkonsums in eine immer verbitterte Abrechnung mit seinem Instrument: “Der Kontrabaß ist das scheußlichste, plumpeste, uneleganteste Instrument, das je erfunden wurde.” Er macht diesen für alles was in seinem Leben schiefläuft verantwortlich, vor allem dafür, dass er alleine ist. Seine unausgesprochene Liebe gilt der circa zehn Jahre jüngeren Sopranistin Sarah, wobei er sich nicht einmal sicher ist, ob sie ihn jemals wahrgenommen hat. Immer wieder zieht er Parallelen vom Orchester zur Gesellschaft, will sich zwar nicht beklagen, aber beklagt sich. Der Kontrabass, als seines Erachtens niederstes Instrument des Orchesters, fristet als Instrument ein Schattendasein, so wie er in der Gesellschaft, von der er sich nicht nur akustisch völlig abgeschottet und entfremdet hat. “Wenn die Pauke einmal hinlangt, das hört sich in die letzte Reihe, und jeder sagt, aha, die Pauke. Bei mir sagt kein Mensch, aha, der Kontrabaß, weil ich geh ja unter in der Masse.”

Als er zur Premiere von Rheingold, (Wagner, wird er nicht müde zu erwähnen, hasst er eigentlich) aufbricht, wissen wir und er noch nicht, ob er es heute schafft Sarah auf ihn aufmerksam zu machen.

Wem er dies alles erzählt, ob nur uns als Leser bzw. dem Zuschauer auf dem Theater oder einem in der Wohnung anwesenden Dritten bleibt unklar. Vielleicht spricht er aber auch nur zu seinem Kontrabass, den er so in seiner Hassliebe personifiziert.

Sehr schön:

“’Das Denken’, sagt ein Freund von mir – er studiert seit zweiundzwangzig Jahren Philosophie und promoviert jetzt –, ‘Das Denken ist eine zu schwierige Sache, als daß jedermann darin herumdilettieren düfte.’ Er – mein Freund – würde sich auch nicht hinsetzen und die Hammerklaviersonate herunterspielen. Aber jedermann glaubt, daß er denken kann, und denkt zügellos drauflos, das ist der große Fehler heutzutage, sagt mein Freund […]”

Im Anhang noch ein vom Erzähler als eines der wenigen Solokonzertwerke für Kontrabass erwähntes Werk von Dittersdorf.

Fazit: Ein sehr schönes Büchlein für einen nachdenklichen Sonntagnachmittag wie heute, das trotz seiner Kürze einen beachtlichen Nachhall zu erzeugen vermag.

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Tilman berät als Rechtsanwalt Verlage, Autoren und andere Kreative im Urheber- und Medienrecht. Als Blogger hat er sich sowohl im Bereich der Literaturkritik als auch -vermittlung in der Branche einen Namen gemacht. Rechtsanwalt Winterling ist zudem als Jurymitglied (u.a. Hamburger Literaturförderpreise) und Moderator von Lesungen tätig, sowie gefragter Interviewpartner (u.a. Deutschlandfunk, Radio Eins), wenn es darum geht verständlich und unterhaltsam über rechtliche Themen und solche des Bloggens zu berichten.