Als Jon Stewart im Jänner 1999 zum ersten Mal die TV-Zuseher, mit den in all den Jahren gleichbleibenden Worten, „Welcome to the Daily Show. My name’s Jon Stewart.“, begrüßte, war die Welt noch eine andere. Bill Clinton war regierender Präsident, die USA militärisch in einen Kurzschlaf verfallen und zum ersten Mal seit Jahrzehnten ging es dem Land finanziell sogar so gut, dass sie Staatsschulden reduzieren konnten. Zwei Präsidenten, vier Präsidentschaftswahlen, der 11. September 2001, ein Afghanistan-Krieg und ein Irak-Krieg später, ist die US-amerikanische Gesellschaft gespalten wie zuletzt in den Jahren nach der großen Depression im Jahr 1929.
Die Schere zwischen Arm und Reich ist nirgendwo sonst auf der Welt so groß wie in den USA. Das hässliche Gesicht der vor allem in den Südstaaten immer noch herrschenden Rassendiskriminierung kommt immer öfter öffentlich zum Vorschein und trennt das Land in die Farben Schwarz und Weiß. Und durch den immer größer werdenden Einfluss der Tea-Party entfernen sich die demokratische und republikanische Partei ideologisch immer weiter voneinander, mit Blockade- und Stillstandpolitik als Folge. Ein alter Milliardär mit Toupet, der als US-Präsident eine Mauer entlang der 3,150 km langen Grenze zu Mexiko bauen würde und der festen Überzeugung ist, die IS-Krise im Irak und Syrien „definitiv innerhalb eines Monats“ lösen zu können, befindet sich in Wahlumfragen im Hinblick auf die nächstjährigen Präsidentschaftskandidatenwahlen auf einem Höhenflug. Just in der Zeit, in der Jon Stewart mehr denn je von Beobachtern des US-amerikanischen Geschehens gebraucht wird, um nicht verrückt zu werden, streicht Jon Stewart die Segel.
Der Clown als Stimme der Vernunft
Der Abgang von Jon Stewart aus der Daily Show ist das Ende eines mehr als eineinhalb Jahrzehnte andauernden Versuches, einen Hauch von Vernunft in die amerikanische Medienlandschaft zu bringen. Er schaffte es, mit Humor den Leuten kurzweilig und unterhaltsam, komplizierte Sachverhalte verständlich zu vermitteln. In seiner Sendung, die in Wirklichkeit alles andere als einfach nur „Fake-News“ war, informierte er, unter dem Deckmantel des Humors, die Zuseher mit entwaffnender Ehrlichkeit. Das alles vermittelte er mit einer solchen rhetorischen Leichtigkeit und Schlagfertigkeit, wie sie sonst in Amerika oft nur allzu schmerzlich fehlt. Dabei vergaß er allerdings nie, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen. Er ist wie der coole Onkel, den sich jeder wünscht.
Jon Stewart sah sich selbst politisch weder links noch rechts. Er machte sich sowohl über die demokratische als auch die republikanische Partei lustig und kritisierte Anhänger beider Parteien. Sein Dauerkampf gegen die Marktschreiermentalitäten von Fox News und Co., sein Engagement für einen Ausbau eines staatlich geförderten Gesundheitssystems für jeden, sowie die tägliche Berichterstattung über Missstände aller Art machten ihn viel mehr zu einem Kämpfer für Menschenrechte – unerheblich welcher Hautfarbe, welchen Geschlechts und welcher sexueller Orientierung.
Doch war er nicht nur eine Stimme der Vernunft, sondern auch der Hoffnung und des Trostes. Einer der Monologe, der wohl am meisten in Erinnerung bleiben wird, ist der aus der ersten Sendung nach dem 11. September 2001: „The view from my apartment was the World Trade Center. And now it’s gone. And they attacked it. This symbol of American ingenuity and strength, labour, imagination and commerce. And it’s gone. But you know what my view is now? The statue of liberty. You can’t beat that”.
https://www.youtube.com/watch?v=SXcmc2AZ6ZE
Politische Satire als Instrument der Information
Der Erfolg der Daily Show zeigt auch auf, wie sehr die herkömmlichen Nachrichtensendungen in Amerika versagt haben. Es beschreibt wohl wenig die US-amerikanische Medienlandschaft treffender als der Fakt, dass eine „Fake News-Show“ auf Comedy Central für die meisten mittlerweile vertrauenswürdiger ist, als die „wirklichen“ Nachrichtensendungen.
Politische Satire als Instrument der Information – ein Konzept, das vor allem beim jungen Teil der Bevölkerung gut ankommt. Die Daily Show ist für viele die einzige Sendung, weshalb sie noch den Fernseher einschalten. Aus Ermangelung an Alternativen fingen Anfang der Nullerjahre viele junge Leute an, die Daily Show zu sehen. Jon Stewart ist der Grund, warum sie bis zuletzt der Show treu geblieben sind. Er ist einer der Hauptverantwortlichen dafür, dass die amerikanische Jugend noch nicht völlig das Interesse an der Politik verloren hat.
Der Einfluss von Jon Stewart kann allerdings nicht nur an seinen Handlungen gemessen werden, sondern auch am Erfolg all jener Personen, die ihre Karriere dort begonnen haben. Stephen Colbert übernimmt dieses Jahr den Platz von David Letterman in der Late Show. John Oliver ist innerhalb kürzester Zeit mit Last Week Tonight zu weltweiter Bekanntheit aufgestiegen und Steve Carell wurde letztes Jahr für seine Rolle als John Du Pont in Foxcatcher für einen Oscar nominiert. Ihren Erfolg haben sie alle Jon Stewart nicht nur deswegen zu verdanken, weil er ihnen eine Bühne gegeben hat. Er hat ihnen auch ganz ohne interne Zensur den nötigen Freiraum gegeben, ohne Angst sagen zu können, was sie wollten, um sich zu dem zu entwickeln, was sie jetzt sind.
Comedy als Form der Unterhaltung und unverfälschten Wissensvermittlung. Mit diesem Leitsatz revolutionierte Stewart den Journalismus in den USA, ohne jemals zugegeben zu haben, überhaupt Journalist zu sein. Von den vielen Nachahmern der Show auf anderen Kanälen überlebte keiner länger als ein paar Monate. Denn niemand außer Stewart schafft den Spagat zwischen Ernst und Spaß so souverän wie er, ohne dabei einen Beckenbruch zu erleiden.
„If comedy is tragedy plus time, I need more fucking time”
Nicht nur die Gesellschaft, sondern auch Jon Stewart selbst veränderte sich über die Jahre. Vom jungen Stand-Up-Comedian, dem man das Unwohlsein im Anzug anmerkte, entwickelte er sich zu einem grauhaarigen verhassten und verehrten Systemkritiker. Er wurde vielleicht nach 16 Jahren einfach müde, nahezu täglich gegen eine unaufhaltsame Entwicklung anzukämpfen, nur um am Ende wieder bei der kontinuierlichen Selbstzerstörung des Landes zusehen zu müssen. Und doch ist er zum Glück noch nicht zu erschöpft, um die TV-Bühne für immer zu verlassen. „I don’t have any specific plans. I got a lot of ideas in my head”, ließ er die Zuseher wissen, als er den Abschied von der Show vor fünf Monaten bekanntgab.
Jon Stewart, das Salz in der Wunde der in einer Glaubwürdigkeitskrise steckenden Medienlandschaft und beste Gesellschaftskritiker der USA, moderiert heute abends zum letzten Mal nach 16 Jahren und 2.579 Shows die Daily Show. Sein famoses Debut als Regisseur beim letztjährig erschienenen Film Rosewater lässt allerdings Hoffnung schöpfen, dass Jon Stewart aller gesellschaftlicher Entwicklung zum Trotz noch lange nicht am Ende seiner persönlichen Revolte gegen die Eliten aus Politik und Medien ist. „You get in this business with the idea that maybe you have a point of view and something to express. And to receive feedback from that is the greatest feeling that you can ask for”, sagte er erst kürzlich in einem seiner letzten Auftritte. Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.
Titelbild: Screenshot / thedailyshow.com