Frank Beddor, geboren in Minneapolis, ist Filmproduzent in Hollywood. Er wurde als Mitglied des US-Ski-Teams zweimal Freestyle-Weltmeister und hat als Filmschauspieler und Ski-Stuntman gearbeitet.
Alyss und Mac befanden sich nicht länger im Kontinuum; sie rannten durch einen stockfinsteren Wald. Vor und hinter sich konnte Alyss nichts erkennen; dass sie sich in einem Wald befanden, wusste sie nur, weil sie ringsum das Flüstern der Bäume hörte. Es fing zu regnen an, der Wind frischte auf, und dann brach ein Gewitter los. Wie konnte Mac sehen, wohin er lief?
über sich hörte sie ein klagendes Heulen.
»Sucher«, sagte Mac mehr zu sich selbst.
Ja, Sucher. Sie verrieten ihren Verfolgern, wo sie waren. Denn sie wurden eindeutig von irgendjemandem oder irgendetwas verfolgt. Mac konnte hören, wie hinter ihnen etwas durchs Unterholz brach, hörte das Splittern von Zweigen und Platschen von Pfützen.
Nach einer Zeit, die Alyss ewig vorkam, öffnete sich der Flüsterwald zu einer weiten freien Fläche, und sie kamen an einen jähen Abgrund. Alyss brauchte einen Moment, um zu erkennen, wo sie waren: an der Klippe über dem Teich der Tränen, wo sie vor kurzem erst mit Dodd gestanden hatte. Wenn Dodd jetzt nur hier gewesen wäre! Das Wasser war schwarz und aufgewühlt. Auf einmal begriff sie.
»Niemand kommt je zurück«, sagte sie und schaute verzweifelt in den Teich.
»Aber du wirst zurückkehren«, sagte Mac. »Du musst.«
In diesem Moment brach der Kater auf die Lichtung und stürzte sich auf sie. Mac sprang. Der Kater erwischte die Prinzessin am ärmel des Geburtstagskleides und riss ihn mit seinen Krallen ab, aber das war alles, was er bekam. Alyss stürzte, fest an Mac Rehhut geklammert, auf die Wasserfläche zu.
…
Der Kater stand am Rand der Klippe und starrte auf die schäumende, Wellenringe formende Stelle, an der Alyss und Mac ins Wasser geklatscht waren. Blitze zuckten über den Himmel, Donner grollte, und es regnete in Strömen. Wenn es etwas gab, das der Kater nicht ausstehen konnte, dann war es Wasser. Regen, Duschen, Bäder; was auch immer er hasste es, nass zu werden. Er wandte sich ab und stapfte in den Wald zurück, in der Faust den Fetzen von Alyss Kleid.
»Du hast sie entkommen lassen«, sagte eine Stimme.
Der Kater erstarrte.
»Sie sind auf und davon«, sagte eine andere.
Er wirbelte herum, sah aber niemanden. Der Wald sprach zu ihm, die Bäume und Büsche und Blumen.
»Was ist los?«, fragte neben ihm ein Fliederbusch. »Sind wir ein bisschen wasserscheu?«
Da lachte der ganze Wald, aber der Kater ließ sich nicht gern zum Gespött machen. Er riss den Flieder mitsamt den Wurzeln heraus und warf ihn hin. Der Wald verstummte. Der Kater ging zu einem Baum.
»Warst du das eben?«
Der Baum sagte nichts.
Der Kater sah sich nach links um, dann nach rechts. »Ist niemand anders zu sehen, also musst wohl du mit mir geredet haben.«
Immer noch sagte der Baum kein Wort. Es nutzte ihm aber nichts. Der Kater fuhr mit seinen Krallen den Stamm hinunter und riss die Rinde ab.
»Aaaah!«, schrie der Baum.
Der Kater betrat das Kristallkontinuum wieder durch den Waldspiegel (dessen Wächter, der verschwiegene Busch, nun verschwiegener denn je war) und kam in Genevieves Salon heraus. Er stampfte durch das Trümmerfeld des Sitzbereichs und einen herzförmigen Flur zum südlichen Speisesaal, stieg dabei achtlos über tote Kartensoldaten und Gardisten, als hätten sie nie gelebt, nie gelacht, geweint oder sich über etwas gefreut, nie jemanden gehabt, der sie liebte und zu Hause auf sie wartete.
Ungeachtet der Explosion, die den Palast erschüttert hatte, und der Toten, die überall auf den Tischen und dem Boden lagen, bot der südliche Speisesaal das Bild eines Festgelages. Redds Soldaten verschlangen Wunderkringel, gebratene Haselmäuse und sonstige Delikatessen, ohne sich weiter mit Tischmanieren aufzuhalten. Da sie Tee nicht viel abgewinnen konnten, hatten sie den palasteigenen Weinkeller geplündert und gossen nun die edelsten Weine, die das Königinnenreich zu bieten hatte, in sich hinein.
»Auf die Gesundheit von Königin Redd!«
»Auf den Tod von Königin Genevieve!«
Diese Trinksprüche machten auf Redd, die mit der blutigen Krone auf dem Kopf in einem Stuhl lümmelte, nur wenig Eindruck. »Nun?«, sagte sie, als sie den Kater erblickte. »Wo sind ihre Köpfe?«
Man gestand Redd kein Versagen ein, ohne Schmerzen oder Schlimmeres zu erleiden. Der Kater hielt den Fetzen von Alyss Kleid hoch. »Mehr ist von ihnen nicht übrig. Es tut mir leid, Hoheit. Ich konnte mich nicht zurückhalten.«
»Es wäre unklug, sich in einer solchen Situation zurückzuhalten«, sagte Redd. »Gut gemacht.«
...
Umgeben von Nanik Schneeweiss, dem Kater, den Farben und denjenigen ihrer Soldaten, die noch nüchtern genug waren, dass sie stehen konnten, sowie einigen, die es nicht mehr konnten, stand Redd im Palasthof vor dem Herzkristall und erhob ihre Stimme zum Gewitterhimmel.
»Ich bin bereit, all jenen zu vergeben, denen es während meines Exils wohlergangen ist und die wenig zu meiner Rückkehr beigetragen haben. Mit folgender Ausnahme: Ein jeder, der einem Sympathisanten der vorherigen Königin oder einem Anhänger der Weißen Imagination hilft oder ihm Unterschlupf gewährt, wird gnadenlos aufgespürt, ins Gefängnis geworfen, unaussprechlichen Foltern unterzogen und anschließend exekutiert. Jetzt setz mir die Krone auf.«
Nanik Schneeweiss trat rasch vor, um ihrem Wunsch nachzukommen, aber Redd ging es nicht schnell genug. Auf eine Krümmung ihres Fingers hin schlüpfte ihm die Krone aus den Händen und landete auf ihrem Kopf.
»Das Königinnenreich sei wieder mein«, verkündete sie und legte beide Hände auf den Herzkristall.
Ein Energiestoß schüttelte sie. Der Kristall verfärbte sich von weiß zu rot zu einem so tiefen und grellen Rot, dass Nanik und die übrigen Zuschauer den Blick abwenden oder die Augen schließen mussten, um nicht zu erblinden.
Redd hatte sich die Macht des Herzkristalls zu Eigen gemacht.