Die Nacht von Lissabon

In der Emigration in Zeiten NS-Deutschlands war nichts wertvoller als ein gültiger Pass, ein Visum für einen Staat, in dem noch nicht der Terror wütete und in dem man nicht verfolgt wurde, und ein Möglichkeit dorthin zu kommen. Der junge Erzähler in Erich Maria Remarques Buch streift nachts durch Lissabon und versucht irgendwie diese drei Chancen des Überlebens für sich und seine Frau zu erlangen. Ihm begegnet im Hafen ein Mann, der ihm diese drei Dinge geben kann und will. Einzige Bedingung: er will diese Nacht nicht alleine sein und ihm seine Geschichte erzählen, denn die Tickets, das Visum und die Pässe, die er für seine Frau und sich organisiert hat, sind für ihn nicht mehr von Interesse, denn seine Frau liegt im Hotel in einem Sarg. So ziehen die beiden Männer nachts nach Lissabon in immer andere Kneipen bis diese schließen und wir hören seine Geschichte:

Josef Schwarz, so sein mit Hilfe eines “geerbten” Passes angenommener Name, wurde vom Bruder seiner Frau in ein KZ in Deutschland gebracht, aus dem er entkommen konnte und befindet sich seitdem auf der Flucht bzw. im Exil. Seine Frau hat bis heute nichts mehr von ihm gehört und lebt weiter in Osnabrück. Schwarz kehrt nach Deutschland zurück um seine Frau wiederzusehen, schafft es sie aufzuspüren und Kontakt mit ihr aufzunehmen. Da beide sich noch immer lieben fliehen sie über die Schweiz nach Frankreich, wo sie bis zum Krieg recht unbeschwert leben können. Jetzt werden sie aber getrennt in Lagern interniert, doch erneut gelingt ihnen gemeinsam die Flucht bis Lissabon. Immer wieder wird ihr Leben aber von Helens Bruder überschattet, der alles daran setzt sie zurück nach Deutschland zu holen und ihren Mann erneut ins KZ zu stecken.

Ein Buch des Emigranten Remarques über die Emigration, Flucht, Naziterror und eine über allem stehende Liebe zweier Menschen zu einander. Obwohl bereits am Anfang klar ist, dass Helen stirbt entwickelt die Geschichte einen Sog, der dazu führt, dass ich die fast 300 Seiten meiner Ausgabe innerhalb von nicht mal 24h gelesen habe.  Die Eheleute “Schwarz” fliehen aus unterschiedlichen Gründen, denn ist der eine zwar Verfolgter des Regmies, flieht Helen, weil sie die Naziideologie, deren Nationalismus und Taten nicht mehr ertragen kann, der Bruder die Personifikation für alles böse der Diktatur. Remarque baut hier einen Roman auf, der dem Grauen als Gegenpol die Liebe entgegenstellt und zeichnet ein Liebespaar, das sich über Jahre immer wiederfindet und treu bleibt. Dennoch legt sich die grundlose Verfolgung der Beiden und ein unausgesprochenes Leiden Helens immer wieder wie ein Schatten über sie und ihr gemeinsames Glück.

Remarque schreibt in einer klaren, direkten Sprache, die sich aber in sehr viel detailreicheren Sätzen als z.B. in “Im Westen nichts Neues” niederschlägt. Die Liebesgeschichte der beiden ist sehr modern und zu keinem Zeitpunkt kitschig, sondern erwachsen und zwar auf Grund der ständigen Verfolgung sehr be- und durchdacht, aber auch voller Emotionalität. Der Autor schreibt 20 Jahre nach der eigenen Emigration ein Buch, das ebenso wie sein Mega-Bestseller und Antikriegsroman in den Kanon der Oberstufenklassen in Deutsch und Geschichte gehört, denn statt nackter Zahlen von Verfolgten und Getöteten wird hier das Schicksal zweier Menschen geschildert, das den Leser berührt und nachdenken lässt.

Der Text gehört sicher zu dem Besten was ich in letzter Zeit gelesen habe und ich kann ihn nur unbedingt weiterempfehlen. Die weitere Lektüre des Gesamtwerks Remarques wird sich bei mir anschließen.

Kategorien Allgemein Rezensionen

Tilman berät als Rechtsanwalt Verlage, Autoren und andere Kreative im Urheber- und Medienrecht. Als Blogger hat er sich sowohl im Bereich der Literaturkritik als auch -vermittlung in der Branche einen Namen gemacht. Rechtsanwalt Winterling ist zudem als Jurymitglied (u.a. Hamburger Literaturförderpreise) und Moderator von Lesungen tätig, sowie gefragter Interviewpartner (u.a. Deutschlandfunk, Radio Eins), wenn es darum geht verständlich und unterhaltsam über rechtliche Themen und solche des Bloggens zu berichten.